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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 10.01.2003
Aktenzeichen: 10 Sa 1116/02
Rechtsgebiete: BMT - AW


Vorschriften:

BMT - AW
Anspruch auf die Zulage gemäß Protokollnotiz Nr. 1 des Abschnitts B des Bundesmanteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW) für die Grund- und Behandlungspflege von Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen besteht nur, wenn der Arbeitnehmer / die Arbeitnehmerin zeitlich überwiegend Krankenpflege verrichtet.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 1116/02

Verkündet am: 10. Januar 2003

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgerichts Spelge und die ehrenamtlichen Richter Mülken und Dicke

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 16.05.2001 - 1 Ca 662/01 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Anspruch auf die Weitergewährung einer Zulage.

Die Klägerin ist in dem von dem Beklagten betriebenen Altenwohnzentrum tätig. Gemäß Ziffer 9 des Arbeitsvertrages finden die Bestimmungen des für die Arbeiterwohlfahrt geltenden Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (künftig: BMT-AW) in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung. Die Klägerin ist eingruppiert in die Vergütungsgruppe KrT V. Sie ist teilzeitbeschäftigt.

Der Beklagte zahlte an die Klägerin seit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses eine monatliche "Geriatriezulage" in Höhe von 45,00 DM. Gemäß Protokollerklärung Nr. 1 des Abschnitts B des BMT-AW erhalten diese Zulage Pflegepersonen der Vergütungsgruppe AW-KrT I bis VIII, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen ausüben.

Die Klägerin ist im Wohnbereich und im Erdgeschloss des Altenwohnzentrums tätig. Dort wohnen 37 Personen, von denen 15 in die Pflegestufe 3 eingestuft sind. Die Bewohner sind überwiedend demenzkrank. Sämtliche Bewohner werden von ihren Hausärzten ärztlich betreut und erhalten Medikamente, die überwiegende Anzahl ist inkontinent. Bei vielen Bewohnern sind Blutdruck und Blutzuckerspiegel zu messen. Bei einigen ist Insulin zu verabreichen oder sind Dauerkatheter zu beobachten und zu wechseln. Hinsichtlich der Einzelheiten der Erkrankungen wird auf die von der Klägerin zur Akte gereichten Stammblätter (Hülle, Bl. 64 d. A.) und die Bewohnerliste (Bl. 62/63 d. A.) Bezug genommen. Die Klägerin ist nicht für die Betreuung einzelner Bewohner zuständig, sondern betreut zusammen mit 4 anderen Arbeitnehmern in der Frühschicht wechselnde Bewohner. Dabei betreut sie jeweils etwa 10 Wohnheimbewohner aus der Gesamtzahl von 38.

Der Tagesablauf der Klägerin gestaltet sich wie folgt:

Frühdienst

06.30 Uhr bis 0.645 Uhr

Übergabe durch Nachtdienst an den Tagdienst

06.45 Uhr bis 08.00 Uhr

Grundpflege (Waschen, Duschen, Inkontinenzversorgung, Toilettengänge, Mobilisation, Verbandwechsel, RR und BZ-Kontrollen, Insulinspritzen, Entnahme von Urinproben, Verteilung der Medikamente, Vorbereitung Sondenkosten)

08.00 Uhr bis 09.00 Uhr

Verteilen von Frühstück, anreichen, Kontrolle der Nahrungsaufnahme, bei einigen Bewohnern Verabreichung der Medikamente, Verabreichung von Sondennahrung

09.00 Uhr bis 10.00 Uhr

Frühstückspause in zwei Gruppen BT durch Pflegekraft

10.00 Uhr bis 11.15 Uhr

Grundpflege (Waschen, Duschen, Mobilisation)

11.15 Uhr bis 11.30 Uhr

Dokumentation

Bei ihrer Tätigkeit unterliegt die Klägerin den Arbeitszeitvorgaben des Beklagten, die sich aus den Pflegestandards für die Allgemeine Pflege (AP) und aus den Pflegestandards Spezielle Pflege (SP), auf die Bezug genommen wird (Bl. 58 bis 60 d. A.), ergeben. Auf den Arbeitsnachweis der Klägerin für Januar 2002, aus dem sich die für den Bereich der Allgemeinen Pflege und der Speziellen Pflege jeweils aufgewendeten Zeiten ergeben, wird Bezug genommen (Bl. 61 d. A.).

Der Beklagte hat unter Berufung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.12.1999 (AP Nr. 16 zu § 33 a BAT) die Zahlung der Geriatriezulage mit Wirkung seit dem 01.04.2001 eingestellt. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin die Weiterzahlung dieser Zulage.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 16.05.2002 der Klage stattgegeben.

Die Klägerin habe Anspruch auf die begehrte Zulage, weil alle von ihr betreuten Personen Kranke im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien. Die Protokollerklärung verlange nicht, dass mehr als 50 % der pflegerischen Tätigkeit tatsächlich Krankenpflege sei.

Gegen dieses ihm am 02.07.2002 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner am 29.07.2002 eingelegten und am 02.09.2002 begründeten Berufung.

Der Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin stehe die Geriatriezulage nicht zu. Er betreibe keine geriatrische Abteilung, sondern unterhalte lediglich Altenpflegeabteilungen. Anspruch auf diese Zulage bestehe nur, wenn die Krankenpflege mindestens 51 % der Arbeitszeit ausmache. Dies sei nicht der Fall.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 16.05.2002 - 1 Ca 662/01 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, ihr stehe die begehrte Zulage zu. Bei den Patienten auf den von der Klägerin zu betreuenden Stationen handele es sich überwiegend um Kranke im Sinne der Protokollerklärung. Jedenfalls habe sie bereits deshalb Anspruch auf die Weitergewährung der Zulage, weil der Beklagte diese seit vielen Jahren ohne Einschränkung geleistet habe. Ihr stehe daher nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung weiterhin diese Zulage zu. Außerdem sei die Maßnahme unwirksam, weil der Beklagte das betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG nicht durchgeführt habe.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO). Sie ist auch begründet. Der Klägerin steht die Zulage nach der Protokollnotiz Nr. 1 Abs. 1 lit. c des Abschnitts B des BMT-AW (künftig: Geriatriezulage) über den 31.03.2001 hinaus nicht zu.

I.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung der Geriatriezulage aus der Protokollnotiz Nr. 1 Abs. 1 lit. c Abschnitt B BMT-AW selbst.

1.

Die Klägerin verrichtet Grund- und Behandlungspflege im tariflichen Sinn.

Insoweit wird auf die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 15.12.1999 (10 AZR 638/98, AP Nr. 16 zu § 33 a BAT <II 2 a der Gründe>) verwiesen.

2.

Die Klägerin übt diese Pflege jedoch nicht zeitlich überwiegend bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen aus.

a)

Die Geriatriezulage wird gewährt, sofern die Grund- und Behandlungspflege "zeitlich überwiegend" bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen ausgeübt wird. Voraussetzung für den Anspruch auf Gewährung dieser Zulage ist daher, dass die Krankenpflege die allgemein als Altenpflege bezeichnete Tätigkeit arbeitszeitlich überwiegt. Ausschlaggebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Protokollnotiz damit nicht, ob die Mehrzahl der Betreuten krank im tariflichen Sinne ist, sondern ob die Arbeitszeit überwiegend für die Krankenpflege aufgewendet wird. Nur dann liegt die von den Tarifvertragsparteien als Grundlage für die Gewährung der Zulage angenommene Erschwernis vor.

b)

Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie zeitlich überwiegend Krankenpflege verrichtet.

aa)

Krankenpflege ist eine Pflege, deren Ziel es ist, eine Krankheit zu beheben oder ihre Verschlimmerung nach Möglichkeit zu vermeiden bzw. zu verlangsamen oder die Auswirkungen einer Krankheit auf das körperliche und seelische Wohlbefinden des Kranken zu lindern. Altenpflege liegt dagegen vor, sofern Heimbewohner in Alters- und Pflegeheimen aufgrund ihres Alters und des damit verbundenen Nachlassens ihrer geistigen und körperlichen Kräfte sowie aufgrund zunehmender Gebrechlichkeit der Pflege und Betreuung bedürfen (vgl. BAG a.a.O. <II 2 c bb der Gründe>).

bb)

Die Klägerin verrichtet überwiegend Altenpflege im vorstehend genannten Sinn. Die aus ihrem Tagesablauf ersichtlichen Aufgaben sind die einer typischen Altenpflegerin. Die Klägerin verrichtet, wie aus dem von ihr für Januar 2002 zur Akte gereichten Arbeitsnachweis (Bl. 61 d. A.) ersichtlich ist, weit überwiegend Tätigkeiten im Bereich der "Allgemeinen Pflege". Bei diesen Tätigkeiten (Bl. 58 f. d. A.) handelt es sich um Altenpflege. Allenfalls die "Spezielle Pflege" (Bl. 60 d. A.) kann als Krankenpflege angesehen werden. Die Klägerin hat jedoch ausweislich ihres Arbeitsnachweises im Januar 2002 dafür nur 4 Stunden und 9 Minuten bei einer Gesamtarbeitszeit von 58,5 Stunden aufgewendet. Sie verrichtet damit überwiegend Alten- und nicht Krankenpflege. Dies wird dadurch bestätigt, dass eine ständige medizinische Betreuung der von der Klägerin betreuten Heimbewohner durch einen bei dem Beklagten beschäftigten Arzt nicht ersichtlich ist, sondern offenkundig eine Betreuung durch den jeweiligen Hausarzt erfolgt. Die Klägerin hat damit keinen Anspruch auf die begehrte Zulage.

II.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Geriatriezulage unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung.

Der Beklagte hat die Geriatriezulage lediglich deshalb gezahlt, weil er der Auffassung war, dazu tariflich verpflichtet zu sein. Eine betriebliche Übung erwächst daraus nicht (vgl. BAG, 31.01.1969, 3 AZR 439/68, AP Nr. 26 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG).

III.

Der Klägerin steht die Geriatriezulage auch nicht etwa deshalb zu, weil das Mitbestimmungsrecht des bei dem Beklagten bestehenden Betriebsrats missachtet worden wäre. Die Geriatriezulage ist eine bloße Erschwerniszulage (vgl. BAG, 15.12.1999, a.a.O. <II 2 c dd der Gründe>). Die Entscheidung über die Gewährung einer solchen Erschwerniszulage ist nicht mitbestimmungspflichtig (vgl. BAG, 02.04.1996, 1 ABR 50/95, AP Nr. 7 zu § 99 BetrVG 1972 - Eingruppierung <B II 1 a und b der Gründe>).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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