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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 17.01.2007
Aktenzeichen: 9 Sa 518/06
Rechtsgebiete: BetrVG, LGRTV


Vorschriften:

BetrVG § 77 Abs. 3 S. 1
BetrVG § 77 Abs. 4 S. 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
LGRTV § 5 Ziff. 1
1. Gem. § 5 Ziffer 1 des Lohn- und Gehaltstarifvertrages vom 23.5.2002 für die gewerblichen Arbeitnehmer, für die Angestellten und die Auszubildenden der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (LGRTV) unterliegt die Einführung der Entlohnungsarten Zeit-, Akkord- oder Prämienlohn und damit auch deren Änderung der Mitbestimmung des Betriebsrates.

2. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung verstößt somit nicht gegen § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG, da die Einführung einer bestimmten Lohnart und der Wechsel der Lohnart gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates unterliegt und die Bestimmung und die Änderung der Lohnart durch die tarifliche Regelung im LGRTV erlaubt ist.

3. Der Änderung der Entlohnungsart von Akkord- in Zeitlohn steht auch nicht die Anmerkung zu § 5 Ziffer 1 der LGRTV entgegen.

4. Die Betriebsparteien können mit einer neuen Betriebsvereinbarung den bisher durch Betriebsvereinbarung geregelten Akkordlohn in einen Zeitlohn abändern (Ablösungsprinzig).

5. Die ablösende Betriebsvereinbarung wirkt gem. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG für die betreffenden Arbeitnehmer unmittelbar, soweit sie nicht in bestehende günstigere individualrechtliche Vereinbarungen eingreift. Einer Änderungskündigung bedarf es in diesem Falle nicht. Eine Klage gegen eine vorsorglich zusätzlich ausgesprochene Änderungskündigung ist unbegründet (BAG vom 24.8.2004 1 AZR 419/93).


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 518/06

Verkündet am: 17. Januar 2007

In dem Rechtsstreit

hat die neunte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dunkl sowie die ehrenamtlichen Richter Mödler und Huber für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24.02.2006 - 13 Ca 12421/05 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Umstellung ihrer Entlohnung von Akkordlohn auf einen festen Zeitlohn.

Die Klägerin, geboren am 16.10.1955, ist seit 22.06.1997 bei der Beklagten als Montiererin im Werk Dachau beschäftigt.

Die Beklagte ist ein Zulieferunternehmen der Automobilindustrie und beschäftigt sich mit Montage von Insassenschutzsystemen, insbesondere Airbags. Im Werk D. werden insgesamt ca. 945 Arbeitnehmer beschäftigt, davon sind ca. 239 Arbeitnehmer als angelernte Montierer in der Produktion eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie anwendbar. § 5 Ziff. 1 des Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrages vom 24.10.2002 für die gewerblichen Arbeitnehmer, für die Angestellten und für die Auszubildenden der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (LGRTV) lautet:

"§ 5 Allgemeine Bestimmungen über die Formen der Arbeit und ihre Entlohnung für gewerbliche Arbeitnehmer

1. Die Beschäftigung der Arbeitnehmer erfolgt je nach der Organisation des Arbeitsablaufes und der Voraussetzungen der Arbeit an den Arbeitsplätzen. Die Arbeit wird einzeln oder in Gruppen ausgeführt. Sie wird in Zeit-, Akkord- oder Prämienlohn vergeben.

Die Einführung dieser Entlohnungsarten und die damit verbundene Festlegung des Geltungsbereichs ist mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Im Nichteinigungsfall ist gem. § 29 Abschn. D MTV-Arbeiter zu verfahren."

Die Anmerkung zu § 5 Ziff. 1 des LGRTV hat folgenden Wortlaut:

"Die tarifliche Bestimmung tritt an die Stelle des § 87 Abs. (1) Ziff. 10 und Abs. (2) BetrVG.

Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers im Akkord zu arbeiten, vorausgesetzt, daß die tariflichen Bestimmungen bezüglich der Akkordarbeit eingehalten werden, er also auch persönlich zur Leistung von Akkordarbeiten in der Lage ist.

Bei Überführung von Zeitlohnarbeit in Akkordarbeit bedarf es keiner Änderungskündigung, vorausgesetzt, daß damit für den Arbeitnehmer keine Änderung seiner Lohngruppe verbunden ist.

Die ständige Überführung eines Akkordarbeiters in Zeitlohn kann entweder im Vereinbarungsweg oder durch Änderungskündigung erfolgen. Das gleiche gilt für die ständige Überführung von Prämienlohn in Zeitlohn."

Zwischen den Parteien besteht kein schriftlicher Arbeitsvertrag. Seit Beginn ihrer Beschäftigung wurde die Klägerin von der Beklagten im Akkordlohn vergütet. Die Akkordlohnregelung hatte die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat zuletzt durch Betriebsvereinbarung Nr. 01 "Entlohnung Produktion" vereinbart. Durch Betriebsvereinbarung vom 24.06.2005 (Nr. 01 Entlohnung Produktion; Bl. 22 d. A.) haben die Betriebsparteien im Interesse der Standortsicherung und zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit u. a. auch die bisherige Betriebsvereinbarung Nr. 01 Entlohnung Produktion ersatzlos aufgehoben und die Umstellung aller Tarifmitarbeiter im Werk Dachau ab 01.07.2005 vom Akkord- in den Zeitlohn vereinbart. Am 22.07.2005 hat die Beklagte mit dem Betriebsrat des Betriebes D. einen Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen (Bl. 34 bis 41 d. A.). Zweck des Interessenausgleiches für das Werk D. war: Eine Änderung des Organisationsablaufes an den Produktionslinien, Pausen, Mehrarbeit und Zeitausgleich gemäß Anl. 1; die Ablösung des für alle tariflichen Mitarbeiter an den Produktionslinien geltenden tariflichen Akkordlohnsystems durch das tarifliche Zeitlohnsystem gemäß Anl. 2. In der Anl. 3 sind die Mitarbeiter - darunter auch die Klägerin - aufgeführt, denen gegenüber für den Fall, dass sie die Weiterbeschäftigung im Zeitlohn nicht annehmen, eine betriebsbedingte Änderungskündigung ausgesprochen wird. Mit Schreiben vom 28.07.2005 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31.10.2005 gekündigt und ihr ab 01.11.2005 entsprechend der Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Zeitlohn, Lohngruppe 5 mit einem Bruttomonatslohn in Höhe von € 1.685,--und einer freiwilligen Zulage angeboten. Die Klägerin hat die Änderungskündigung fristgerecht unter dem Vorbehalt angenommen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist und hat mit Schriftsatz vom 11.08.2005 Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht München erhoben. Bereits zum 01.07.2005 hat die Beklagte entsprechend der Regelung in der Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 den Lohn von Akkord- in Zeitlohn umgestellt.

Die Klägerin macht mit ihrer Klage zum Arbeitsgericht München geltend, die Betriebsvereinbarung vom 24.6.2005 sei wegen Verstoßes gegen § 5 des LGRTV unwirksam. Eine ständige Überführung von Akkordlohn auf Zeitlohn sei nach Anmerkung zu § 5 Ziff. 1 LGRTV nur durch Änderungsvertrag oder Änderungskündigung möglich. Damit sei die Betriebsvereinbarung schon aufgrund des § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Außerdem verstoße die Beklagte mit der Betriebsvereinbarung gegen den Vertrauensschutz in die einzelvertraglichen Regelungen und umgehe den Kündigungsschutz. Die Änderungskündigung sei unwirksam, da es keine Gründe für die ausgesprochene Änderungskündigung gebe.

Die Klägerin beantragte im ersten Rechtszug:

1. Es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 28.07.2005 unwirksam sind.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

3. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, die Klagepartei zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragte dagegen

die kostenpflichtige Klageabweisung

und trug vor, die Entlohnungsart sei bereits wirksam durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 auf Zeitlohn abgeändert worden. Die Änderungskündigung sei lediglich vorsorglich ausgesprochen worden und stütze sich auf betriebsbedingte Gründe. Im Übrigen fehle für die von der Klägerin gestellten Anträge Nr. 1 und 2 das Feststellungsinteresse, sodass sie bereits unzulässig seien.

Das Arbeitsgericht München hat durch Endurteil vom 24.02.2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Feststellungsanträge Ziffer 1 und 2 seien zwar gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, die Klage sei aber unbegründet, da die Arbeitsbedingungen der Klägerin bereits durch die Betriebsvereinbarung vom 24.06.2005 rechtswirksam geändert worden seien. Durch die Betriebsvereinbarung vom 24.06.2005 sei der Akkordlohn ab 01.07.2005 durch einen Zeitlohn abgelöst worden. Auch die weiteren in der Änderungskündigung enthaltenen Änderungen ergäben sich bereits aus der Betriebsvereinbarung. Diese Änderung gelte nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch für das Arbeitsverhältnis der Klägerin. Die Betriebsvereinbarung verstoße auch nicht gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 5 LGRTV. Zwar handle es sich bei der Lohnform um eine Arbeitsbedingung, die in dem hier einschlägigen LGRTV - wenn auch nicht abschließend - geregelt sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG greife die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG jedoch dann nicht ein, wenn es sich um eine Angelegenheit handle, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats unterliege. Der Wechsel von Akkord- in Zeitlohn unterfalle nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung. Die Befugnis der Betriebsparteien zur Änderung der Lohnart sei vorliegend nicht durch eine abschließende tarifliche Regelung ausgeschlossen. Auch gebe es keine zwingende tarifliche Bestimmung, die einem Wechsel von Akkord- zum Zeitlohn durch Betriebsvereinbarung entgegenstünde. Gemäß § 5 Ziff. 1 Satz 4 des LGRTV sei die Einführung der Entlohnungsarten wie Zeit-, Akkord- oder Prämienlohn und die damit verbundene Festlegung des Geltungsbereichs mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Der Tarifvertrag schreibe keine bestimmte Lohnart zwingend vor. Er eröffne vielmehr die Möglichkeit, zwischen den verschiedenen Lohnarten zu wechseln. Der Umstellung von Akkord- auf Zeitlohn stehe entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht die Anmerkung zu § 5 Ziff. 1 LGRTV entgegen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Fragen der betrieblichen Lohngestaltung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen, könne diese Anmerkung nur dahingehend ausgelegt werden, dass eine Regelung für den Fall getroffen werden sollte, dass in einem Betrieb kein Betriebsrat bestehe. So könne für den Fall, dass in einem Betrieb kein Betriebsrat bestehe, die Änderung der Lohnform grundsätzlich gemäß § 5 Ziff. 1 LGRTV nicht herbeigeführt werden, sodass der Arbeitgeber auf die Möglichkeit einer einvernehmlichen Änderung oder einer Änderungskündigung verwiesen werde.

Die Betriebspartien hätten mit der Betriebsvereinbarung vom 24.06.2005 die bisherige Lohnform auch wirksam abgelöst, auch wenn sich durch den Zeitlohn die Vergütung der Arbeitnehmer gegenüber dem bisherigen Akkordlohn möglicherweise vermindere. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG könnten die Betriebsparteien eine Angelegenheit, die sie durch Betriebsvereinbarung geregelt haben, unter Aufhebung dieser Vereinbarung für die Zukunft neu regeln; es gelte das Ablösungsprinzip. Die Umstellung von Akkord- auf Zeitlohn halte auch einer Überprüfung nach den Maßstäben des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG stand.

Bezüglich des weiteren Vortrages der Parteien und der rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf den Inhalt des Endurteils des Arbeitsgerichts München vom 24.02.2006 (Bl. 61 bis 73 d. A.) verwiesen.

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil, das ihr am 06.04.2006 zugestellt wurde, am 26.04.2006 Berufung eingelegt und diese am 06.07.2006 innerhalb der verlängerten Frist auch begründet.

Sie trägt im Berufungsverfahren vor, das Arbeitsgericht lege den LGRTV falsch aus. Im ersten Satz der Anmerkung zu § 5 Ziff. 1 LGRTV sei ausdrücklich geregelt, dass § 5 Ziff. 1 nach dem Willen der Tarifvertragsparteien an die Stelle des § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Abs. 2 BetrVG trete. Die Tarifnorm regele somit zunächst die kollektivrechtliche Mitbestimmung des Betriebsrats einschließlich der Konfliktlösung und Fragen der betrieblichen Entlohnung. Die weiteren Anmerkungen zu § 5 Ziff. 1 LGRTV beträfen jedoch die individualrechtliche Seite der Entlohnungsform. Sie würden die Voraussetzungen für eine individualrechtliche Überführung von einer Entlohnungsart in eine andere regeln. Der vorliegend einschlägige letzte Absatz der Anmerkung betreffe die Voraussetzungen der Überführung von Akkord- bzw. Prämienlohn in Zeitlohn. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, diese Vorschrift habe lediglich in Betrieben ohne Betriebsrat Bedeutung, sei somit verfehlt. Selbst wenn die Betriebsvereinbarung zur Einführung von Zeitlohn wirksam sein sollte, würden die mit einer Änderungskündigung angestrebten Änderungen der Arbeitsbedingungen nicht automatisch bereits durch die Betriebsvereinbarung eintreten. Die individualrechtlichen Folgen müssten erst noch herbeigeführt werden, und war entweder durch eine Vereinbarung oder durch eine Änderungskündigung. Die Folgen würden nicht automatisch nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG eintreten. Es liege ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG vor und die Betriebsvereinbarung sei insofern nichtig. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, die Betriebsvereinbarung verstoße nicht gegen § 87 Abs. 1 BetrVG, da die Befugnis der Betriebsparteien zur Änderung der Lohnart nicht durch eine abschließende tarifliche Regelung ausgeschlossen sei, sei ebenfalls unrichtig.

Die Änderungskündigung sei bereits deswegen nicht rechtmäßig, da sie die tariflichen Vorgaben nicht berücksichtige. Das Arbeitsgericht habe sich - aus seiner Sicht konsequent - mit der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nicht auseinandergesetzt. Dringende betriebliche Erfordernisse lägen jedoch nicht vor. Die Argumentation, es gäbe keine Arbeitsplätze mit der Entlohnungsart Akkord mehr, beinhalte einen Zirkelschluss. Letztlich komme die Maßnahme der Beklagten einer Lohnsenkung gleich. Es liege aber weder eine existenzielle Notlage der Beklagten vor, noch eine akute und bevorstehende Bedrohung der Arbeitsplätze.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 05.07.2006 (Bl. 89 bis 93 d. A.) und vom 18.10.2006 (Bl. 106/107 d. A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24.02.2006 wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, das die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 28.07.2005 unwirksam sind.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

4. Im Falle des Obsiegens mit den Anträgen zu 2. und 3. wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen im Akkordlohn weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt dagegen

die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung

und trägt zur Begründung vor, das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Umstellung der Entlohnung von Akkord- auf Zeitlohn durch Betriebsvereinbarung vom 24.06.2005 wirksam zustande gekommen sei. Insbesondere die Anmerkung zu § 5 Ziff. 1 LGRTV stehe der Änderung der Entlohnungsart durch Betriebsvereinbarung nicht entgegen.

Bezüglich des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 08.08.2006 (Bl. 96 bis 101 d. A.) und vom 18.12.2006 (Bl. 114/115 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24.02.2006 ist zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Die Klage gegen die Änderungskündigung vom 28.07.2005 ist unbegründet, denn die mit der Änderungskündigung angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen ist bereits vorher durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 Entlohnung Produktion vom 24.06.2005 eingetreten.

Gegenstand der Änderungskündigungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG ist nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt, sondern wegen der unter Vorbehalt erklärten Annahme nach § 2 Satz 1 KSchG lediglich die Änderung der Arbeitsbedingungen (vgl. BAG vom 24.08.2004 AZR 419/03). Die Begründetheit einer Änderungskündigungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG setzt voraus, dass zu dem Termin, zu welchem die Änderungskündigung ausgesprochen wurde, das Arbeitsverhältnis noch zu den Bedingungen besteht, deren Änderung dem Arbeitnehmer mit der Änderungskündigung angetragen wird. Ist dagegen zu diesem Zeitpunkt die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund anderer Umstände, z. B. wegen der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung, bereits eingetreten, kann eine Änderungskündigungsschutzklage keinen Erfolg mehr haben, denn die Änderungskündigungsschutzklage zielt auf die Feststellung, dass für das Arbeitsverhältnis nicht die Arbeitsbedingen gelten, die in dem mit der Kündigung verbundenen Änderungsangebot des Arbeitnehmers enthalten sind. Eine derartige Feststellung kann das Gericht nicht treffen, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen unabhängig von der Änderungskündigung bereits aus anderen Gründen eingetreten ist (BAG vom 24.08.2004 1 AZR 419/03).

2. Die der Klägerin mit der Änderungskündigung angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen ist bereits durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 vorweggenommen. Durch diese wurde die Entlohnungsart wirksam von Akkord- auf Zeitlohn umgestellt. Der Umstellung stehen weder tarifvertragliche Regelungen noch individualrechtliche Rechtspositionen der Klägerin entgegen.

a) Durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 "Entlohnung Produktion" wurde gemäß Ziff. 1 der Akkordlohn ab 01.07.2005 auf Zeitlohn umgestellt. Diese Änderung gilt nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch für das Arbeitsverhältnis der Klägerin, die in der Produktion beschäftigt ist. Wegen der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung bedurfte es keiner Zustimmung der Klägerin (vgl. BAG vom 24.08.2004 1 AZR 419/03, das einen vergleichbaren Sachverhalt betrifft).

b) Die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 verstößt auch nicht gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Bei der Lohnform handelt es sich zwar um eine Arbeitsbedingung, die im einschlägigen LGRTV - wenn auch nicht abschließend - geregelt ist; jedoch greift die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dann nicht ein, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Es gibt dann nur die Einschränkung in § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG (ständ. Rspr. des BAG, vgl. AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; vom 24.08.2004 1 AZR 419/03).

Die Einführung einer bestimmten Lohnart und der Wechsel zwischen Lohnarten unterfällt nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Zur betrieblichen Lohngestaltung im Sinne dieser Bestimmung gehört auch die Frage, ob im Betrieb im Zeitlohn oder im Leistungslohn gearbeitet wird (BAG EzA Nr. 39 zu § 80 BetrVG 1972; vom 24.08.2004 1 AZR 419/03).

c) Die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 verstößt auch nicht gegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG. Die Befugnis der Betriebsparteien zur Änderung der Lohnart ist nicht durch eine abschließende tarifliche Regelung ausgeschlossen. Auch gibt es im vorliegenden Falle keine zwingenden tariflichen Bestimmungen, die einen Wechsel von Akkordlohn zum Zeitlohn entgegensteht. § 5 Ziff. 1 des LGRTV vom 24.05.2002 kennt als mögliche Lohnformen den Zeit-, Akkord- oder Prämienlohn. Der Tarifvertrag schließt keine dieser Lohnformen aus, sondern überlässt die Einführung dieser Entlohnungsarten - und damit auch die Änderung - einer Vereinbarung mit dem Betriebsrat.

d) Der Änderung der Entlohnungsart von Akkordlohn in den Zeitlohn steht auch die Anmerkung zu § 5 Ziff. 1 des LGRTV vom 24.05.2002 nicht entgegen. Eine Anmerkung der Tarifvertragsparteien zu einer tariflichen Bestimmung ist eine kommentierende Erläuterung. Sie dient dazu, die tarifliche Bestimmung besser zu verstehen und im Zweifelsfall zutreffend auszulegen. Mit ihr wollen die Tarifvertragsparteien die tarifliche Bestimmung nur verständlicher machen, ihr aber keinen anderen Regelungsinhalt geben oder diesen sogar in ihr Gegenteil verkehren. Dies ist bei der Erfassung und Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Anmerkung zu berücksichtigen.

In der Anmerkung zu § 5 Ziff. 1 des LGRTV vom 24.05.2002 ist sowohl die Überführung von Zeitlohnarbeit in Akkordarbeit als auch die Überführung eines Akkordarbeiters in den Zeitlohn angesprochen. Bei der Überführung von Zeitlohnarbeit in Akkordarbeit ist angeführt, dass es hierzu keiner Änderungskündigung bedarf, wenn damit für den Arbeitnehmer keine Änderung seiner Lohngruppe verbunden ist. Damit stellen die Tarifvertragsparteien zum einen klar, dass von § 5 Ziff. 1 LGRTV auch der Wechsel der Lohnart erfasst wird und darüber hinaus bestätigen sie die bestehende Rechtslage, die sich bereits aus § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ergibt: Die Änderung tritt unmittelbar durch die zwingende Wirkung einer entsprechenden Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ein.

Bei der Überführung eines Akkordarbeiters in Zeitlohn ist in der Anmerkung ausgesagt, dass die "ständige Überführung" entweder im Vereinbarungswege oder durch Änderungskündigung erfolgen kann. Die Klägerin übersieht dabei, dass nicht lediglich von der Überführung, sondern von der "ständigen", also von einer andauernden Überführung des Akkordarbeiters in den Zeitlohn die Rede ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine nicht ständige Überführung weder einer Vereinbarung noch einer Änderungskündigung bedarf. Von einer nicht ständigen Überführung der Entlohnungsart Akkordlohn in den Zeitlohn ist auszugehen, wenn sie auf einer Betriebsvereinbarung beruht, denn die betreffende Betriebsvereinbarung kann durch die Betriebsparteien durch eine ablösende Betriebsvereinbarung geändert werden und dann ändert sich gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch für die ihr unterfallenden Arbeitnehmer wieder die Entlohnungsart, sie ist also nicht "ständig". Nur wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen bzw. der Arbeitgeber will, dass die Überführung in den Zeitlohn dauernd wirkt, also auch nicht mehr durch eine Betriebsvereinbarung geändert werden kann, bedarf es einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien bzw. einer Änderungskündigung. Nur diese Auslegung wird der Regelung in § 5 Ziff. 1 LGRTV gerecht: Zum einen will - wie bereits ausgeführt - eine Anmerkung den Regelungsgehalt einer Tarifbestimmung nicht aufheben; da in § 5 Ziff. 1 LGRTV die Befugnis zur Einführung der Entlohnungsart geregelt ist, so ist davon auch die Befugnis zur Änderung der bisherigen Entlohnungsart erfasst und diese Möglichkeit soll und kann durch die Anmerkung nicht wieder aufgehoben werden. Die Anmerkung will nur den Rechtsrahmen erläutern und weist somit - der Rechtslage entsprechend - im letzten Absatz darauf hin, dass die "ständige" Überführung in den Zeitlohn entweder durch Vereinbarung oder durch Änderungskündigung erfolgen kann und drückt damit im Umkehrschluss die bestehende Rechtslage aus, dass bei nicht ständiger Überführung diese mit Wirkung für die einzelnen Arbeitnehmer -auch außerhalb einer Vereinbarung oder einer Änderungskündigung - mit dem gesetzlich zulässigen Instrumentarium durchgeführt werden kann, also durch eine Betriebsvereinbarung, die gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG für den betroffenen einzelnen Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend wirkt.

e) Die Betriebsparteien konnten mit der Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 den bisherigen Akkordlohn wirksam ablösen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG können die Betriebsparteien eine Angelegenheit, die sie durch Betriebsvereinbarung geregelt haben, unter Aufhebung dieser Vereinbarung für die Zukunft neu regeln. Es gilt das Ablösungsprinzip. Die neue Betriebsvereinbarung tritt an die Stelle der bisherigen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die neue Regelung für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Soweit in bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten (vgl. BAG AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; BAG vom 24.08.2004 1 AZR 419/03). Im Verhältnis einer Betriebsvereinbarung zu individualvertraglichen Absprachen gilt allerdings das Günstigkeitsprinzip (vgl. BAG GS AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972; vom 24.08.2004 1 AZR 419/03). Das Günstigkeitsprinzip kommt aber nicht zur Anwendung, wenn die Arbeitsvertragsparteien ihr Arbeitsverhältnis "betriebsvereinbarungsoffen" gestaltet haben, also keine individualrechtlichen Vereinbarungen getroffen haben, die gegenüber der Betriebsvereinbarung günstiger sind.

Im vorliegenden Falle fehlt eine arbeitsvertragliche Vereinbarung der Parteien, dass die Klägerin in Akkordlohn vergütet wird; die Klägerin wurde bisher nur im Akkordlohn vergütet, weil in der Vergangenheit eine entsprechende Betriebsvereinbarung bestand. Damit konnte die bisherige Betriebsvereinbarung auch mit Wirkung gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG für und gegen die Klägerin durch die neue Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 abgelöst werden.

f) Die mit der Betriebsvereinbarung Nr. 01 vorgenommene Umstellung von Akkordlohn auf Zeitlohn hält auch einer Überprüfung nach den Maßstäben des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG stand. Bereits wegen der tariflichen Gleichwertigkeit der verschiedenen Lohnformen in § 5 Ziff. 1 LGRTV ist es nicht zu beanstanden, dass die Betriebsparteien trotz der damit verbundenen Lohnminderung zum Zeitlohn übergegangen sind (vgl. hierzu auch BAG vom 24.08.2004 1 AZR 419/03). Ferner kommt im vorliegenden Falle hinzu, dass bereits in der Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 in Ziffer 4 eine Besitzstandsregelung getroffen wurde, um die finanzielle Einbuße, die mit dem Übergang von Akkordlohn in den Zeitlohn verbunden ist, abzufedern. Ferner ist zu berücksichtigen, dass mit dem Übergang vom Leistungs- zum Zeitlohn in der Regel eine geringere Belastung der Arbeitnehmer verbunden ist.

g) Damit wurde der Übergang von Akkordlohn in den Zeitlohn ab 01.07.2005 bereits durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 bewirkt. Die Änderungskündigung vom 28.07.2005, die nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten nur für den Fall ausgesprochen wurde, dass die Änderung der Entlohnungsform nicht bereits durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 erfolgt ist, geht somit ins Leere. So wurde die Vergütung der Klägerin für die Zeit ab 01.07.2005 auch bereits nach der Regelung in der Betriebsvereinbarung vom 24.06.2005 behandelt; die Klägerin hat bereits ab 01.07.2005 den Zeitlohn gemäß der Regelung in Ziffer 4 der Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 erhalten und der Differenzbetrag von € 455,-- brutto monatlich wurde zum 01.07.2005 um ein Drittel gekürzt; zum 01.10.2005 erfolgte eine weitere Kürzung um ein Drittel und ab 01.01.2005 erfolgte die letzte Kürzung um ein weiteres Drittel. Da somit die ausgesprochene Änderungskündigung vom 28.07.2005 zum 31.10.2005 wegen den bereits vorher durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 eingetretenen Rechtsänderungen keine Wirksamkeit mehr entfalten konnte, ist die Änderungskündigungsschutzklage gegen diese Änderungskündigung unbegründet; der Feststellungsantrag zu Ziff. 1 der Klage wurde somit zutreffend als unbegründet abgewiesen.

2. Damit war auch der Feststellungsantrag Ziff. 2 der Klage abzuweisen, da durch die Betriebsvereinbarung Nr. 01 vom 24.06.2005 wirksam die Arbeitsbedingungen - hier konkret der Lohn - abgeändert wurden.

3. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Berufungsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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