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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 13.12.2005
Aktenzeichen: 8 Sa 739/05
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB, ArbGG, ZPO, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1 S. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 2
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 3
BetrVG § 102 Abs. 3 Ziff. 5
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2 S. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 lit. b
ArbGG § 78
ZPO § 138 Abs. 3
KSchG § 1 Abs. 2
Einzelfallentscheidung über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen Rückfalls in Alkoholkrankheit nach stationärer Behandlung.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 739/05

Verkündet am: 13. Dezember 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2005 den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kagerer sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Rottenegger und Wolf für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 20. April 2005 - Gz.: 3 Ca 2997/04 - geändert:

1.1 Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 15. Juni 2004 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

1.2 Von den Kosten des Rechtsstreits trägt 1/3 die Beklagte und 2/3 der Kläger.

2. Gegen dieses Urteil wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob eine seitens der Beklagten dem Kläger ausgesprochene außerordentliche fristlose oder hilfsweise ordentliche Kündigung dessen Arbeitsverhältnis aufgelöst hat.

Er ist am 9. September 1958 geboren, verheiratet, ohne Unterhaltspflichten und seit 1. Oktober 1990 gegen einen Monatslohn in Höhe von zuletzt durchschnittlich € 3.000,-- brutto als Elektromonteur bei der Beklagten im Außendienst beschäftigt.

Bei dieser sind weit mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich Auszubildender tätig; es gibt bei ihr einen Betriebsrat.

Beide Parteien sind tarifgebunden im Hinblick auf den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV-Bay-Metall), nach dessen § 8 Abs. 2 die ordentliche Kündigungsfrist fünf Monate zum Ablauf eines Kalendermonats beträgt.

Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits einmal am 16. Oktober 2002 außerordentlich fristlos gekündigt, weil dieser seit 25. September 2002 unentschuldigt gefehlt und sich erst am 10. Oktober 2002 wieder bei ihr gemeldet hatte; sein Fehlen beruhte auf Alkoholabhängigkeit. Am 22. Oktober 2002 kam allerdings eine Einigung der Parteien zu Stande. Danach nahm die Beklagte die dem Kläger ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vom 16. Oktober 2002 zurück und erteilte ihm stattdessen an diesem Tag eine Abmahnung. Gleichzeitig vereinbarten sie, dass der Kläger sich wegen seiner Alkoholkrankheit einer Therapie unterziehe; diese wurde im Februar 2003 abgeschlossen und als erfolgreich gewertet. Der Kläger hat nach dieser Therapie ein halbes Jahr lang weiter an einer entsprechenden Selbsthilfegruppe teilgenommen. Ab März 2003 wurde er erneut auf Montage geschickt, insbesondere in die sog. Ostblockländer.

Ab 17. Mai 2004 war der Kläger mit der Installation einer LITHOMAN-Anlage bei der Fa. K. in E. beauftragt. Dabei war er in einem Hotel untergebracht. Er erlitt in der Vorpfingstwoche einen Rückfall in seiner Alkoholkrankheit und war unstreitig am 25. und 26. Mai 2004 nicht mehr auf der Montagebaustelle. Seine Mitarbeiter informierten zunächst seinen Vorgesetzten bei der Beklagten in A. und danach auf entsprechende Aufforderung ihn, er möge Letzteren unverzüglich anrufen. Dies tat der Kläger am 27. Mai 2004 noch vom Hotel aus und wurde angewiesen, unverzüglich die Baustelle abzuschließen, nach Hause zu reisen und sich am darauf folgenden Freitag, den 28. Mai 2004, bei seinem Vorgesetzten zu melden. Ihm stand auch ein Firmenfahrzeug zur Heim- und Rückfahrt sowie zur Montagebaustelle zur Verfügung. Tatsächlich schloss der Kläger am 27. Mai 2004 noch die Baustelle ab und erklärte seinen dortigen Kollegen, die Heimreise anzutreten, wozu es dann aber nicht mehr kam. Er meldete sich auch nicht mehr bei seinem Vorgesetzten bei der Beklagten.

Der Kläger wurde danach von seiner Ehefrau und seinem erwachsenen Sohn aus E. abgeholt; dabei wurde auch das Firmenfahrzeug der Beklagten überführt. Am 1. Juni 2004 wurde die Beklagte darüber informiert, dass der Kläger nun wieder zu Hause sei. In einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 2. Juni 2004 wurde bestätigt, dass er bis einschließlich 12. Juni 2004 arbeitsunfähig krank geschrieben ist; es handelte sich unstreitig um einen Rückfall seiner Alkoholerkrankung. Am 14. und 15. Juni 2004 war der Kläger "wieder in der Arbeit".

Aus einem vom Kläger vorgelegten Anwesenheitsnachweis des "Gemeinnützigen Vereins zur Hilfe für Suchtkranke und Angehörige "K. e. V." ergibt sich, dass er seit 11. Juni 2004 in kurzfristigen Abständen mehrmals monatlich - vom 2. bis 28. August 2004 während seines gesamten Urlaubs - an deren Betreuung teilnimmt.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2004 hat die Beklagte ihren Betriebsrat darüber informiert, dass sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2004 zu kündigen. Sie schilderte die Kündigungsgründe in einem entsprechenden Begleitschreiben, das dem Betriebsrat bei dessen Entscheidung vorgelegen hat; jedenfalls hat der Kläger, obgleich dies zunächst mit Nichtwissen bestritten wurde, sich auf die bestätigende Erklärung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden in der Streitverhandlung vor dem Arbeitsgericht nicht mehr substantiiert eingelassen.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2004 hat der Betriebsrat der beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung unter Bezugnahme auf § 102 Abs. 3 Ziff. 5 BetrVG widersprochen; zur beabsichtigten hilfsweise ordentlichen Kündigung hat er keine ausdrückliche Stellungnahme abgegeben.

Mit Schreiben vom selben Tag hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos und mit weiterem Schreiben vom 16. Juni 2004 hilfsweise ordentlich zum 30. November 2004 gekündigt.

Mit einem am 6. Juli 2004 am Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger diese beiden Kündigungen angegriffen.

Er hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen,

die ihm ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung sei rechtsunwirksam mangels wichtigen Grundes. Insoweit rügt er auch die Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB. Er, der Kläger, habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht vorsätzlich verletzt. Die ihm ausgesprochene Kündigung dürfe nicht an den Maßstäben einer verhaltensbedingten Kündigung, sondern an denen einer krankheitsbedingten gemessen werden. Er nehme nach seiner erneuten "Entgiftung" weiter an einer Selbsthilfegruppe teil, sei einsichtsfähig und wolle sich weiter therapieren lassen.

Auch die ihm ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung sei rechtsunwirksam, weil sozialwidrig. Die Beklagte könne ihn, den Kläger, in der Innenmontage einsetzen, was den Vorteil hätte, dass er unter Aufsicht stünde und ein Kontakt zum innerbetrieblichen Suchthelfer gewährleistet werde.

Im Übrigen sei am 15. Juni 2004 ein Gespräch zwischen dem Betriebsratsmitglied R., dem Personalleiter St., dem Meister Si. und dem Abteilungsleiter G. geführt worden, in dem erörtert und vereinbart worden sei, "dass der Kläger über eine sog. Leihfirma 1/2 Jahr bei der Beklagten arbeiten solle. Bei Bewährung werde er wieder eingestellt." An diese Zusage fühle sich die Beklagte aber nicht mehr gebunden.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht zuletzt folgende Anträge gestellt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 15. Juni 2004 noch durch die ordentliche Kündigung vom 16. Juni 2004 beendet worden ist.

2. Im Falle des Obsiegens wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Elektromonteur weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Sie hat vorgetragen,

die dem Kläger ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vom 15. Juni 2004 habe das Arbeitsverhältnis deshalb beendet, weil dafür ein wichtiger Grund vorliege. Er bestehe darin, dass dieser schuldhaft gegen seine Arbeitspflichtverletzungen verstoßen habe, indem er bereits am 24. Mai 2004 nicht mehr an seiner Arbeitsstelle in E. erschienen sei, ohne sie, seine Arbeitgeberin, zu informieren. Er sei darüber hinaus auch nicht ihrer Aufforderung nachgekommen, sich am 28. Mai 2004 bei seinem Vorgesetzten zu melden; auch das ihm überlassene Firmenfahrzeug sei zu diesem Zeitpunkt nicht zurückgegeben worden. Es werde bestritten, dass der Kläger an einer Alkoholkrankheit leide. Er habe nämlich im Februar 2003 eine entsprechende Therapie erfolgreich abgeschlossen. Sein Verhalten sei auch im Zusammenhang mit der ihm am 16. Oktober 2002 ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen verhaltensbedingten Kündigung zu werten, die später in eine Abmahnung vom 22. Oktober 2002 umgedeutet worden sei.

Jedenfalls habe die ihm hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 16. Juni 2004 das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2004 beendet.

Die in beiden Fällen erforderliche Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus, weil er durch sein Verhalten das in ihn gesetzte Vertrauen zerstört habe. Sein Einsatz im Bereich der Montage, auch der Innenmontage, sei nicht möglich, weil es an einem freien geeigneten Arbeitsplatz fehle. Auch eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für ihn scheide aus.

Sie habe ihm auch keine "Zusicherung auf Beschäftigung über eine Leiharbeitsfirma gegeben".

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 20. April 2005, das der Beklagten am 30. Juni 2005 zugestellt worden ist, der Klage vollinhaltlich entsprochen. Auf die darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen und angestellten rechtlichen Erwägungen wird verwiesen.

Dagegen hat die Beklagte mit einem am 14. Juli 2005 am Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und sie mit einem hier am 24. August 2005 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags führt sie insbesondere noch aus, das Arbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist deshalb für sie, die Beklagte, zumutbar sei, weil sich der Kläger "sofort in ärztliche Behandlung begeben und seit 11. Juni 2004 eine Selbsthilfegruppe für Suchtkranke besucht habe". Es habe dabei verkannt, dass der Kläger auf Montagebaustellen bei ihren Kunden eingesetzt werde. Ein unentschuldigtes Fehlen auf Montagebaustellen sei aber weder für seine Kollegen noch ihre Kunden zumutbar; außerdem würde dadurch ihr Ansehen bei ihren Kunden geschädigt. Allerdings sei nicht nur dadurch das Vertrauensverhältnis zu ihm "aufs Höchste gestört" worden, sondern auch dadurch, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht habe, indem er das ihm anvertraute Dienstfahrzeug eigenmächtig zu privaten Zwecken verwendet und Anweisungen seines Vorgesetzten missachtet habe. Außerdem habe sie ihm bereits im Jahr 2002 enorme Hilfeleistungen gewährt, indem sie die ihm damals ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung "aus freien Stücken zurückgenommen" und sich mit ihm geeinigt habe, "dass (er) sich mit dieser Unterstützung durch (sie) einer Therapie unterziehe". Sein erneutes unentschuldigtes Fehlen aus gleichem Anlass müsse sie daher nicht hinnehmen, weshalb ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar sei. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass sich der Kläger sofort in ärztliche Behandlung und in eine Selbsthilfegruppe begeben habe. Das Erstgericht verkenne, "dass nicht der Rückfall als solcher Kündigungsgrund sei, sondern das unentschuldigte Fehlen des Klägers".

Jedenfalls aber reiche sein Verhalten aus, die ihm hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Deshalb stellt die Beklagte folgende Anträge.

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 20. April 2005 - Gz.: 3 Ca 2997/04 - wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Er hält das angegriffene Urteil für richtig und wiederholt und vertieft ebenfalls seinen erstinstanzlichen Sachvortrag.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsprotokolle, die Schriftsätze der Parteien und den sonstigen Akteninhalt beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und insoweit begründet, als das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist; insoweit ist die Klage abzuweisen. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet. Deshalb ist das angegriffene Urteil entsprechend zu ändern.

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist statthaft, denn sie richtet sich gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil, gegen das nicht nach § 78 ArbGG das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist und es handelt sich um eine Rechtsstreitigkeit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c ArbGG); die Statthaftigkeit im Hinblick auf den Weiterbeschäftigungsanspruch ergibt sich aus § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG.

Sie ist auch in der richtigen Form und rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).

II.

1. Die Berufung der Beklagten ist insoweit unbegründet, als sie die angegriffene außerordentliche fristlose Kündigung für rechtmäßig hält.

1.1 Insoweit bestehen jedoch keine Zweifel im Hinblick auf die Beteiligung ihres Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 S. 1 und 2 BetrVG. Die Rüge der Ordnungsmäßigkeit dieser Anhörung hat der Kläger zwar zunächst erhoben, insbesondere im Hinblick auf dessen Information durch die Beklagte im Begleitschreiben zum Anhörungsschreiben vom 7. Juni 2004, nach der Erklärung des Stellvertreters der Betriebsratsvorsitzenden in der Streitverhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 13. April 2005, dem Betriebsrat habe dieses Begleitschreiben zum Zeitpunkt seiner Stellungnahme vorgelegen, aber nicht weiterverfolgt. Dem insoweit substantiierten Sachvortrag der Beklagten ist er damit nicht nur nicht mehr entgegengetreten, sondern diese Tatsache ist damit gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Eine Unwirksamkeit dieser außerordentlichen fristlosen Kündigung gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG liegt daher nicht vor, denn dieses Begleitschreiben erfüllt ohne weiteres die Voraussetzungen, die der Gesetzgeber im Hinblick auf die Mitteilung der Kündigungsgründe gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG verlangt.

1.2 Das Arbeitsgericht hat allerdings richtig erkannt, dass für die ausgesprochene Kündigung kein wichtiger Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.

Ein solcher ist anzuerkennen, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer der Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Außerordentliche Kündigungen müssen die ultima ratio sein, d. h. sie sind nur zulässig, wenn die Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis so unzumutbar belasten, dass keine milderen Mittel, wie z. B. ordentliche Kündigung, Änderungskündigung, Versetzung oder Abmahnung, in Betracht kommen (BAG schon vom 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - AP Nr. 70 zu § 626 BGB). Dabei ist in zwei Stufen zu prüfen, ob ein derartiger wichtiger Grund vorliegt, nämlich in der ersten, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden, und in der zweiten, ob bei der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Interessenabwägung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind (BAG schon vom 2. Juni 1960 - 2 AZR 91/58 - AP Nr. 42 zu § 626 BGB).

Diese Voraussetzungen erfüllt das Verhalten des Klägers letztlich nicht.

1.2.1 Es handelt sich dabei um eine verhaltensbedingte Kündigung; dies hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, weshalb eine gerichtliche Überprüfung als personenbedingte Kündigung von vorneherein ausscheidet.

1.2.2 Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im medizinischen Sinne ist, weshalb auf eine Kündigung, die im Zusammenhang mit dieser Alkoholsucht des Arbeitnehmers steht, die Grundsätze für eine personenbedingte = krankheitsbedingte Kündigung anzuwenden sind (vgl. BAG vom 9. April 1987 - 2 AZR 210/86 - AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit), jedoch ebenfalls erkannt, dass eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Pflichtverletzungen, die auf Alkoholabhängigkeit beruhen, nicht ausgeschlossen erscheint, wenn diese darauf gestützt werden, der Arbeitnehmer habe schuldhaft seine sich negativ auf das Arbeitsverhältnis auswirkende Alkoholabhängigkeit herbeigeführt, wobei ihn allerdings dann die Darlegungs- und Beweislast trifft, was ihm grundsätzlich erhebliche Schwierigkeiten bereiten könne, nachdem es keinen dahingehenden Erfahrungssatz gebe, wonach die Alkoholabhängigkeit in der Regel selbst verschuldet sei (BAG vom 9. April 1987, a. a. O.).

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 11. November 1987 (5 AZR 497/86 - AP Nr. 75 zu § 616 BGB) die Feststellung getroffen, dass ein Arbeitnehmer, der eine Entziehung durchgemacht hat, die Gefahren des Alkohols in der Regel für sich selbst sehr genau kennt, weil er bei der Behandlung eingehend darauf hingewiesen und weiter dringend ermahnt worden ist, in Zukunft jede Alkoholaufnahme zu vermeiden. Wird er nach einer erfolgreichen Beendigung einer Entwöhnungskur und weiter nach einer längeren Zeit der Abstinenz dennoch wieder rückfällig, so spricht die Lebenserfahrung dafür, dass er die ihm erteilten dringenden Ratschläge missachtet und sich wieder dem Alkohol zugewandt hat. Wer bereits eine Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung durchlaufen hat, kennt die Gefahren des Alkohols für sich und seine Gesundheit. In der vorerwähnten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. November 1987 (a. a. O.) ist es deshalb zu dem Schluss gekommen, dass bei einem Arbeitnehmer, der bei Einsichtsfähigkeit und bewiesener längerer Abstinenz wieder rückfällig geworden ist, dies für ein schuldhaftes Verhalten seinerseits spreche; dabei hatte die Alkoholabstinenz hier lediglich fünf Monate betragen.

Eine verhaltensbedingte Kündigung bei Rückfall eines Arbeitnehmers in seine Alkoholkrankheit ist deshalb grundsätzlich möglich.

Ein Rückfall wie beim Kläger ist ihm mangels anderer fremdbestimmter Umstände als verschuldet zuzurechnen. Er hat sich damit in einen Zustand versetzt, indem er seinen Arbeitspflichten nicht mehr nachkommen konnte. Von entscheidender Bedeutung ist deshalb, ob ein derartiges Verhalten an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB zu begründen. Daran bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Immerhin ist Alkoholismus eine Suchterkrankung, deren Besonderheit gerade darin besteht, dass sie nicht allein über eine Entgiftungs- und Entwöhnungskur quasi geheilt werden kann. In der Regel bedarf es nach Abschluss auch stationärer Behandlungen weiterer Therapien. Ein erstmaliger Rückfall ist daher nicht ohne weiteres geeignet, "an sich" einen wichtigen Grund zu bilden.

Hier kommt hinzu, dass der Kläger immerhin nach seinem Rückfall sich sofort einer erneuten Entgiftungsbehandlung unterzogen hat und bereit ist, sich erneut therapieren zu lassen und entsprechende Selbsthilfegruppen zur Stützung aufzusuchen. Diese Verbindung mit seiner durchaus gezeigten Arbeitswilligkeit und -fähigkeit nach Abschluss seiner Entgiftungskur spricht durchaus dafür, dass es der Beklagten zumutbar ist, wenigstens die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Deshalb ist die dem Kläger insoweit ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung unwirksam.

Unter diesen Umständen kommt es gar nicht mehr darauf an, ob die Voraussetzungen des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB eingehalten sind, wofür jedoch nicht wenig spricht, weil die dort genannte zweiwöchige Ausschlussfrist erst mit der positiven Kenntnis des Kündigungsgrundes beginnt und es der Arbeitgeberin daher durchaus zuzubilligen ist, in angemessener kurzer Zeit sich einen entsprechenden Eindruck zu verschaffen. Dies gilt umso eher, je komplexer ein entsprechender Kündigungssachverhalt sich darstellt, was bei einem Rückfall in die Alkoholerkrankung regelmäßig der Fall sein dürfte. Frühestens am 1. Juni 2004 aber konnte die Beklagte davon erfahren haben, dass der Kläger sich wieder einer Entgiftungskur wegen seines Rückfalls in seine Alkoholkrankheit unterzogen hat und die ihm ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung stammt vom 15. Juni 2004, sie hält also die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB ein.

Die Berufung der Beklagten ist daher unbegründet, soweit sie die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der dem Kläger ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 15. Juni 2004 begehrt.

2. Sie ist jedoch begründet, soweit sie die Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 16. Juni 2004 zum 30. November 2004 geltend macht. Zwar reicht die Arbeitspflichtverletzung des Klägers durch seinen Rückfall in seine Alkoholkrankheit nicht aus, eine außerordentliche fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB zu begründen, doch genügt sie für die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG. Ihm waren, wie bereits erwähnt, die Gefahren seiner Suchterkrankung durchaus bekannt. Er hatte sich deshalb bereits einmal in fachärztliche Behandlung begeben, war über deren Gefahren, regelmäßig auch über Rückfallgefahren, aufgeklärt worden, hatte sich einer anschließenden Therapie unterzogen und ihm war auch bekannt, dass die Beklagte Arbeitspflichtverletzungen im Zusammenhang mit seiner Alkoholerkrankung nicht hinnehmen würde, denn sie hatte ihm bereits beim ersten Vorfall eine außerordentliche fristlose Kündigung ausgesprochen und diese dann in eine Abmahnung für den Wiederholungsfall umgewandelt.

Die Tatsache, dass er danach etwa 14 Monate seiner Alkoholerkrankung widerstanden hatte, spricht zwar zunächst für ihn, zeigt jedoch, dass er die Gefahren nicht richtig eingeschätzt hat. Nicht anders sind auch seine Einlassungen gegenüber dem Betriebsrat in dessen Widerspruch zur außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 15. Juni 2004 zu verstehen, nachdem er sich angeblich "absolut sicher war, dem Alkohol versagen zu können" und es "ihm absolut unverständlich ist, wie es zu diesem erneuten Vorfall kommen konnte". Daraus kann jedoch nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass sich ein derartiger Rückfall nicht erneut wiederholen werde. Deshalb kann dem Betriebsrat auch nicht darin gefolgt werden, dass es ihm (dem Kläger) nunmehr "unmissverständlich klar geworden ist, dass er die Therapie, in welcher Form auch immer, weiterführen muss". Wie das Bundesarbeitsgericht nämlich in seiner Entscheidung vom 11. Mai 1988 (5 AZR 446/87 - n. a. v.) erkannt hat, spricht bei einem Rückfall nach einer stationären Entwöhnungskur und nach anschließender längerer Zeit der Abstinenz vieles dafür, dass der Kläger die erteilten dringenden Ratschläge missachtet und sich wieder dem Alkohol zugewandt hat. Es ist der Beklagten nicht zuzumuten, erneut ein derartiges Risiko auf sich zu nehmen. Die Tatsache, dass der Kläger nach seinem Rückfall sich erneut einer Entgiftungsbehandlung unterzogen hat und sich weiter therapieren lassen will, ändert daran nichts. Die Gefahr eines erneuten Rückfalls ist dadurch nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern bereits einmal in der Vergangenheit belegt. Im Übrigen ist der Einsatz von Elektromonteuren, wenn sie unter Einfluss von Alkohol stehen - gleichgültig ob im Außen- oder Innendienst -, durchaus auch mit Risiken für deren Leib und Leben, aber auch für dasjenige ihrer Kollegen verbunden.

Es ist dem Kläger zwar zuzugestehen, dass gerade sein Einsatz als Elektromonteur im Außendienst möglicherweise eine destabilisierende Wirkung im Hinblick auf seinen Kampf gegen seine Alkoholerkrankung hatte; allerdings entspricht es der Lebenserfahrung, dass Alkoholiker ihre Abhängigkeit oft lange Zeit äußerst geschickt vor ihrer Umgebung zu verbergen verstehen (BAG vom 11. Mai 1988, a. a. O.). Unter diesen Umständen kann einer erneuten Rückfallgefahr des Klägers auch nicht durch dessen Einsatz in der Innenmontage, also nicht im Außendienst, wirksam begegnet werden. Daran ändert auch ein dort vorhandener Suchtberater nichts.

Soweit der Kläger vorträgt, in einem Gespräch am 15. Juni 2004 zwischen dem Betriebsratsmitglied R., dem Personalleiter St., seinem Vorgesetzten Si. und dem Abteilungsleiter G. sei vereinbart worden, "dass (er) über eine sog. Leihfirma 1/2 Jahr bei der Beklagten arbeiten solle. Bei Bewährung werde er wieder eingestellt", bindet dies die Beklagte gerade nicht dahingehend, das Arbeitsverhältnis mit ihm aufrechtzuerhalten; sie hat damit jedenfalls auch zum Ausdruck gebracht, dass ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit ihm gegenwärtig unzumutbar ist.

Insoweit ist daher die Berufung der Beklagten begründet. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endet somit zum 30. November 2004. Da der geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch lediglich hilfsweise für den Fall des Obsiegens gestellt, das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2004 aber beendet worden ist, braucht darauf nicht weiter eingegangen zu werden, denn insoweit handelte es sich um einen Hilfsantrag, dessen Bedingung nicht zum Tragen gekommen ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen (§ 72 Abs. 1 ArbGG). Eine grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage ist nicht ersichtlich (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG). Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird verwiesen (§ 72a ArbGG).

Ende der Entscheidung

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