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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 03.02.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 1378/05 B
Rechtsgebiete: BeamtVÜV


Vorschriften:

BeamtVÜV § 3
§ 3 BeamtVÜV gilt auch für einen Dienstordnungsangestellten, der das Dienstordnungsverhältnis mit einem Sozialversicherungsträger im alten Bundesgebiet beendet hat, mehr als ein Jahr Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet geleistet hat und anschließend unter Beendigung des Dienstordungsverhältnisses im Beitrittsgebiet und unter Begründung eines neuen Dienstordnungsverhältnisses mit einem Sozialversicherungsträger ins alte Bundesgebiet zurückkehrt, wenn dort der Versorgungsfall eintritt.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 1378/05 B

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 3. Februar 2006 durch

die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Spelge, den ehrenamtlichen Richter Herrn Beinlich, den ehrenamtlichen Richter Herrn Bieck für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 20.05.2005 - 7 Ca 707/04 B - wird kostenpflichtig nach einem Wert von 8.281,08 € zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden Ruhegehaltssatzes.

Der 1964 geborene Kläger war seit dem 01.08.1980 zunächst als Auszubildender, anschließend als Dienstordnungsangestellter bei der A...in L... tätig. Dort beendete er das Arbeitsverhältnis zum 30.06.1991 und schloss mit Wirkung zum 01.07. 1991 einen neuen Arbeitsvertrag als Dienstordnungsangestellter mit der A... in M... (neues Bundesland). Dort wiederum schied er zum 15.10.1994 aus und wurde zum 16.10.1994 als Dienst-ordnungsangestellter von der Beklagten eingestellt. Zuletzt war er Regionaldirektor der Regionaldirektion E...-N... mit einer Besoldung nach der Besoldungsgruppe A 15. Zum 30.06.2004 wurde er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die Beklagte berechnete das Ruhegehalt am 06.07.2004. Auf die Berechnung (Bl. 7 bis 10 d. A.) wird verwiesen. Sie berücksichtigte dabei auch die vom Kläger bei A... L... und bei der A... M... zurückgelegten Dienstzeiten einfach und errechnete einen Ruhegehaltssatz von 68,23 %.

Der Kläger begehrt mit seiner am 25.01.2004 erhobenen Klage die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm ab Beginn des Ruhestandes ein Ruhegehalt auf Basis eines Ruhegehaltssatzes von 74,40 % zu zahlen. Streitbefangen ist allein die Auslegung der Vorschrift des § 3 der Verordung über beamtenversorgungsrechtliche Übergangs-regelungen nach Herstellung der Einheit Deutschlands (Beamtenversorgungs-Übergangsverordnung-BeamtVÜV) in der Neufassung vom 19.03.1993 (BGBl. I, S. 369). Danach wurde bis zum 31.12.1995 die Zeit der Verwendung eines Beamten aus dem früheren Bundesgebiet zum Zwecke der Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet doppelt als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt, sofern sie ununterbrochen mindestens ein Jahr dauerte. Der Vorstand der A... M... beschloss am 01.11.1993, dass die BeamtVÜV auf die Dienstordnungsangestellten der A... M... Anwendung finde, und bescheinigte dem Kläger mit Schreiben vom 22.02.2002, auf das verwiesen wird (Bl. 18 d. A.), dass er vom 01.07.1991 bis zum 15.10.1994 Aufbauhilfe im Sinne des § 3 BeamtVÜV geleistet habe. Er war mit der Schaffung bzw. dem Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen aufbau- und ablauforganisatorischer Art in sämtlichen Bereichen der A... M... beschäftigt. Ferner hatte er vorhandene Strukturen umzugestalten, da die vorhandenen Strukturen denen einer mittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechtes nicht genügten. Ihm oblag die systematische Schaffung neuer "A...-Strukturen", wobei dies unter erschwerten räumlichen und personellen Bedingungen geschah. Hinsichtlich der Einzelheiten der Tätigkeit des Klägers wird auf das Schreiben der A... M... vom 21.06.2004 (Bl. 16 f. d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses ihr am 18.07.2005 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 11.08.2005 eingelegten und am Montag, dem 19.09.2005 begründeten Berufung. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass für den Kläger die BeamtVÜV bereits gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung nicht gelte, weil er nach M... weder abgeordnet noch versetzt worden sei, sondern dorthin freiwillig zum Zwecke des beruflichen Aufstiegs gewechselt sei. Daraus folge zugleich, dass nur bei solchen Beamten die Dienstzeiten im Beitrittsgebiet bis zum 31.12.1995 bei der Errechnung des Ruhegehaltssatzes doppelt erfasst würden, die bis zum Eintritt des Ruhestandes im Beitrittsgebiet verblieben seien. Aus § 2 Nr. 12 BeamtVÜV ergebe sich, dass eine Doppelanrechnung ausscheide.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 20.05.2005 - 7 Ca 707/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 BeamtVÜV diese Verordnung auch ihn erfasse. Er meint, dass aus Sinn und Zweck der Verordnung, wie er sich der amtlichen Begründung entnehmen lasse, folge, dass der Gesetzgeber gerade zeitweilige Tätigkeiten mit einer anschließenden Rückkehr in das alte Bundesgebiet habe honorieren wollen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Zeit der Tätigkeit des Klägers für die A... M... vom 01.07.1991 bis zum 15.10.1994 ist gemäß § 3 Abs. 1 BeamtVÜV doppelt als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich ein Ruhegehaltssatz von 74,40 %, was auf den Antrag des Klägers festzustellen war.

I.

Als Dienstordnungsangestellter stand der Kläger in einem Dienstverhältnis, das dem eines niedersächsischen Landesbeamten auf Lebenszeit entspricht (§ 15 Abs. 1 DO-AOK Niedersachsen). Die Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes und damit die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 107 a BeamtVG erlassene BeamtVÜV finden damit grundsätzlich Anwendung auf das Rechtsverhältnis der Parteien.

II.

Der Kläger erfüllt alle Anspruchsvoraussetzungen des § 3 BeamtVÜV:

1.

Der Kläger unterfällt dem Geltungsbereich der BeamtVÜV. Er ist im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung wiederernannt worden. Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn ein im bisherigen Bundesgebiet bestehendes, aktives Beamtenverhältnis mit Anspruch auf Dienstbezüge beendet worden ist und anschließend ein neues Dienstverhältnis im Beitrittsgebiet begründet worden ist (Rundschreiben des BMI vom 26.11.1991 <D III 3-223 700/1>, Bl. 76 d. A.), also der Dienstherr gewechselt worden ist (vgl. Kümmel/ Ritter, BeamtVG, Anhang 2/13 zu § 3 BeamtVÜV, Anm. 3). Unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines Dienstordnungsverhältnisses ist die Beendigung des privat-rechtlichen Anstellungsverhältnisses mit der A... L... und die Neubegründung eines Anstellungsverhältnisses als Dienstordnungsangestellter mit der A... M... als "Wiederernennung" anzusehen.

2.

Der Kläger unterfällt auch dem persönlichen Geltungsbereich des § 3 BeamtVÜV. Auch für die im Beitrittsgebiet wiederernannten Beamten gilt § 3 der Verordnung (Rundschreiben des BMI vom 19.10.1994 <D III 3-223 700/1 zu 4.3>, Bl. 87 d. A.).

3.

Der Kläger ist zwischen dem 01.07.1991 und dem 15.10.1994 auch zum Zwecke der Aufbauhilfe verwendet worden.

a)

Aufbauhilfe im Sinne des § 3 Abs. 1 BeamtVÜV ist Hilfe beim Aufbau neuer oder bei der Umgestaltung vorhandener, jedoch den Anforderungen einer rechtsstaatlichen und effektiven Verwaltung nicht genügender organisatorischer Strukturen (vgl. BVerwG, 10.06. 1999, 2 C 3/99, ZTR 1999, S. 578, Rz. 16). Ausweislich des Schreibens der A... M... vom 21.06.2004 oblag dem Kläger die Schaffung und der Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen bzw. die Umgestaltung von Verwaltungsstrukturen, die den Strukturen einer mittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechtes nicht genügte. Er hatte unter erschwerten räumlichen und personellen Bedingungen systematisch Verwaltungsstrukturen zu schaffen, die den Verwaltungsanforderungen moderner Sozialversicherungsträger genügten. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Tätigkeit des Klägers ausweislich dieses Schreibens unter besonders erschwerten Bedingungen und Verhältnissen, wie sie im alten Bundesgebiet nicht vorhanden waren, ausgeübt wurde (vgl. Rundschreiben des BMI vom 19.10.1994 zu 4.1, Bl. 86 d. A.).

b)

Der Kläger ist im Beitrittsgebiet dienstlich im Rahmen eines Dienstordnungsverhältnisses als Teil des Stammpersonals einer Dienststelle eingesetzt worden. Die Zeit vom 01.07. 1991 bis zum 15.10.1994 ist unstreitig im Sinne des § 6 BeamtVG ruhegehalts-fähig. Der Kläger ist deshalb auch im Sinne von § 3 Abs. 1 BeamtVÜV im Beitrittsgebiet verwendet worden (vgl. Kümmel/Ritter, a.a.O., § 3 BeamtVÜV, Anm. 4).

4.

Schließlich ist es entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung unschädlich, dass der Kläger seit dem 16.10.1994 nicht mehr im Beitrittsgebiet tätig gewesen ist, sondern zur Beklagten als neuer Dienstherrin in das alte Bundesgebiet zurückgewechselt ist, wo der Versorgungsfall eingetreten ist. § 3 BeamtVÜV ist erst durch Art. 1 Nr. 2 der Beamtenversorgungs-Übergangs-Änderungsverordnung vom 24.07.1991 (BGBl. I, S. 1709) rückwirkend zum 16.03.1991 in die BeamtVÜV eingefügt worden. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sollten damit weitere Anreize zum Ableisten von Aufbauhilfe geschaffen werden, indem die Versorgungsregelungen für die im Beitrittsgebiet verwendeten Beamten u. a. durch Doppelanrechung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit für die Dauer der Verwendung verbessert wurden (BRDrucks 216/91 vom 11.04.1991, Zielsetzung A, Lösung B und Begründung zu Nr. 2). Auch bei einer nur vorübergehenden, die geforderte Mindestzeit von einem Jahr überschreitenden Verwendung erfolgt also eine Doppelanrechnung (Kümmel/Ritter, a.a.O., § 3, Anm. 3; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, § 3 BeamtVÜV, Anm. 2). Entgegen der Auffassung der Beklagten spielt es deshalb nach dem Grundsatz der Einheit der Verwaltung keine Rolle, dass der Versorgungsfall bei ihr und nicht im Beitrittsgebiet eingetreten ist.

Aus § 2 Nr. 12 BeamtVÜV folgt entgegen der Auffassung der Beklagten nichts anderes. Durch diese Regelung wird lediglich sichergestellt, dass auch bei den Beamten, die bei Begründung des Dienstvertrages den Regelungen des § 2 Nr. 3 bis 9 BeamtVÜV unterfielen, diese trotz eines Wechsels in das alte Bundesgebiet weiterhin Anwendung finden. Wechselt ein unter den Geltungsbereich der BeamtVÜV fallender Beamter in das alte Bundesgebiet zurück und tritt dort der Versorgungsfall ein, bleibt es somit sowohl bei den aus der Tätigkeit im Beitrittsgebiet erwachsenen Nachteilen im Sinne des § 2 BeamtVÜV als auch bei den versorgungsrechtlichen Vorteilen des § 3 BeamtVÜV. Jede andere Auslegung würde den Zielen, die der Gesetzgeber mit der nachträglichen Einfügung des § 3 Abs. 1 BeamtVÜV verfolgt hat, zuwiderlaufen.

III.

Bei doppelter Berücksichtigung der Zeit der Tätigkeit des Klägers für die A... M... vom 01.07.1991 bis zum 15.10.1994 als ruhegehaltsfähige Dienstzeit erhöht sich der Ruhe-gehaltssatz des Klägers nach Maßgabe der zutreffenden Berechnung in der Klagschrift, auf die Bezug genommen wird (Bl. 4 d. A.), auf 74,40 %. Dem Antrag des Klägers auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung eines Ruhegehalts auf der Basis eines entsprechenden Ruhegehaltssatzes war daher stattzugeben. Dabei bedurfte es keiner besonderen Berücksichtigung des Umstandes im Tenor der Entscheidung, dass dieser Ruhegehaltssatz nicht absolut zu sehen ist, sondern nach Maßgabe der jeweiligen Rechtslage lediglich die Grundlage für die Berechnung des konkreten Ruhegehalts ist. Sollte der Gesetzgeber, wie zu erwarten ist, weitere Kürzungen des Ruhegehaltssatzes auch bei Pensionären vornehmen, kann dies jeweils nur unter Berücksichtigung von Anpassungsfaktoren geschehen, deren Basis dann im Fall des Klägers jeweils 74,40 % sein werden.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

V.

Der Gegenstandswert wurde auf das 36-fache der Differenz zwischen einem Ruhegehalt auf Basis von 74,40 % und von 68,23 % nach dem Stand bei Klagerhebung bemessen.

Die Kammer hat davon abgesehen, die Revision zuzulassen. Nach übereinstimmenden Angaben der Parteien im Termin liegen allenfalls ein bis zwei vergleichbare Fälle vor, bei denen gegenwärtig jedoch noch nicht abzusehen ist, ob es überhaupt auf eine doppelte Berücksichtigung der Beschäftigungszeit im Beitrittsgebiet ankommen wird. Es handelt sich daher um einen Einzelfall, dem die für eine Revisionszulassung erforderliche grundsätzliche Bedeutung fehlt.

Ende der Entscheidung

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