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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 05.06.2002
Aktenzeichen: 15 Sa 1171/01
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT § 15 Abs. 6 b Unterabs. 2
BAT § 17 Abs. 1 Unterabs. 2
BAT § 17 Abs. 3 Satz 1
BAT § 35 Abs. 1 Satz 2 lit. b
BAT § 35 Abs. 3 Satz 2
Zur Frage, ob dem Angestellten für die Heranziehung zur Arbeit aus der Rufbereitschaft an Wochenfeiertagen Überstundenvergütung auch für Zeiten zusteht, an denen er ohne den Wochenfeiertag zu arbeiten gehabt hätte.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

15 Sa 1171/01

Verkündet am: 05.06.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 05.06.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Löber, den ehrenamtlichen Richter Moritz und die ehrenamtliche Richterin Büttner

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 12.06.2002 - 1 Ca 186/01 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 582,65 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit dem 17.04.2001.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für die Heranziehung zur Arbeit aus der Rufbereitschaft an Wochenfeiertagen Überstundenvergütung auch für die Zeiten zusteht, an denen er ohne den Wochenfeiertag zu arbeiten gehabt hätte.

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Der Kläger ist bei ihr als Oberarzt zu tariflichen Bedingungen beschäftigt. Die Oberärzte arbeiten montags bis freitags von 7:00 Uhr bis 15:30 Uhr arbeitstäglich 8 Stunden, wobei die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden durch Freischichten erreicht wird. Daneben wird für die Oberärzte abwechselnd Rufbereitschaft angeordnet: Montags bis freitags von 0:00 Uhr bis 7:00 Uhr und von 15:30 Uhr bis 24:00 Uhr, samstags und sonntags von 0:00 Uhr bis 24:00 Uhr. Fällt ein Wochenfeiertag auf einen Montag bis Freitag wird gleichfalls von 0:00 Uhr bis 24:00 Uhr Rufbereitschaft angeordnet. In letzterem Fall bewertet die Beklagte die 24-stündige Rufbereitschaft gemäß § 15 Abs. 6 b Unterabs. 2 BAT zu einem Achtel als Arbeitszeit und zahlt dafür die Überstundenvergütung gemäß § 38 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT. Für angefallene Arbeit einschließlich der Wegezeit zahlt sie daneben den Feiertagszuschlag gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c, aa und Abs. 2, Unterabs. 3 Satz 2 BAT sowie die Überstundenvergütung gemäß §§ 15 Abs. 6 b Unterabs. 3, 38 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT, soweit die Heranziehung in die Zeit von 0:00 Uhr bis 7:00 Uhr oder von 15:30 Uhr bis 24:00 Uhr fällt. Fällt Arbeit und Wegezeit in der Zeit von 7:00 Uhr bis 15:30 Uhr an, zahlt sie seit April 2000 keine Überstundenvergütung mehr, weil es sich um keine Überstunden handele, da es sich um Einsätze handele, die in die sonst übliche Arbeitszeit fielen.

Der Kläger war am Ostermontag, den 24.04.2000, am Himmelfahrttag, Donnerstag, den 01.06.2000, am Tag der deutschen Einheit, Dienstag, den 03.10.2000 und am 1. Weihnachtsfeiertag, Montag, den 25.12.2000 zur Rufbereitschaft eingeteilt. An diesen Tagen wurde er auch in der Zeit von 7:00 Uhr bis 15:30 Uhr zur Arbeit herangezogen: 5,5 Stunden am 24.04., 7,5 Stunden am 01.06., 7 Stunden am 03.10. und 6 Stunden am 25.12.2000.

Nach vergeblichen schriftlichen Geltendmachungen vom 24.08.2000 und 15.01.2001 hat er mit seiner Klage für diese Stunden die tarifliche Überstundenvergütung des § 38 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT eingeklagt:

24.04.2000 5,5 Stunden a) 49,61 DM = 272,86 DM

01.06.2000 7,5 Stunden a) 50,61 DM = 379,68 DM

03.10.2000 7,0 Stunden a) 50,61 DM = 354,27 DM

25.12.2000 6,0 Stunden a) 50,61 DM = 303,66 DM

insgesamt: 1.310,46 DM

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, bei der Bezahlung von tatsächlicher Arbeit an Wochenfeiertagen aus der Rufbereitschaft heraus gehe es nicht um die Vergütung von Überstunden, sondern um die Vergütung von Arbeitsleistung im Rufbereitschaftsdienst. Der Verweis auf die Überstundenvergütung in § 15 Abs. 6 b Unterabs. 3 BAT stelle eine reine Berechnungsgröße dar.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.310,46 DM brutto nebst 8,42 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Tarifvertragsparteien hätten keine Regelung für den Fall getroffen, dass dienstplanmäßige Arbeit in Folge eines Wochenfeiertags ausfalle und für die Zeit Rufbereitschaft angeordnet werde. Diese Lücke müsse dergestalt geschlossen werden, dass bei einer Heranziehung in dieser Zeit keine Überstundenvergütung zu zahlen sei, weil es sich um keine Überstunden handele, da die Arbeitsleistung in die Zeit falle, die ohne den Wochenfeiertag dienstplanmäßige regelmäßige Arbeitszeit sei.

Mit Urteil vom 12.06.2001 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 170,89 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen, im Übrigen jedoch die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe für die streitbefangenen Zeiten die Überstundenvergütung zu. Auch wenn die Arbeit in die Zeiten gefallen sei, in denen der Kläger im Rahmen seiner arbeitstäglichen regelmäßigen Arbeitszeit, wenn kein Wochenfeiertag angefallen wäre, Dienst gehabt hätte, so habe er im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern, die in Folge des Feiertags keine Arbeit zu erbringen hatten, mehr Arbeitsleistung erbracht. Da der Kläger aber bereits für diese Zeiten gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EntgeltfortzahlungsG Vergütung erhalten habe, obwohl in diesen Zeiten die Arbeit nicht wegen des Wochenfeiertags ausgefallen sei, könne er nur noch den 15 %igen Zuschlag zur Grundvergütung (§ 35 Abs. 1 Satz 2 a BAT) verlangen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen, das dem Kläger am 23.07. und der Beklagten am 24.07.2001 zugestellt worden ist. Der Kläger hat am 16.08.2001 Berufung eingelegt, die er am 12.09.2001 begründet hat. Die Beklagte hat am 18.10.2001 Anschlussberufung eingelegt.

Der Kläger wendet sich aus den in seiner Berufungsbegründungsschrift wiedergegebenen Gründen dagegen, dass ihm lediglich der Überstundenzuschlag zugesprochen worden ist. Auf die Berufungsbegründungsschrift vom 10.09.2001 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 582,65 G brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe

von 5 %-Punkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und im Übrigen die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Beklagte wendet sich aus den in ihrer Anschlussberufungsschrift wiedergegebenen Gründen dagegen, dass das Arbeitsgericht die streitbefangenen Zeiten der Heranziehung aus der Rufbereitschaft als Überstunden gewertet hat. Auf die Anschlussberufungsschrift vom 18.10.2001 und den ergänzenden Schriftsatz vom 16.05.2002 nebst Anlagen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Grund ihrer Zulassung statthafte Berufung (§ 64 Abs. 2 Buchstabe a ArbGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG a.F., §§ 518, 519 ZPO a.F., § 26 Nr. 5 EG ZPO). Die Statthaftigkeit der unselbstständigen Anschlussberufung ergibt sich aus § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 521 Abs. 1 ZPO a.F., § 26 Nr. 5 EG ZPO. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 518, 519, 522 a Abs. 1 und 2 ZPO a.F., § 26 Nr. 5 EG ZPO).

Die Berufung ist begründet, die Anschlussberufung dagegen unbegründet.

Der Kläger hat für die streitbefangenen Zeiten gemäß § 15 Abs. 6 b Unterabs. 3 BAT Anspruch auf die Überstundenvergütung. Diese ergibt sich gemäß § 35 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT aus der Stundenvergütung (§ 35 Abs. 3 Unter-abs.1 BAT) und dem Zeitzuschlag (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a BAT) und beträgt nach dem unstreitigen Rechenwert für den 24.04.2000 49,61 DM pro Stunde und für die übrigen Zeiten 50,61 DM pro Stunde. Die innerhalb der Ausschlussfrist des § 70 BAT geltend gemachten Klageansprüche sind deshalb begründet.

Gemäß § 15 Abs. 6 b Unterabs. 1 BAT ist der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes befugt, gegenüber dem Angestellten außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Rufbereitschaft anzuordnen. Die Lage der regelmäßigen Arbeitszeit wird durch den Dienstplan festgelegt. Nur für Zeiten außerhalb dieser dienstplanmäßigen Arbeitszeit kann folglich Rufbereitschaft angeordnet werden. Fällt die dienstplanmäßige Arbeitszeit wegen eines Wochenfeiertags aus, handelt es sich gleichwohl um dienstplanmäßig festgesetzte Arbeitszeit, die gemäß § 2 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG vergütungspflichtig bleibt. Das ergibt sich auch aus § 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BAT, wonach Überstunden diejenigen Arbeitsstunden sind, die auf Anordnung über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche dienstplanmäßig angeordneten Arbeitsstunden hinausgehen, wobei die auf Grund eines Wochenfeiertags ausgefallenen Stunden mitzählen (vgl. zum regelungsidentischen § 19 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 MTL II: BAG, Urteil vom 15.07.1999 -6 AZR 738/97, AP Nr. 2 zu § 27 MTL II). Schließen sich aber dienstplanmäßige Arbeitszeit und Rufbereitschaft gegenseitig aus, beinhaltet die Anordnung von Rufbereitschaft für an sich dienstplanmäßige Arbeitszeiten eine Dienstplanänderung, indem an die Stelle der dienstplanmäßigen Arbeit Rufbereitschaft angesetzt wird. Von einer Tariflücke kann folglich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht ausgegangen werden.

Daraus folgt, dass für den Kläger an den Tagen des 24.04., 01.06., 03.10. und 25.12.2000 in der Zeit von 7:00 Uhr bis 15:30 Uhr die dienstplanmäßige Arbeitszeit aufgehoben und an ihre Stelle Rufbereitschaft angeordnet worden war mit der Folge, dass er für die Zeiten der Heranziehung zur Arbeit einschließlich Wegezeit und einer eventuellen Garantiezeit die volle Überstundenvergütung verlangen kann.

Die Beklagte kann dem Kläger nicht entgegenhalten, dass es sich um keine Überstundenleistung gehandelt habe, weil er zu dienstplanmäßigen Zeiten zur Arbeit herangezogen worden sei, da die dienstplanmäßige Arbeitszeit durch die Anordnung der Rufbereitschaft gerade aufgehoben worden war. Anders als in dem dem Bundesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegten Fall (Urteil vom 15.07.1999, a.a.O.), in dem der Arbeitnehmer außerplanmäßig an einem Wochenfeiertag in der dienstplanmäßigen Arbeitszeit zur Arbeit herangezogen worden ist, ist vorliegend der Kläger in Folge der Änderung des Dienstplanes außerhalb seiner dienstplanmäßigen Arbeitszeit in der planmäßigen Rufbereitschaft zur Arbeit herangezogen worden.

Aus der Änderung des Dienstplanes durch die Anordnung der Rufbereitschaft folgt weiter, dass entgegen dem angefochtenen Urteil und entgegen dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (30.05.2001 - 17 Sa 121/01) von der Überstundenvergütung (§ 35 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT) nicht die Stundenvergütung (§ 35 Abs. 3 Unterabs.1 BAT) abzusetzen ist. Ist nämlich durch die Anordnung der Rufbereitschaft die dienstplanmäßige Arbeit an den betreffenden Wochenfeiertagen aufgehoben worden, ist auch keine dienstplanmäßige Arbeitszeit feiertagsbedingt ausgefallen, für die Feiertagsvergütung gezahlt worden wäre.

Die Kammer verkennt nicht, dass bei ihrer Lösung - Aufhebung der dienstplanmäßigen Arbeitszeit durch Anordnung der Rufbereitschaft - die verminderte dienstplanmäßige Arbeitszeit in Wochen mit einem Wochenfeiertag Einflug auf die Ermittlung der regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit des § 15 Abs. 1 BAT hat, nämlich zu einer Verminderung der Freischichten und damit wirtschaftlich zu einem ähnlichen Ergebnis führt, wie von der Beklagten erstrebt.

Die Zinsentscheidung beruht auf den §§ 288 Abs. 1 BGB a.F., 247 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F., 291 BGB, Art. 229 § 7 EG BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 91 Abs. 1 und 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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