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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 06.02.2009
Aktenzeichen: 14 Sa 1793/07
Rechtsgebiete: TVAStD AGH, BGB, TVG, GG


Vorschriften:

TVAStD AGH
BGB § 611
TVG § 1
TVG § 3 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 1
GG Art. 9 Abs. 3
Einfache tarifliche Differenzierungsklauseln verstoßen nicht zwingend gegen die negative Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Sie können im Einzelfall zulässig sein.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

14 Sa 1793/07

In dem Rechtsstreit

hat die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2009 durch

die Richterin am Arbeitsgericht Hengst, die ehrenamtliche Richterin Frau Brockhaus, den ehrenamtlichen Richter Herr Dohm für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover, Az. 8 Ca 231/07, vom 26.10.2007 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, eine tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 535,-- € brutto zu zahlen.

Der Kläger ist seit 01.04.1984 bei der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 08.04.1991 (Bl. 6, 7 d. A.) beschäftigt.

Der Kläger ist in die Tarifgruppe 05 C Lebensalterstufe 41 eingruppiert. In Ziffer 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist geregelt:

"Für das Arbeitsverhältnis gelten die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung, soweit im Folgenden nichts anderes vereinbart ist."

Die Beklagte gehört zur A-Gruppe A-Stadt, die mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Landesbezirk Niedersachsen/Bremen am 20.12.2006/02.01.2007 verschiedene Firmentarifverträge abgeschlossen hat. Die Beklagte wendet die tariflichen Regelungen auf alle bei ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse mit nicht-leitenden Mitarbeitern an. Nach § 19 des Tarifvertrages AGH (im Folgenden TV AGH) haben Beschäftigte unter den dort genannten Voraussetzungen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung, die je nach Entgeltgruppe 60 bis 90 % eines durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes beträgt. In dem Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der A-Gruppe A-Stadt (im Folgenden TV AstD AGH) trafen die Tarifvertragsparteien u. a. folgende Regelungen:

"§ 2 Außerkraftsetzen von § 19 TV AGH

§ 19 TV AGH vom 01. Januar 2007 wird durch diesen Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits (TV AstD AGH) unter Beachtung der Regelungen in den folgenden Paragraphen außer Kraft gesetzt.

§ 3 Ausgleichszahlungen für die ver.di-Mitglieder

(1) Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlungen gemäß § 19 TV AGH erhalten Beschäftigte, die ver.di-Mitglieder sind, in jedem Geschäftsjahr zum 31. Juli eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535 € brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit.

(2) Teilzeitbeschäftigte erhalten die Ausgleichszahlung anteilig.

(3) Diese Ausgleichszahlung erhalten Beschäftigte, die ihre Mitgliedschaft in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag glaubhaft zum 30. Juni des Auszahlungsjahres nachgewiesen haben."

Die jeweils zum 01.01.2007 in Kraft getretenen Tarifverträge sind frühestens zum 31.12.2009 kündbar, wobei der TV AstD AGH unter Ausschluss der Nachwirkung unter besonderen Voraussetzungen für maximal 2 Jahre verlängerbar ist.

Der Kläger ist nicht Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Eine Ausgleichszahlung nach § 3 TVG AstD AGH für das Jahr 2007 erfolgte nicht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die tarifliche Differenzierungsklausel in § 3 TV AstD AGH insbesondere wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Vertrags- und negativen Koalitionsfreiheit unwirksam sei. Ihm stehe daher ein Anspruch auf die Ausgleichszahlung trotz nichtbestehender Tarifbindung zu.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab dem Jahr 2007 für jedes Geschäftsjahr, fällig jeweils zum 31.07. eines Kalenderjahres, eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535,-- € brutto gem. § 3 Abs. 1 TV AstD AGH zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Differenzierung der Ausgleichszahlung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit sei rechtswirksam. In Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen sämtlicher Beteiligter führe die tarifliche Differenzierungsklausel angesichts der Sanierungssituation der Beklagten nicht zu deren Unwirksamkeit. Die Pauschalierung auf einen einheitlichen Betrag sei notwendig und angemessen, um die Beklagte nicht unverhältnismäßig mit Personalkosten zur Berechnung des jeweils individuellen Gewerkschaftsbeitrages zu belasten.

Die Beklagte hat behauptet, die tarifschließende Gewerkschaft habe die Ausgleichszahlung zur Voraussetzung für den Abschluss des Sanierungstarifvertrages gemacht. Lediglich in den unteren Lohngruppen könne der Pauschalausgleich zu einer eventuellen Überkompensierung des Gewerkschaftsbeitrages führen.

Das Arbeitsgericht Hannover hat der Klage mit Urteil vom 06.03.2009 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:

Der Anspruchsausschluss in § 3 Abs. 1 TV AstD AGH für nicht gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer sei unwirksam. Das Gericht schließe sich der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes vom 29.11.1967 im Ergebnis an, wonach tarifliche Differenzierungsklauseln ausgeschlossen seien. Diese verstießen gegen die grundgesetzlich geschützte negative Koalitionsfreiheit, da sie ein nicht gerechtfertigten Druck zum Koalitionsbeitritt ausübten. Hierbei komme es auf die Höhe der Differenzierung nicht an. Entscheidend sei, dass durch die Ausnahme der nicht oder anders Organisierten von der Ausgleichszahlung die Gewerkschaftsmitglieder erklärtermaßen ihre Gewerkschaftsbeiträge finanziert bekommen sollten. Hinzu komme, dass die Beklagte mit der Differenzierungsklausel die arbeitsvertraglich abgesicherte Gleichstellungsabrede faktisch unterlaufe. Dies verstoße gegen das Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 TVG.

Gegen das am 04.12.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 10.12.2007 eingegangenen Schriftsatz vom 06.12.2007 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 03.03.2008 - mit Schriftsatz vom 03.03.2008, beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen am selben Tage eingegangen, begründet.

Sie wiederholt und vertieft ihre Auffassung zu Zulässigkeit der Differenzierungsklausel und behauptet, nach Ablauf eines bis Ende 2006 laufenden Restrukturierungstarifvertrages habe weiterhin ein erheblicher Sanierungsbedarf bestanden, welcher nur durch Einkommensreduzierung zu erreichen gewesen sei. Der Sanierungstarifvertrag diene der Verteilung der wirtschaftlichen Opfer. Dies könne den Mitgliederbestand einer Gewerkschaft gefährden. Eine Vergleichsberechnung auf der fiktiven Grundlage einer Gewerkschaftsmitgliedschaft führe bei den Arbeitnehmern in der Beschäftigungseinrichtung des Klägers fast durchgängig zu Nettoeinkommensverlusten.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Schlussantrag in I. Instanz zu erkennen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und verweist darauf, dass es in mittleren und unteren Gehaltsgruppen zu einer Überkompensation des Gewerkschaftsbeitrages komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher insgesamt zulässig (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 ZPO).

Darüber hinaus genügt sie auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. Danach hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Die Beklagte wendet sich unter Bezugnahme auf die vorzunehmende Abwägung geschützter Grundrechte der Beteiligten gegen die rechtliche Bewertung einer Unwirksamkeit der tariflichen Differenzierungsklausel durch das Arbeitsgericht. Damit sind die Voraussetzungen einer zulässigen Berufungsbegründung gegeben.

II.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.

Dem Kläger steht die geltend gemacht Sonderzahlung in Höhe von 535,-- € gemäß § 611 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag und § 3 Abs. 1 TV AstD AGH nicht zu. Die zulässige Klage war abzuweisen.

1.

Wie das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung entschieden hat, bestehen gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO keine rechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat zudem in der Berufungsverhandlung die Bereitschaft zu Protokoll erklärt, auch auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin zu leisten.

2.

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung des Ausgleichsbetrages nach § 3 Abs. 1 TV AstD AGH in Höhe von 535,-- € brutto jährlich für die Laufzeit des Tarifvertrages besteht jedoch nicht.

a.

Der Kläger erfüllt aufgrund der fehlenden Mitgliedschaft nicht die für die zusätzliche Leistung in § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages vorgesehene Anspruchsvoraussetzung.

b.

Der geltend gemacht Zahlungsanspruch lässt sich auch nicht aus der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel in Ziffer 1 des Arbeitsvertrages herleiten. Danach finden auf das Arbeitsverhältnis die für die Beklagte geltenden Tarifverträge in der jeweilig geltenden Fassung Anwendung. Bei dieser Verweisungsklausel handelt es sich um eine sogenannte Gleichstellungsabrede. Durch die arbeitsvertragliche Einbeziehung eines Tarifvertrages wird nur dessen Geltung als Teil des Arbeitsvertrages begründet, nicht aber vertraglich eine umfassende Behandlung als Gewerkschaftsmitglied festgelegt. Wenn in den tariflichen Regelungen über den Geltungsbereich entsprechend § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG lediglich deklaratorisch bestimmt ist, dass die Regelungen nur für Mitglieder der zuständigen Gewerkschaft gelten, schließt das Fehlen der Mitgliedschaft eines Arbeitnehmers in der tarifschließenden Gewerkschaft die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages aufgrund einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Bezugnahme nicht aus. Ist jedoch eine inhaltliche Regelung dahin getroffen worden, dass eine bestimmte zusätzliche Leistung nur einem begrenzten Personenkreis von Gewerkschaftsmitgliedern zustehen soll, handelt es sich nicht nur um eine deklaratorische Wiedergabe des Tarifvertragsrechtes (vgl. BAG, 09.05.2007, 4 AZR 275/06, AP Nr. 23 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit = EzA Art. 9 GG Nr. 91, Randnummer 28). Hiervon ist im vorliegenden Sachverhalt auszugehen.

Eine Auslegung von § 3 TV AstD AGH ergibt, dass die ver.di-Mitgliedschaft als anspruchsbegründende Voraussetzung geregelt ist und nicht nur den Geltungsbereich deklaratorisch bestimmt. Die Angehörigkeit zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist bereits in § 1 des Tarifvertrages bei der Definition des tariflichen Geltungsbereiches genannt. Einer Wiederholung in § 3 Abs. 1 hätte es also nicht bedurft. Zudem ist durch die Stichtagsregelung in § 3 Abs. 3 TV AstD AGH die ver.di-Mitgliedschaft als weitere Voraussetzung der Geltendmachung zusätzlich für einen bestimmten Zeitraum vor Fälligkeit nachzuweisen. Hierdurch wird deutlich, dass ein eigenständiger Regelungswille der Tarifvertragsparteien bestand, die außerhalb dieses Personenkreises stehenden Arbeitnehmer von dem eingeräumten Anspruch auszunehmen.

c.

Die streitgegenständliche Differenzierungsregelung ist auch nicht unwirksam mit der Folge, dass der Anspruch auf die Ausgleichszahlung für sämtliche Arbeitnehmer eröffnet wäre, die über eine vertragliche Gleichstellungsabrede verfügen. Insbesondere ist die in § 3 Abs. 1 enthaltene Differenzierungsklausel nicht wegen Verletzung der positiven oder negativen Koalitionsfreiheit, der Vertragsfreiheit oder der Regelungen des Tarifvertragsgesetzes rechtswidrig.

aa.

Das erstinstanzliche Gericht ist im Ergebnis der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes (29. November 1967, GS 1/67, BAGE 20, 175) gefolgt. In dieser Entscheidung hat sich der Große Senat des Bundesarbeitsgerichtes ganz allgemein gegen die Wirksamkeit von tarifvertraglichen Differenzierungsklauseln ausgesprochen, die Leistungen ausschließlich für Gewerkschaftsmitglieder vorsehen. Verfassungsrechtlich verletze eine solche Differenzierung das Grundrecht der positiven Koalitionsfreiheit der Anlass und der negativen Koalitionsfreiheit der nicht organisierten Arbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG. Tarifrechtlich stellten die Differenzierungsklauseln eine Überschreitung der Tarifmacht dar. Eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit sei für die Arbeitgeberseite unzumutbar, die sich auf diese Weise in den Dienst des Koalitionsgegners spannen lassen müsse. Zudem verletze eine solche Differenzierung das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der Außenseiter. Sie stelle einen sozialinadäquaten Druck auf die Außenseiter dar. Insbesondere dürften solche Beiträge oder Ausgleichsbelastungen in keinem Fall mittels einer undurchsichtigen Differenzierung bei der Gewährung von Urlaubsgeld oder bei der Bemessung sonstiger tariflicher Leistungen erhoben werden. Eine solche Differenzierung verletze das Gerechtigkeitsempfinden nachhaltig.

bb.

In einer Entscheidung vom 09.05.2007 (4 AZR 275/06, AP Nr. 23 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit = EzA Art. 9 GG Nr. 91, Randnummer 31) hat der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichtes offengelassen, ob dieser Auffassung des Großen Senates von der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Differenzierungsklauseln und ihrer Begründung uneingeschränkt zu folgen ist oder ob und gegebenenfalls mit welcher Regelungstechnik und in welchem Umfang zusätzliche Leistungen bestimmt werden können, die nur Gewerkschaftsmitglieder erhalten sollen. Für die dem 4. Senat zur Entscheidung vorliegende atypische Differenzierungsklausel, die auch noch innerhalb der Mitgliedschaft nach einer Stichtagsregelung differenzierte, ist der Senat dem Verdikt des Großen Senates gefolgt. Die Differenzierungsklausel stehe zudem für den Fall eines Gewerkschaftsbeitrittes nach dem Stichtag und den Fall des späteren Austrittes aus der tarifschließenden Gewerkschaft in Widerspruch zu § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 3 TVG. Zugleich werde durch den sofortigen Wegfall der tariflichen Leistungen bei einem Gewerkschaftsaustritt in die negative Koalitionsfreiheit eingegriffen (vgl. BAG, 09.05.2007, 4 AZR 275/06, a. a. O., Randnummer 32 - 35).

Diese Rechtsprechung lässt sich auf die hier zur Entscheidung anstehende Differenzierungsklausel nicht ohne weiteres übertragen. Es handelte sich in dem vom 4. Senat des Bundesarbeitsgerichtes entschiedenen Fall um eine Regelung, der zufolge nur Arbeitnehmer eine Tariflohnerhöhung erhielten, die bis zu einem bei Tarifvertragsabschluss in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt in die Gewerkschaft eingetreten waren. Darüber hinaus sah die Differenzierungsklausel bei Austritt aus der Gewerkschaft einen sofortigen Wegfall und eine Rückzahlungsverpflichtung der zusätzlichen Vergütung vor. Diese Regelungstechnik ist in § 3 Abs. 3 TV AstD AGH nicht gewählt. Zwar sind hiernach nur die Beschäftigten anspruchsberechtigt, die ihre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ver.di für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag glaubhaft zum 30. Juni des Auszahlungsjahres nachgewiesen haben. Der dreimonatige Karenzzeitraum lag jedoch bezogen auf den Abschluss des Tarifvertrages am 20.12.2006/ 02.01.2007 und dessen Inkrafttreten am 01.01.2007 nicht in der Vergangenheit, sondern so weit in der Zukunft, dass die Anspruchsvoraussetzungen durch einen späteren Gewerkschaftsbeitritt ohne weitere Einschränkungen erfüllt werden konnten.

cc.

Für den nicht gewerkschaftszugehörigen Kläger kann dahinstehen, ob die Regelung in § 3 Abs. 3 TV AstD AGH wegen des dort vorgesehenen dreimonatigen Karenzzeitraumes in Widerspruch zu § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG steht. Danach ist die Geltung von Rechtsnormen des Tarifvertrages hinsichtlich der Tarifgebundenheit allein von dem Beginn der Mitgliedschaft abhängig. Mit dem Beitritt zur Gewerkschaft wird also grundsätzlich gegenüber einem tarifgebundenen Arbeitgeber ein Anspruch auf die tariflichen Leistungen begründet. Die Rechtswidrigkeit des § 3 Abs. 3 TV AstD AGH würde nach Auffassung der Kammer jedoch nicht ohne weiteres zu einem Wegfall der gesamten tariflichen Differenzierungsklausel führen. Entgegen der Auslegungsregel des § 139 BGB führt die Unwirksamkeit einer Tarifbestimmung in der Regel nicht zur Unwirksamkeit der übrigen tariflichen Vorschriften. Es kommt lediglich darauf an, ob der Tarifvertrag ohne die unwirksame Regelung noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellt (BAG, 09.05.2007, 4 AZR 275/06, a. a. O. Randnummer 37 m. w. N.).

Wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, kann unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die tarifvertragliche Vereinbarung in § 3 Abs. 1 TV AstD AGH als Differenzierungsklausel bestehen bleiben, da diese Regelung auch ohne die weitere Stichtagsregelung in § 3 Abs. 3 TV AstD AGH sinnvoll und praktikabel ist. Sie stellt weder - wie im Fall einer rückwirkenden Stichtagsregelung - Anspruchsvoraussetzungen auf, die von Arbeitnehmern, welche zur Zeit des Tarifabschlusses noch nicht Gewerkschaftsmitglied waren, nicht mehr erfüllt werden könnten, noch missachtet sie - wie in dem vom Bundesarbeitsgericht am 09.05.2007 entschiedenen Fall - die gesetzlichen Regelungen über die Nachbindung und Nachwirkung von Tarifverträgen durch die Vereinbarung einer Rückzahlungsverpflichtung bei späterem Gewerkschaftsaustritt.

dd.

Die Vereinbarung tariflicher Leistungen für Gewerkschaftsmitglieder bewegt sich nicht ohne weiteres außerhalb der den Tarifparteien durch § 9 Abs. 3 GG und das Tarifvertragsgesetz gewährten Tarifmacht. Vielmehr müssen es nicht organisierte Arbeitnehmer grundsätzlich hinnehmen, dass Ansprüche aus nicht allgemeinverbindlichen Tarifverträgen nur tarifgebundenen Arbeitnehmern zustehen. Dies entspricht der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit. Der davon ausgehende Druck auf den Außenseiter, der tarifschließenden Gewerkschaft beizutreten ist ebenso legitim, wie der nicht organisierte Arbeitnehmer nach dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG nicht die Gleichstellung mit tarifgebundenen Arbeitnehmern verlangen kann (BAG 21.01.1987, 4 AZR 486/86, AP Nr. 46 zu Art 9 GG, Rn. 30). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag in § 3 Abs. 1 TVG, 4 Abs. 1 S. 1 TVG gefunden, wonach nur dem tarifgebundenen Arbeitnehmer aufgrund seiner Organisationszugehörigkeit ein unabdingbarer Anspruch auf die tariflichen Leistungen zusteht.

Die Kammer vermag daher allein in der Vereinbarung von tariflichen Leistungen, die nur Gewerkschaftsmitgliedern zugute kommen, keine gesetzwidrige Maßnahme zu sehen. Auch das gewählte Mittel, nämlich die Anknüpfung an die Gewerkschaftszugehörigkeit, ist nicht bereits für sich genommen rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des 4. Senates des Bundesarbeitsgerichtes bestehen jedenfalls keine rechtlichen Bedenken, den Geltungsbereich eines Tarifvertrages an eine Verbandsmitgliedschaft zu knüpfen (vgl. BAG, 24.02.1999, 4 AZR 62/98, AP Nr. 17 zu § 3 TVG Verbandszughörigkeit = EzA § 3 TVG Nr. 16, Randnummer 32; Löwisch/Rieble, TVG, § 4, Randnummer 99).

Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, in dem Vorbehalt tariflicher Leistungen für Gewerkschaftsmitglieder stets eine unzulässige Beitragserhebung zugunsten der Gewerkschaft oder eine unzumutbare Gegnerfinanzierung zu sehen. Andernfalls ließe sich diese Beurteilung auf viele tariflich ausgehandelte Leistungen übertragen. Eben sowenig kann es entscheidend auf die gewerkschaftliche Motivation ankommen, den Gewerkschaftsmitgliedern zumindest einen Ausgleich für ihre Gewerkschaftsbeiträge zu verschaffen, da diese stets aus dem tariflich ausgehandelten Gesamteinkommen der Arbeitnehmer zu erbringen wären.

Letztendlich hat selbst der Große Senat des Bundesarbeitsgerichtes in seiner Grundsatzentscheidung erwogen, im Wege der Rechtsfortbildung die Vorteilsausgleichung mittels tariflicher Gestaltungsmittel zuzulassen. Hierzu hat er ausgeführt: "Ausgleichsforderungen müssten ihrem Wesen nach den davon betroffenen Außenseitern verständlich machen, dass sie nach Unkostengesichtspunkten für die mit ihnen abgegoltenen Gegenleistungen berechnet werden. Sie müssten sich daher nach den für das Arbeitsleben geltenden Redlichkeitmaßstäben auch als Beiträge oder als Ausgleichsbelastungen bezeichnen. Solche "Beiträge" oder "Ausgleichsbelastungen" dürfen daher in keinem Fall mittels einer undurchsichtigen Differenzierung bei der Gewährung von Urlaubsgeld oder der Bemessung sonstiger tariflicher Leistungen erhoben werden."( 29.11.2967, GS 1/67, BAGE 20, 175, 221). Auch in Anwendung dieser Maßstäbe bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Differenzierungsklausel. Diese ist nicht etwa in Form einer tariflichen Sonderleistung verschleiert worden, sondern in § 3 TV AstD AGH ausdrücklich als "Ausgleichszahlung für ver.di-Mitglieder" und "Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlung" bezeichnet worden. Auch die Höhe der Ausgleichszahlung ist klar definiert. Die Nettovergütungsdifferenz übersteigt nach den im einzelnen unbestrittenen Berechnungen der Beklagten bei der Mehrzahl der Mitarbeiter in der Beschäftigungseinrichtung des Klägers nicht den Jahresgewerkschaftsbeitrag.

ee.

Die streitgegenständliche Differenzierungsklausel verletzt ebenfalls nicht die negative Koalitionsfreiheit der nicht organisierten und die positive Koalitionsfreiheit der anders organisierten Arbeitnehmer.

Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Koalitionen zu bilden. Das Grundrecht schützt die Freiheit des Einzelnen, eine derartige Vereinigung zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben. Außerdem schützt es die Koalition in ihrem Bestand und ihrer organisatorischen Ausgestaltung sowie solche Betätigungen, die darauf gerichtet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Das Grundgesetz gewährleistet die Betätigungsfreiheit der Koalitionen jedoch nicht schrankenlos, sondern lässt eine Ausgestaltung durch den Gesetzgeber zu. Die zu beachtende Grenze wird überschritten, soweit einschränkende Regelungen nicht zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG aber nicht von vorneherein auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt. Vielmehr erstreckt sich der Grundrechtschutz der Gewerkschaft auf alle Verhaltensweisen, die koalitionsspezifisch sind. Ob eine koalitionsspezifische Betätigung für die Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit unerlässlich ist, kann erst bei Einschränkungen dieser Freiheit Bedeutung erlangen. Insoweit gilt für Art. 9 Abs. 3 GG nichts anderes als für die übrigen Grundrechte (Bundesverfassungsgericht, 14.11.1995, 1 BVR 601/92, AP Nr. 80 zu § 9 GG = EzA Art. 9 GG Nr. 60, Randnummer 20, 24).

Durch die Vereinbarung tariflicher Differenzierungsklauseln nimmt eine Gewerkschaft koalitionsspezifische Interessen wahr. Diese Grundrechtsbetätigung kann mit den Grundrechten der nicht oder anders Organisierten kollidieren. Die Koalitionsfreiheit ist jedoch noch nicht allein dadurch verletzt, dass organisierte und nicht organisierte Arbeitnehmer ungleich behandelt werden, auch wenn dadurch ein deutlicher Anreiz zum Betritt entstehen kann. Voraussetzung für eine Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit ist vielmehr, dass ein Zwang oder ein Druck auf die nicht Organisierten ausgeübt wird, einer Organisation beizutreten. Die rechtliche Freiheit, sich einer Organisation anzuschließen oder nicht anzuschließen wird nicht durch jeden möglichen Anreiz berührt (vgl. Bundesverfassungsgericht, 20.07.1971, 1 BVR 13/69, AP Nr. 34 zu § 11 ArbGG 1953, Randnummer 17). In einer Entscheidung vom 18.07.2000 hat das Bundesverfassungsgericht zum Arbeitnehmerentsendegesetz darauf abgestellt, dass die dortigen Beschwerdeführer weder zwangsweise Mitglied der tarifvertragschließenden Verbände wurden noch es ihnen unmöglich gemacht werde, sich anderweitig als Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG zusammenzuschließen. Soweit ein mittelbarer Druck entstehen solle, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragschließenden Parteien zu werden, sei dieser nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde (Bundesverfassungsgericht, 18.07.2000, 1 BVR 948/00, AP Nr. 4 zu § 1 Arbeitnehmerentsendegesetz = EzA Art. 9 GG Nr. 69, Randnummer 6). Auch der Große Senat des Bundesarbeitsgerichtes hat in seiner Entscheidung vom 21.02.1967 darauf hingewiesen, dass nicht bereits jeder Druck als Verletzung der positiven und negativen Koalitionsfreiheit anzusehen sei.

Die Grenze zwischen dem nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes hinzunehmenden sozialadäquaten Druck und einem rechtswidrigen sozialinadäquaten Druck zum Gewerkschaftsbeitritt ist im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zu ziehen. Danach ist zunächst festzustellen, dass die Mitgliederwerbung zu den geschützten Koalitionstätigkeiten gehört. Die Gewerkschaften schaffen damit das Fundament für die Erfüllung ihrer in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Aufgaben und sichern ihren Fortbestand sowie ihre Verhandlungsstärke (Bundesverfassungsgericht, 14.11.1995, 1 BVR 601/92 a. a. O., Randnummer 19). Entsprechend kann das Motiv der Gewerkschaften, bei Vereinbarung sanierungsbedingter Einkommenseinbußen einen möglichen Mitgliederschwund durch Ausgleichszahlungen einzudämmen oder zu verhindern, nicht von vornherein als inadäquat und rechtswidrig einzustufen sein. Auch die Höhe der streitgegenständlichen Ausgleichsleistung führt bei der überwiegenden Anzahl der Arbeitnehmer in der Beschäftigungseinrichtung des Klägers nicht zu einer Überkompensation des Gewerkschaftsbeitrages. Dieser Leistungsanreiz übt keinen so erheblichen Druck zum Gewerkschaftsbeitritt aus, dass eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit angenommen werden kann (vgl. auch LAG Niedersachsen, 11.12.2007, 5 Sa 914/07, DB 2008, 1977).

ff.

Die streitgegenständliche Differenzierungsklausel stößt ebenfalls nicht an die Grenzen der gemäß Art. 12 Abs.1 GG geschützten Vertragsfreiheit Dritter und des in § 4 Abs. 3 TVG normierten Günstigkeitsprinzips. § 3 Abs. 1 TV AstD AGH verhindert in keiner Weise, dass Außenseiter und Arbeitgeber den Inhalt der streitbefangenen Differenzierungsklausel individuell aushandeln. Es handelt sich um eine sogenannte einfache Differenzierungsklausel, die weder eine Tarifausschlussklausel enthält, welche es der Beklagten untersagt, die Leistung auch an nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer zu gewähren, noch mit einer sogenannten Spannensicherungsklausel versehen ist, die sicherstellen soll, dass der Gewerkschaftszugehörige immer durch Aufstockung einen gewissen Entgeltvorsprung automatisch erhält.

gg.

Die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Differenzierungsklausel kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass aufgrund der mit allen Arbeitnehmern vereinbarten Gleichstellungsabreden vor Abschluss des Sanierungstarifvertrages ein tariflicher Anspruch auf die Sonderzahlung bestand. Aufgrund der vereinbarten Gleichstellungsabrede haben die nicht gewerkschaftsgebundenen Arbeitnehmer lediglich einen Anspruch aus den Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung. § 2 des Sanierungstarifvertrages sieht für dessen Laufzeit ein befristeten Außerkrafttreten von § 19 TV AGH vor. Damit entfällt die tarifliche Sonderzahlung für sämtliche Arbeitnehmer. Die in § 3 Abs. 1 TV AstD AGH geregelte Ausgleichszahlung für Gewerkschaftsmitglieder unterliegt als zusätzliche Leistung für Gewerkschaftsmitglieder somit denselben Prüfungsmaßstäben wie alle tariflichen Differenzierungsklauseln.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 2 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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