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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 05.03.2008
Aktenzeichen: 7 Ta 2/08
Rechtsgebiete: KSchG, BGB, ArbGG


Vorschriften:

KSchG § 4 S. 1
KSchG § 5
KSchG § 5 Abs. 4 S. 2
BGB § 130
BGB § 187 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2 S. 1
BGB § 193
ArbGG § 78
Das Arbeitsgericht hatte einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage abgewiesen. Dabei ging das Gericht davon aus, dass die einer urlaubsabwesenden geringfügig mit 8 Wochenstunden beschäftigten Arbeitnehmerin an einem Freitag um 15.40 Uhr in den Briefkasten geworfene Kündigung noch am selben Tag zugegangen ist. Die sofortige Beschwerde der Klägerin führte zur Aufhebung des Beschlusses, da die Klageerhebung wegen Zugangs des Kündigungsschreibens erst am Folgetag noch rechtzeitig war.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN Beschluss

7 Ta 2/08

In Sachen

hat die Siebte Kammer des Landesarbeitsgerichts München ohne mündliche Verhandlung am 05.03.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Gericke beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 07.01.2008 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 11.12.2007 - Az. 35 Ca 13145/07 - aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat am 24.09.2007 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts München Klage gegen eine fristlose, hilfsweise fristgerecht Kündigung der Beklagten vom 31.08.2007 erhoben und ihre Klage mit einem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage verbunden.

Die Kündigung vom 31.08.2007 (Bl. 4 d.A.) hat die Beklagte der Klägerin am 31.08.2007 um 15:40 Uhr durch einen Boten in deren Briefkasten einwerfen lassen (dies ist zwischen den Parteien unstreitig, vgl. das Sitzungsprotokoll vom 08.11.2007 = Bl. 22 d.A.). Zur Begründung ihres Antrags auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage hat die Klägerin vorgetragen, sie sei Ende August urlaubsabwesend gewesen und erst am 07.09.2007 aus ihrem Urlaub zurückgekehrt. Am 07.09.2007 habe sie das Kündigungsschreiben aus ihrem Briefkasten entnommen. Da sie die Dreiwochenfrist gemäß § 4 S.1 KSchG für die Einreichung einer Kündigungsschutzklage nicht gekannt habe und nicht gut Deutsch spreche, habe sie die Rückkehr ihres Ehemannes aus dessen Urlaub abgewartet. Dieser sei am 17.09.2007 aus dem Urlaub zurückgekehrt, habe aber von seinem Arbeitgeber erst am 24.09.2007 für die Klageerhebung Freizeit erhalten.

Ihre Angaben hat die Klägerin durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.

Mit Beschluss vom 11.12.2007 (Bl.39/47 d.A.) hat das Arbeitsgericht München den Antrag der Klägerin auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage mit der Begründung zurückgewiesen, die Kündigung sei der Klägerin noch am 31.08.2007 zugegangen, die Klägerin habe nicht ohne Verschulden die Frist zur Klageerhebung versäumt. Der am 07.01.2008 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen sofortigen Beschwerde der Klägerin vom selben Tag hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 21.02.2008 (Bl. 70/72 d.A.) aus den bereits im Beschluss vom 11.12.2007 genannten Gründen nicht abgeholfen.

II.

Auf die gemäß § 5 Abs.4 S.2 KSchG statthafte, form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Klägerin vom 07.01.2008 war der Beschluss des Arbeitsgerichts München - Az. 35 Ca 13145/07 - ersatzlos aufzuheben, da die Klägerin ihre Klage vom 24.09.2007 gegen die Kündigung der Beklagten vom 31.08.2007 wegen deren Zugang bei der Klägerin erst am 01.09.2007 rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist gemäß § 4 S.1 KSchG beim Arbeitsgericht erhoben hat, §§ 187 Abs.1, 188 Abs.2 S. 1, 193 BGB; der letzte Tag der Dreiwochenfrist, der 22.09.2007, war ein Sonnabend, der nächste Werktag Montag, der 24.09.2007.

Die Kündigung der Beklagten vom 31.08.2007 ist der Klägerin erst am 01.09.2007 zugegangen, weil sie von dem Boten der Beklagten erst am 31.08.2007 um 15:40 Uhr in deren Briefkasten eingelegt worden ist. Insoweit folgt das Landesarbeitsgericht der im Übrigen sorgfältig und zutreffend begründeten Entscheidung des Erstgerichts nicht, sondern schließt sich der weiter unten zitierten Rechtsprechung des BAG zu § 130 BGB an.

Die Frage, wann ein Kündigungsschreiben der abwesenden Empfängerin im Sinne von § 130 BGB zugeht, ist in Rechtsprechung und Schrifttum nach wie vor äußerst streitig, vgl. etwa die Darstellung bei Palandt, BGB, 67. Auflage München 2008, § 130 BGB (Heinrichs) Rn. 6. Unter Hinweis auf schwankende Zustellzeiten der Deutsche Post AG, die über den gesamten Tag gestreuten Zustellzeiten anderer privater Zustellunternehmen und den Umstand, dass vollzeitbeschäftigte ArbeitnehmerInnen ohne Personen, die tagsüber zuhause weilen, erst abends den Briefkasten zu leeren pflegen, wenn sie von der Arbeit heimkehren, sowie ausgehend von der Ansicht, ein in den Briefkasten eingeworfenes Schriftstück gehe dem Empfänger zu dem Zeitpunkt zu, zu dem noch mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei und der These, die Vorstellung, nach der nur vormittags mit Briefzustellungen zu rechnen sei, sei überholt, es sei nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern im Interesse der Rechtssicherheit zu generalisieren, wird mehrfach in der Literatur und Rechtsprechung die Meinung vertreten, Briefe gingen den Empfängern zu, wenn sie bis 18:00 Uhr abends in deren Briefkasten eingeworfen würden. Dabei bezieht sich die Literatur im Wesentlichen auf eine Entscheidung des BayVerfGH vom 15.10.1992 - Vf. 117-VI - 91 = NJW 1993, 518-520 und des LG Stuttgart vom 20.12.2001 - Az. 20 O 467/01 = BB 2002, 380.

Der Entscheidung des LG Stuttgart, das sich im Übrigen wenig tiefgründig und auch noch in abfälliger Weise mit der Rechtsprechungspraxis der Gerichte für Arbeitssachen zu § 130 BGB befasst, lag ein Einwurf eines Kündigungsschreiben an einem Donnerstag, dem 30.09.1999 gegen 14:00 Uhr zugrunde, einem Zeitpunkt, zu dem man an Werktagen noch mit Postzustellungen rechnen müsste, vgl. LAG Berlin 22.01.1999 6 Sa 106/98 = AuA 1999, 326, der Entscheidung des BayVerfGH bei Zustellung eines Widerspruchs gegen 18:00 Uhr abends ein Fall, in dem die Empfänger nach Auffassung des Gerichts mit dem Eingang des Widerspruchs unter voller Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Frist rechnen mussten und somit eine Nachschau am Abend veranlasst gewesen wäre; außerdem hatte der BayVerfGH nur zu entscheiden, ob die Entscheidung des Landgerichts willkürlich gewesen ist und das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 91 Abs.1 BayVerf. verletzt hatte. Der BayVerfGH geht in seiner Entscheidung auch davon aus, dass nach der vorhandenen Rechtsprechung zu § 130 BGB die Grundsätze, dass ein Schreiben an dem Tag zugeht, an dem nach den Gepflogenheiten des Verkehrs mit einer Leerung des Briefkastens noch zu rechnen ist, regelmäßig gelten und dass es auf eine Prüfung des Einzelfalles ankommt. Das Landesarbeitsgericht Berlin stellt in seiner bereits oben genannten Entscheidung vom 22.01.1999 - Az. 6 Sa 106/98 = AuA 1999, 326 fest, in größeren Städten ende die Briefzustellung der Post-AG gegen 14:00 Uhr, so dass ein durch einen Boten um 14:00 Uhr in einen Briefkasten eingelegtes Kündigungsschreiben dem Empfänger noch am selben Tag zugegangen sei, da mit seiner Entnahme durch den Empfänger zu rechnen sei.

Das erkennende Gericht orientiert sich an der Rechtsprechung des BAG. In seiner Entscheidung vom 08.12.1983 AP Nr. 12 zu § 130 BGB hält das BAG fest, dass von einem sich während einer Krankheit oder einer sonstigen Arbeitsfreistellung gewöhnlich zuhause aufhaltenden Arbeitnehmer nach der Verkehrsanschauung nicht zu erwarten sei, dass er nach den allgemeinen Postzustellzeiten seinen Wohnungsbriefkasten nochmals überprüfe. Werde ein Kündigungsschreiben erst erhebliche Zeit nach der allgemeinen Postzustellung in seinen Wohnungsbriefkasten geworfen (im entschiedenen Fall gegen 16:30 Uhr), gehe ihm die Kündigung erst am nächsten Tag zu.

Mit Urteil vom 16.03.1988 AP Nr. 16 zu § 130 BGB führt das BAG aus, eine Kündigung gehe einem Arbeitnehmer auch dann nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 130 BGB zu, wenn er urlaubsabwesend sei und der Arbeitgeber dies wisse. Unter I. 5. der Entscheidungsgründe heißt es, da den Feststellungen des LAG nicht entnommen werden könne, dass der Einwurf des Kündigungsschreibens vor oder zu den normalen Postzustellzeiten erfolgt sei, gehe der Senat zugunsten des Klägers davon aus, dass der Zugang erst am nächsten Tag erfolgt sei.

Aus diesen beiden Entscheidungen, denen das erkennende Gericht folgt, ergibt sich, dass auch bei einer urlaubsabwesenden Arbeitnehmerin der Zeitpunkt des Einwurfs des Kündigungsschreibens maßgeblich für dessen Zugang ist. Sofern es zu einem Zeitpunkt - hier um 15:40 Uhr - in den Briefkasten der Arbeitnehmerin eingeworfen wird, zu dem nach der Verkehrsanschauung nicht mehr mit dessen Leerung gerechnet werden kann, geht das Kündigungsschreiben der Arbeitnehmerin erst am nächsten Werktag - hier also am Sonnabend, dem 01.09.2007 - zu.

München ist eine größere Stadt im Sinne der Rechtsprechung des LAG Berlin vom 22.01.1999 (a.a.O.), so dass mit Postzustellungen bis 14:00 Uhr gerechnet werden muss. Die Klägerin ist eine geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin mit einer Arbeitszeit von lediglich acht Stunden wöchentlich (vgl. Arbeitsvertrag ohne Datum Bl.5/7 d.A.), so dass sie nicht erst abends von der Arbeit heimkehrt oder aber weit vor oder erst nach dem Postzustellungszeitraum zur Arbeit geht, so dass sie ihren Briefkasten zeitnah nach Ende der normalen Postzustellungszeit entleeren dürfte; jedenfalls musste die Beklagte als Kündigungserklärende damit rechnen, dass die Klägerin ihren Briefkasten derart zeitig nach Ende des Postzustellungszeitraumes leert.

Diese Entscheidung, die gemäß § 78 ArbGG durch den Kammervorsitzenden allein und ohne mündliche Verhandlung ergeht, ist unanfechtbar. Die Rechtsbeschwerde ist nach Auffassung des BAG wegen des in § 5 KSchG normierten eigenständigen Verfahrensweges generell unzulässig, vgl. BAG 20.08.2002 - 2 AZB 16/02 - AP Nr. 14 zu § 5 KSchG sowie BAG 15.09.2005 - 3 AZB 48/05 - NZA-RR 2006, 211.

Ende der Entscheidung

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