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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 25.05.2004
Aktenzeichen: 13 Sa 1989/03
Rechtsgebiete: ZPO, KSchG, BetrVG, ArbGG, GKG


Vorschriften:

ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
KSchG § 1 Abs. 2
BetrVG § 102
ArbGG § 12 Abs. 7
GKG § 19
1. Das Berufungsgericht ist auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren an korrekte Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts gebunden.

2. Tätlichkeiten gegenüber einer Mitarbeiterin können eine ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.

3. Der Betriebsrat ist auch dann ordnungsgemäß angehört, wenn die Beweisaufnahme ergibt, dass die Vertragspflichtverletzung nicht an dem im Anhörungsverfahren mitgeteilten Datum, sondern früher erfolgt ist.

4. Der uneigentliche Hilfsantrag auf Weiterbeschäftigung ist auch dann mit einer Monatsvergütung zu bewerten, wenn die Klage abgewiesen wird.


Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 Sa 1989/03

Verkündet am: 25.05.2004

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 25.05.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und den ehrenamtlichen Richter Grotheer sowie die ehrenamtliche Richterin Bostedt

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.09.2003, 7 Ca 179/03, wird zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 3/4, die Beklagte zu 1/4.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 12.564,-- € festgesetzt.

Für den Kläger wird die Revision zugelassen.

Für die Beklagte wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beantragt die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 05.03.2003 nicht aufgelöst worden ist. Außerdem begehrt er vorläufige Weiterbeschäftigung.

Der geborene Kläger war seit dem 01.07.1998 als Bandarbeiter bei der Beklagten, einem Unternehmer der Automobilindustrie, beschäftigt. Das Bruttomonatsentgelt betrug 3.141,-- €. Die Zeugin M., eine gehörlose, schwerbehinderte Mitarbeiterin, und der Kläger arbeiteten an benachbarten Arbeitsplätzen.

Mit Schreiben vom 27.02.2003 (Bl. 26 d.A.) beschwerte sich die Zeugin beim zuständigen Meister, der Kläger habe sie "gestern" nach Ablehnung eines Bonbons geohrfeigt, er küsse sie immer auf die Wange und habe auch viel getrunken. Der Werkschutz ermittelte aufgrund der Beschwerde am 28.02.2003 und hörte die Zeugin M., den Mitarbeiter L. und den Kläger an. In seinen Berichten ist der Vorfall datiert auf den 27.02.2003, 19:15 Uhr (Bl. 27 - 30 d.A.).

Mit Anhörungsschreiben vom 05.03.2003 (Bl. 31 d.A.) hörte die Beklagte den Personalausschuss des Betriebsrates an unter Beifügung des Ermittlungsberichts des Werkschutzes vom 28.02.2003 und führte als Kündigungsgründe auf: Tätlichkeit, sexuelle Belästigung und unerlaubter Alkoholkonsum. Der Personalausschuss erhob keine Einwände.

In ihrer erstinstanzlichen Vernehmung hat die Zeugin M. den in der Beschwerde geschilderten Vorgang datiert auf den letzten Arbeitstag vor Weihnachten 2002. Die Beklagte stützt die Kündigung nunmehr entsprechend der Zeugenaussage auf den Vorgang vom 20.12.2002.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe ein freundschaftliches Verhältnis zur Kollegin M.. Etwaige Umarmungen seien nicht als Anzüglichkeiten zu werten, sondern als Geste der freundschaftlichen Begrüßung. Bei der Beschwerde der Zeugin M. könne es sich nur um ein Missverständnis handeln. Er habe die Zeugin nicht geschlagen oder auf die Wange geküsst. Er habe auch keinen Alkohol getrunken. In einem klärenden Gespräch mit der Zeugin M. und ihrem Vater habe er sich entschuldigt. Die Zeugin M. habe daraufhin die Anschuldigungen zurückgenommen. Soweit er am 28.02.2003 beim Werkschutz Vorwürfe eingeräumt habe, werde dieses Geständnis widerrufen. Er habe sich während dieses Gesprächs unter Druck gesetzt gefühlt. Der Beklagten sei es im Übrigen zumutbar, ihn innerbetrieblich auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.03.2003 beendet wird.

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe die Zeugin M. seit November 2002 belästigt und mehrfach versucht, sie in den Arm zu nehmen und auf die Wangen zu küssen. Auch am Vorfallstag sei es zu Kussversuchen gekommen. Schließlich habe der Kläger aus nichtigem Anlass der Zeugin nach Ablehnung eines Bonbons eine Ohrfeige gegeben. Zudem habe er Alkohol getrunken.

Die Beklagte hat vorgelegt das Schreiben des Vaters der Zeugin M. vom 01.03.2003, Bl. 37 d.A..

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau M. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die gerichtliche Niederschrift vom 02.09.2003.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht beendet worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit Berufung trägt der Kläger vor, er habe die Zeugin nicht geschlagen. Dies könne von drei Arbeitskollegen, die er als Zeugen benenne, bestätigt werden. Die Arbeitskollegen hätten auf benachbarten Arbeitsplätzen gearbeitet. Er habe auch nicht versucht, die Zeugin auf die Wange zu küssen. Bei etwaigen Umarmungen in der Vergangenheit habe es sich um freundschaftliche Begrüßungen gehandelt, derartige Begrüßungen entsprächen dem Kulturkreis, aus dem er stamme. Er habe häufig Arbeitskollegen, auch der Zeugin M., Bonbons angeboten. Das könne auch am letzten Arbeitstag im Jahr 2002 so gewesen sein. Er könne nicht ausschließen, dass er am letzten Arbeitstag im Jahre 2002 der Zeugin ein Bonbon anbieten wollte und sie, um sich bemerkbar zu machen, an die Wange gestupst habe. Um eine Ohrfeige habe es sich aber nicht gehandelt. Bei der Anhörung beim Werkschutz sei er angebrüllt worden und eingeschüchtert worden. Seine Muttersprache sei russisch, er verfüge nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse und habe den Gegenstand der Vernehmung nicht richtig verstanden. Seine Angaben beim Werkschutz könnten deshalb nicht verwertet werden. Die Betriebsratsanhörung sei fehlerhaft. Am 05.03.2003 sei der Betriebsrat auf der Basis der Ermittlungen des Werkschutzes angehört worden. Diesen Ermittlungen hätte ein fehlerhaftes Vorfalldatum zugrunde gelegen. Eine Anhörung des Betriebsrates zum korrekten Vorfalldatum, letzter Arbeitstag vor Weihnachten 2002, sei nicht erfolgt. Eine erneute Anhörung des Betriebsrates am 21.01.2004 bestreitet der Kläger, er hält sie im Übrigen für unerheblich und vertritt die Auffassung, dass ein Fall des Nachschiebens von Kündigungsgründen nicht vorliege. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung und den Schriftsatz des Klägers vom 28.04.2004.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.03.2003 nicht beendet wird.

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt außerdem im Wege der Anschlussberufung,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.09.2003 - 7 Ca 179/03 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie trägt vor, nach der Aussage der Zeugin M. sei bewiesen, dass der Kläger trotz Alkoholverbot Baccardi-Cola getrunken habe und dieses Getränk auch der Zeugin angeboten habe. Nach Ablehnung eines Bonbons habe er die Zeugin geohrfeigt und später noch mehrfach versucht, den Arm um sie zu legen und sie zu küssen. Es sei Verpflichtung der Beklagten, Mitarbeiter vor sexueller Belästigung und Körperverletzungen zu schützen. Ein ausreichender Schutz sei nur möglich, wenn in solchen Fällen auch die harte Sanktion der fristlosen Kündigung möglich sei. Zumindest sei die ordentliche Kündigung gerechtfertigt. Die Zeugin lehne es im Übrigen nach wie vor ab, noch mit dem Kläger zusammenzuarbeiten. Die Vernehmung beim Werkschutz sei ohne Druck in sachlicher Form erfolgt. Auf Wunsch des Klägers habe auch der zuständige Meister teilgenommen. Die Betriebsratsanhörung in Form der Anhörung des zuständigen Personalausschusses sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Unterrichtung vom 05.03.2003 sei auf der Grundlage des damaligen Kenntnisstandes über den Vorfallstag durchgeführt worden. Nach erstinstanzlicher Beweisaufnahme sei der Personalausschuss am 21.01.2004 erneut angehört worden. Dabei sei der Betriebsrat darauf hingewiesen worden, dass die Kündigung auch auf unbefugten Alkoholgenuss gestützt werde. Die Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts vom 02.09.2003 sei in dem Zusammenhang verlesen worden. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Anschlussberufung und die Berufungserwiderung vom 18.02.2004. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Herrn von C........ als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die gerichtliche Niederschrift vom 25.05.2004.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten sind statthaft, sie sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 524 ZPO. Berufung und Anschlussberufung sind nicht begründet. Das arbeitsgerichtliche Urteil war zu bestätigen.

1. Berufung des Klägers.

1.1. Tatsachenfeststellung, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind für die Berufungsentscheidung die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dem entspricht § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO, wonach die Berufungsbegründung darauf gestützt werden muss, dass konkrete Anhaltspunkte bezeichnet werden, die Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen. Diese Vorschriften, neu gefasst durch die ZPO- Reform 2002, haben zur Folge, dass der Berufungsentscheidung korrekte Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz zugrunde zu legen sind. Über eine erneute Vernehmung eines Zeugen ist nicht nach Ermessen gemäß § 398 ZPO zu entscheiden. Nur dann, wenn sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen ergeben, ist eine erneute Beweisaufnahme möglich. Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergeben sich dann, wenn eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei erneuter Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also als unrichtig herausstellen wird (BGH vom 15.07.2003, VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480; BGH vom 12.03.2004, V ZR 257/03).

Gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG gelten für das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren die Vorschriften der ZPO, soweit das Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt. Abweichend von der Zivilprozessordnung lässt § 67 ArbGG aber nur in erweitertem Umfang neues Vorbringen zu, und zwar in Ergänzung zu § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und in Abweichung zu § 531 Abs. 2 ZPO. Die Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist im Arbeitsgerichtsgesetz nicht abweichend geregelt und damit anzuwenden. Der Anwendungsbereich des § 67 ArbGG betrifft nur die Regelung nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Für die Tatsachenfeststellung kann § 67 ArbGG allenfalls dann Auswirkungen haben, wenn sich aus zulässigem neuen Tatsachenvorbringen Zweifel an den erstinstanzlich getroffenen Tatsachenfeststellungen ergeben (ErfKomm zum Arbeitsrecht, 4. Auflage, § 66 ArbGG, RdNr. 29).

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht gebunden an folgende korrekte Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts:

- Der Kläger hat die Zeugin nach Ablehnung eines Bonbons am 20.12.2002 geohrfeigt.

- Der Kläger hat mehrfach versucht, die Zeugin am 20.12.2002 auf die Wange zu küssen.

- Der Kläger hat am 20.12.2002 Alkohol getrunken und der Zeugin angeboten.

Das Arbeitsgericht hat die Aussage der Zeugin M. als absolut glaubwürdig bezeichnet. Es hat damit zum Ausdruck gebracht, dass es die Zeugin als glaubwürdig und die Aussage als glaubhaft bewertet. Konkrete Tatsachen, die Zweifel gebieten, sind nicht gegeben. Insbesondere besteht keine Wahrscheinlichkeit, dass eine erneute Vernehmung zu einem anderen Beweisergebnis führen kann.

In der Beschwerde vom 27.02.2003 hat die Zeugin den Vorfall auf "gestern" datiert. Dieser Fehler ist schwer nachzuvollziehen. Allerdings ergibt er Gesamttext der Beschwerde, dass die Zeugin Probleme hatte, sich schriftlich auszudrücken und genau zu formulieren. Für sie stand die Schilderung des Vorfalls, nicht das Datum im Vordergrund. Dies und die Tatsache, dass ein ausgebildeter Gebärdendolmetscher nicht zur Verfügung stand, kann auch der Grund dafür sein, dass sie das Datum bei der Werkschutzanhörung nicht korrigiert hat. In der vom Arbeitsgericht protokollierten Vernehmung hat die Zeugin sodann, unterstützt durch eine Gebärdendolmetscherin, das Vorfalldatum sicher benannt. Aus der ursprünglich fehlerhaften Datumsangabe ergeben sich dann aber keine ausreichenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage.

Die Zeugin hat sich erst mehr als zwei Monate nach dem Vorfall beschwert. Sie hat das nachvollziehbar begründet mit Angst um den Arbeitsplatz. Im Übrigen sind solche Zeitverzögerungen bei Beschwerden über Arbeitskollegen nicht ungewöhnlich. Es besteht oft eine Scheu, solche Beschwerden schriftlich niederzulegen und einzureichen.

Der Kläger behauptet, andere Arbeitnehmer an benachbarten Arbeitsplätzen könnten bezeugen, dass er die Klägerin nicht geohrfeigt habe. Er benennt drei Zeugen. Diese Zeugen waren nicht zu hören. Es kann ohne Auswirkung auf das Beweisergebnis unterstellt werden, dass sie eine Ohrfeige nicht gesehen haben. Der Vorfall ereignete sich während der Arbeit am Band, die Zeugen arbeiteten. Es gab zwischen Kläger und Zeugin keine längere oder lautstarke Auseinandersetzung, die Aufmerksamkeit erregt hätte. Wenn die Zeugen unter diesen Umständen eine Ohrfeige nicht gesehen haben, ist das nicht aussagekräftig und von Bedeutung für das Beweisergebnis.

Der Kläger folgert aus dem Schreiben des Vaters vom 01.03.2003, die Zeugin habe ihre Anschuldigungen zurückgenommen. Gerade das ist aber nicht geschehen. Im Schreiben kommt vielmehr zum Ausdruck, dass die Zeugin zwar keinen Arbeitsplatzverlust auslösen wollte, sondern nur eine "Strafe und einen anderen Arbeitsplatz". Eine Zusammenarbeit mit dem Kläger lehnte sie weiterhin ab.

Das Arbeitsgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt, der Kläger habe in der Anhörung beim Werkschutz die Vorwürfe im Wesentlichen zugegeben. Der Kläger macht geltend, die Anhörung beim Werkschutz sei nicht korrekt erfolgt, insbesondere aufgrund mangelnder Sprachkenntnis habe er nicht verstanden, was ihm vorgeworfen wurde. Das Arbeitsgericht hat die Angaben des Klägers beim Werkschutz lediglich als zusätzliches Indiz bewertet. Maßgeblich hat es darauf abgestellt, dass die Zeugin glaubwürdig und die Aussage glaubhaft ist. Eine nicht korrekte Feststellung der Indiztatsache hätte deshalb für das Beweisergebnis keine Bedeutung. Im Übrigen hat der Kläger keine Sprach- oder Verständnisprobleme. Er hat versucht, sie vorzutäuschen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht wurde festgestellt, dass der Kläger seit 1989 in Deutschland lebt. Er hat den Hauptschulabschluss und auf der Berufsschule den Realschulabschluss erworben, Deutschnoten: gut bzw. befriedigend. Er hat Grundwehrdienst geleistet und arbeitete seit 1998 bei der Beklagten. Bei einem derartigen Lebenslauf gibt es keine Anhaltspunkte für mangelnde Sprachkenntnisse.

Die Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts waren damit bindend, zumal die Zeugin nach der protokollierten Aussage widerspruchsfrei und überzeugend ausgesagt hat. Sie hat insbesondere differenziert zwischen Spaß- Situationen und dem aus ihrer Sicht ernsten Vorgang am 20.12.2002. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie ein Schupsen an die Wange durch den Kläger, um sich bemerkbar zu machen, übertreibend als Ohrfeige gewertet hat.

1.2. Soziale Rechtfertigung der Kündigung.

Eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers vorliegen, die bei verständiger Würdigung und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (z.B. BAG vom 21.05.1992, 2 AZR 10/92, AP Nr. 29 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG vom 21.11.1996, 2 AZR 357/95, AP Nr. 130 zu § 626 BGB). Vor Ausspruch einer ordentlichen oder einer außerordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist grundsätzlich eine vorherige vergebliche Abmahnung erforderlich, die Kündigung ist grundsätzlich nur begründet nach Wiederholung der Vertragspflichtverletzung bei vorausgegangener Abmahnung. Entbehrlich ist eine Abmahnung, wenn eine besonders schwerwiegende Vertragspflichtverletzung vorliegt, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist, oder wenn mit einer Verhaltensänderung nicht zu rechnen ist (BAG vom 12.08.1999, 2 AZR 923/98, AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG vom 10.02.1999, 2 ABR 31/98, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969; BAG vom 15.11.2001, 2 AZR 605/00, AP Nr. 175 zu § 626 BGB). Als schwerwiegende Vertragspflichtverletzung, die eine Kündigung rechtfertigen kann, kommt dabei insbesondere Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen in Betracht (z.B. Ascheid/Preis/ Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Auflage, § 1 KSchG, RdNr. 302).

Der Kläger hat nach Ablehnung eines angebotenen Bonbons die Zeugin geohrfeigt. Es handelt sich um eine Tätlichkeit, die insbesondere unter den vorliegenden Umständen als schwerwiegende Vertragspflichtverletzung zu bewerten ist. Der Tätlichkeit ist keine Auseinandersetzung vorausgegangen, die Zeugin hat die Ohrfeige in keiner Weise provoziert oder durch ihr Verhalten mit verursacht. Es liegt ohne ersichtlichen Grund eine vorsätzliche Körperverletzung vor, die nicht hinnehmbar ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger anschließend mehrfach versucht hat, die Zeugin auf die Wange zu küssen. Ob dieses Verhalten als sexuelle Belästigung im Sinne des § 2 Beschäftigtenschutzgesetz zu bewerten ist, insbesondere ob es sich um ein sexuell bestimmtes Verhalten gehandelt hat, kann offen bleiben. Entscheidend ist, dass es sich bei diesen Kussversuchen um ein körperliches Bedrängen handelt, dass das Persönlichkeitsrecht der Zeugin beeinträchtigt. Ohrfeige und Kussversuche bedeuten insgesamt gesehen eine Missachtung der Persönlichkeit der Zeugin mit beleidigendem Charakter. Die Zeugin ist aufgrund ihrer Behinderung in ihren Abwehrmöglichkeiten beschränkt, sie kann sich insbesondere nicht verbal äußern und Schranken setzen. Dem Kläger muss deshalb entgegengehalten werden, dass er die begrenzten Abwehrmöglichkeiten der Zeugin für seine Angriffe ausgenutzt hat.

Schließlich hat der Kläger Alkohol getrunken und damit gegen das Alkoholverbot verstoßen, eine weitere Pflichtverletzung liegt darin, dass er der Klägerin Alkohol angeboten hat.

Dass der Vorfall am letzten Arbeitstag des Jahres vor Weihnachten geschah, kann den Kläger nicht entlasten. Die Pflichtverletzungen erfolgten nicht im Rahmen einer Feier, sondern während der Arbeit am Band mehrere Tage vor Weihnachten. Es sind damit ausreichende Gründe für eine verhaltensbedingte Kündigung an sich gegeben.

Eine vorherige Abmahnung war entbehrlich. Wie dargestellt, sind Ohrfeige und Kussversuche als schwerwiegende Vertragspflichtverletzung zu werten. Mit Körperverletzung und körperlicher Bedrängung hat der Kläger in eindeutiger Weise eine Grenze überschritten, die für ihn erkennbar einzuhalten war. Ihm musste bewusst sein, dass ein solches Verhalten die Kündigung nach sich ziehen kann. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung bedurfte es deshalb keiner Abmahnung.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann auch bei verhaltensbedingten Kündigungen zu prüfen sein, ob als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung eine Umsetzung in Betracht kommt. Zwar hätte die Beklagte angesichts der Vielzahl der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer eine solche Umsetzung vornehmen können und damit eine räumlich enge Zusammenarbeit zwischen Kläger und Zeugin beenden können. Vergleichbar zur Entbehrlichkeit der Abmahnung ist aber auch hier festzustellen, dass der Kläger eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat und mit Anwendung körperlicher Gewalt eine eindeutig einzuhaltende Grenze überschritten hat. Berücksichtigt man, dass die Beklagte auch Schutzpflichten gegenüber ihren Mitarbeitern hat, so war ihr eine Umsetzung nicht zuzumuten.

Im Rahmen der Interessenabwägung hat die Kammer berücksichtigt, dass der Kläger fast 5 Jahre beanstandungsfrei für die Beklagte gearbeitet hat. Der Arbeitsplatzverlust wirkt sich für den Kläger nachteilig aus. Obwohl er im Kündigungszeitpunkt erst 26 Jahre alt war, wird er erhebliche Schwierigkeiten haben, einen solchen Arbeitsplatz wie bei der Beklagten mit dem dort gezahlten Entgelt wieder zu bekommen. Andererseits hat die Beklagte ein Interesse daran, dass es nicht zu Tätlichkeiten zwischen Mitarbeitern kommt. Sie muss ihre Schutzpflichten gegenüber anderen Mitarbeitern wahrnehmen. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung war dann aber die ordentliche Kündigung insgesamt sozial gerechtfertigt und wirksam.

1.3. Betriebsratsanhörung, § 102 BetrVG.

Die Betriebsratsanhörung ist ordnungsgemäß erfolgt, und zwar durch Anhörung des gemäß § 28 BetrVG gebildeten Personalausschusses. Das Anhörungsschreiben vom 05.03.2003 umschreibt schlagwortartig die Kündigungsgründe und verweist auf den Ermittlungsbericht des Werkschutzes. Die Rubrik "keine Einwendungen" ist sodann von den Personalausschussmitgliedern unterzeichnet worden. Damit ist ausreichend nachgewiesen, dass der Personalausschuss über den Kündigungssachverhalt informiert wurde. Allerdings war entsprechend den Ermittlungen des Werkschutzes der Vorfall auf den 27.02.2003 datiert, tatsächlich stattgefunden hat er am 20.12.2002. Daraus ergibt sich folgende Frage:

Ist durch die Änderung des Vorfalldatums ein neuer Kündigungssachverhalt gegeben, der nur nach erneuter Anhörung des Betriebsrats im Prozess nachgeschoben werden kann?

oder

Handelt es sich trotz geänderten Datums noch um denselben Kündigungssachverhalt?

Die Lösung dieses Problems kann nicht offen bleiben. Durch die Aussage des Zeugen von C. hat die Beklagte nicht nachgewiesen, dass dem Personalausschuss am 21.01.2004 auch das veränderte Vorfalldatum mitgeteilt wurde. Nach Angabe des Zeugen war Thema der Anhörung an diesem Tag der Alkoholgenuss. Passagen des Protokolls des Arbeitsgerichts zu diesem Punkt sind verlesen worden, nicht das ganze Protokoll. Ob über die Datumsänderung gesprochen wurde, daran konnte sich der Zeuge nicht erinnern. Eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung liegt damit nur dann vor, wenn trotz Datumsänderung von einem gleichbleibenden Kündigungssachverhalt auszugehen ist. Nach Auffassung der Kammer ist das zu bejahen.

Gemäß § 102 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat den Kündigungssachverhalt so umfassend mitzuteilen, dass dieser die Berechtigung der Kündigung prüfen kann. Pauschale oder stichwortartige Angaben sind nicht ausreichend. Andererseits sind an die Mitteilungspflicht nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess. Es gilt der Grundsatz der subjektiven Determination. Die Anhörung ist ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat (BAG vom 07.11.2002, 2 AZR 493/01, EzA § 174 BGB 2002 Nr. 1; BAG vom 17.02.2000, 2 AZR 913/98, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 103).

Der Grundsatz der subjektiven Determination hat bei objektiv unvollständiger oder objektiv fehlerhafter Unterrichtung folgende Auswirkungen: Nur die bewusst irreführende und unvollständige Unterrichtung stellt einen Verstoß gegen § 102 BetrVG dar. Bei objektiv unvollständiger Unterrichtung (Mitteilung des Kündigungssachverhalts A, Nichtmitteilung des bekannten Kündigungssachverhalts B) ist die Anhörung ordnungsgemäß. Dem Arbeitgeber ist es allerdings verwehrt, im Kündigungsschutzprozess die Kündigung auf den nicht mitgeteilten Sachverhalt zu stützen (BAG vom 17.02.2000, 2 AZR 913/98, a.a.O.). Fehlen in der Unterrichtung einzelne Angaben wie z.B. Sozialdaten, kann dies unschädlich sein, wenn es für die Bewertung des Kündigungssachverhalts hierauf nicht ankommt (BAG vom 15.11.1995, 2 AZR 974/94, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 89).

Weil im Anhörungsverfahren nicht vergleichbare Anforderungen wie im Kündigungsschutzprozess zu stellen sind, können im Prozess die dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe näher erläutert und konkretisiert werden, soweit dadurch nicht ein neuer Kündigungssachverhalt entsteht (BAG vom 11.04.1985, 2 AZR 239/84, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 62). Im Übrigen hat die Betriebsratsanhörung nicht die Funktion eines Vorprozesses. Erst im Kündigungsschutzprozess ist zu klären, ob die Kündigungsgründe zutreffen und nachweisbar sind (BAG vom 26.01.1995, 2 AZR 386/94, EzA § 102 BetrVG Nr. 87). Gerade im Kündigungsschutzprozess kann es aber durch Einwände des Klägers oder aufgrund einer Beweisaufnahme zu Veränderungen des Kündigungssachverhalts kommen. Wenn diese Veränderungen nicht den Kernbereich des Kündigungssachverhalts betreffen, liegt eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vor. Eine erneute Anhörung und das Nachschieben eines neuen Kündigungsgrundes ist nicht erforderlich.

Die Beklagte hat den Personalausschuss nicht bewusst fehlerhaft unterrichtet. Das falsche Datum des Vorfalls ist erst in der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bekannt geworden. Das Datum betrifft nicht den Kernbereich des Kündigungssachverhalts, die maßgebenden Tatsachen wie Beschwerde der Zeugin, Ohrfeige, Kussversuche und Alkoholgenuss bleiben unverändert. Für die rechtliche Bewertung des Kündigungsgrundes ist es unerheblich, an welchem Tag der Vorfall stattfand. Es handelt sich um eine im Prozess durch Beweisaufnahme entstandene Änderung eines im Wesentlichen gleichbleibenden Kündigungssachverhalts. Diese Änderung hat keine Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates. Auch unter Berücksichtigung von § 102 BetrVG konnte damit der geänderte Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt werden.

2. Anschlussberufung der Beklagten.

Die Anschlussberufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragspartner die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die maßgebende Kündigungsfrist betrug hier gemäß § 15 des anwendbaren Manteltarifvertrages drei Wochen zum Monatsende. Die Einhaltung dieser relativ kurzen Kündigungsfrist, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Monates März 2003 führte, war der Beklagten zuzumuten.

Die Vertragspflichtverletzungen, die im Rahmen der ordentlichen Kündigung bewertet worden sind, können als wichtiger Grund an sich für eine außerordentlichen Kündigung bewertet werden. Wie zur ordentlichen Kündigung ausgeführt, war eine Abmahnung entbehrlich, die Interessenabwägung führt aber zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung.

Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sie muss ihre Mitarbeiter vor Übergriffen der vorliegenden Art schützen. Diesem Interesse der Beklagten ist aber mit der ordentlichen Kündigung ausreichend genügt, zumal die Kündigungsfrist relativ kurz ist. Dabei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass im Beschwerdezeitpunkt der Vorfall bereits mehr als zwei Monate zurücklag, Zeugin und Kläger in dieser Zeit auf benachbarten Arbeitsplätzen weitergearbeitet haben, ohne dass es zu weiteren Vorfällen gekommen ist. Es gibt dann aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gefahr von Pflichtverletzungen für die relativ kurze Zeit der Kündigungsfrist bestanden hat. Der Beklagten war eine ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten. Dabei ist auch berücksichtigt worden, dass für die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung die Bewertung der Zumutbarkeit der Einhaltung der Kündigungsfrist von entscheidender Bedeutung ist. Die außerordentliche Kündigung hat keinen Strafcharakter.

3. Nebenentscheidungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO.

Bei der Wertfestsetzung waren der mit Berufung verfolgte Kündigungsschutzantrag und der Antrag aus der Anschlussberufung zusammengefasst mit drei Monatsentgelten gemäß § 12 Abs. 7 ArbGG zu bewerten. Beide Anträge betreffen eine Kündigungserklärung, nämlich die Kündigung vom 05.03.2003. Die Kündigungserklärung beinhaltet zwar eine außerordentliche Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung, dies rechtfertigt aber keine Erhöhung des Streitwertes über die Drei-Monats-Grenze hinaus.

Der Weiterbeschäftigungsantrag war mit einer weiteren Monatsvergütung zu bewerten. Die Kammer folgt damit der überwiegend von den Landesarbeitsgerichten vertretenen Bewertung des vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrags (dazu: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Auflage, § 12 ArbGG, RdNr. 50 m.w.N.).

Obwohl der Weiterbeschäftigungsantrag als uneigentlicher Hilfsantrag, nämlich für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag, gestellt worden ist, hatte gemäß § 5 ZPO Streitwertaddition zu erfolgen. Wie der Streitwert festzusetzen ist, wenn der Weiterbeschäftigungsantrag als uneigentlicher Hilfsantrag gestellt ist und die Kündigungsschutzklage abgewiesen wird, ist umstritten. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, auch der uneigentliche Hilfsantrag sei ein Hilfsantrag im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG. Deshalb sei er bei der Wertfestsetzung nur zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden werde (z.B. LAG Schleswig- Holstein vom 14.01.2003, 2 Ta 224/02, Anwaltsblatt 2003, S. 308; LAG Düsseldorf vom 27.07.2000, 7 Ta 249/00, NZA-RR 2000, S. 613). Die Gegenauffassung verweist darauf, dass § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG nur den echten Hilfsantrag erfasse, unabhängig von der Antragsfassung müsse deshalb bei Ankündigung eines Beschäftigungsantrags eine Streitwertaddition erfolgen (z.B. LAG Niedersachsen vom 17.04.2001, 3 Ta 118/01, NZA-RR 2001, S. 495; LAG Hamm vom 02.07.1998, 4 Sa 2233/97, juris).

Der uneigentliche Hilfsantrag ist kein Hilfsantrag im Sinne von § 19 Abs. 1 GKG, so dass unabhängig von der Antragsfassung eine Streitwertaddition zu erfolgen hat. Ein Hilfsantrag liegt vor, wenn der Kläger ein Hauptbegehren stellt und nur für den Fall, dass der Hauptantrag unzulässig oder unbegründet ist, hilfsweise einen weiteren Antrag ankündigt. Kennzeichnend für den Hilfsantrag ist damit, dass von zwei möglichen Ansprüchen des Klägers nur einer entsprechend dem Klagebegehren zum Erfolg führen soll. Diese Konstellation ist beim uneigentlichen Hilfsantrag nicht gegeben. Der uneigentliche Hilfsantrag zeichnet sich dadurch aus, dass ein Obsiegen mit dem zweiten Antrag (Beschäftigung) nur möglich ist, wenn auch das erstrangig gestellte Begehren, Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, erfolgreich ist. Wenn der Kläger dann in der Antragsfassung klarstellt, dass über den Beschäftigungsantrag nur entschieden werden soll, wenn auch der Kündigungsschutzantrag Erfolg hat, stellt er damit kein prozessuales Eventualverhältnis her. Er kennzeichnet durch die Antragsfassung lediglich die materiell-rechtliche Abhängigkeit beider Ansprüche voneinander. Im Gegensatz zum Hilfsantrag beschränkt sich der Kläger nicht darauf, von zwei möglichen Ansprüchen nur einen durchsetzen zu wollen, er will vielmehr von vornherein mit beiden Anträgen Erfolg haben. Es liegt eine kumulative Klagehäufung vor und nicht ein Verhältnis von Haupt- zu Hilfsantrag, wie es § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG voraussetzt. Für eine einschränkende Interprätation des § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG spricht im Übrigen, dass diese Vorschrift den Streitwert der Höhe nach begrenzt und deshalb als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist. Eine entsprechende Anwendung auf Fälle der kumulativen Klagehäufung kommt nicht in Betracht.

Gründe, die Revision für die Beklagte zuzulassen, bestanden nicht. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird verwiesen. Die Revisionszulassung zugunsten des Klägers beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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