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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 1265/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Erfolglos gebliebene betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers mit langjähriger Betriebszugehörigkeit.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 1265/05

Verkündet am: 27. Juni 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Klein und Seel für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 19. Dezember 2005 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 3. November 2005 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung.

Der im Juni 1950 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1. August 1965 bei der Beklagten beschäftigt gewesen, zuletzt auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 16. April 2004 (Blatt 5 bis 11 der Akte) als Verkaufsleiter in München-G. Dabei gehörten zu seinen Aufgaben neben der durch den Arbeitgeber zu definierenden Leitungsfunktion alle in der Filiale anfallenden Arbeiten, insbesondere die Warenannahme, der Warentransport, die Warenpflege, der Warenverkauf, die Bearbeitung von Kundenreklamationen sowie Kassentätigkeit.

Im Februar 2003 und unter dem 24. März/8. April 2004 vereinbarten die jeweils zuständigen Betriebspartner der P. GmbH/der Beklagten einen Interessenausgleich (Blatt 35 bis 42 der Akte, Blatt 43 bis 48 der Akte und Blatt 50 bis 56 der Akte).

Mit Schreiben vom 8. März 2005 (Blatt 56 der Akte) hörte die Beklagte den zuständigen Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an; der Betriebsrat widersprach dieser Absicht mit Schreiben vom 11. März 2005 (Blatt 69/70 der Akte).

Die Beklagte hielt an ihrer Absicht jedoch fest und sprach dem Kläger mit Schreiben vom 14. März 2005 (Blatt 14 der Akte) eine ordentliche Kündigung zum 31. Oktober 2005 aus. Dieser ließ dagegen mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 24. März 2005 Kündigungsschutzklage erheben verbunden mit einem Beschäftigungsantrag und er hatte damit vor dem angerufenen Arbeitsgericht München auch Erfolg. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Endurteils vom 3. November 2005 wird Bezug genommen.

Mit der am 19. Dezember 2005 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihren Prozessbevollmächtigten am 22. November 2005 zugestellte Entscheidung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist am 23. Januar 2006 eingegangen. Darin wird dem Arbeitsgericht vorgehalten, verkannt zu haben, dass es arbeitsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn ein Arbeitgeber die Entscheidung treffe, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren. Vom Arbeitgeber könne in diesem Zusammenhang auch nicht verlangt werden, darzulegen, in welchem Umfang der Kläger normale Verkäufertätigkeiten verrichtet habe, um prüfen zu können, ob bei den verbleibenden Mitarbeitern der Filiale keine überobligatorische Leistungsverdichtung eintrete. Sowohl das unternehmerische Konzept als auch der damit verbundene Beschäftigungsüberhang innerhalb der Filiale seien substantiiert dargelegt worden. Dem Arbeitsgericht wird vorgehalten, das Discount-Konzept, so wie es in der Filiale in München praktiziert werde, nicht nachvollzogen zu haben. Mit wie vielen Arbeitnehmern eine Discount-Filiale betrieben werde, obliege der alleinigen Entscheidung des Arbeitgebers. Durch diese neue vereinfachte Discount-Struktur könnten die nunmehr noch anfallenden Tätigkeiten mit einer reduzierten Belegschaft durchgeführt werden. Eine überobligatorische Leistungsverdichtung trete bei den verbleibenden Arbeitnehmern dadurch nicht ein. Das geänderte Verkaufskonzept einer Discount-Filiale beruhe gerade nicht mehr auf einem personalintensiven Fachberatungskonzept. Im Vor­dergrund stehe der bloße Abverkauf mit einer personellen Minimalbesetzung. Durch die einheitliche Schaffung von Arbeitsplätzen, die mit Arbeitnehmern besetzt werden, die alle in der Filiale anfallenden Tätigkeiten übernehmen können, sei systemimmanent, dass dauerhaft keine überobligatorische Leistungsverdichtung bei den in dieser Discount-Filiale tätigen Arbeitnehmern entstehen könne. Im Zweifel gingen Engpässe nämlich zulasten der Kunden. Dies sei Teil der unternehmerischen Entscheidung, um wirtschaftlich bei der bestehenden Konkurrenzsituation überhaupt überleben zu können.

Das gleichzeitig verringerte Sortiment sei nunmehr so präsentiert, dass sich ein Kunde selbst anhand von Displays, die gut sichtbar im Ladenbereich angebracht wurden, orientieren könne.

Die Erfahrung der Beklagten in anderen Märkten, die seit 2003 als solche Discount-Filiale betrieben werden, habe gezeigt, dass das neue Verkaufssystem funktioniere, und zwar ohne Überstunden bei den verbleibenden Arbeitnehmern zu verursachen.

Mit dem Streitfall vergleichbare Entscheidungen werden zitiert und so lautet der Berufungsantrag:

Unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts München vom 3. November 2005 - 25 Ca 4605/05 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger lässt beantragen:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet er bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt er entgegen. Das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, die zum Wegfall der Stelle des Klägers führt, wird bestritten und ergänzend dazu ausgeführt, selbst wenn die Leitungsaufgaben des Klägers entfallen sein sollten, bestehe auch bei Zugrundelegung des behaupteten geänderten Verkaufskonzeptes ein Bedarf an seiner Weiterbeschäftigung als einfacher Verkäufer. Auf den zugrunde liegenden Anstellungsvertrag vom 16. April 2004 mit der geschuldeten Tätigkeit wird verwiesen. Der Kläger habe vor Ausspruch der Kündigung zahlreiche Verkäufe im Markt München-G. getätigt, in welchem Umfang dies gewesen sei, spiele dabei keine entscheidende Rolle.

In Anlehnung an die Ausführungen des Arbeitsgerichts wird der Beklagten angelastet, nicht dargelegt zu haben, in welchem Umfang die vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen. Der Kläger habe vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass ein signifikanter Unterschied zwischen den Konzepten MegaStore und Abverkaufsstelle gar nicht bestehe, gleich welches Etikett die Beklagte nun vergebe. In der Berufungsbegründung sei nun auch noch von einem Discount-Konzept die Rede. Bei der inhaltlichen Beschreibung glichen sich diese Konzepte allerdings. Der Interessenausgleich für die Filiale G. vom 24. März/8. April 2004 sehe auch nach dem neuen Konzept einen Marktleiter, fünf Verkaufsleiter sowie 25 Verkäufer mit Kassen- und Lagertätigkeit vor. Weitere Organisationsänderungen seien danach nicht mehr eingetreten, es gebe auch keine abweichenden Konzepte.

Der dem Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 31. August 2004 (14 Sa 33/04) zugrunde liegende Sachverhalt wird als mit dem vorliegenden Verfahren nicht vergleichbar bezeichnet, da völlig offen geblieben sei, welche Aufgaben und Tätigkeiten zum arbeitsvertraglichen Tätigkeitsgebiet des dortigen Klägers gehört hatten. Nichts anderes gelte hinsichtlich der beklagtenseits ebenfalls zitierten Entscheidung des LAG Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 31. August 2004 (14 Sa 33/04).

Weiter wird der Beklagten vorgehalten, pflichtwidrig unterlassen zu haben, vor Ausspruch der Beendigungskündigung dem Kläger eine Weiterbeschäftigung als einfacher Verkäufer zu im Übrigen gleichen Vertragsbedingungen anzubieten bzw. bei gleichzeitiger Kürzung des Gehalts eine solche Weiterbeschäftigung durch Änderungskündigung herbeizuführen.

Die Beklagte tritt diesen Ausführungen entgegen unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. September 2005 - 2 AZR 36/05, womit die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 31. August 2004 (4 Sa 33/04) zurückgewiesen worden ist.

Der Kläger lässt darauf hinweisen, dass von der Beklagten den Arbeitnehmern in ihrer Filiale Heidelberg-P. anscheinend Vertragsänderungen angeboten worden waren, die der dortige Kläger nicht akzeptiert hatte. Gerade das sei bei ihm aber nicht geschehen.

Die Berufungskammer hat nach Maßgabe ihres Beweisbeschlusses vom 20. Juni 2006 Herrn Mark D. als Zeugen vernommen. Seine unbeeidigt gebliebene Aussage ist in der Sitzungsniederschrift vom 20. Juni 2006 (Blatt 184 bis 188 der Akte) festgehalten worden.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 23. Januar 2006 (Blatt 102 bis 108 der Akte) mit Anlagen, auf die Berufungsbeantwortung vom 27. Februar 2006 (Blatt 122 bis 132 der Akte) mit Anlagen, auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 9. Juni 2006 (Blatt 156 bis 158 der Akte) mit Anlage, auf den Schriftsatz der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 19. Juni 2006 (Blatt 180 bis 183 der Akte), auf die Anlagen zur Sitzungsniederschrift vom 20. Juni 2006 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 27. Juni 2006 (Blatt 198/199 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Kündigungsschutzklage und den Beschäftigungsantrag abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Die angefochtene Entscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Erstgericht hat die streitbefangene Arbeitgeberkündigung vom 14. März 2005 zu Recht als sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG angesehen. Seiner dazu gegebenen Begründung schließt sich die Berufungskammer zunächst einmal an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Die durchaus fundierten Ausführungen in der Berufungsbegründung können nicht vergessen lassen, dass der Kläger bei der Beklagten seit August 1965 beschäftigt ist, er also eine Betriebszugehörigkeit erworben hat, die Anerkennung verdient und bei der gebotenen Interessenabwägung schwer ins Gewicht fallen müsste. Soweit ist die Berufungskammer bei ihrer Prüfung der angefochtenen Kündigung aber gar nicht gekommen, denn der Kläger hatte in seinem letzten Arbeitsvertrag vom 16. April 2004 die arbeitsrechtliche Verpflichtung übernommen, alle in der Filiale anfallenden Arbeiten, insbesondere die Warenannahme, den Warentransport innerhalb der Filiale, die Warenpflege, den Warenverkauf, die Bearbeitung von Kundenreklamationen sowie Kassentätigkeit zu übernehmen. Diese Tätigkeiten sind in der Filiale G. allesamt weiterhin vorhanden. Nimmt man den von der Beklagten mit dem Betriebsrat der P. GmbH abgeschlossenen Interessenausgleich vom 24. März/8. April 2004 (Blatt 50 bis 54 der Akte) zur Hand, war der Kläger für eine Beendigungskündigung anscheinend auch gar nicht vorgesehen gewesen, findet man seinen Namen doch in der angefügten und von den Betriebspartnern ebenfalls unterzeichneten Auflistung der Beschäftigten nicht bei den 16 Beendigungskündigung. Wesentlich für die Entscheidung ist, dass der Kläger nach seinem Arbeitsvertrag ohne weiteres weiter beschäftigt werden kann. Sollte die Beklagte in diesem Zusammenhang eine Gehaltsreduzierung als notwendig ansehen, kann sie gegebenenfalls eine Änderungskündigung aussprechen, die gegenüber der streitgegenständlichen Beendigungskündigung die mildere und damit gebotene Maßnahme wäre. Welche Tätigkeiten der Kläger in der Vergangenheit ausgeübt hatte, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Einmal hatte der vernommene Zeuge Herr D. den sog. Außendienst des Klägers, bestehend aus Führungsarbeiten beim Personal, auf 40 % geschätzt mit relativ seltenen Verkaufstätigkeiten bei Stammkunden, zum anderen war der Kläger in dieser Zeit als Verkaufsleiter eingestellt und auch beschäftigt worden. Da es in diesem Markt damals fünf Verkaufsleiter gegeben hatte, kann ihm nicht angelastet werden, wenn er sich Büroarbeiten auferlegt hatte und damit zu 60 % im sog. Innendienst tätig geworden war. Gibt es diese Verkaufsleitertätigkeit nicht mehr, wird sich der Kläger den anderen Aufgaben zuwenden. Daran sollte bei einem so langjährig beschäftigten Mitarbeiter kein Zweifel bestehen.

Die von der Beklagten zitierten obergerichtlichen Entscheidungen sind vom Sachverhalt her nicht vergleichbar, die vom Kläger arbeitsvertraglich übernommene Tätigkeit (§ 1 Abs. III des Arbeitsvertrags vom 16. April 2004) steht der Beendigungskündigung vom 14. März 2005 entgegen.

Verbleibt es damit bei der angefochtenen Entscheidung, war die von der Beklagten dagegen eingelegte Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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