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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 18.10.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 1185/04
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Streit über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung; Verstöße gegen die Pflicht zur Pflegedokumentation in einem Altenheim
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 1185/04

Verkündet am: 18. Oktober 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Fechtner und Böttcher für Recht erkannt:

Tenor: 1. Auf die Berufung der Beklagten vom 3. November 2004 wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 29. September 2004 abgeändert und die Klage kostenpflichtig abgewiesen.

2. Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung in Verbindung mit einem Weiterbeschäftigungsanspruch.

Die im März 1967 geborene Klägerin war bei der Beklagten beziehungsweise deren Rechtsvorgängerin seit 1. April 1988 als examinierte Altenpflegerin (Pflegefachkraft) in deren Altenheim X. mit einer Vergütung von zuletzt € 3.054,66 brutto beschäftigt gewesen.

Am 7. Dezember 1998 hatte sie eine Stellenbeschreibung betreffend ihre Tätigkeit als Pflegefachkraft im stationären Pflegedienst unterzeichnet. Danach war sie gegenüber der Stationsleitung auch verantwortlich für die Sicherstellung der Pflegedokumentation entsprechend der vorgegebenen Richtlinien (Blatt 27 bis 29 der Akte). Daneben gab es Richtlinien zur Pflegedokumentation vom 15. März 2000 (Blatt 32 bis 36 der Akte) und vom 10. Juni 2003 (Blatt 37 bis 42 der Akte).

Am 17. Juli 2003 hatte die Klägerin an einer internen Fortbildungsveranstaltung zur Einführung der neuen Dokumentationsformulare teilgenommen (Blatt 61 der Akte).

In der Zeit ab Juli 2002 hatte sich die Beklagte mehrfach veranlasst gesehen, aus ihrer Sicht vorgekommene Verletzungen der Dokumentationspflicht seitens der Klägerin zu beanstanden. Als dann auch am 7. Januar 2004 Mängel bei der Dokumentation aufgetreten waren, so fehlten aus Sicht der Beklagten bei Bewohner/innen zwischen 8:00 Uhr/ 8:30 Uhr und 12:30 Uhr die erforderlichen Eintragungen bezüglich der Flüssigkeitszufuhr, Fixierungsprotokolle waren nicht ausgefüllt gewesen, teilweise ohne Uhrzeit, Eintragungen in Bewegungsplänen zur Lagerung fehlten (vergleiche die Auflistung im Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 3. Juni 2004, Seiten 4/5 - Blatt 19/20 der Akte), entschloss sich die Beklagte zur Kündigung, da sie wegen festgestellter Dokumentationsmängel der Klägerin mit Schreiben vom 16. Juli 2002 (Blatt 69/70 der Akte), vom 29. Juli 2002 (Blatt 71 und 72 der Akte) und 4. November 2003 (Blatt 73 der Akte) auch bereits Abmahnungen ausgesprochen hatte.

Nach Anhörung des Betriebsrats (Schreiben vom 26. Januar 2004 - Blatt 75 bis 78 der Akte) sprach die Beklagte mit Schreiben vom 22. März 2004 wegen wiederholter Verletzung ihrer Pflicht zur Pflegedokumentation eine ordentliche Kündigung zum 30. September 2004 (Blatt 10 der Akte) auch aus. Die Klägerin ließ dagegen mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 8. April 2004 Kündigungsschutzklage verbunden mit einem Weiterbeschäftigungsantrag erheben. Diese Begehren hatten vor dem angerufenen Arbeitsgericht München auch Erfolg. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Endurteils vom 29. September 2004 wird Bezug genommen.

Mit der am 3. November 2004 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihren Prozessbevollmächtigten am 7. Oktober 2004 zugestellte Entscheidung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 7. Januar 2005 eingegangen. Darin wird die Ansicht des Erstgerichts, einschlägige Abmahnungen lägen nicht in ausreichendem Maße vor, bekämpft und zur Abmahnung vom 16. Juli 2002 (Blatt 69 der Akte) ausgeführt, diese enthalte mit den Worten:

... "Haben Sie die Dokumentation der von Ihnen am 15.7.2002 betreuten 14 Bewohner unzureichend bzw. gar nicht geführt.

Es fehlen Eintragungen in den Berichtsblättern, den Inkontinenzver­brauchslisten, im Fixierungsprotokoll und Eintragungen zu den Vitalwerten einzelner Bewohner."

einen ausreichend spezifizierten Vorwurf fehlerhaften Verhaltens. Die Klägerin habe am 15. Juli 2002 14 Heimbewohner zu betreuen gehabt. Ihr sei bereits vorab die Pflegedokumentationspflicht mehrfach erläutert und auch der Gebrauch der Pflegedokumentationsformulare dargestellt worden. Der Klägerin sei daher auch bekannt gewesen, welche Eintragungen in die Inkontinenzverbrauchslisten, Fixierungsprotokolle und den Berichtblättern vorzunehmen waren. Sie hätte darüber hinaus in die Dokumentationsunterlagen Einsicht nehmen können, um die Berechtigung der Vorwürfe bzw. den Umfang ihres Fehlverhaltens selbst einzuschätzen.

Auch arbeitsvertraglich sei der Klägerin die Pflicht zur Sicherstellung der Pflegedokumentation entsprechend der vorgegebenen Richtlinien (Stellenbeschreibung vom 7. Dezember 1998 - Blatt 27 bis 29 der Akte - in Verbindung mit der Richtlinie zur Pflegedokumentation - Blatt 37 bis 42 der Akte) auferlegt worden. Dem Arbeitsgericht wird vorgehalten, die arbeitsvertragliche Gesamtpflicht auf einzelne Eintragungen zu atomisieren und somit eine im Hinblick auf die Dokumentationsverpflichtung und deren Einhaltung unsinnige Pflichtenkonstellation herbeizuführen. Die Abmahnung vom 16. Juli 2002 beinhalte die Anhörung des Mitarbeiters und da es darauf bezogen auch einen Briefwechsel mit den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegeben habe, wird sie als wirksam angesehen.

Entsprechendes gelte hinsichtlich der Abmahnung vom 29. Juli 2002 (Blatt 71 der Akte). Der beanstandete Pflichtenverstoß am 15. Juli 2002 sei darin genau bezeichnet worden. Diese Eintragung habe auch am 16. und 17. Juli 2002 noch gefehlt. Bei der von der Klägerin am 19. Juli 2002 vorgenommenen, auf den 15. Juli 2002 rückdatierten Eintragung wird beanstandet, dass dieser Nachtrag entgegen der Verpflichtung nicht als solcher kenntlich gemacht worden sei. Soweit das Erstgericht diese Abmahnung im Hinblick auf die mittlerweile verstrichene Zeit bezogen auf die Kündigung vom 22. März 2004 nicht mehr berücksichtigt hatte, wird darauf hingewiesen, dass sich diese Abmahnung noch in der Personalakte befunden und eine Verpflichtung zur Herausnahme nicht bestanden habe.

Diese Dokumentation der Pflegeleistungen sei nicht nur für den Nachweis klägerischer Arbeitsleistungen erforderlich, sie werde vielmehr benötigt als Nachweis sachgerechter Pflege gegenüber den Bewohnern, deren Angehörigen aber auch gegenüber der Heimaufsichtsbehörde sowie sonstiger staatlicher Stellen. Weiter sei diese Dokumentationspflicht Grundlage für die Abrechnung der Leistungen. Der Beklagten entstehe ein finanzieller Verlust, wenn erbrachte Leistungen vom Mitarbeiter nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden sind. Eine Abmahnung sichere damit die Vertragstreue des Mitarbeiters über einen längeren Zeitraum von mindestens zwei Jahren. Dies gelte erst recht, wenn - wie vorliegend - weitere Abmahnungen und weitere Pflichtverstöße hinzukommen. Soweit das Erstgericht in diesem Zusammenhang zur eingeführten neuen Pflegedokumentation die Ansicht vertreten habe, diese würde die Pflichtverletzungen der Klägerin im Hinblick auf die Prognoseentscheidung relativieren, tritt Beklagte dem mit Nachdruck entgegen. Dadurch seien die Pflegedokumentationsformulare lediglich formal umgestaltet worden, sie hätten einen neuen Aufdruck bekommen, und inhaltlich habe man die geforderten Aufzeichnungen vereinfacht, es gebe jetzt vorgeschriebene Formulartexte, die jetzt von der Pflegekraft nur mehr durch Uhrzeiteintrag und Handzeichen bestätigt werden müssen. Zur Klägerin wird ausgeführt, dass sie mit ihrer langjährigen Erfahrung als Pflegefachkraft ihre Dokumentationspflicht jederzeit hätte erfüllen können. Die Abmahnungen belegten letztlich eine Leistungsunmöglichkeit, die bestätigt wird durch schriftsätzliche Ausführungen. Mit einer Verhaltensänderung seitens der Klägerin sei nicht mehr zu rechnen, sie wolle weiterhin ihre Pflichtverstöße nicht einsehen und ein anderes Verhalten für die Zukunft auch nicht in Aussicht stellen. Die Berufungsanträge lauten damit:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 29. September 2004, Az.: 38 Ca 5978/04, wird aufgehoben.

2. Die Klagen werden abgewiesen.

Die Klägerin lässt beantragen:

Die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 29. September 2004, Az: 38 Ca 5978/04, wird abgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Eine verhaltensbedingte Kündigung solle den Arbeitnehmer nicht bestrafen. Sie sei für einen Arbeitgeber immer ultima ratio, um Vertragsverletzungen abzustellen, die seine Interessen nachhaltig beeinträchtigen. Zuvor müsse der Arbeitgeber alle anderen ihm zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung ergriffen haben, um dann bei verständiger Würdigung sämtlicher Gesamtumstände zu einer zwingend negativen Prognose des zukünftigen arbeitsvertraglichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zu gelangen.

Hinreichend konkrete, einschlägige und zeitnahe Abmahnungen stellten somit Wirksamkeitsvoraussetzungen für die auf vertragswidriges Verhalten gestützte einseitige Auflösung eines Arbeitsverhältnisses dar. Daran fehlt es nach Ansicht der Klägerin im streitgegenständlichen Fall. An den Inhalt einer Abmahnung seien ihrer Funktion entsprechend hohe Anforderungen zu stellen. Der betroffene Arbeitnehmer müsse der Abmahnung zweifelsfrei entnehmen können, welches konkrete Verhalten im Einzelnen ihm vorgeworfen wird, wie er sein Verhalten in Zukunft konkret einzurichten hat. Der Arbeitgeber müsse somit die gerügten Vorfälle im Einzelnen detailliert schildern. Nur so könne sich der Arbeitnehmer gegebenenfalls gegenüber unberechtigten Vorwürfen substantiiert zur Wehr setzen und sein Verhalten konkret entsprechend eines gerechtfertigten Vorwurfs neu ausrichten. Bezogen auf die Abmahnung vom 16. Juli 2002 wird der Ansicht des Erstgerichts gefolgt, dass diese wegen ihrer Unbestimmtheit keine Wirksamkeit entfalten könne. Der erstinstanzliche Beklagtenvortrag zum angeblichen Pflichtenverstoß der Klägerin am 7. Januar 2004 mit der Darstellung in der Abmahnung vom 16. Juli 2002 verglichen lasse erkennen, welche inhaltlichen Differenzierungsdefizite dieser gegenüber der Klägerin erhobene Vorwurf habe. Pauschal sei die Behauptung aufgestellt worden, dass die Dokumentation der von der Klägerin am 15. Juli 2002 betreuten 14 Bewohner unzureichend bzw. gar nicht geführt sei. Bei welchen Bewohnern, in welchem Protokoll, zu welcher Zeit, welche Dokumentation unvollständig bzw. nicht von der Klägerin geführt worden sein soll, sei ohne Erklärung geblieben. Der Aufforderung, die angeblich fehlerhaft ausgefüllten Berichtsblätter und Protokolle vom 15. Juli 2002 wenigstens in anonymisierter Form zu übermitteln, sei die Beklagte nicht gefolgt. Der pauschale Vorwurf, einen Dokumentationsfehler begangen zu haben, reiche weder für eine konkrete Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieses Vorwurfs aus, noch habe die Klägerin ihr Verhalten künftig verändert ausrichten können. Damit lasse sich aus der Abmahnung vom 16. Juli 2002 auch keine negative Prognose für das weitere Verhalten der Klägerin begründen, weil es ihr nicht möglich gewesen war, mit einer konkreten Verhaltensänderung auf ein konkretes Fehlverhalten zu reagieren bzw. unberechtigte Vorwürfe durch entsprechenden substantiierten Gegenvortrag aus der Welt zu schaffen.

Unabhängig davon wird das Recht aus der Abmahnung aufgrund des langen Zeitraums im Zeitpunkt der Kündigung am 22. März 2004 aber auch als verwirkt angesehen. Die zeitliche Wirkungsdauer einer Abmahnung hänge jeweils von Art und Schwere der abgemahnten Vertragsverstöße ab. Entgegen der Auffassung der Beklagten stelle das Ausfüllen der Dokumentationsbögen nicht eine arbeitsvertragliche Hauptpflichtverletzung des Pflegepersonals dar und sei auch nicht konkreter Bestandteil des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 7. Oktober 1988 gewesen. Die Klägerin möchte ihn allenfalls als arbeitsvertragliche Nebenpflicht ansehen. Hauptleistungspflicht einer Altenpflegerin sei die Erbringung der Pflege, Betreuung und Versorgung gegenüber den Heimbewohnern. Unbestritten habe es etwaige Nachlässigkeiten oder Pflichtverstöße der Klägerin bei ihrer Pflegetätigkeit gegenüber den Heimbewohnern während ihres Arbeitsverhältnisses nicht gegeben.

Die Abmahnung vom 29. Juli 2002 sei für die Kündigung vom 22. März 2004 ebenfalls nicht einschlägig. Bereits erstinstanzlich sei bestritten worden, dass die Klägerin hier einen Nachtrag durchgeführt habe. Sie habe die Blutzuckermessung bei Frau M. am 15. Juli 2002 zu dem in der Dokumentation angegebenen Datum, zur angegebenen Uhrzeit gemessen und ordnungsgemäß eingetragen. Die Beweisrichtung dieser Dokumentation habe sich auch bei einem Nachtrag durch die Klägerin nicht geändert. Allein ein fehlender Vermerk über die zeitlich versetzt erfolgte Eintragung ändere daran nichts. Einen wie immer gearteten Nachteil könne die Beklagte aus dem Umstand eines Nachtrags der korrekten Daten auch nicht ableiten.

Darüber hinaus habe es die Beklagte bis heute versäumt darzustellen, wo denn und in welcher Form ein entsprechender Vermerk bei einem Nachtrag der Daten im Dokumentationsbogen durch die Pflegefachkraft erfolgen sollte. Wenn ein solcher Vermerk von der Beklagten tatsächlich gewünscht werde, so müsse sie vorher ihr Pflegepersonal dementsprechend einweisen. Das habe sie vorliegend aber nicht getan. Mit Recht habe das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang auch auf die widersprüchliche Vorgehensweise der Beklagten hingewiesen. In der Abmahnung vom 29. Juli 2002 werde vorgeworfen, die Klägerin habe mit einem Nachtrag der Pflegeleistung ein Dokument verfälscht, während in der Abmahnung vom 4. November 2003 der Klägerin vorgeworfen wird, sie hätte bestimmte Pflegeleistungen nicht nachträglich in die Dokumentation eingetragen.

Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass die erste Abmahnung vom 29. Juli 2002 schon deshalb nicht einschlägig sein könne, da das vorgeworfene Verhalten der Klägerin auf den 15. Juli 2002 datiere, somit auf einen Tag, der noch vor dem Tag der ersten ausgesprochenen Abmahnung vom 16. Juli 2002 liege. Damit habe der Warncharakter der ersten Abmahnung auch keine Wirkung für das am 29. Juli 2002 abgemahnte Verhalten der Klägerin entfalten können.

Die Abmahnung vom 4. November 2003 wird weiterhin als zu pauschal bezeichnet. Die Beklagte habe versäumt, konkrete Angaben dahingehend zu machen, bei welchen Heimbewohnern und bei wie vielen, in welchem Protokoll, zu welcher Zeit und an welchem Umfang Eintragungen gefehlt haben sollen. Insoweit sei die Abmahnung gleichermaßen unbestimmt und unwirksam wie die Abmahnung vom 16. Juli 2002.

Bezogen auf die zweite Abmahnung vom 29. Juli 2002 (Blatt 72 der Akte) wird wiederum die Ansicht vertreten, dass eventuell bestehende Rechte aus dieser Abmahnung aufgrund des Zeitabstandes vom 29. Juli 2002 bis 22. März 2004 bereits verwirkt sind, da sich die Klägerin nahezu 20 Monate hinsichtlich der Dokumentation leistungstreu verhalten habe. Auch könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass zwei Auslassungen bei einer einzigen Heimpatientin im Jahre 2002 und eine weitere Auslassung im Januar 2004 in den Dokumentationsbögen unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und des Ultima-Ratio-Gebotes nicht zu einer wirksamen ordentlichen Kündigung führen können. Der geringfügige und für die Beklagte ohne jede negative Folgen gebliebene Pflichtenverstoß der Klägerin vom 18. Juli 2002 wiege keinesfalls ausreichend schwer, um nach einem zeitlichen Abstand von 20 Monaten bei einem gleich gelagerten Verstoß herangezogen werden zu können. Von einer negativen Prognose im Verhaltens- und Leistungsbereich der Klägerin könne nicht ausgegangen werden.

Zur Einführung an der neuen Pflegedokumentation wird die Ansicht vertreten, dass sich damit auch die Prognoseentscheidung relativieren müsse. Die alten Dokumentationsbögen seien inhaltlich nicht annähernd so detailliert und komplex wie die neuen, bereits vorgeschriebenen Formulartexte. Der inhaltlich gestiegene Umfang der Dokumentationsformulare berge naturgemäß bei deren Ausfüllung mehr Fehlerquellen als ein Bogen mit weniger Dokumentationsanforderungen. Auch gingen die neuen Pflegedokumentationsformulare über drei Seiten, ein Umstand, der nicht zur Übersichtlichkeit beitrage. Damit wäre erforderlich gewesen, die Mitarbeiter neu zu schulen. Auf das Ergebnisprotokoll der Teambesprechung vom 16. September 2003 wird ergänzend hingewiesen.

Eine Visite der Heimaufsicht bei der Beklagten habe im Dezember 2004 stattgefunden und zu keinen Beanstandungen geführt. Vielmehr habe es ausdrücklich Lob für die geradezu vorbildlichen Ausführungen durch die Pflegefachkraft gegeben.

Die Klägerin sei an ihrem Arbeitsplatz interessiert. Ihre Erkrankung werde nicht willensgesteuert, tatsächlich sei sie trotz eines bewilligten Urlaubs am 15. und am 16. Januar 2005 aufgrund krankheitsbedingten Personalmangels eingesprungen, habe auf Wunsch der Beklagten gearbeitet und ihren Urlaub erst am 17. Januar 2005 angetreten.

Die Beklagte hält demgegenüber an ihrem Vorbringen fest. Die Abmahnung vom 16. Juli 2002 wird als eindeutig bestimmt angesehen, den gerügten Pflichtenverstoß weiter als vorgenommen zu konkretisieren, sei der Beklagten nicht möglich gewesen. Die Klägerin habe im Zeitpunkt des Pflichtenverstoßes 14 Bewohner zu betreuen gehabt, bei allen von ihr betreuten Bewohnern seien Mängel in der Dokumentation aufgetreten. Entsprechendes gelte für die übrigen Abmahnungen.

Auch den klägerischen Ausführungen zur Zeitspanne zwischen Abmahnung und Kündigung tritt die Beklagte entgegen. Eine Abmahnung verliere ihre Wirkung erst, wenn neue Umstände eintreten, die aus Sicht des Arbeitnehmers für eine geänderte Auffassung des Arbeitgebers sprechen. Derartige neue Umstände seien durch die Einführung der neuen Pflegedokumentationsformulare jedoch nicht zu sehen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 7. Januar 2005 (Blatt 205 bis 215 der Akte) mit Anlagen, auf die Berufungsbeantwortung vom 14. Februar 2005 (Blatt 222 bis 232 der Akte), auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 29. September 2005 (Blatt 253 bis 257 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 11. und vom 18. Oktober 2005 (Blatt 258/259 und Blatt 260/261 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Kündigungsschutzklage und den Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen zu bekommen, hat Erfolg. Die der Klägerin als examinierte Altenpflegerin (Pflegefachkraft) arbeitsvertraglich auferlegte Pflicht zur Pflegedokumentation in einem Altenheim gehört zu ihren Hauptpflichten. Ihre ordnungsgemäße Erfüllung ist nicht nur für die Heimbewohner, sondern auch für deren Angehörige, die Heimleitung und die Heimaufsicht von entscheidender Bedeutung. Dies vorweg festzuhalten erscheint geboten, lassen schriftsätzliche Ausführungen der Klagepartei doch Zweifel aufkommen, wo die Klägerin diese Dokumentationspflicht angesiedelt hatte. Die streitbefangene Kündigung ist nach Ansicht der Berufungskammer sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG, hatte die Klägerin doch über einen Zeitraum von 18 Monaten Nachlässigkeiten bei der Erfüllung ihrer Dokumentationspflicht gezeigt, die von der Beklagten auch in Abmahnungsschreiben aufgegriffen worden waren. Und die letztlich zur Kündigung führenden Dokumentationslücken am 7. Januar 2004 erreichten ein Ausmaß, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin als Pflegefachkraft im stationären Pflegedienst nicht mehr zumutbar war.

Die Beklagte hatte diese Beanstandungen bereits in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 9. Juni 2004 (Seite 4/5 - Blatt 19/20 der Akte) im Einzelnen aufgeführt und zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 8. September 2004 dann auch Kopien der Pflegedokumentation vom 7. Januar 2004 vorgelegt. Darin sind die von der Beklagten angesprochenen Dokumentationslücken deutlich zu erkennen, wie auch das Erstgericht zutreffend festgestellt hat. Der Streit zwischen den Parteien über die Dokumentation hinsichtlich des Bewohners I. kann dabei zu Gunsten der Klägerin entschieden werden, hinsichtlich der übrigen Lücken fehlt jedoch jede nachvollziehbare Erklärung seitens der Klägerin. Die Heimleitung trägt die Verantwortung für ordnungsgemäße Pflege der Heimbewohner und für die auch gesetzlich gebotenen (§ 13 Abs. 1 Ziff. 6 Heimgesetz) Aufzeichnungen der Pflegeverläufe. Dass dabei der Pflegefachkraft eine höhere Verantwortung zukommt im Vergleich zu eingesetzten Hilfs- und Pflegekräften ohne Fachausbildung, sollte nicht zweifelhaft sein. Und so erlangen die unter dem 7. Januar 2004 festgestellten Dokumentationslücken auch erhebliches Gewicht.

Bezogen auf die streitbefangenen Abmahnungen hat das Erstgericht nur die zweite Abmahnung vom 29. Juli 2002 zunächst einmal wirksam sein lassen. Das darauf abzielende Bestreiten der Klägerin kann nicht genügen, geht es hier doch um ihre eigenen Eintragungen. Dass seit dieser Abmahnung bis zum Ausspruch der Kündigung am 22. März 2004 mehr als eineinhalb Jahre vergangen sind, nimmt ihr ebenfalls nicht die Wirkung. Abmahnungen werden in die Personalakte aufgenommen und behalten zumindest innerhalb der ersten zwei Jahre ihre arbeitsplatzgefährdende Bedeutung. Die im Sommer 2003 eingeführten neuen Formulare für die Pflegedokumentation haben daran nichts geändert, gefordert ist nach wie vor und damit auch weiterhin eine lückenlose Aufzeichnung des jeweiligen Pflegeverlaufs. Dabei sei schon hier darauf hingewiesen, dass Eintragungslücken auch nachträglich noch geschlossen werden können. Entscheidend sind lückenlose Aufzeichnungen über die durchgeführten Behandlungen, verabreichten Medikamente und gegebenenfalls auch über sonstige Pflegemaßnahmen. Nachträgliche Eintragungen müssen dabei aber auch als solche gekennzeichnet, wie das bei sonstigen Aufzeichnungen ja auch geboten ist. Ob die Klägerin darin einen Sinn sieht, kann nicht entscheidend sein. Und zur Frage, welches Verhalten der Klägerin die Beklagte mit ihren Abmahnungen erreichen wollte? Möglichst rasche, aber vor allem lückenlose Eintragungen in die Dokumentationsformulare.

Den weiteren Abmahnungen hat das Erstgericht eine Bedeutung ebenfalls abgesprochen. Dem vermag die Berufungskammer nur teilweise zu folgen. In Übereinstimmung mit dem Erstgericht soll eine Abmahnung dem Arbeitnehmer verdeutlichen, welches konkrete Verhalten der Arbeitgeber als Vertragsverstoß ansieht. Außerdem hat eine Abmahnung die Funktion, den Arbeitnehmer für den Wiederholungsfall durch die Androhung arbeitsrechtlicher Sanktionen zu warnen. Wenn im Abmahnungsschreiben vom 16. Juli 2002 (Blatt 69/70 der Akte) der Klägerin unter Bezugnahme auf ein Gespräch vom 2. Juni 2002 mit Herrn H. und Frau H. über die Wichtigkeit der vollständigen und detaillierten Dokumentation vorgehalten wird, die Dokumentation der von ihr am 15. Juli 2002 betreuten 14 Bewohner unzureichend bzw. gar nicht geführt zu haben, es fehlten Eintragungen in den Berichtsblättern, in den Inkontinenzlisten, im Fixierungsprotokoll und Eintragungen zu den Vitalwerten einzelner Bewohner, so genügte das. Die Klägerin musste und konnte in ihrer Funktion als Pflegefachkraft mit fünfzehnjähriger Berufserfahrung damit wissen, welche Lücken angesprochen sind. Vom Arbeitgeber in einem solchen Fall zu verlangen, die einzelnen Personen auch namentlich zu benennen sowie Listen und Protokolle dem Abmahnungsschreiben beizulegen mit darin kenntlich gemachten Lücken, wie es die Klägerin wohl verlangen will, geht zu weit, sind die Beteiligten doch in einem arbeitsintensiven Pflegeheim tätig.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der beiden Abmahnungen vom 29. Juli 2002 (Blatt 71 und 72 der Akte). Die Klägerin konnte den ihr darin gemachten Vorwurf ohne weiteres nachvollziehen. Ihr diesbezügliches Bestreiten vermittelt zumindest teilweise allerdings den Eindruck, sie erachte die ihr von der Beklagten auferlegten Dokumentationspflichten als überzogen und glaubt durch allgemein anerkannte, qualifizierte Pflegeleistungen ihre vertraglichen Pflichten erfüllen zu können. Dabei wird aber übersehen, dass die Beklagte über das Arbeitgeberdirektionsrecht auch eine lückenlose Dokumentation der Pflegeabläufe zur Vertragspflicht gemacht hat und um Vertragsverletzungen in diesem Zusammenhang geht der vorliegende Streit. Alle drei Abmahnungen haben - trotz der bezogen auf die Kündigung vom 22. März 2004 verstrichenen Zeit - ihre Bedeutung als Voraussetzung für eine Beendigungskündigung behalten.

Das Schreiben vom 4. November 2003 (Blatt 73 der Akte) genügt in Übereinstimmung mit dem Erstgericht als Abmahnung nicht. Es behält jedoch als Hinweis auf die von der Beklagten geforderte Dokumentation ihre Bedeutung und so haben die bereits angesprochenen Dokumentationslücken am 7. Januar 2004 dann eben zur wirksamen Kündigungsentscheidung geführt.

Herr K. konnte das Kündigungsschreiben für die Beklagte i. V. unterzeichnen, die Klägerin hatte das Schreiben nicht unverzüglich zurückgewiesen (§ 174 BGB).

Die Beteiligung des Betriebsrats ist rechtlich nicht zu beanstanden, das Anhörungsschreiben vom 26. Januar 2004 (Blatt 75 bis 77 der Akte) beschreibt die dann auch im Verfahren vorgebrachten Kündigungsgründe ausreichend.

Die Interessenabwägung kann schließlich ebenfalls nicht zu Gunsten der Klägerin entschieden werden. Ihre Nachlässigkeiten bei der gebotenen Dokumentation von Pflegeabläufen sind von solchem Gewicht, dass es ein Heimträger nicht verantworten kann, eine solche Pflegefachkraft in dieser verantwortlichen Position weiterzubeschäftigen. Sicher trifft der Verlust dieses Arbeitsplatzes die Klägerin hart, sie kann auf eine rund fünfzehnjährige erfolgreiche Betriebszugehörigkeit zurückblicken. Die Beklagte ist aber kraft Gesetzes zur lückenlosen Dokumentation der Pflegeabläufe verpflichtet. Die Klägerin hat dagegen über einen Zeitraum von zwei Jahren gehäufte Beanstandungen ihrer Aufzeichnungen nicht ernst genommen und damit den Verlust ihres Arbeitsplatzes letztlich herbeigeführt. Wo soll nach diesen zwei Jahren eine für den Arbeitspatzerhalt sprechende Prognose anknüpfen? Die Monate zwischen den Abmahnungen reichen dazu sicher nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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