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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 13.11.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 593/05
Rechtsgebiete: TVUmBw


Vorschriften:

TV zur Regelung der Altersteilzeitarbeit, TV über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr (TVUmBw)
Ein Wegfall des Arbeitsplatzes im Sinne von § 1 Abs. 1 TVUmBw mit der Folge eines höheren Aufstockungsbetrages ist bei einem Arbeitnehmer mit Altersteilzeitvertrag im Blockmodell nur anzunehmen, wenn der Arbeitsplatz während der Arbeitsphase wegfällt.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 593/05

Verkündet am: 13. November 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Hopfner und Schelhas für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 8. Juni 2005 wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 10. Mai 2005 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 10. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Für den Kläger wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um einen höheren Aufstockungsbetrag im Rahmen eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.

Der im November 1944 geborene Kläger war auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 17. Oktober 1977 seit 15. Oktober 1977 bei der Beklagten als Mechaniker beschäftigt gewesen. Unter dem 29. Oktober 2002 haben die Parteien diesen Arbeitsvertrag abgeändert und einen Altersteilzeitvertrag geschlossen (Blatt 5 der Akte). Darin war festgelegt worden, dass die Altersteilzeit im Blockmodell geleistet wird mit einer Arbeitsphase vom 1. November 2002 bis 31. Oktober 2003 und einer Freistellungsphase vom 1. November 2003 bis 31. Oktober 2004.

Nach dem zum Zeitpunkt dieser Vereinbarung geltenden Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit (TV ATZ) vom 5. Mai 1998 wurde dem Kläger ein Aufstockungsbetrag in Höhe von 83 v.H. des bisherigen Arbeitsentgelts als Nettobetrag gezahlt.

Mit Organisationsbefehl vom 5. Februar 2003 ist die Auflösung des .../Gebirgsinstandsetzungsbataillons .. am Standort M. zum 31. Dezember 2003 festgelegt worden. Damit ist der bisherige Arbeitsplatz des Klägers weggefallen. Diese Maßnahme stand im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr im Sinne des Tarifvertrages über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen (TVUmBw).

Mit Schreiben vom 6. Mai 2003 (Blatt 6 der Akte) hatte der Kläger die Erhöhung des Aufstockungsbetrages von 83 % auf 88 % beantragt, da er laut Org. Befehlbetroffener durch Auflösung der Dienststelle .../GebInstBtl .. ist. Dieses Begehren ist von der Standortverwaltung München mit Schreiben vom 14. Oktober 2003 (Blatt 7/8 der Akte) jedoch abgelehnt worden. Der Kläger war damit nicht einverstanden gewesen und hat mit gewerkschaftlichem Schriftsatz vom 19. Juli 2004 sein Begehren gerichtlich geltend machen lassen. Das angerufene Arbeitsgericht München ist seinen Ausführungen im Wesentlichen gefolgt und hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 1.872,15 netto als Aufstockungsbetrag zwischen 83 % und 88 % Nettoarbeitsentgelt Altersteilzeit für die Monate November 2002 bis Oktober 2004 nebst Zinsen zu bezahlen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe seines Endurteils vom 10. Mai 2005 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 30. Mai 2005 wird Bezug genommen.

Mit der am 9. Juni 2005 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen dieses ihr am 19. Mai 2005 zugestellte Urteil verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 19. August 2005 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht angelastet, den Anwendungsbereich des Tarifvertrages über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr (TVUmBw) zu Unrecht als eröffnet angesehen zu haben. Der Arbeitsplatz des Klägers sei nicht weggefallen. Am 29. Oktober 2002 habe man mit dem Kläger ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis vereinbart mit einer Arbeitsphase vom 1. November 2002 bis 31. Oktober 2003 und einer Freistellungsphase vom 1. November 2003 bis 31. Oktober 2004. Bei Abschluss dieser Vereinbarung habe es noch keine konkrete Organisationsentscheidung gegeben, wonach der Arbeitsplatz des Klägers wegfallen würde. Erst mit Organisationsbefehl Nr. ..2004 (H) Heeresamt .. 1 (2) Az. ..-..-..-.. vom 5. Februar 2003 sei verbindlich die Auflösung des .../Gebirgsinstandsetzungsbataillons .. am Standort M. zum 31. Dezember 2003 festgelegt worden. Beim Kläger könne zwar eine organisatorische Betroffenheit nach dem TVUmBw vorliegen, weil während seiner Arbeitsphase eine Entscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1 TVUmBw getroffen worden ist. Dies führe aber noch nicht automatisch zu einer Anhebung des Bemessungssatzes von 83 % auf 88 %. Vorrangiges Ziel des TVUmBw sei die Beschäftigungssicherung der von Organisationsmaßnahmen betroffenen Mitarbeiter. Der Arbeitsplatz des Klägers habe ihm aber während seiner gesamten Arbeitsphase zur Verfügung gestanden, weil dieser Arbeitsplatz erst zwei Monate nach Beendigung seiner Arbeitsphase weggefallen sei. Die Auflösung seiner Beschäftigungsdienststelle während der Freistellungsphase seiner Altersteilzeitarbeit führe nicht zu einer Anhebung des Bemessungssatzes, da während der Freistellungsphase nur das bereits in der Arbeitsphase erworbene Guthaben aufgezehrt werden könne. Für den Kläger habe zu jeder Zeit eine Beschäftigungssicherung bestanden.

Der Tarifvertrag unterscheide im Übrigen deutlich zwischen dem Wegfall des Arbeitsplatzes und der bloßen Verlagerung von Aufgaben in einen Bereich außerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung oder einer anderen Bundesbehörde zu Dritten. Dies mache deutlich, dass die besonderen Schutzvorschriften der §§ 3 bis 11 nur dann eingreifen sollen, wenn der Arbeitsplatz aufgrund der in § 1 Abs. 1 genannten Umstände in tatsächlicher Hinsicht wegfällt und daher ein besonderes Schutzbedürfnis bestehe. Der Kläger habe sich zum Zeitpunkt des konkreten Wegfalls seines Arbeitsplatzes bereits in der Freistellungsphase befunden und sei deshalb durch den Wegfall des Arbeitsplatzes nicht mehr betroffen und auch nicht mehr schutzwürdig gewesen. Die Berufungsanträge lauten damit:

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 10. Mai 2005 - 30 Ca 11614/04 - wird aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger lässt beantragen:

die Berufung zurückzuweisen.

Gleichzeitig lässt er mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2005 eine unselbstständige Anschlussberufung einlegen mit dem Antrag:

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere € 266,85 netto als Aufstockungsbetrag zwischen 83 % und 88 % Nettoarbeitsentgelt Altersteilzeit für die Monate November 2002 bis einschließlich Januar 2003 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 15. Dezember 2002, 15. Januar 2003, 15. Februar 2003 jeweils aus € 89,15 zu zahlen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet er bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt er entgegen. Er lässt darauf hinweisen, dass die Anreizwirkung von § 10 TVUmBw bei Abschluss des Altersteilzeitvertrages durchaus eine Rolle gespielt habe. Obgleich die konkrete Organisationsentscheidung noch nicht gefallen war, müsse der Aufstockungsbetrag in erhöhter Form doch für die gesamte Zeitdauer, als auch für Zeiten, die vor der konkreten Organisationsentscheidung liegen, gezahlt werden.

Der Kläger falle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages, weil sein Arbeitsplatz mit Wirkung vom 1. Januar 2004 aufgrund der Auflösung seiner Beschäftigungsdienststelle weggefallen ist (vgl. Blatt 124 der Akte).

Die Beklagte lässt beantragen:

die Anschlussberufung zurückzuweisen. Gleichzeitig werden Gerichtsentscheidungen in gleich gelagerten Fällen vorgelegt.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 19. August 2005 (Blatt 110 bis 114 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung und Anschlussberufungsschrift vom 24. Oktober 2005 (Blatt 120 bis 123 der Akte) mit Anlage, auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreterin vom 21. November 2005 (Blatt 126/127 der Akte) mit Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 13. November 2007 (Blatt 185 bis 187 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Berufung und Anschlussberufung sind statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässig (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520, 521, 522, 524 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG). In der Sache auch Erfolg hat nur die Berufung der Beklagten. Sie ist nicht verpflichtet, dem Kläger den Aufstockungsbetrag zwischen 83 % und 88 % Nettoarbeitsentgelt zu bezahlen. Ein "Wegfall des Arbeitsplatzes" im Sinne von § 1 Abs. 1 TVUmBw mit der Folge eines höheren Aufstockungsbetrages gemäß § 10 TVUmBw ist nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitsplatz bei einem Arbeitnehmer mit Altersteilzeitvertrag im Blockmodell während der Arbeitsphase entfällt. Ein späterer Wegfall genügt nicht (so LAG Nürnberg Urteil vom 10. Januar 2006 - 7 Sa 226/05 - nv., in Verbindung mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. September 2006 - 9 AZR 213/06 - AP Nr 31 zu § 1 TVG Altersteilzeit).

1. In Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht Nürnberg (a.a.O.) ist auch die Berufungskammer der Ansicht, dass der Wortlaut von § 1 Abs. 1 TVUmBw die Auslegung stützt, der Wegfall der Arbeitsplätze müsse zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem die Arbeitnehmer noch arbeiten, bei Mitarbeitern mit Altersteilzeitvertrag im Blockmodell also während der Arbeitsphase. Nur wenn noch aktive Arbeitnehmer nicht mehr wie bisher beschäftigt werden, kann davon gesprochen werden, dass "deren Arbeitsplätze ... wegfallen". Arbeitnehmer in der Freistellungsphase können nicht mehr konkreten Arbeitsplätzen zugeordnet werden, die sie früher besetzt hatten, zumal sie nicht nur vorübergehend keine Arbeitsleistung mehr erbringen. Bei ihnen steht endgültig fest, dass sie nicht mehr für ihren Arbeitgeber tätig werden. In solchen Fällen wäre es sprachlich unzutreffend, von Arbeitnehmern zu sprechen, "deren Arbeitsplätze wegfallen", denn im Zeitpunkt des Wegfalls sind sie nicht mehr Arbeitsplatzinhaber.

Sinn und Zweck der Regelung des § 1 Abs. 1 TVUmBw ist es, durch die in Abschnitt I vorgesehenen Maßnahmen konkrete Nachteile der vom Wegfall von Arbeitsplätzen betroffenen Arbeitnehmer auszugleichen. Nur wenn dem Arbeitnehmer Nachteile entstehen, ist es gerechtfertigt, diese Nachteile z.B. durch Beschäftigungssicherung (§ 3 TVUmBw), Qualifizierung (§ 4 TVUmBw), Abfindung (§ 9 TVUmBw) oder erhöhten Zuschuss bei Altersteilzeit (§ 10 TVUmBw) wenigstens teilweise auszugleichen. Erleiden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsplatzwegfall keinen Nachteil, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte Zusatzleistungen erbringen wollte. Dies gilt auch deshalb, weil die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts zur sparsamen Verwendung von Steuergeldern verpflichtet ist.

2. Dieser Sinn und Zweck, konkrete Nachteile auszugleichen, gilt auch für Arbeitnehmer in Altersteilzeit. § 1 i.V.m. § 10 TVUmBw regeln erkennbar den Fall, dass der Arbeitsplatz während der Arbeitsphase wegfällt und deshalb der Arbeitnehmer (bis zum Ende der Arbeitsphase) umgesetzt werden muss. Daraus folgt zugleich, dass es nicht auf den Zeitpunkt der Organisationsentscheidung ankommen kann, sondern auf ihre Umsetzung, ihren Vollzug. Wegen des Grundsatzes der sparsamen Verwaltung öffentlicher Gelder war bei Wegfall des Arbeitsplatzes zu versuchen, Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz damit verloren haben, auf andere Plätze umzusetzen. Von einer allgemeinen Arbeitsfreistellung bei Lohnfortzahlung gemäß § 615 BGB kann bei Auslegung des Tarifvertrags nicht ausgegangen werden. Auch eine Umsetzung ist typischerweise mit besonderen Belastungen verbunden, insbesondere für ältere Arbeitnehmer; dies trifft wegen ihres durchgehend hohen Lebensalters für alle Arbeitnehmer in Altersteilzeitverhältnissen zu. Gerade diese Nachteile sollten durch § 10 TVUmBw ausgeglichen werden.

Der Gesamtzusammenhang einschlägiger tariflicher Regelungen bestätigt die Richtigkeit dieser Auslegung. So erstreckt die Protokollnotiz zu § 10 TVUmBw die Anwendbarkeit des § 10 TVUmBw auch auf diejenigen Arbeitnehmer, die bereits vor Abschluss des TVUmBw (18. Juli 2001), nämlich seit dem 01. Januar 2001, Altersteilzeit vereinbart haben. Für diese Arbeitnehmer konnte der TVUmBw keine Anreizwirkung haben. Da aber davon auszugehen ist, dass einer tariflichen Zusatzvergütung im Zweifel ein einheitlicher Sinn und Zweck zugrunde liegt, der für alle Betroffenen in gleicher Weise zutrifft, muss ein Anreizzweck damit ausscheiden. Anhaltspunkte für die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten für die beiden Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Zwecke verfolgt, sind nicht erkennbar.

3. Im Streitfall war dem Kläger sein Arbeitsplatz während der gesamten Arbeitsphase zur Verfügung gestanden. Dieser Arbeitsplatz ist unstreitig erst zwei Monate nach Beendigung seiner Arbeitsphase weggefallen. Damit ist ihm der Geltungsbereich des TVUmBw aber nicht eröffnet, seine Klage und die eingelegte Anschlussberufung müssen erfolglos bleiben. Unter Abänderung des Ersturteils wird die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

Für den Kläger wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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