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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 05.09.2008
Aktenzeichen: 12 Sa 125/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
Einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahmeklauseln sind aus Gründen des Vertrauensschutzes nur dann als "Gleichstellungsabrede" im Sinne der früheren Rechtsprechung des 4. Senats auszulegen, wenn sie vor dem 01.01.2002 vereinbart wurden.

Dies gilt auch dann, wenn die Vereinbarung der Bezugnahmeklausel im Zeitraum zwischen der letzten die Auslegung als Gleichstellungesabrede betätigenden Entscheidung des 4. Senats vom 19.03.2003 (4 AZR 331/02) und der die Änderung der Rechtsprechung ankündigenden Entscheidung vom 14.12.2005 (4 AZR 536/04) erfolgt ist.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 125/08

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 5. September 2008 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Mestwerdt, die ehrenamtliche Richterin Frau von Schütz zu Holzhausen, den ehrenamtlichen Richter Herrn Nebel für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11.09.2007 - 1 Ca 156/07 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Anschlussberufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11.09.2007 - 1 Ca 156/07 - teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt insgesamt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Gehaltstarifverträge für das Zeitungsverlagsgewerbe in Niedersachsen in der jeweils gültigen Fassung zur Anwendung kommen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.711,70 brutto nebst 5% Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz

auf € 32,42 seit dem 01.06.2006

auf € 54,53 seit dem 01.07.2006

auf € 272,42 seit dem 01.08.2006

auf € 32,42 seit dem 01.09.2006

auf € 32,42 seit dem 01.10.2006

auf € 32,42 seit dem 01.11.2006

auf € 63,22 seit dem 01.12.2006

auf € 32,42 seit dem 01.01.2007

auf € 32,42 seit dem 01.02.2007

auf € 32,42 seit dem 01.03.2007

auf € 32,42 seit dem 01.04.2007

auf € 32,42 seit dem 01.05.2007

auf € 32,42 seit dem 01.06.2007

auf € 54,53 seit dem 01.07.2007

auf € 32,42 seit dem 01.08.2007

auf € 108,98 seit dem 01.09.2007

auf € 108,98 seit dem 01.10.2007

auf € 108,98 seit dem 01.11.2007

auf € 147,52 seit dem 01.12.2007

auf € 108,98 seit dem 01.01.2008

auf € 108,98 seit dem 01.02.2008

auf € 108,98 seit dem 01.03.2008

auf € 108,98 seit dem 01.04.2008

zu zahlen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Anwendung der Gehaltstarifverträge für das Zeitungsverlagsgewerbe in Niedersachsen sowie daraus resultierende Vergütungsansprüche.

Der Kläger wurde 2003 unter Anrechnung seiner Betriebszugehörigkeit bei den Verlagshäusern F. GmbH & Co. KG sowie M. & E. GmbH & Co. KG von der Beklagten übernommen. Die Parteien bindet der Arbeitsvertrag vom 30.07.2003. Nach § 4 erhält der Kläger ein monatliches Bruttogehalt nach der Gehaltsgruppe III/3 des Gehaltstarifvertrages für Angestellte des Zeitungsverlagsgewerbes in Niedersachsen und D-Stadt sowie eine übertarifliche Zulage von monatlich € 230,00 brutto, die freiwillig und widerruflich gewährt und bei zukünftigen Umgruppierungen wie auch tarifvertraglichen Anpassungen angerechnet werden kann. In § 10 heißt es unter "zusätzliche Vereinbarungen" wie folgt:

"...

Sofern es sich nicht um tarifliche Gehaltserhöhungen handelt, bedürfen sämtliche Vertragsänderungen und Zusatzvereinbarungen der Schriftform. Mündliche Nebenabreden bestehen nicht.

Im Übrigen gelten für das Anstellungsverhältnis die Tarifverträge für Angestellte des Zeitungsverlagsgewerbes in Niedersachsen und D-Stadt sowie die gesetzlichen Bestimmungen, Vorschriften, Richtlinien und betrieblichen Vereinbarungen des Verlages, soweit ihre Anwendung auf Herrn C. nach Inhalt oder persönlichen Geltungsbereich zutrifft, in der jeweils gültigen Fassung ..." ver.di und der Verband Nordwestdeutscher Zeitungsverlage e.V. haben am 06.07.2006 einen neuen Gehaltstarifvertrag vereinbart. Danach wurde ab dem 01.05.2006 eine 1,2 %ige Tariferhöhung rückwirkend gezahlt. Mit der Juliabrechnung 2006 sollten alle Angestellten eine Einmalzahlung in Höhe von € 240,00 erhalten. Zum 01.08.2007 ist zwischenzeitlich eine erneute Tariferhöhung von 2,8 % vereinbart worden.

Der Kläger ist Mitglied von ver.di. Die Beklagte ist mit Wirkung zum 29.09.2005 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung gewechselt.

Der Kläger hat erstinstanzlich die bis einschließlich 31.01.2007 aus der Anwendung des Gehaltstarifvertrages resultierenden Ansprüche geltend gemacht und beantragt,

1. festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Gehaltstarifvertrag des Zeitungsverlagsgewerbes in Niedersachsen, vom 06.07.2006 Anwendung findet;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 240,00 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2006 zu verzinsen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2006 zu verzinsen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2006 zu verzinsen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2006 zu verzinsen;

6. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2006 zu verzinsen;

7. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2006 zu verzinsen;

8. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2006 zu verzinsen;

9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2006 zu verzinsen;

10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2007 zu verzinsen;

11. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 32,42 brutto zu zahlen und mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2007 zu verzinsen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

unter sich darauf berufen, in § 10 des Arbeitsvertrags sei eine Gleichstellungsklausel vereinbart, die mit dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband nur noch statische Wirkung entfaltet habe. Der Gehaltstarifvertrag vom 06.07.2008 komme deshalb nicht zur Anwendung.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.09.2007 - 1 Ca 156/07 - der Klage entsprochen unter Hinweis darauf, nach § 10 des Arbeitsvertrages sei die dynamische Bezugnahme der Gehaltstarifverträge für das Zeitungsverlagsgewerbe zwischen den Parteien vereinbart. Vertrauensschutz bestehe nicht, da nur bis einschließlich 31.12.2001 vereinbarte Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede auszulegen seien. Auf die weiteren Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 04.01.2008 zugestellte Urteil am 22.01.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.03.2008 am 18.03.2008 begründet. § 10 des Arbeitsvertrags sei als Gleichstellungsabrede auszulegen. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger bei Abschluss des Arbeitsvertrages gewusst habe, dass die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt noch tarifgebunden gewesen sei. Im Übrigen müsse zu ihren Gunsten der verfassungsrechtlich verbürgte Vertrauensschutz auf den Fortbestand einer langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung greifen. Das BAG habe auch nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform (Urteil vom 19.03.2003 - 4 AZR 331/02 -) seine Auslegung von Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede ausdrücklich bestätigt. Dies habe auch im Hinblick auf eine mit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 01.01.2002 mögliche Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB gegolten. Die Beklagte habe deshalb bei Abschluss des Arbeitsvertrages darauf vertrauen können, dass die jahrzehntelange höchstrichterlich gefestigte Rechtsprechung des 4. Senates zur Frage der Auslegung von Bezugnahmeklauseln auch nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 01.01.2002 fortgesetzt werden würde. Erst nach der Entscheidung des BAG vom 14.12.2005 (- 4 AZR 536/04 -) könne allenfalls von einem Wegfall schutzwürdigen Vertrauens ausgegangen werden. Die Anwendung der Gehaltstarifverträge auf den Betrieb der Beklagten stelle zudem eine unzumutbare Härte dar, da zusätzliche Aufwendungen in Höhe von 10 Millionen Euro in den kommenden 20 Jahren bei einer vertraglichen Bindung an die Gehaltstarife ausgelöst würden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11.09.2007 - 1 Ca 156/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen

1. dass festgestellt wird, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Gehaltstarifvertrag des Zeitungsverlagsgewerbes in Niedersachsen vom 06.07.2006 in der jeweils gültigen Fassung Anwendung findet

2. die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger EUR 1.711,77 brutto nebst 5 % Punkten über dem Basiszinssatz

seit dem 01.06.2006 auf EUR 272,42

seit dem 01.07.2006 auf EUR 54,53

seit dem 01.08.2006 auf EUR 32,42

seit dem 01.09.2006 auf EUR 32,42

seit dem 01.10.2006 auf EUR 32,42

seit dem 01.11.2006 auf EUR 32,42

seit dem 01.12.2006 auf EUR 63,22

seit dem 01.01.2007 auf EUR 32,42

seit dem 01.02.2007 auf EUR 32,42

seit dem 01.03.2007 auf EUR 32,42

seit dem 01.04.2007 auf EUR 32,42

seit dem 01.05.2007 auf EUR 32,42

seit dem 01.06.2007 auf EUR 32,42

seit dem 01.07.2007 auf EUR 54,53

seit dem 01.08.2007 auf EUR 32,42

seit dem 01.09.2007 auf EUR 108,98

seit dem 01.10.2007 auf EUR 108,98

seit dem 01.11.2007 auf EUR 108,98

seit dem 01.12.2007 auf EUR 147,52

seit dem 01.01.2008 auf EUR 108,98

seit dem 01.02.2008 auf EUR 108,98

seit dem 01.03.2008 auf EUR 108,98

seit dem 01.04.2008 auf EUR 108,98

zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Anwendung der Gehaltstarifverträge für das Zeitungsverlagsgewerbe in Niedersachsen sei einzelvertraglich in § 10 des Arbeitsvertrags vereinbart. Unerheblich sei, ob der Kläger die Verbandszugehörigkeit der Beklagten gekannt habe oder nicht. Eine Verbandszugehörigkeit treffe keine Aussage zur Tarifbindung. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in den Fortbestand der Rechtsprechung des BAG zu den Bezugnahmeklauseln bestehe mit Wirkung ab 01.01.2002 nicht mehr.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 18.03.2006 sowie ihren weiteren Schriftsatz vom 02.09.2008 sowie auf die Berufungserwiderung des Klägers vom 03.04.2008 und auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2008.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet (I.). Auf die ebenfalls form- und fristgerecht eingelegte und begründete Anschlussberufung des Klägers waren zudem weitere aus der Anwendung der Gehaltstarife für das Zeitungsverlagsgewerbe in Niedersachsen resultierende Zahlungsansprüche auszuurteilen (II.).

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 10 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages in Verbindung mit dem Gehaltstarifvertrag für das Zeitungsverlagsgewerbe im Land Niedersachsen vom 06.07.2006 den der Höhe nach unstreitigen sich aus der Anwendung des Gehaltstarifvertrages ergebenden Anspruch. Dies ergibt die Auslegung der Norm am Maßstab von §§ 133, 157 BGB. Der Wechsel der Beklagten in eine Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung ist deshalb bedeutungslos.

1. Rechtsgeschäftliche Willenserklärungen sind grundsätzlich nach einem objektivierten Empfängerhorizont auszulegen. Dabei haben die Motive des Erklärenden, soweit sie nicht in dem Wortlaut der Erklärung oder in sonstiger, für die Gegenseite hinreichend deutlich erkennbaren Weise ihren Niederschlag finden, außer Betracht zu bleiben. Es besteht keine Verpflichtung des Erklärungsempfängers, den Inhalt oder den Hintergrund des ihm regelmäßig formularmäßig gemachten Angebotes durch Nachfragen aufzuklären. Kommt der Wille des Erklärenden nicht oder nicht vollständig zum Ausdruck, gehört dies zu dessen Risikobereich. Für die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel bedeutet dies, dass ihr Bedeutungsinhalt in erster Linie anhand des Wortlauts zu ermitteln ist. Bei der arbeitsvertraglichen dynamischen Inbezugnahme eines bestimmten Tarifvertrages in seiner jeweiligen Form ist der Wortlaut zunächst eindeutig und es bedarf im Grundsatz keiner weiteren Heranziehung von Auslegungsfaktoren. Lediglich dann, wenn von den Parteien weitere Tatsachen vorgetragen werden oder sonst ersichtlich sind, die Zweifel an der wortgetreuen Auslegung der Vertragsklausel begründen können, weil sie für beide Seiten erkennbar den Inhalt der jeweils abgegebenen Willenserklärungen in einer sich im Wortlaut nicht niederschlagenden Weise beeinflusst haben, besteht Anlass, die Wortauslegung in Frage zu stellen. Auch die mögliche Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ist kein Umstand, der für die Auslegung einer dem Wortlaut nach eindeutigen Vertragsklausel maßgeblich sein kann, wenn der Arbeitgeber sie nicht ausdrücklich oder in einer für den Arbeitnehmer hinreichenden deutlich erkennbaren Weise zur Voraussetzung oder zum Inhaltselement seiner Willenserklärung gemacht hat (BAG, Urteil vom 18.04.2007 - 4 AZR 652/05 -).

2. Nach dieser von der Kammer geteilten Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln ist zwischen den Parteien vorliegend eine dynamische Bezugnahme auf die Gehaltstarifverträge des Niedersächsischen Zeitungsverlagsgewerbes vereinbart. Der Wortlaut ist eindeutig. Danach gelten die Tarifverträge für Angestellte des Zeitungsverlagsgewerbes in Niedersachsen und D-Stadt in der jeweils gültigen Fassung. Die Klausel verweist ohne Einschränkung auf dieses Tarifwerk.

Die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch bestandene Tarifbindung der Beklagten ist seitens der Beklagten nicht in einer für den Kläger hinreichend deutlich erkennbaren Weise zum Inhaltselement des Vertragsangebots gemacht worden. Dies hätte lediglich erfordert, die Klausel mit einem kurzen Zusatz zu vereinbaren ("so lange die Arbeitgeberin tarifgebunden ist" vgl. für eine solche Klausel, Urteil LAG Hamm vom 04.10.2007 - 15 Sa 746/07 -). Dann wäre ein etwaiges Regelungsziel der Beklagten, lediglich eine Gleichstellung nicht aber eine vertragliche Bindung zu bewirken, für den Kläger erkennbar im Arbeitsvertrag zum Ausdruck gekommen. Daran fehlt es. Ohne einen solchen Zusatz konnte der Kläger, selbst wenn er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von der Verbandsmitgliedschaft der Beklagten gehabt haben sollte, nicht davon ausgehen, dass die Beklagte tatsächlich "nur" eine Gleichstellung der tarifungebundenen mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern herbeiführen wollte. Zunächst ergibt sich - wie der jetzige Status der Beklagten zeigt - aus der Verbandsmitgliedschaft nicht grundsätzlich eine Tarifbindung, sofern die Satzung unterschiedliche Mitgliedschaften zulässt. Zudem kann die subjektive Kenntnis des Arbeitnehmers von einer Verbandsmitgliedschaft nicht darüber entscheiden, ob eine vertragliche Bezugnahmeklausel entweder als Gleichstellungsabrede oder aber als arbeitsvertragliche (dynamische) Bezugnahme von Tarifverträgen gilt. Schließlich konnte der Kläger auch bei Kenntnis der Verbandsmitgliedschaft das Vertragsangebot so verstehen, wie es dem Wortlaut nach eindeutig formuliert wurde, nämlich als vertragliche Vereinbarung, dass die Tarifverträge zur Anwendung kommen. Maßgeblich ist letztlich der objektive Erklärungswert des Verhaltens des Arbeitgebers. Vorliegend hat die Beklagte nicht hinreichend deutlich erkennbar gemacht, dass sie tatsächlich die Klausel nur als Gleichstellungsabrede anbieten wollte.

3. Vorstehender Auslegung von § 10 des Arbeitsvertrages steht nicht die Gewährung von berechtigtem Vertrauensschutz zu Gunsten der Beklagten entgegen. Dies ergibt die insoweit gebotene Abwägung der beiderseitigen Interessen.

a). Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht. Urteile oberster Bundesgerichte ändern die Rechtslage nicht, sondern stellen sie lediglich auf Grund eines - prinzipiell irrtumsanfälligen - Erkenntnisprozesses fest. Wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung sich unter einer gegebenen Rechtslage ändert, ist die neue Rechtsprechung deshalb grundsätzlich auch auf Fallkonstellationen anzuwenden, in denen die für die Beurteilung des Rechtsstreits maßgeblichen Tatsachen zu einer Zeit gesetzt worden sind, in der die Änderung der Rechtsprechung noch nicht stattgefunden hat und auch noch nicht angekündigt war. Im Gegenteil ist ein Gericht stets verpflichtet, seine Rechtsprechung kritisch zu überprüfen. Die Einschränkung einer Rückwirkung der Rechtsprechungsänderung ist jedoch dann geboten, wenn und insoweit die von der Rückwirkung nachteilig betroffene Partei auf die Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen durfte und die Anwendung der geänderten Auffassung wegen ihrer Rechtsfolgen im Streitfall oder der Wirkung auf andere vergleichbar gelagerter Rechtsbeziehungen auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Prozessgegners eine unzumutbare Härte bedeuten würde (BAG, Urteil vom 18.04.2007 - 4 AZR 652/05 - Rn. 49 m.w.N.). Bei der somit zu treffenden Abwägung ist zu beachten, dass die materielle Gerechtigkeit einen dem Grundsatz der Rechtssicherheit mindestens ebenbürtigen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips verkörpert. Einer Partei ist nur dann zuzumuten, ein ihr ungünstiges Urteil hinzunehmen, obwohl sie nach gegenwärtiger höchstrichterlicher Erkenntnis das Recht auf ihrer Seite hat, wenn die daraus für den Gegner erwachsenen Folgen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens auf die Fortdauer der bisherigen Rechtsprechung zu unbilligen, ihm nicht zumutbaren Härten führen würden (BAG, Urteil vom 18.04.2007 a.a.O).

b). Die Kammer folgt der ausführlich begründeten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.04.2007, wonach bei einer typisierenden Interessenabwägung bei der Auslegung von Bezugnahmeklauseln eine Stichtagsregelung geboten ist, die im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zur Gewährung eines Vertrauensschutzes und zu seiner zeitlichen Begrenzung erforderlich und geeignet ist. Danach ist mit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 ein Einschnitt vorgenommen worden, der zu einer Änderung der Risikoverteilung hinsichtlich der Folgen der Rechtsprechungsänderung und im Ergebnis dazu führt, dass nur bis zum 31.12.2001 abgeschlossene Bezugnahmeklauseln im Sinne einer Gleichstellungsabrede auszulegen sind.

c). Die hiergegen erhobenen Einwände der Beklagten greifen nicht.

aa). Entgegen der Auffassung der Beklagten kann (und muss) nicht als Stichtag für die Gewährung von Vertrauensschutz ausschließlich auf den Zeitpunkt der Ankündigung einer Rechtsprechungsänderung, mithin auf den 14.12.2005, abgestellt werden. Auch in Bezug auf die Festlegung eines Stichtages bedarf es einer Abwägung der Parteiinteressen, da nicht nur die Interessen der Arbeitgeber an einer Fortgeltung der bisherigen Gleichstellungsrechtsprechung zu berücksichtigen sind, sondern dagegen abgewogen werden muss, bis zu welchem Zeitpunkt es Arbeitnehmern zugemutet werden kann, für sie nachteilige Rechtsfolgen zu tragen, die ihnen aus einer nach der materiellen Rechtslage nicht gerechtfertigten Berücksichtigung außervertraglicher Faktoren durch das Gericht erwachsen (BAG, Urteil vom 18.04.2007 a. a. O.). Vorliegend ist zu bedenken, dass bereits in der Vergangenheit die Auslegungsregel des 4. Senats vielfacher Kritik unterzogen war und seine bisherige Sicht nicht als unbestritten gelten konnte. Im Gegensatz dazu war etwa die von der Beklagten angezogene Rechtsprechung des 2. Senats zu § 17 KSchG bis zur widersprechenden Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 (C-188/03 -) nahezu unbestritten, so dass dem Vertrauen der Arbeitgeber auf den Fortbestand dieser Rechtsprechung ein höheres Gewicht beigemessen werden musste. Im Hinblick auf die erheblicher Kritik ausgesetzten Rechtsprechung des 4. Senats war es für Arbeitgeber deshalb nicht fernliegend, aus rechtlicher Vorsorge Bezugnahmeklauseln so zu formulieren, dass die Dynamik an die Tarifbindung des Arbeitgebers gekoppelt wird.

bb). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht erheblich, dass der 4. Senat mit Urteil vom 19.03.2003 - 4 AZR 331/02 - seine Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede bestätigt und betont hat, dass der Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede auch die als allgemeine Rechtsgedanke anerkannte Unklarheitenregelung (vormals § 5 AGB-Gesetz, nunmehr § 305 Abs. 2 i. V. m. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) nicht entgegensteht. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der jenem Verfahren zugrunde liegende Arbeitsvertrag im Jahre 1997 und damit vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform abgeschlossen wurde. Das Judikat des BAG verhält sich somit zu einem so genannten "Altfall". Zudem bleibt festzuhalten, dass bei der Prüfung der Reichweite des Vertrauensschutzes auch die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer an der Durchsetzung der ihnen materiell zustehenden Ansprüche zu berücksichtigen sind.

cc). Unabhängig von vorstehenden Erwägungen erkennt die Kammer auch keine unbillige Härte, die das Festhalten an den vertraglichen Absprachen für die Beklagte bedeuten würde. Soweit die Beklagte darauf verweist, in einem Zeitraum von 20 Jahren hätte die Beklagte eine Mehrbelastung von € 10 Mio. zu tragen, folgt die Kammer ihr nicht. Es ist bei lebensnaher Betrachtung nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte - wie von ihr offensichtlich angenommen - in 20 Jahren noch unveränderte Gehälter zahlen wird. Sie ignoriert ferner, dass sie mit allen neuen Arbeitnehmern eindeutige Verträge schließen kann. Sofern tatsächlich aus der Anwendung der Gehaltstarifverträge eine existenzbedrohende Situation erwachsen sollte, steht ihr grundsätzlich das Instrument der Änderungskündigung zur Seite, um vertragliche Ansprüche zu beschneiden.

dd). Es wird - vergleiche die Rechtsprechungsänderung zu § 17 KSchG bzw. die von der Beklagten angezogene Entscheidung des Großen Senats des BFH (Entscheidung vom 17.12.2007 - GrS 2/04 -)- Sachverhaltskonstellationen geben, in denen bei typisierender Abwägung der wechselseitigen Interessen die Gewährung von Vertrauensschutz bis zur Ankündigung der Rechtsprechungsänderung verfassungsrechtlich geboten sein kann. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation gebietet dies nicht. Es ist nicht zu beanstanden, dass der 4. Senat (in Kenntnis seiner eigenen Rechtsprechung vom 19.03.2003) als Stichtag auf den 01.01.2002 abgestellt hat.

4. Eine Anrechnung der Steigerungsbeträge auf die vertraglich vereinbarte übertarifliche Zulage hatte nicht zu erfolgen, da die insoweit erforderliche Anrechnungserklärung der Beklagten nach Akteninhalt nicht vorliegt.

Die Berufung der Beklagten war deshalb zurückzuweisen.

II. Aus vorstehenden Erwägungen folgt, dass die statthafte, nach §§ 524 Abs. 2, 529 Abs. 1 Nr. 1, 533 ZPO frist- und formgerecht am 07.04.2008 mit der Berufungserwiderung eingereichte und begründete Anschlussberufung des Klägers überwiegend begründet ist.

1. Der Antrag des Klägers zu 1. aus dem Schriftsatz vom 03.04.2008 bedarf allerdings der Auslegung. Dem Kläger geht es erkennbar nicht darum, den Gehaltstarifvertrag vom 06.07.2006 in seiner jeweiligen Fassung zur Anwendung kommen zu lassen, sondern darum, dass die Gehaltstarifverträge des Zeitungsverlagsgewerbes in Niedersachsen in ihrer jeweiligen Fassung auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommen. Mit diesem ausgelegten Antrag ist die Klage sowohl im Hinblick auf die begehrte Feststellung wie auch im Hinblick auf die der Höhe nach unstreitigen aus der Anwendung der Gehaltstarife resultierenden Beträge begründet.

2. Die Klage ist lediglich unbegründet, soweit der Kläger - auf Grund eines Rechenfehlers - 7 Cent zuviel einklagt und Zinsen auf den tariflichen Einmalbetrag von 240,00 € ab 01.05.2006 begehrt. Der Einmalbetrag war erst mit der Abrechnung für Juli 2006 fällig. Insoweit war die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG liegen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor, insbesondere fehlt es an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.04.2007 die Reichweite des Vertrauensschutzes auf die alte Auslegungsregel zur Gleichstellungsabrede geklärt. Dies ist in Kenntnis der Entscheidung vom 19.04.2003 (- 4 AZR 331/02 -) geschehen. Der Senat hat sich mit der Kritik an seiner Ankündigung zur Rechtsprechungsänderung mit Urteil vom 14.12.2005 (- 4 AZR 536/04 -) ausführlich auseinandergesetzt (vgl. nur Nachweise in Rn. 44 Zerres NJW 2006, 3533, 3535 f.; Simon/Kock/Halbsguth BB 2006 2354, 2355 f.). Jene Literaturstimmen kritisieren den gewählten Zeitpunkt für die Gewährung von Vertrauensschutz im Hinblick auf die Entscheidung vom 19.04.2003. Die Rechtsfrage ist deshalb geklärt.

Ende der Entscheidung

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