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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 12.06.2007
Aktenzeichen: 6 TaBV 58/07
Rechtsgebiete: WO, BetrVG


Vorschriften:

WO § 2
BetrVG § 7
Ein gekündigtes Mitglied des Wahlvorstandes, das erstinstanzlich seinen Kündigungsschutzprozess gewonnen und eine vollstreckbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur tatsächlichen Beschäftigung erstritten hat, ist auch ohne tatsächliche Beschäftigung aktiv wahlberechtigt im Sinne von § 7 BetrVG.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

6 TaBV 58/07

Verkündet am: 12. Juni 2007

In dem Beschlussverfahren

Tenor:

Die Beschwerde des Arbeitgebers (Beteiligter zu 2.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg - Kammer Neu-Ulm - vom 8. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten in einem betriebsverfassungsrechtlichen Verfügungsverfahren über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Herausgabe einer Mitarbeiterliste an den Wahlvorstand.

Mit Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 3. Mai 2006 (7 TaBV 9/06) waren als Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl bestellt worden:

1. Herr C. als Vorsitzender

2. Herr I.

3. Herr O.,

sowie Herr A. als Ersatzmitglied.

Die vom Arbeitgeber dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 15. November 2006 zurückgewiesen.

Als das Verlangen des Wahlvorstands, die für das Anfertigen der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen, beim Arbeitgeber kein Gehör fand, beschloss der Wahlvorstand in einer Sitzung am 4. April 2007, das anhängige Verfügungsverfahren einzuleiten, was mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 20. April 2007 dann auch geschehen ist.

Der Arbeitgeber hatte dagegen von Anfang an einwenden lassen, dass sich nur noch zwei Wahlvorstandsmitglieder, die Herren C. und A., in ungekündigter Stellung befänden. Eine Beschäftigung der übrigen Wahlvorstandsmitglieder finde wegen zwischenzeitlichen Ausspruchs einer Kündigung nicht mehr statt und damit hätten sie dann auch das aktive Wahlrecht verloren.

Dem war das angerufene Arbeitsgericht Augsburg - Kammer Neu-Ulm - nicht gefolgt. Nach Ansicht des Erstgerichts besteht der antragstellende Wahlvorstand zumindest noch aus drei Mitgliedern. Hinsichtlich der Herren C. (das Zustimmungsersetzungsverfahren zu seiner beabsichtigten Kündigung laufe noch) und A. sei das ohnehin unstreitig. Aber auch Herr I. ist noch als Mitglied des Wahlvorstands angesehen und behandelt worden, weil die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung vom 28. Juli 2006 durch Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 21. Dezember 2006 (Az.:) als unwirksam erklärt und der Beklagte zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung verurteilt worden war. Die Mitgliedschaft im Wahlvorstand ende nur mit Beendigung oder Niederlegung des Amts. Beides sei nicht erfolgt. Im Streitfall könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass Herr I. aus dem Betrieb ausgeschieden sei. Sein Arbeitsverhältnis sei nach dem vorläufig vollstreckbaren Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 21. Dezember 2006 durch die Kündigung vom 28. Juli 2006 gerade nicht aufgelöst worden. Auf die faktische Beschäftigung komme es in diesem Zusammenhang nicht an.

Dementsprechend war der Arbeitgeberin aufgegeben worden, dem Antragsteller eine Liste aller Beschäftigten des Betriebes - getrennt nach Geschlechtern und jeweils in alphabetischer Reihenfolge - mit Familiennamen, Vornamen, Geburtsdatum und Eintrittsdatum in den Betrieb zu erstellen und zu übergeben. Auf die Begründung des Beschlusses vom 8. Mai 2007 wird Bezug genommen.

Mit der am 14. Mai 2007 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen und zugleich begründeten Beschwerde gegen diese Entscheidung verfolgt der Arbeitgeber seinen Abweisungsantrag weiter. Dem Arbeitsgericht wird vorgehalten, sich mit diesem Beschluss gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie gegen die einhellige Kommentarmeinung gestellt zu haben. Der antragstellende Wahlvorstand sei beschlussunfähig und habe derzeit auch keinen Anspruch auf Herausgabe der Mitarbeiterliste. Von den Anfang Mai 2006 (rechtskräftig seit 15. November 2006) bestellten Wahlvorstandsmitgliedern würden derzeit nur zwei in ungekündigter Stellung beim Arbeitgeber und Beschwerdeführer noch arbeiten. Eine Beschäftigung der am 28. Juli 2006 zum Ende August 2006 gekündigten Herren O. und I. finde nicht mehr statt, wobei Herr O. bereits von sich aus nicht mehr im Wahlvorstand vertreten zu sein scheine. Damit seien die Herren I. und O. auch keine stimmberechtigten Mitglieder des Wahlvorstands mehr. Mit Verlust des aktiven Wahlrechts schieden Wahlvorstandsmitglieder aus dem Wahlvorstand aus und könnten jedenfalls an Beschlüssen des Wahlvorstands nicht mehr mitwirken. Das aktive Wahlrecht verliere unter anderem, wer ordentlich entlassen worden sei und trotz Kündigungsschutzklage tatsächlich nicht mehr weiterbeschäftigt werde. Auf die einschlägige Rechtsprechung und Kommentarliteratur dazu wird Bezug genommen.

Ein aus zwei Mitgliedern bestehender Wahlvorstand sei mangels ordnungsgemäßer Besetzung nicht prozessfähig, nicht befugt, eine Wahl durchzuführen und könne auch nicht wirksam eine Mitarbeiterliste heraus verlangen.

Auch habe keine Eilbedürftigkeit zum Erlass einer einstweiligen Verfügung vorgelegen, ein Hauptsacheverfahren hätte in den Augen des Arbeitgebers seit Ablehnung am 10. Januar 2007 ohne Weiteres durchgeführt werden können. Die Beschwerdeanträge lauten damit:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg, Kammer Neu-Ulm vom 8. Mai 2007, Az. 8 BVGa 1/07 N, zugestellt am 11. Mai 2007, wird aufgehoben.

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Der Wahlvorstand und Beschwerdegegner lässt beantragen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Den Überlegungen des Erstgerichts pflichtet er bei, den Ausführungen in der Beschwerdebegründung tritt er entgegen.

Aus seiner Sicht versuche der Beschwerdeführer nachhaltig, die Wahl eines Betriebsrats zu verhindern. Von den sechs Antragstellern im Verfahren zur Bestellung eines Wahlvorstands hätten bereits vier eine Kündigung erhalten, gegen einen weiteren Antragsteller sei ein Beschlussverfahren auf Ersetzung der Zustimmung zu seiner beabsichtigten Kündigung anhängig.

Das Wahlvorstandsmitglied Herr I. sei in der Wahrnehmung seines Amtes nicht gehindert. Er habe im Kündigungsschutzverfahren mit einem Weiterbeschäftigungsanspruch erstinstanzlich obsiegt. Der Beschwerdeführer sei damit zu seiner Weiterbeschäftigung verpflichtet worden.

Zur Ergänzung des Beteiligtenvorbringens im Beschwerdeverfahren wird Bezug genommen auf den Beschwerdeschriftsatz vom 14. Mai 2007 (Blatt 59 bis 62 der Akte) mit Anlagen, auf die Beschwerdebeantwortung vom 25. Mai 2007 (Blatt 71/72 der Akte), auf den Schriftsatz des anwaltschaftlichen Vertreters des Beschwerdeführers vom 31. Mai 2007 (Blatt 73 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 12. Juni 2007 (Blatt 82 bis 84 der Akte) mit Anlagen.

II.

Die statthafte (§ 87 Abs. 1 ArbGG) und auch sonst zulässige Beschwerde (§ 87 Abs. 2 ArbGG, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, den Verfügungsantrag abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Die angefochtene Entscheidung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Den vom Erstgericht dazu gegebenen zutreffenden Begründungen schließt sich die Berufungskammer zunächst einmal an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Der antragstellende Wahlvorstand bestand bei seiner Sitzung am 4. April 2007, bei Einleitung des anhängigen Verfügungsverfahrens mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 20. April 2007 und bis zur Verkündung der Beschwerdeentscheidung aus drei Mitgliedern. Er war und ist damit prozessfähig, befugt, eine Betriebsratswahl durchzuführen und kann vom Arbeitgeber auch eine Mitarbeiterliste verlangen (§ 2 Abs. 1 und 2 WO). Der Verfügungsgrund sollte ebenfalls nicht zweifelhaft sein, sind die Arbeitsverhältnisse der Wahlvorstandsmitglieder doch kündigungsgefährdet.

1. Hinsichtlich der Herren C. und A. war ihre Mitgliedschaft im Wahlvorstand weiterhin unstreitig gewesen. Aber auch Herr I. ist vom Erstgericht zu Recht noch als Mitglied des Wahlvorstands angesehen und behandelt worden, weil die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung vom 28. Juli 2006 durch Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 21. Dezember 2006 (Az.:) als unwirksam erklärt und der Beklagte zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung verurteilt worden ist. Urteile der Arbeitsgerichte sind kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbar (§ 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG). Der Beklagte befand sich seit Erhebung der Kündigungsschutzklage und auch nach Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung vom 21. Dezember 2006 in Annahmeverzug (§ 615 S. 1 BGB).

Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es nach § 296 BGB keines Angebots des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers darin gesehen, dem Arbeitnehmer für jeden Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Nach einer unwirksamen Kündigung müsse deshalb der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten wolle, die Arbeit wieder zuweisen (BAG Urteile vom 9. August 1984 - 2 AZR 374/83 - BAGE 46, 234, 244 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB, zu II 5 b der Gründe; vom 21. März 1985 - 2 AZR 201/84 - AP Nr. 35 zu § 615 BGB; vom 19. April 1990 - 2 AZR 591/89 - BAGE 65, 98 = AP Nr. 45 zu § 615 BGB; vom 21. Januar 1992 - 2 AZR 309/92 - AP Nr. 53 zu § 615 BGB; vom 24. November 1994 - 2 AZR 179/94 - BAGE 78, 333 = AP Nr. 60 zu § 615 BGB, mit Anm. Ramrath; vom 21. Januar 1994 - 2 AZR 584/93 - AP Nr. 32 zu § 2 KSchG 1969; vom 21. November 1996 - 2 AZR 660/95 - RzK I 13 b Nr. 31; vom 28. Mai 1998 - 2 AZR 496/97 - n.v.).

Dem folgt auch die Beschwerdekammer. Dem Arbeitgeber oblag es als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, seinem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen. Dazu hätte er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren müssen. Da der Arbeitgeber im Streitfall dieser Obliegenheit nicht nachgekommen war, ist er in Annahmeverzug geraten, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedurfte.

2. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Annahmeverzuges (§§ 293, 296 BGB) waren bei Herrn I. im Streitfall damit erfüllt. Sein Arbeitsverhältnis beim Antragsgegner kann weder als beendet angesehen werden noch darf sich der Arbeitgeber darauf berufen, dass Herr I. im Betrieb nicht mehr mitarbeite. Weder das Erstgericht noch die Beschwerdekammer stellen sich mit ihren Entscheidungen gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und gegen die einhellige Kommentarmeinung. Der streitbefangene Sachverhalt weicht von einem tatsächlich nicht beschäftigten Arbeitnehmer dadurch ab, dass Herr I. erstinstanzlich eine vollstreckbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur tatsächlichen Beschäftigung erstritten hatte und der Arbeitgeber diesem gerichtlichen Leistungsbefehl nicht gefolgt war. Daraus kann im Folgenden bei Herrn I. dann aber auch kein Verlust seines aktiven Wahlrechts abgeleitet werden.

3. Hat das Erstgericht die Rechtslage zutreffend beurteilt, muss die vom Arbeitgeber dagegen eingelegte Beschwerde erfolglos bleiben.

Gem. § 2 Abs. 2 GKG werden im Beschlussverfahren Kosten nicht erhoben. Ein weiteres Rechtsmittel ist nicht eröffnet (§ 72 Abs. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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