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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 18.09.2007
Aktenzeichen: 6 TaBV 59/07
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 23 Abs. 3
BetrVG § 99
Ein Arbeitgeber, der kurzfristig Arbeitnehmer für jeweils nur wenige Stunden bzw. Tage beschäftigt, hat die Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Er kann sich nicht darauf zurückziehen, dass eingeleitete Beschlussverfahren wegen Beendigung der Beschäftigung jedesmal vom Erstgericht eingestellt werden.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

6 TaBV 59/07

Verkündet am: 18. September 2007

In dem Beschlussverfahren

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Anhörung vom 11. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Trapp und Bäumler für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Betriebsrats (Beteiligter zu 1) vom 21. Oktober 2005 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 1. August 2005 insoweit abgeändert, als er die Anträge auf Unterlassung und Androhung eines Ordnungsgeldes zurückgewiesen hat.

2. Der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) wird aufgegeben zu unterlassen, Arbeitnehmer in ihrem Betrieb zu beschäftigen, ohne dass der Antragsteller deren Einstellung zugestimmt hat oder dessen Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzt ist oder der Arbeitgeber nach § 100 BetrVG vorgeht.

Im Übrigen wird der Unterlassungsantrag abgewiesen.

3. Der Arbeitgeberin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gemäß Ziffer 2. ein Ordnungsgeld angedroht.

4. Für beide Beteiligten wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, vorgenommene Einstellungen aufzuheben in Verbindung mit einem Unterlassungsantrag nebst einer Androhung von Ordnungsgeld.

Antragsteller (Beteiligter zu 1) ist der Betriebsrat bei der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2). Diese hatte bezogen auf die in der Antragsschrift genannten Arbeitnehmer ihren Betriebsrat zu vorläufigen personellen Maßnahmen gemäß § 100 BetrVG angehört. Die Anhörungsschreiben datierten vom 24. Juni 2004 (Blatt 7 bis 13 der Akte), eingegangen beim Betriebsrat am 28. Juni 2004. Die Arbeitnehmer sollten allesamt kurzfristig als Schreiner beschäftigt werden, und zwar teils vom 28. Juni bis 2. Juli 2004, teils vom 29. Juni bis 2. Juli 2004 und einer vom 28. Juni bis 16. Juli 2004.

Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 29. Juni 2004 (Blatt 14 der Akte) in all diesen Fällen der Beschäftigung widersprochen. Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 100 Abs. 2 BetrVG sind nicht eingeleitet worden.

Weiter erfuhr der Betriebsrat, dass die Arbeitgeberin für die Produktion "..." den Arbeitnehmer M. beschäftigt hatte. Auf Nachfrage ist ihm mitgeteilt worden, dass dies ohne Beteiligung nach § 99 BetrVG in Form einer Arbeitnehmerüberlassung geschehen war.

Der Betriebsrat rügt die Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte und verlangt Aufhebung dieser Einstellungen, gegebenenfalls Feststellung der Hauptsacheerledigung im Hinblick auf die zwischenzeitlich eingetretene Beendigung dieser Arbeitsverhältnisse. Weiter erachtet er einen Unterlassungsanspruch als gegeben. Mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 13. August 2004 hat er das vorliegende Beschlussverfahren einleiten lassen mit den Anträgen:

I. Der Beteiligten wird aufgegeben, die Einstellung folgender

Arbeitnehmer:

- B.

- D.

- E.

- E.

- H.

- R.

- W.

- W.

- M.

in ihrem Betrieb aufzuheben.

II. Der Beteiligten wird aufgegeben es zu unterlassen, Arbeitnehmer in ihrem Betrieb zu beschäftigen, ohne dass der Antragsteller deren Einstellung zugestimmt hat bzw. dessen Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzt ist.

III. Der Beteiligten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gemäß Ziffer II. ein Ordnungsgeld angedroht.

Vor dem angerufenen Arbeitsgericht München sind diese Begehren erfolglos geblieben. Auf die Begründung des Beschlusses vom 1. August 2005 wird Bezug genommen.

Mit der am 21. Oktober 2005 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Beschwerde gegen diese seinen Verfahrensbevollmächtigten am 21. September 2005 zugestellte Entscheidung verfolgt der Betriebsrat die Anträge II. und III. weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 21. Dezember 2005 eingegangen. Darin wird der den Anträgen zu Grunde liegende Sachverhalt noch einmal dargestellt sowie auf eine Vielzahl ähnlicher vor dem Arbeitsgericht München anhängiger Verfahren hingewiesen. In all diesen Fällen habe die Antragsgegnerin den Betriebsrat nicht rechtzeitig im Sinne von § 99 BetrVG beteiligt und so sei es diesem regelmäßig auch nicht möglich gewesen, die Wochenfrist gem. § 99 Abs. 3 BetrVG auszuschöpfen. In den folgenden Beschlussverfahren habe die Arbeitgeberin dann regelmäßig Hauptsacheerledigung erreicht und nicht etwa die Anträge zurückgenommen. Als Anspruchsgrundlage für den Unterlassungsantrag wird auf § 23 Abs. 3 BetrVG abgestellt und der Beteiligten zu 2) ein grober Verstoß gegen Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz vorgehalten. Die Arbeitgeberin beschäftige im kurzfristigen Einsatz eine größere Zahl von Mitarbeitern, ohne dass vorher der Betriebsrat zugestimmt hätte. Sie leitete sodann ein gerichtliches Verfahren ein, wohl wissend, dass zu diesem Zeitpunkt entweder der entsprechende Mitarbeiter das Unternehmen schon wieder verlassen habe oder jedenfalls im Laufe des Verfahrens verlassen werde. Dieses Verhalten wertet der Betriebsrat als grob rechtsmissbräuchlich, weil so die Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG bei kurzfristigen Einstellungen und Beschäftigungen ins Leere liefen. Die Beschwerdeanträge lauten damit:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 1. August 2005, Az.: 23 BV 307/04, wird insoweit abgeändert, als er die Anträge des Antragstellers II. (Unterlassung) und III. (Ordnungsgeld) zurückweist und es wird wie folgt entschieden:

1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben es zu unterlassen, Arbeitnehmer in ihrem Bereich zu beschäftigen, ohne dass der Antragsteller deren Einstellung zugestimmt hat bzw. dessen Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzt ist oder ein Fall des § 100 BetrVG vorliegt.

2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gemäß Ziffer 1. ein Ordnungsgeld angedroht.

Die Arbeitgeberin lässt beantragen:

Die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers vom 21. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Dem Unterlassungsantrag wird entgegengehalten, dass es der Beschwerdegegnerin gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ohne weiteres möglich gewesen sei, Mitarbeiter gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorläufig zu beschäftigen. Das könne selbst dann geschehen, wenn der Betriebsrat der Einstellung nicht zugestimmt habe bzw. die Zustimmung durch das Arbeitsgericht nicht ersetzt worden ist. Die gesetzliche Bestimmung des § 100 Absatz 1 Satz 1 BetrVG sehe gerade die Möglichkeit vor, Arbeitnehmer sogar dann vorläufig zu beschäftigen, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert habe. Nach Ansicht der Arbeitgeberin würde der zur Entscheidung gestellte Unterlassungsantrag diese gesetzlichen Befugnisse einschränken.

Im Übrigen sei der Antragsteller/Betriebsrat zu den streitbefangenen Einstellungen auch ordnungsgemäß angehört worden. Den Mitteilungen könne zwar der Wortlaut "gemäß § 100 BetrVG" entnommen werden, die Anhörung nach § 99 BetrVG sei damit aber ebenfalls erfolgt. Die Arbeitgeberin habe in der Vergangenheit die Rechte des Betriebsrats stets beachtet, Gegenteiliges trage auch der Antragsteller nicht vor. Damit könne es aus Sicht der Arbeitgeberin aber eine Rechtfertigung für diesen Unterlassungsanspruch nicht geben. Die kurzfristige Beschäftigung der streitgegenständlichen Mitarbeiter wird damit begründet, dass am 28. Juni 2004 mit den Vorbereitungen zu einer neuen Produktion begonnen worden sei, am 29. Juni 2004 habe man mit dem Vorbau angefangen, die Grunddekoration sollte bis 23. Juli 2004 fertig sein, da anschließend die Malerarbeiten, das Einleuchten und Einrichten geplant gewesen seien. Bei diesen Arbeiten hätten die verantwortlichen Mitarbeiter der Arbeitgeberin festgestellt, dass das beschäftigte Personal mit Ausnahme eines Mitarbeiters ab 28. Juni 2004 zur Ausführung dieses Auftrags nicht zur Verfügung gestanden habe. Da der Antragsteller in der Vergangenheit bei parallel laufenden Projekten im Bereich Dekorationsbau seine Zustimmung zu personellen Maßnahmen nie verweigert hatte, seien diese Mitarbeiter eben entsprechend eingesetzt worden. Eine Verzögerung des Baubeginns hätte erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen für die Arbeitgeberin nach sich gezogen. Der Einwand, dass eigene Fachkräfte hätten eingesetzt werden können, wird von der Antragstellerin zurückgewiesen, aus ihrer Sicht waren eigene Mitarbeiter für diese Arbeiten in der Zeit vom 28. Juni bis 4. Juli 2004 durchgehend nicht verfügbar.

Der Betriebsrat ist diesen Ausführungen wiederum entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 9. März 2006 (6 TaBV 72/05) hatte die Beschwerdekammer die Beschwerde des Betriebsrats vom 21. Oktober 2005 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 1. August 2005 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde dagegen nicht zugelassen. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.

Der Betriebsrat hat gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dieser Entscheidung eine auf Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützte Beschwerde einlegen lassen und er war damit auch erfolgreich gewesen. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 24. April 2007 (1 ABN 68/06) die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München vom 9. März 2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Auf die Gründe dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird ebenfalls Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Beteiligtenvorbringens in diesem Beschwerdeverfahren wird weiter verwiesen auf die Beschwerdebegründung vom 21. Dezember 2005 (Blatt 73 bis 78 der Akte), auf die Beschwerdeerwiderung vom 25. Januar 2006 (Blatt 97 bis 101 der Akte) mit Anlagen, auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats vom 20. Februar 2006 (Blatt 114 bis 118 der Akte), auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin vom 3. März 2006 (Blatt 119 bis 121 der Akte), auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats vom 8. März 2006 (Blatt 122/123 der Akte) mit Anlagen, auf die Sitzungsniederschrift vom 9. März 2006 (Blatt 128/129 der Akte), auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats vom 14. Juni 2007 (Blatt 150 bis 181 der Akte) in Verbindung mit dem Schriftsatz vom 20. Juni 2007 (Blatt 186/187 der Akte), auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin vom 25. Juni 2007 (Blatt 188 bis 190 der Akte), auf die Schriftsätze der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats vom 5. Juli 2007 (Blatt 197/198 der Akte) und vom 5. September 2007 (Blatt 204 bis 207 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 11. September 2007 (Blatt 208 bis 210 der Akte).

II.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 87, 89 ArbGG, § 66 ArbGG) hat im Wesentlichen auch Erfolg. Das Erstgericht hatte der Antragsgegnerin bereits zu Recht Verletzung von Mitbestimmungsrechten aus den §§ 99, 100 und 101 BetrVG angelastet. Von der Beschwerdekammer sind die zahlreich anhängig gemachten Beschlussverfahren zwischen den Beteiligten bereits bei der ersten Anhörung kritisch angesprochen worden. Ihr damaliger Hinweis auf eine notwendig erscheinende Vereinbarung zwischen den Betriebspartnern über das betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsverfahren bei solch kurzfristigen Beschäftigungen hatte jedoch keine Gegenliebe gefunden. Im Gegenteil, die Zahl der Beschlussverfahren ist seitdem noch deutlich angestiegen, wie die in den Schriftsätzen der anwaltschaftlichen Vertreter des Betriebsrats enthaltenen Aufstellungen zeigen. Die Arbeitgeberin hält daran fest, bei Einstellung kurzfristig Beschäftigter sogleich nach § 100 BetrVG vorzugehen, die Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG also zu umgehen. Dass die §§ 99,100 BetrVG unterschiedliche Beteiligungsverfahren regeln, kann der Arbeitgeberin nicht verborgen geblieben sein. Ihr Vorgehen nach § 100 BetrVG beinhaltet oder ersetzt nicht das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG. Das Offenlegen der Personaldaten des neuen Beschäftigten genügt noch nicht. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 99 BetrVG werden auf diese Weise vielmehr beharrlich verletzt.

Die groben Pflichtverletzungen im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG müssen objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend sein (Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt BetrVG, 21. Auflage, § 23 Rn 62 mit weiteren Nachweisen). Dieses Gewicht erlangen die der Antragsgegnerin angelasteten Verstöße mittlerweile durch ihre Vielzahl und so ist sie antragsgemäß gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG zur Unterlassung zu verpflichten. Die in den Tenor mitaufgenommenen Einschränkungen ergeben sich aus dem Gesetz.

Die Androhung des Ordnungsgeldes entspricht dem Antrag. Sie beruht auf § 890 ZPO.

Gem. § 2 Abs. 2 GKG werden im Beschlussverfahren Kosten nicht erhoben.

Für beide Beteiligten wird die Rechtsbeschwerde zugelassen (§ 92 Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr.1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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