Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 1681/08
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 62 Abs. 1 Satz 2
1. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen arbeitsgerichtliche Titel für den Gläubiger schnell und unkompliziert durchzusetzen sein. Dieser Grundsatz darf nicht durch eine allzu großzügige Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG aufgeweicht werden.

2. Das Ermessen des Gerichts ist insoweit eingeschränkt, als ohne die Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu unterbleiben hat.

3. Bei Vollstreckung wegen Geldforderungen ist ein nicht zu ersetzender Nachteil nur in Ausnahmefällen denkbar. Weder genügt eine mögliche Kreditgefährdung noch die drohende Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung als solche. Sind die Erfolgsaussichten der Berufung offen, führt auch das nicht zu der Annahme eines nicht zu ersetzenden Nachteils. Das gilt im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn der Vollstreckungstitel ohne Zutun des Gläubigers prozessordnungswidrig zustande gekommen ist.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN BESCHLUSS

10 Sa 1681/08

In dem Rechtsstreit

Tenor:

Der Antrag der Klägerin vom 12. Januar 2009 auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 7. Oktober 2008 - 6 Ca 187/08 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Urteil des Arbeitsgerichts, das sie auf die Widerklage zur Rückzahlung von Arbeitsentgelt verurteilt hat.

Die Klägerin war seit dem 1. Juli 2005 als Pflegehelferin bei dem Beklagten beschäftigt. Während zunächst eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden bei einer monatlichen Bruttovergütung von 1.500,00 Euro vereinbart war, ergänzten die Parteien den Arbeitsvertrag am 1. August 2005 dahin, dass die Wochenarbeitszeit nur noch 30 Stunden und die Monatsvergütung noch 1.125,00 Euro brutto betragen sollten. Diese Neuregelung fand auch Eingang in den schriftlichen, am 30. Juni 2006 geschlossenen Arbeitsvertrag der Parteien. Dieser enthält darüber hinaus eine Regelung, der zufolge alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, innerhalb einer Frist von zwei Monaten seit ihrer Fälligkeit geltend zu machen und bei Nichterfüllung binnen weiterer zwei Monate einzuklagen sind. Auch in der Folgezeit erhielt die Klägerin monatlich 1.500,00 Euro brutto als Vergütung. Im April 2008 und danach sprachen beide Parteien außerordentliche Kündigungen des Arbeitsverhältnisses aus.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der arbeitgeberseitigen und die Wirksamkeit ihrer eigenen Kündigung geltend gemacht, Vergütung für die Zeit vom 1. April 2008 bis zum 16. Mai 2008 als Entgeltfortzahlung und Schadensersatz in Höhe von 19.500,00 Euro verlangt. Hilfsweise hat sie unter anderem die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung begehrt, die 18.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte. Wiederum hilfsweise dazu hat sie beantragt festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ihre Kündigung vom 5. Juni 2008 aufgelöst worden ist, und Schadensersatz geltend gemacht, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch einen Betrag in Höhe von 19.500,00 Euro nicht unterschreiten sollte. Ferner hat sie im gleichen Eventualverhältnis ein qualifiziertes Zeugnis begehrt.

Der Beklagte hat widerklagend Zahlung von 11.361,77 Euro brutto nebst Zinsen geltend gemacht und hierzu vorgetragen, er habe am 1. April 2008 bemerkt, dass die Klägerin seit dem 1. August 2005 eine um monatlich 375,00 Euro brutto zu hohe Vergütung beziehe. Die Klägerin habe seit dem 1. August 2005 regelmäßig nicht mehr als 30 Wochenstunden gearbeitet. Im Falle höherer Stundenzahlen sei sie in der Folgezeit entsprechend freigestellt worden.

Im Termin zur Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 4. September 2008 hat ausweislich der Sitzungsniederschrift im Anschluss an die Stellung der Sachanträge der Klägervertreter den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Daraufhin ist beschlossen und verkündet worden, weitere Veranlassung werde von Amts wegen ergehen. Mit Beschluss vom 16. September 2008 hat das Arbeitsgericht das Befangenheitsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 29. September 2008 hat der Vorsitzende Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 7. Oktober 2008 anberaumt. An diesem Tage ist ein Urteil verkündet worden, das unter anderem die Klägerin auf die Widerklage verurteilt hat, an den Beklagten 11.363,77 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. Dieses Urteil ist der Klägerin am 14. Oktober 2008 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 10. November 2008 gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 30. Dezember 2008 begründet.

Zur Begründung ihres Antrages auf Einstellung der Zwangsvollstreckung macht die Klägerin geltend, das Urteil sei nicht in gesetzlicher Weise ergangen. Die mündliche Verhandlung sei bei dessen Verkündung noch nicht geschlossen gewesen; im Termin zur Kammerverhandlung vom 4. September 2008 hätten die Parteien keine Gelegenheit erhalten, mündlich zur Rechtsauffassung des Gerichts Stellung zu nehmen. Es hätte daher neuer Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung, nicht jedoch, wie geschehen, Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt werden müssen. Ein angekündigter Vollstreckungsschutzantrag habe daher nicht mehr gestellt werden können. Das Vorgehen des Arbeitsgerichts verletze die Klägerin in ihrem Recht auf rechtliches Gehör.

Das Urteil sei überdies unrichtig; es sei mit Sicherheit zu erwarten, dass es keinen Bestand haben werde. Die Widerklageforderung sei aus der Luft gegriffen. Die Zahlungen an die Klägerin seien sämtlich mit Rechtsgrund erfolgt. Sie habe wöchentlich mindestens 40 Stunden und nicht, wie zuletzt vereinbart, lediglich 30 Stunden gearbeitet. Daher habe sie keine Veranlassung gehabt, von einer Überzahlung auszugehen, von der sie den Beklagten in Kenntnis hätte setzen müssen. Auch unterfielen die Rückforderungsansprüche überwiegend der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist. Aus der Vollstreckung erwachse ihr ein nicht zu ersetzender Nachteil, weil sie aufgrund der bereits erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen die eidesstattliche Versicherung werde abgeben müssen. Der Eintrag in das Schuldnerverzeichnis ziehe wiederum negative Einträge bei Wirtschaftsauskunfteien nach sich, was dazu führen könne, dass ihr der Abschluss bestimmter Verträge, ggf. auch eines neuen Arbeitsvertrages, verwehrt werde.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

1.

Der Antrag der Klägerin ist gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 2 ZPO an sich statthaft und insgesamt zulässig.

2.

Die Voraussetzungen für die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Landesarbeitsgericht liegen jedoch nicht vor.

a)

Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Satz 2 ArbGG kann die Zwangsvollstreckung aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil nur unter der Voraussetzung eingestellt werden, dass der Beklagte glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet die Vorschrift nicht (BAG 5.11.2003 - 10 AZB 59/03 - AP ArbGG 1979 § 78 Nr. 15 = EzA ArbGG 1979 § 62 Nr. 12).

b)

Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Vollstreckung der Widerklageforderung ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.

aa)

Ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist mehr als ein schwer zu ersetzender Nachteil und liegt nur vor, wenn er nicht abgewendet und bei Wegfall des Vollstreckungstitels nicht durch Geld oder andere Mittel ausgeglichen werden kann (LAG Baden-Württemberg 26.08.2008 - 5 Sa 52/08 - ArbuR 2008, 363; Creutzfeldt, in: Bader/Creutzfeldt/Friedrich, ArbGG, 5. Auflage, § 62 Rz. 16; Krönig, in: Düwell/Lipke, ArbGG, 2. Auflage, § 62 Rz. 5; Gift/Baur, Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen, E Rz. 1691; Ostrowicz, in: Ostrowicz/Künzl/Schäfer, Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, Rz. 869).

Die Vorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist eng auszulegen. Der Gesetzgeber hat sich terminologisch an § 712 ZPO angelehnt und nicht etwa an § 710 ZPO, der bereits einen schwer zu ersetzenden oder schwer abzusehenden Nachteil genügen lässt (Walker, in: Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl., § 62 Rz. 9). Grundsätzlich sollen arbeitsgerichtliche Titel für den Gläubiger schnell und unkompliziert durchzusetzen sein, und dieser Grundsatz darf nicht dadurch aufgeweicht werden, dass die Ausnahmevorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG allzu großzügig ausgelegt wird (Walker ebd.; Ziemann, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 3. Aufl., § 62 ArbGG Rz. 9). Zwar ist dem Gericht bei der Entscheidung über die Einstellung grundsätzlich ein Ermessensspielraum eingeräumt (vgl. Hessisches LAG 8.1.1992 - 10 Sa 1901/91 - NZA 1992, 427; Krönig, in: Hümmerich/Boecken/ Düwell, AnwaltKommentar Arbeitsrecht, § 62 ArbGG Rz. 17; Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., Rz. 7 ff.). Dieses Ermessen ist aber insoweit eingeschränkt, als ohne die Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils eine Einstellung zwingend zu unterbleiben hat (Vossen, in: GK-ArbGG, § 62 Rz. 33; Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Auflage, § 62 Rz. 32).

Bei Vollstreckung wegen Geldforderungen ist ein nicht zu ersetzender Nachteil nur in Ausnahmefällen denkbar. Solange dem Schuldner durch die Vollstreckung nur solche Nachteile drohen, die in Geld messbar sind, können sie auch durch Schadensersatz in Geld ausgeglichen werden (Walker, in: Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl., § 62 Rz. 12).

bb)

Nach Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin einen Nachteil, der nicht abgewendet und bei Wegfall des Vollstreckungstitels nicht durch Geld ausgeglichen werden könnte, nicht glaubhaft gemacht.

(1)

Eine mögliche Kreditgefährdung ist nicht ausreichend. Diese ist vielmehr notwendigerweise mit jeder Zwangsvollstreckung zu gewärtigen (LAG Baden-Württemberg 26.08.2008 - 5 Sa 52/08 - ArbuR 2008, 363; Creutzfeldt, in: Bader/Creutzfeldt/Friedrich, ArbGG, 5. Aufl., Rz. 18; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 707 Rz. 17; Ostrowicz, in: Ostrowicz/Künzl/Schäfer, Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, Rz. 869).

(2)

Die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch den Vollstreckungsschuldner stellt für sich genommen gleichfalls keinen nicht zu ersetzenden Nachteil dar (Krönig, in: Düwell/Lipke, ArbGG, 2. Auflage, § 62 Rz. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 707 Rz. 11 "Offenbarungsversicherung"; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 707 Rz. 17 mwN). Zwar ist denkbar, dass in Ausnahmefällen die Abgabe der eidesstattlichen Vermögensversicherung einen unersetzlichen Nachteil mit sich bringen kann (vgl. BGH 28.09.1955 - III ZR 171/55 - BGHZ 18, 219 = WM 1955, 1617; Creutzfeldt, in: Bader/Creutzfeldt/Friedrich, ArbGG, 5. Aufl., Rz. 18). Dies setzt aber voraus, dass die wirtschaftliche Existenz des Schuldners zerstört werden würde (BGH ebd.; Creutzfeldt ebd.). Warum vorliegend ausnahmsweise die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung die wirtschaftliche Existenz der Klägerin zerstören oder auch nur gefährden würde, hat diese nicht dargelegt. Sie hat lediglich die Befürchtung geäußert, die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung werde potentiellen Vertragspartnern zur Kenntnis gelangen und sie vom Abschluss insbesondere von Dauerschuldverhältnissen mit der Klägerin Abstand nehmen lassen. Diese Gefahr besteht jedoch stets bei der Abgabe der Vermögensversicherung und begründet keine konkrete Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz.

c)

Die Zwangsvollstreckung ist auch nicht deswegen einzustellen, weil die Berufung der Klägerin, wie diese meint, hinsichtlich des Widerklageantrages offensichtlich begründet wäre.

aa)

Es ist umstritten, inwieweit die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bei der Abwägung einzubeziehen sind. Teilweise wird vertreten, dies sei im Rahmen des Begriffs des nicht zu ersetzenden Nachteils zu berücksichtigen (LAG Düsseldorf vom 04.10.1979 - 14 [5] Sa 976/79 - EzA ArbGG 1979 § 62 Nr. 1 = LAGE § 62 ArbGG 1979 Nr. 1; 20.03.1980 - 19 Sa 142/80 - EzA ArbGG 1979 § 62 Nr. 3 = LAGE § 62 ArbGG 1979 Nr. 3; weitere Nachweise bei Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Auflage, § 62 Rz. 14). Nach anderer Auffassung ist zu differenzieren; danach soll nur bei einem Rechtsmittel, das mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleibt, die Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht in Betracht kommen, weil auch bei einer Vollstreckung kein nicht zu ersetzender Nachteil einträte (Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller-Glöge a.a.O.; Bader/ Creutzfeldt/Friedrich, ArbGG, 5. Auflage, § 62 Rz. 65).

bb)

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob zumindest in rechtlich eindeutigen Fällen die Erfolgsaussichten des Schuldners in die gebotene Interessenabwägung einfließen müssen. Die Erfolgaussichten der Berufung sind derzeit offen und nicht, wie die Klägerin meint, ohne weiteres zu bejahen. Folglich kann die Berücksichtigung dieses Umstandes sich nicht zugunsten der Klägerin auswirken.

(1)

Das Arbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung über die Widerklageforderung ausgeführt, die Klägerin habe in der Zeit vom 1. August 2005 bis einschließlich 31. März 2008 monatlich 365,00 Euro brutto ohne Rechtsgrund erhalten. Die Behauptung der Klägerin, auch nach der Vertragsänderung weiterhin mindestens 40 Stunden wöchentlich gearbeitet zu haben, sei nicht hinreichend substantiiert, weil der Beklagte sowohl einen Teil der Stundenaufzeichnungen der Klägerin als auch die sogenannten Ausführungspläne im Hinblick auf den Dienstplan vorgelegt habe. Eine Erklärung mit Nichtwissen hierzu sei der Klägerin nicht möglich, § 138 Abs. 4 ZPO. Der Umfang der Überzahlung um monatlich einem Drittel des Gesamtlohns führe dazu, dass der Klägerin dies nicht entgangen und sie mithin bösgläubig gewesen sei, so dass die Entreicherungseinrede unbeachtlich sei. Die vertragliche Verfallklausel stehe gleichfalls nicht entgegen, weil ein Festhalten hieran treuwidrig sei. Die Klägerin habe über Jahre hinweg erhebliche Überzahlungen bewusst entgegengenommen. Dadurch habe sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt mit der Folge, dass sie sich nicht mehr auf die Ausschlussfrist berufen könne.

(2)

Diese Begründung ist zumindest vertretbar und führt dazu, dass nach dem derzeitigen Stand nicht ohne weiteres von einem Erfolg der Berufung ausgegangen werden kann.

(3)

Die Ausführungen der Berufung ändern hieran nichts. Soweit die Klägerin vorträgt, es habe sich um die zutreffende Vergütung gehandelt, wird im Berufungsverfahren zu prüfen sein, ob die Klägerin ihrer Darlegungslast genügt hat oder nicht. Soweit die Klägerin frühzeitige Kenntnis von Mitarbeitern des Beklagten hinsichtlich der Zuvielzahlung behauptet, ist dies streitig. Soweit die Klägerin geltend macht, vorgerichtlich sei angeboten worden, den Schaden durch Erstattung des Nettobetrages von 4.360,01 Euro auszugleichen, setzt die Berufungserwiderung dem möglicherweise zu Recht entgegen, an dieses Angebot nicht mehr gebunden zu sein, nachdem die Klägerin sich unstreitig mit einer solchen Lösung nicht einverstanden erklärte.

d)

Der Auffassung der Klägerin, die Zwangsvollstreckung sei bereits deshalb einzustellen, weil das zugrunde liegende Urteil ohne Fortsetzung der mündlichen Verhandlung nicht hätte verkündet werden dürfen, kann nicht gefolgt werden.

aa)

Die von der Klägerin geltend gemachten Mängel im Verfahren des ersten Rechtzuges wirken sich nicht auf die Erfolgsaussichten der Berufung aus und sind daher vorliegend nicht zu berücksichtigen.

(1)

Die Klägerin führt dazu aus, das Urteil des Arbeitsgerichts hätte nicht in dem vom Vorsitzenden anberaumten Verkündungstermin ergehen dürfen; die aufgrund des im vorausgegangenen Termin gestellten Befangenheitsgesuchs nicht beendete Verhandlung vor der Kammer hätte fortgesetzt werden müssen. Durch das Vorgehen des Gerichts sei der Klägerin die Möglichkeit genommen worden, ihren Standpunkt darzulegen; ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei abgeschnitten worden. Dies kann zutreffen. Die Sitzungsniederschrift vom 4. September 2008 lässt nicht erkennen, dass der abgelehnte Richter von der durch § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 47 Abs. 2 Satz 1 ZPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte, den Termin fortzusetzen, um die sonst erforderliche Vertagung der Verhandlung zu verhindern.

(2)

Hieraus ergibt sich aber noch nicht, dass das Urteil keinen Bestand haben könnte. Aus § 68 ArbGG folgt, dass das Berufungsgericht stets eigenständig in der Sache entscheiden muss. Es hat nicht die Möglichkeit, das Urteil wegen eines Verfahrensmangels aufzuheben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen. Das gilt selbst bei schwersten Verfahrensfehlern (Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Auflage, § 68 Rz. 4). Auch vorliegend wird das Berufungsgericht das Urteil daher nicht aufheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung an das Arbeitsgericht zurückverweisen können, so dass ohne die nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG erforderlichen Voraussetzungen eventuelle Verfahrensfehler nicht zum Ausschluss der Vollstreckbarkeit führen.

Das Gericht verkennt nicht die von Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums vertretene Auffassung, einer Prozesspartei, die unter Verletzung von gesetzlichen Vorschriften einen Vollstreckungstitel erwirke, sei es zuzumuten, vollstreckungsrechtlich so gestellt zu werden, als besitze sie keinen vollstreckungsfähigen Titel (LAG Düsseldorf 31.3.1982 - 7 Ta 69/82 - EzA ArbGG 1979 § 62 Nr. 6 = LAGE § 62 ArbGG 1979 Nr. 6; LAG Brandenburg 23.8.1995 - 2 Ta 137/95 - NZA-RR 1996, 107; a. A. Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 707 Rz. 11 "Gerichtsfehler": Hieraus folge noch kein unersetzbarer Nachteil). Vorliegend hatte aber der Beklagte keinen Einfluss auf die möglicherweise fehlerhafte Handhabung durch das Gericht. Seine Gläubigerinteressen wären daher nicht weniger schutzwürdig als bei prozessordnungsgemäßem Zustandekommen des Titels.

(3)

Die Klägerin hat im Übrigen nicht glaubhaft gemacht, dass der Vollstreckungstitel nicht entstanden wäre, sofern ihr im Rahmen eines weiteren Kammertermins rechtliches Gehör gewährt worden wäre. Um die Kausalität zwischen Gehörsverletzung und unrichtiger Entscheidung zu belegen, ist darzutun, wie auf einen entsprechenden Hinweis reagiert worden wäre, insbesondere welcher tatsächliche Vortrag gehalten oder welche für die Entscheidung erheblichen rechtlichen Ausführungen gemacht worden wäre (vgl. BAG 23.9.2008 - 6 AZN 84/08 - zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen). Hieran fehlt es. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Ladung zum Verkündungstermin am 30. September 2008, also eine Woche vor dem Termin, zugegangen ist. Die Klägerin hatte also die Möglichkeit, entweder schriftsätzlich oder im Verkündungstermin auf die Gehörsverletzung hinzuweisen und weiteren Vortrag zu halten. Dies ist nicht geschehen.

3.

Mithin kann dahingestellt bleiben, dass Bedenken gegen die ordnungsgemäße Glaubhaftmachung der Einstellungsgründe bestehen: Die Klägerin hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung lediglich formelhaft auf den Schriftsatz Bezug genommen, was den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen eidesstattlichen Versicherung im Sinne von § 394 ZPO nicht entspricht.

III.

Die Entscheidung erfolgt nach Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß §§ 64 Abs. 7, 55 Abs. 1 Nr. 6, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG durch den Vorsitzenden der Kammer allein.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

V.

Gegen diese Entscheidung findet ein Rechtsmittel nicht statt (§ 61 Abs. 1 Satz 5 ArbGG).

Hannover, den 19. März 2009

Ende der Entscheidung

Zurück