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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 22.06.2004
Aktenzeichen: 1 TaBV 6/04
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG, EntgeltTV Post, Zuordnungstarifvertrag


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
EntgeltTV Post § 10 F
Zuordnungstarifvertrag § 3
1) Die Zuständigkeit für die Ausgestaltung einer tarifvertraglich vorgesehenen "KannLeistung" der Arbeitgeberin (hier: variable Zulage für Verkaufsstellenverwalter der Post = VSV-Zulage) darf im Tarifvertrag dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen werden.

2) Das gesetzliche Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geht indessen nicht unter, wenn das tariflich hierfür vorgesehene betriebsverfassungsrechtliche Gremium nicht mehr besteht. Der Wegfall des Gesamtbetriebsrats infolge der Unternehmensspaltung in 11 Regionalgesellschaften führt daher nicht zu einer mitbestimmungsfreien Ausgestaltung der VSV-Zulage durch die Arbeitgeberin.

3) Fällt der Gesamtbetriebsrat infolge einer gesellschaftsrechtlichen Umgestaltung (hier: Aufspaltung der Deutschen Post Service- und Vertriebsgesellschaft in elf eingenständige regional Vertriebs GmbHs) fort, kann das fortbestehende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dann dem Konzernbetriebsrat oder dem örtlichen Betriebsrat der Regionalgesellschaft zustehen.

4) Ist die tarifliche vorgesehene freiwillige Zahlung auf längere Sicht nicht zu erwarten, besteht für den Betriebsrat kein Mitgestaltungsrecht im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 10 und damit kein Anrufungsrecht nach § 87 Abs. 2 i. V. m. § 76 Abs. 5 BetrVG.


Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

1 TaBV 6/04

Verkündet am: 22. Juni 2004

In dem Beschlussverfahren

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 22. Juni 2004 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Prof. Dr. Lipke

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats (Bet. zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 13. Januar 2004 - 4 BV 13/03 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob zur Ausgestaltung einer tarifvertraglich vorgesehenen variablen Zulage für Verkaufsstellenverwalter (im Folgenden: VSV-Zulage) im Betrieb der Beteiligten zu 2) eine Einigungsstelle einzurichten ist.

In dem für den Betrieb einschlägigen Entgelttarifvertrag zwischen der Gewerkschaft ver.di und der D. P. S-. u. V-GmbH heißt es auszugsweise in § 10 F:

" (2) In der Gehaltsgruppe 5 kann zusätzlich zu der unter Abs. 1 aufgeführten Vergütung eine individuelle variable Zulage in Höhe von bis zu 300,- DM in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Ergebnis gezahlt werden. Die nähere Ausgestaltung erfolgt unter Beteiligung des GBR. ..."

Die dazu geschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung vom 01.12.1999 wurde befristet in Kraft gesetzt bis zum 31.12.2000 (Bl. 8 - 15 d. A.); die Gesamtbetriebsvereinbarung wurde zweimal um jeweils ein Jahr verlängert, zuletzt für das Jahr 2002. Nachdem der Gesamtbetriebsrat aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Spaltung der vormals einheitlich bundesweit tätigen D. P-. u. V mbH nicht mehr bestand, wurden zunächst zwischen der Beteiligten zu 2) einerseits und der Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte andererseits (im Folgenden: AG Betriebsräte) über die Zukunft der VSV-Zulage verhandelt. Mit Schreiben der D. P. R. S. GmbH wurden die Verhandlungen mit Schreiben vom 07.01.2004 (Bl. 32 d. A.) zunächst eingestellt, mit Schreiben vom 29.01.2004 (Bl. 66 d. A.) sodann wieder aufgenommen. In einem weiteren Schreiben D. P. R. S. GmbH vom 10.06.2004 wurde mitgeteilt, dass die Arbeitgeberin nicht mehr bereit sei, über eine VSV-Zulage zu verhandeln (vgl. Bl. 80 d. A.).

Zu den Aufgabenstellungen der Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte bestimmt § 3 Abs. 2 des Zuordnungstarifvertrages vom 16.01.2003:

§ 3

" Bildung einer Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte ...

(2) Die Arbeitsgemeinschaft dient der Koordination und Steuerung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit der Betriebsräte und bietet ein Forum zur unternehmensübergreifenden Beratung und Abstimmung der Wahrnehmung von Beteiligungsrechten."

Das Arbeitsgericht Hannover hat den Antrag des örtlichen Betriebsrats ( Beteiligter zu 1) ) zurückgewiesen, da die angerufene Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, der einschlägige Entgelttarifvertrag sehe in § 10 F für die Ausgestaltung der freiwillig zu zahlenden individuellen Zulage (sic: VSV-Zulage) nur die Beteiligung des Gesamtbetriebsrats vor. Nachdem dieser aufgrund der Spaltung der vorher bundeseinheitlich geführten Vertriebsgesellschaft in 11 regionale Gesellschaften nicht mehr zur Verfügung stehe, seien zu weiteren Verhandlungen weder die zwischenzeitlich gebildete AG-Betriebsräte noch der antragstellende Betriebsrat beteiligungsbefugt. Die zur VSV-Zulage bis Ende 2002 bestehende Betriebsvereinbarung könne daher nicht durch den örtlichen Betriebsrat neu verhandelt werden. Die Tarifvertragsparteien müssten zuvor die Regelungsbefugnis vom Gesamtbetriebsrat auf einen anderen Verhandlungspartner übertragen. Zu den Einzelheiten der Beschlussgründe und dem Vorbringen der Beteiligten in 1. Instanz wird auf Bl. 38 - 42 d. A. Bezug genommen.

Gegen den ihm am 16. Januar 2004 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat am 28. Januar 2004 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Betriebsrat vertritt die Rechtsauffassung, dass die zuvor dem Gesamtbetriebsrat zustehende Regelungskompetenz nach der unternehmensrechtlichen Spaltung den örtlichen Betriebsräten zugefallen sei. Die zwischenzeitliche Wiederaufnahme der Verhandlungen zum Regelungsgegenstand mit der AG-Betriebsräte zeige, dass die Arbeitgeberin die örtlichen Betriebsräte als Ansprechpartner gesehen habe und von daher eine offensichtliche Unzuständigkeit der angerufenen Einigungsstelle nicht gegeben sei. Dem bisherigen, über die D. P. R. S. GmbH geführten Schriftwechsel zwischen den Beteiligten lasse sich jedenfalls nicht entnehmen, dass in Zukunft die VSV-Zulage definitiv nicht mehr gezahlt werden solle. Die Einstellung der mit der AG-Betriebsräte geführten Verhandlungen rühre daher, dass - insoweit unstreitig - eine konzernweit zu zahlende Vertriebszulage geplant sei, in die ggf. eine VSV-Zulage aufgehe.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 13.01.2004 abzuändern und

1. den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Niedersachsen P... zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Zahlung einer variablen Zulage für Verkaufsstellen weil Verwalter bei der Antragsgegnerin" zu bestellen;

2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf 3 festzusetzen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin ( Beteiligte zu 2) ) hält den Betriebsrat weiterhin für unzuständig mit ihr über die Ausgestaltung der VSV-Zulage zu verhandeln. Ausweislich § 3 des Zuordnungstarifvertrages sei eine Abschlusskompetenz der AG-Betriebsräte im Jahr 2003 entfallen. Dieser Umstand sei dem antragstellenden Betriebsrat bei den gleichwohl fortgesetzten Verhandlungen mit der AG-Betriebsräte bekannt gewesen. Er könne deshalb nun nicht darauf seine eigene Verhandlungszuständigkeit gründen. Die insoweit mit Schreiben vom 22.10.2003 bevollmächtigte D. P. R. S. GmbH (Bl. 63 d. A.) habe für die Beteiligte zu 2) am 07.01.2004 schriftlich verbindlich erklärt (Bl. 32 d. A.) dass ihr Angebot auf eine Zahlung von VSV-Zulagen zurückgenommen werde. Es sei davon auszugehen, dass eine Zahlung dieser Zulage in Zukunft nicht mehr beabsichtigt sei.

Im Übrigen wird auf das zweitinstanzliche Vorbringen der Beteiligten, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze vom 27. Januar, 20. Februar, 24. April und 25. Mai 2004 nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift zur Anhörung vom 22. Juni 2004 verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen. Die Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig, denn ihr Tätigwerden setzt ein Mitbestimmungsrecht des antragstellenden Betriebsrates voraus, das an die beabsichtigte Zahlung einer Kann-Leistung der Arbeitgeberin gebunden ist. Da eine solche Zahlung auf absehbare Zeit nicht mehr zu erwarten ist, fehlt es bei der Ausgestaltung einer freiwilligen Leistung der Arbeitgeberin an einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

1.

Dem Arbeitsgericht Hannover ist im Ansatz zu folgen, wenn es darauf abstellt, dass die Ausgestaltung der tariflichen Kann-Leistung einer VSV-Zulage im Entgelttarifvertrag zu § 10 F Ziff. 2 ausdrücklich dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen worden ist. Diese tarifvertragliche Bestimmung verdeutlicht zum einen die Freiwilligkeit der Leistung und weist zum anderen - für den Fall einer Zahlung - die Ausgestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dem Gesamtbetriebsrat zu. Damit wird erkennbar die unternehmenseinheitliche Ausgestaltung der Zulage gesichert, was auch auf der Ebene der Betriebsverfassung ein anerkennenswertes Ziel ist (vgl. BAG 18. Oktober 1994 1 ABR 17/94 = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 47). Eine derartige Einschränkung kann deshalb tarifvertraglich bestimmt werden.

Das gesetzliche Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geht indessen nicht unter, wenn das tariflich hierfür vorgesehene betriebsverfassungsrechtliche Gremium nicht mehr besteht. Der Wegfall des Gesamtbetriebsrats infolge der Unternehmensspaltung in 11 Regionalgesellschaften führt daher nicht zu einer mitbestimmungsfreien Ausgestaltung der VSV-Zulage durch die Arbeitgeberin. Nachdem die AG-Betriebsräte gem. § 3 des Zuordnungstarifvertrages keine Regelungsbefugnis, sondern nur noch eine Beratungsbefugnis in unternehmensübergreifenden Angelegenheiten besitzt, können zukünftig - vorbehaltlich einer tariflichen Neuregelung - deshalb nur der örtliche Betriebsrat oder der Konzernbetriebsrat als Inhaber des Mitbestimmungsrechts angesehen werden. Der bestehende Konzernbetriebsrat kann hier nach § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG - auch anstelle eines nicht vorhandenen Gesamtbetriebsrats - konzernweit zu regelnde Angelegenheiten aus eigener Kompetenz für alle konzernangehörigen Unternehmen mitgestalten. Besteht kein Gesamtbetriebsrat, so sind für die Einrichtung des Konzernbetriebsrats die örtlichen Betriebsräte zuständig (§ 54 Abs. 2 BetrVG). Fehlt ein Konzernbetriebsrat, so wären die Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vom örtlichen Betriebsrat auszuüben.

Die Beteiligungsbefugnis (besser Beteiligtenfähigkeit) des antragstellenden Betriebsrats ist - anders als vom Arbeitsgericht angenommen - nicht fragwürdig. Solange der Beteiligte zu 1) um eigene betriebsverfassungsrechtliche oder mitbestimmungsrechtliche Befugnisse streitet, ist er beteiligungsfähig. Ob ihm die beanspruchten Rechte zustehen, ist eine Frage der Antragsbefugnis oder Begründetheit seines Antrags (vgl. GMPM-G/Matthes ArbGG 4. Aufl. § 10 Rz 17 ff, § 83 Rz 12 ff).

Von daher kann die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht mit einer ggf. mangelnde Regelungskompetenz des antragstellenden Betriebsrats begründet werden.

2.

Die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nur zum Tragen kommt, wenn eine Zahlung freiwilliger Leistungen noch möglich ist. Nachdem die Arbeitgeberin die Verhandlungen mit der AG-Betriebsräte abgebrochen hat und nunmehr auf Verhandlungen mit dem Konzernbetriebsrat zu einer allgemeinen Vertriebszulage setzt, ist auf längere Zeit mit der freiwilligen Zahlung einer VSV-Zulage nicht mehr zu rechnen. Dies ergibt sich aus dem in der Niederschrift zum Anhörungstermin vom 22. Juni 2004 dokumentierten Auszug des Schreibens der bevollmächtigten D. P. R. S. GmbH vom 10.06.2004. Ist demnach die tariflich vorgesehene freiwillige Zahlung auf längere Sicht nicht zu erwarten, besteht für den Betriebsrat kein Mitgestaltungsrecht im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 10 und damit kein Anrufungsrecht nach § 87 Abs. 2 i. V. m. § 76 Abs. 5 BetrVG. Eine vorsorgliche Regelung in der Einigungsstelle würde auf ein Gutachten für "den Fall der Fälle" hinauslaufen. Hierfür ist das erzwingbare Einigungsstellenverfahren nicht gedacht; den Beteiligten bleibt dann nur der Weg eines freiwilligen Einigungsstellenverfahrens (vgl. Fitting BetrVG 21. Aufl. § 76 Rz 78 ff). Auf ein freiwilliges Einigungsstellenverfahren will sich die Arbeitgeberin jedoch nicht einlassen. Dies hat sie im Anhörungstermin deutlich bekundet.

3.

Eine Gerichtskostenentscheidung ist mit Rücksicht auf § 12 Abs. 5 ArbGG nicht zu treffen.

Diese Entscheidung ist nach § 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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