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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 17.02.2004
Aktenzeichen: 13 TaBV 59/03
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102
BetrVG § 23 Abs. 3
Vereinbaren die Vertragsparteien die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird diese Vereinbarung durch Kündigung und Abwicklungsvertrag umgesetzt, besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 102 BetrVG.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen BESCHLUSS

13 TaBV 59/03

Verkündet am: 17.02.2004

In dem Beschlussverfahren

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 17.02.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und die ehrenamtlichen Richter Hinzpeter und Grasme

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Celle vom 26.06.2003, 1 BV 2/03, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Betriebsrat begehrt nach Antragsumstellung im Beschwerdeverfahren die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Betriebsrat vor Kündigungen, die im Zusammenhang mit Abwicklungsvereinbarungen ausgesprochen werden, nach § 102 BetrVG anzuhören. Er stützt den Anspruch in erster Linie auf § 23 Abs. 3 BetrVG. Seit Jahren schließt der Arbeitgeber zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen keine Aufhebungsverträge, sondern spricht schriftliche Kündigungen aus und schließt mit dem betroffenen Mitarbeiter eine Abwicklungsvereinbarung. Für die Abwicklungsvereinbarung wird ein vorgefertigtes Formular (z.B. Bl. 24 d.A.) verwandt, in dem u.a. ein Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage enthalten ist. Die Vorgehensweise des Arbeitgebers ist dabei unterschiedlich. Wird in einem Personalgespräch Einvernehmen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erzielt, wird zum Teil die Abwicklungsvereinbarung unterschrieben und sodann die vorbereitete schriftliche Kündigung ausgehändigt. Zum Teil wird die Abwicklungsvereinbarung unterzeichnet und die Kündigung erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen. Nach Behauptung des Betriebsrates gibt es auch Fallgestaltungen, in denen zuerst die Kündigung mündlich oder schriftlich ausgesprochen wird und sodann der Mitarbeiter zur Unterzeichnung der Abwicklungsvereinbarung gedrängt wird. Zu Kündigungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit Abwicklungsvereinbarungen ausgesprochen hatte, ist der Betriebsrat nicht gehört worden.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, das Anhörungsrecht nach § 102 BetrVG bestehe auch, wenn Abwicklungsvereinbarungen getroffen würden. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG lägen vor. Im Übrigen sei der allgemeine Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des personellen Mitbestimmungsrechts begründet.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Kündigungen ohne Beachtung des Beteiligungsrechts des Betriebsrates gem. § 102 BetrVG zu erklären,

2. der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung gem. Ziffer 1 ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Ordnungsgeld anzudrohen.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er hat vorgetragen, den Abwicklungsverträgen liege zugrunde die Verständigung der Arbeitsvertragsparteien über die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Es handele sich um von den Parteien gewollte Aufhebungsverträge, für die eine Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG nicht bestehe. Die Form, Kündigung und Abwicklungsvereinbarung, werde nur gewählt, um die für den Arbeitnehmer nachteilige Sperrfristverhängung nach § 144 SGB III zu vermeiden.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Auf den arbeitsgerichtlichen Beschluss zu II wird Bezug genommen.

Mit Beschwerde vertritt der Betriebsrat die Auffassung, wenn der Arbeitbeber den formellen Weg über Kündigung und Abwicklungsvereinbarung wähle, müsse er auch die für die Kündigung vorgesehenen Formalien einhalten. Er müsse deshalb den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung anhören. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung und den Schriftsatz vom 16.02.2004.

Der Betriebsrat beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Celle vom 26.06.2003, AZ 1 BV 2/03, zugestellt am 06.08.2003,

1. den Arbeitgeber zu verpflichten, den Betriebsrat vor Kündigungen, die im Zusammenhang mit Abwicklungsvereinbarungen ausgesprochen werden, nach § 102 BetrVG anzuhören.

2. der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung gemäß Ziffer 1 ein in Ermessen des Gerichts gestelltes Ordnungsgeld anzudrohen.

Der Arbeitgeber beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt nach Maßgabe der Beschwerdeerwiderung den arbeitsgerichtlichen Beschluss.

II.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Anhörung nach § 102 BetrVG. Die vom Arbeitgeber praktizierte Form der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Kündigung i.V.m. Abwicklungsvereinbarung, ist in der Sache nichts anderes als ein Aufhebungsvertrag. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend bewertet.

Das Anhörungsrecht des Betriebsrats besteht nur bei Kündigungen. Vereinbaren Arbeitnehmer und Arbeitgeber einvernehmlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so ist dieser Aufhebungsvertrag nicht mitbestimmungspflichtig. Der Abwicklungsvertrag beendet nicht das Arbeitsverhältnis, er setzt vielmehr eine ausgesprochene Kündigung voraus und regelt Modalitäten zur Abwicklung des gekündigten Arbeitsverhältnisses, z.B. Verzicht auf Kündigungsschutz gegen Zahlung einer Abfindung. Weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung erfolgt, nicht durch den Abwicklungsvertrag, ist grundsätzlich vor der Kündigung § 102 BetrVG zu beachten(Fitting, BetrVG, 21. Aufl., § 102, RdNr. 15; Richardi, BetrVG, 8. Aufl., § 102 RdNr. 22). Beruhen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Abwicklungsvertrag aber auf einer vorausgegangenen Vereinbarung der Vertragspartner, dann kann die ausgesprochene Kündigung ein Scheingeschäft darstellen und die getroffene Absprache als Aufhebungsvertrag zu bewerten sein. Weil kein Kündigungsentschluss des Arbeitgebers vorliegt, ist der Betriebsrat nicht gemäß § 102 BetrVG zu beteiligen (APS-Koch, § 102 BetrVG, RdNr. 33; LAG Hamm vom 19.07.2002, 10 TaBV 42/02, NZA-RR 2002, S. 642). Entsprechend hat das BSG (Urteil vom 09.11.1995, 11 RAr 27/95, NZA-RR 1997, S. 109) ausgeführt, dass Kündigung und Abwicklungsvertrag, sofern sie auf einer vorausgegangenen Absprache beruhen, einen Aufhebungsvertrag verdecken können.

Nach Auffassung der Kammer entfälllt das Beteiligungsrecht nach § 102 BetrVG, wenn die Vertragsbeendigung auf Parteivereinbarung beruht und nur der Form halber eine Kündigung ausgesprochen und eine Abwicklungsvereinbarung getroffen wird. Es gibt echte Abwicklungsverträge, z.B. den gerichtlichen Vergleich im Kündigungsschutzprozess. Hier beruht die Beendigung auf dem Kündigungsentschluss des Arbeitgebers. Daneben dient der Abwicklungsvertrag aber dazu, die tatsächlich erfolgte Verständigung der Vertragspartner über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verdecken. Aufhebungsverträge haben regelmäßig die Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 144 SGB III zur Folge. Vor allem um diese Folge zu umgehen, wird der Weg über Kündigung und Abwicklungsvertrag gewählt. Damit wird die tatsächlich erfolgte Vertragsbeendigung aufgrund Vereinbarung verschleiert. Man kann hier im Gegensatz zu echten Abwicklungsverträgen von unechten Abwicklungsverträgen sprechen, die als Aufhebungsverträge zu bewerten sind.

Bei unechten Abwicklungsverträgen ist maßgebend, dass Kündigung und Abwicklungsvereinbarung auf einer Verständigung der Vertragspartner zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhen, nicht auf einem einseitigen Kündigungsentschluss des Arbeitgebers. Die Kündigung basiert auf der Abwicklungsvereinbarung, sie wird nur ausgesprochen, weil eine Abwicklungsvereinbarung getroffen worden ist oder getroffen werden soll. Damit ist die Kündigung als Scheingeschäft zu bewerten, das nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig ist. Maßgebend für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Abwicklungsvereinbarung, die als Aufhebungsvertrag zu qualifizieren ist(Hümmerich, NZA 2001, S. 1284). Liegt aber ein Aufhebungsvertrag vor, werden Rechte nach § 102 BetrVG nicht ausgelöst. Der Schutz des Arbeitnehmers ist vielmehr wie bei Aufhebungsverträgen auf die allgemeine Vertragskontrolle beschränkt, z.B. §§ 305 ff. BGB. Bei Willensmängeln ist darüber hinaus zu prüfen, ob die Anfechtung der Abwicklungsvereinbarung auch die Wirkung der Kündigung beseitigt.

Die Abwicklungsvereinbarungen, die der Arbeitgeber schließt, sind im Regelfall Aufhebungsverträge, die ausgesprochenen Kündigungen sind Scheingeschäfte, die ein Anhörungsrecht nach § 102 BetrVG nicht auslösen.

Wird zuerst die Abwicklungsvereinbarung geschlossen und zeitlich danach die Kündigung ausgesprochen, sei es im selben Personalgespräch oder zeitlich versetzt, beruht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf der Kündigung. Entscheidend für die Beendigung ist die im Abwicklungsvertrag dokumentierte Einigung der Vertragsparteien, es liegt ein Aufhebungsvertrag vor. Die gleiche Bewertung ist gerechtfertigt, wenn im Personalgespräch zuerst mündlich oder schriftlich die Kündigung ausgesprochen wird und sodann eine Abwicklungsvereinbarung getroffen wird. Ziel dieser Vorgehensweise ist nicht die einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung, sondern der Abschluss der Abwicklungsvereinbarung. Der Arbeitgeber hat keinen Kündigungsentschluss gefasst, er benutzt nur die ausgesprochene Kündigung als Drohung, um eine einverständliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen. Es besteht deshalb kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 102 BetrVG. Die Beschwerde war zurückzuweisen.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 92, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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