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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 11.10.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 411/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 411/06

Verkündet am: 11. Oktober 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2006 durch den Richter am Arbeitsgericht Schweitzer sowie die ehrenamtlichen Richter Walch und Csauth für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 01.12.2005 - 34 Ca 4767/05 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtsmäßigkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Der Kläger war bei der Beklagten, in ihrem Betrieb in M., seit 01.09.1972 zuletzt als Verkaufsleiter Haushaltsgeräte beschäftigt. Gemäß Arbeitsvertrag vom 16.04.2004 umfasste die Tätigkeit des Klägers neben der durch den Arbeitgeber zu definierenden Leitungsfunktion alle in der Filiale anfallenden Arbeiten, insbesondere die Warenannahme, den Warentransport innerhalb der Filiale, die Warenpflege, den Warenverkauf, Bearbeitung von Kundenreklamationen sowie Kassentätigkeit. Mit Schreiben vom 14.03.2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum 31.10.2005.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass sein Arbeitsplatz nicht entfallen sei. Die von der Beklagten behauptete Streichung der Hierarchieebene Verkaufsleiter habe sich auf seine Tätigkeit nicht ausgewirkt. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Kläger maximal 20 % Leitungsaufgaben wahrgenommen habe. Im Wesentlichen sei er Verkäufer gewesen im Bereich Haushaltsgeräte mit einem Zeitanteil von 80 % seiner Tätigkeit. Damit sei er vor und nach seiner Vertragsänderung im Wesentlichen als Verkäufer tätig gewesen. Der Vortrag der Beklagten, dass die Tätigkeiten des Klägers zum Teil ersatzlos weggefallen seien, bzw. dass die verbleibenden Resttätigkeiten der Marktleiter oder ein von ihm beauftragter Käufer mit Kassentätigkeit übernehme, sei vollkommen unsubstantiiert. Darüber hinaus habe die Beklagte in ihrer Filiale G. nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung mehrere Mitarbeiter neu eingestellt. Der Kläger könne sämtliche Positionen der neu eingestellten Mitarbeiter aufgrund seiner Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit von über 30 Jahren bei der Beklagten sofort übernehmen. Im Übrigen die Beklagte die soziale Auswahl unzutreffend durchgeführt. Auch der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung nur pauschal und schlagwortartig angehört worden.

In erster Instanz hat der Kläger beantragt,

es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 14.03.2005 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch über den 31.10.2005 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie beruft sich darauf, dass durch eine Unternehmerentscheidung der Arbeitsplatz des Klägers auf Dauer entfallen sei. In einer Geschäftsleitersitzung am 23.02.2005 habe die Beklagte entschieden, auf die Beschäftigung von Verkaufsleitern in der Filiale M. G. zu verzichten. Grund hierfür sei insbesondere das zwischenzeitlich reibungslos funktionierende automatische Dispositionssystem. Durch dieses System habe sich das marktinterne Bestellsystem, für das die Verkaufsleiter zuständig waren, bis auf eine geringe Anzahl von Vorgängen reduziert. Die verbleibenden Resttätigkeiten, bezogen auf das interne Bestellsystem, übernehme zukünftig der Marktleiter oder ein von ihm hierzu beauftragter Verkäufer mit Kassentätigkeit. Durch die vollständige Umsetzung des Discountsystems sei von den Verkaufsleitern, bis auf wenige Ausnahmen, kein korrigierender Eingriff mehr vorzunehmen. Das Gesamtbild des Marktes, bezogen auf Ordnung, Sauberkeit, Präsentation der Ware, habe sich bei allen Verkäufern mit Kassentätigkeit eingespielt. Die neue Organisation für die administrativen Bereiche wie Kasse und Lagerwesen habe sich verselbständigt und bedürfe keiner gesonderten Kontrolle durch die Verkaufsleiter mehr. Das gesamte Warenwirtschaftssystem sei durch die Reduzierung der Waren übersichtlich und könne von jedem im Markt nunmehr noch tätigen Verkäufer mit Kassen- und Lagertätigkeit gehandhabt werden. Kundenberatung werde nun noch eingeschränkt ausgeführt. Aufgrund dessen sei der Arbeitsplatz des Klägers entfallen. Eine Sozialauswahl sei beschränkt auf den Betrieb in M-G. Aufgrund der hierarchischen Stellung der Verkaufsleiter sei eine Sozialauswahl aber nicht möglich gewesen. Im Vergleich zu Verkäufern mit Kassentätigkeit sei der Kläger übergeordnet. Die Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung sei ordnungsgemäß erfolgt.

Das Arbeitsgericht München hat mit Endurteil vom 01.12.2005 der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte nicht dargelegt habe, inwieweit der Arbeitsplatz des Klägers tatsächlich weggefallen sei und eine Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich gewesen sei. Der Kläger schulde nach seinem Arbeitsvertrag nicht lediglich Leitungstätigkeiten, sondern auch Tätigkeiten, die ein normaler Verkäufer bei der Beklagten ausübe. Da der Kläger in der Vergangenheit auch nicht nur ausschließlich mit Leitungstätigkeiten befasst gewesen sei, hätte es der Darlegung bedurft, inwieweit das Beschäftigungsverhältnis für den Kläger auch im Übrigen weggefallen sei. Aufgrund der Neueinstellung von Verkäufern sei auch nicht erkennbar, inwieweit ein Beschäftigungsbedarf im Hinblick auf die Verkaufstätigkeit weggefallen sei.

Bezüglich des Vortrages der Parteien im ersten Rechtszug, der von ihnen gestellten Anträge und der rechtlichen Erwägung des Arbeitsgerichtes im Einzelnen, wird auf den Inhalt des Endurteils des Arbeitsgerichts München vom 01.12.2005 Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 09.03.2006 zugestellte Endurteil des Arbeitsgerichts München am 05.04.2006 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 08.06.2006 auch begründet.

Sie vertritt die Auffassung, dass von ihr nicht verlangt werden könne, darzulegen, in welchem Umfang der Kläger überhaupt normale Verkaufstätigkeiten verrichtet habe. Die Entscheidung der Beklagten, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, sei eine Organisationsmaßnahme, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führe und damit den entsprechenden Beschäftigungsbedarf entfallen lasse. Durch die einheitliche Schaffung von Arbeitsplätzen, die mit Arbeitnehmern besetzt werden, die alle in der Filiale anfallenden Tätigkeiten übernehmen können, sei es systemimmanent, dass hierdurch dauerhaft keine überobligatorische Leistungverdichtung bei den in einer Discountfiliale tätigen Arbeitnehmern entstehen könne. Im Zweifel würden Engpässe auf Kosten der Kunden gehen. Mit wie vielen Arbeitnehmern die Beklagte eine Discountfiliale betreibe, sei alleinige Entscheidung der Beklagten. Das neue Verkaufssystem funktioniere auch, und zwar ohne Überstunden bei den verbleibenden Arbeitnehmern. Der Kläger habe sich mit 60 % seiner Arbeitszeit ausschließlich im Verkaufsleiterbüro aufgehalten. Die restlichen 40 % seiner Arbeitszeit sei er zwar im Verkaufsbereich gewesen, habe sich dort aber vornehmlich mit Bestandskontrolle, Regal auffüllen und in geringem Umfang mit Beratung und Verkauf beschäftigt. Verteilt auf die verbleibenden 25 Verkäufer mit Kassentätigkeit wäre dies allenfalls eine wöchentliche Mehrbelastung von ca. 40 Minuten pro Mitarbeiter, also eine tägliche Mehrbelastung pro Verkäufer mit Kassentätigkeit von 8 Minuten. Die Herren B. und P. seien nicht neu eingestellt worden. Herr P. sei Marktleiter in B. Markt gewesen und befasse sich nur sehr eingeschränkt mit den Gegebenheiten innerhalb des Marktes in M.. Herr B. sei Marktleiter und als solcher in R., Z. und N. tätig gewesen. Er sei derzeit Marktleiter zur besonderen Verwendung, bis er eine neue Marktleiterposition übernehmen könne.

Im Berufungsverfahren beantragte die Beklagte,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts München vom 1. Dezember 2005, 34 Ca 4767/05 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.

Er bleibt bei seiner Auffassung, dass die Beklagte nicht überzeugend habe darlegen können, inwieweit der Arbeitsplatz des Klägers weggefallen sei. Nach wie vor belasse es die Beklagte bei der lediglich schlagwortartigen Behauptung "dauerhaft keine überobligatorische Leistungsverdichtung" zu verursachen, was im Übrigen systemimmanent sei. Die von der Beklagten reklamierte unternehmerische Entscheidung sei als solche nicht substantiiert dargelegt worden. Es bleibe dabei, dass sich seit Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung im Betrieb der Beklagten in G. praktisch weder an den Arbeitsabläufen, noch am äußeren Erscheinungsbild etwas geändert habe. Der Kläger war und sei bis zuletzt ca. 80 % seiner Arbeitszeit als Verkäufer tätig und habe lediglich im restlichen Umfang abteilungsleitende Aufgaben wahrgenommen. Die Anhebung des seit über 30 Jahren als Verkäufer beschäftigten Klägers zum Verkaufsleiter sei tatsächlich lediglich ein Konstrukt ohne inhaltliche Ausfüllung gewesen. Die Beklagte gehe auch nicht auf die klägerseits genannten neu eingestellten Mitarbeiter G., R., K. und K. ein.

Zur Ergänzung des Sachvortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 05.04.2006, 08.06.2006, die Schriftsätze des Klägers vom 10.04.2006 und vom 13.07.2006 sowie auf das Protokoll vom 11.10.2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 01.12.2005 ist zulässig, aber unbegründet.

Das Arbeitsgericht München hat mit ausführlicher und überzeugender Begründung - worauf Bezug genommen wird (§ 69 Abs. 2 ArbGG) - der Kündigungsschutzklage zu Recht statt gegeben.

Die Kündigung vom 14.03.2005 ist sozial ungerechtfertigt, da sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Zwar geht die Beklagte zutreffend davon aus, dass das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung zur Umstrukturierung entfallen kann, und diese unternehmerische Entscheidung nur einer Missbrauchskontrolle unterliegt. Sie ist lediglich dahingehend zu überprüfen, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist, und ob sie tatsächlich ursächlich für den vom Arbeitgeber geltend gemachten Beschäftigungswegfall ist (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 598/01).

Läuft aber die unternehmerische Entscheidung letztlich nur auf den Abbau einer Hierarchieebene hinaus, verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, bedarf es der Konkretisierung dieser Entscheidung, damit geprüft werden kann, ob der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist und die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist. Der Arbeitgeber muss insbesondere darlegen, in welchem Umfang die bisher vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen. Er muss aufgrund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierten Prognose darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbleibenden Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können (vgl. BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 598/01).

Auch in der Berufungsinstanz erfüllt der Sachvortrag der Beklagten nicht diese Anforderungen. Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, dass sich der Kläger tatsächlich mit 60 % seiner Arbeitszeit ausschließlich im Verkaufsleiterbüro aufgehalten habe. Die restlichen 40 % seiner Arbeitszeit sei er zwar im Verkaufsbereich gewesen und habe sich dort vornehmlich mit Bestandskontrolle, Regal auffüllen und einem geringen Umfang mit Beratung und Verkauf beschäftigt. Im Hinblick darauf, dass der Kläger selbst vorträgt, er habe 80 % seiner Tätigkeit im Verkauf verbracht, wäre es Sache der Beklagten gewesen, im Einzelnen aufgeschlüsselt darzulegen, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger im Verkaufsbereich Bestandskontrollen vorgenommen hat, mit Regal auffüllen beschäftigt war, bzw. mit welchem zeitlichen Anteil seiner Arbeitszeit er mit Beratung und Verkauf tätig war. Nur wenn das Gericht zumindest den ungefähren zeitlichen Anteil der einzelnen Tätigkeiten des Klägers an seiner Gesamttätigkeit kennt, ist es möglich nachzuprüfen, in welchem zeitlichen Umfang Arbeiten, die der Kläger ausgeübt hat, entfallen sind und welchem zeitlichen Umfang eine Verlagerung auf die anderen Mitarbeiter statt gefunden hat. Die Beklagte ist damit ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen.

Dies gilt um so mehr, als die Beklagte den Sachvortrag des Klägers, die Beklagte habe im Juli 2005 einen Herrn R. sowie einen Herrn K. als Verkäufer im Betrieb G. eingestellt sowie einen weiteren Mitarbeiter namens K., nicht substantiiert bestritten hat. Daraus muss das Gericht aber schließen, dass die Beklagte das von ihr behauptete unternehmerische Konzept, die Verlagerung von verbleibenden Restarbeiten des Klägers auf den Marktleiter und die anderen vorhandenen Verkäufer, so nicht durchgeführt hat. Die Beklagte hat, dies ergibt sich aus diesen Neueinstellungen, ihr Konzept der Arbeitsverdichtung gerade nicht umgesetzt. Das Gericht muss vielmehr davon ausgehen, dass der Ausfall der Arbeitsleistung des Klägers durch Neueinstellungen kompensiert werden sollte. Daraus ergibt sich, dass der Beschäftigungsbedarf für den Kläger nicht entfallen ist Selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die Verkaufsleiterebene tatsächlich abgeschafft wurde, so muss aus der Einstellung von Verkäufern geschlossen werden, dass zumindest im Verkaufsbereich ein entsprechender Beschäftigungsbedarf vorhanden war. Eine ordentliche Beendigungskündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einen anderen freien Arbeitsplatz, auch zu geänderten Arbeitsbedingungen, weiterzubeschäftigen. Eine solche Weiterbeschäftigungsmöglich-keit hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anzubieten (vgl. BAG vom 21.04.2005, 2 AZR 132/04).

Nach alldem hat das Arbeitsgericht München der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Nach alldem blieb die Berufung der Beklagten ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Ende der Entscheidung

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