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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 20.07.2005
Aktenzeichen: 15 Sa 1812/04
Rechtsgebiete: ArbZG, BAT, RL 93/104/EG


Vorschriften:

ArbZG § 3
BAT § 15
BAT § 17 Abs. 2
RL 93/104/EG Art. 2 Nr. 1
Zur Frage der vergütungsrechtlichen und arbeitszeitschutzrechtlichen Bewertung von Fahrzeiten anlässlich von Dienstreisen.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

15 Sa 1812/04

In dem Rechtsstreit

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2005 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Löber, den ehrenamtlichen Richter Velten, den ehrenamtlichen Richter Kuechler

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 15.09.2004 - 2 Ca 529/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die vergütungsrechtliche und arbeitszeitschutzrechtliche Bewertung von Fahrtzeiten anlässlich von Dienstreisen des Klägers, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Beklagten zu den Bedingungen des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) im Bundesamt ... in der Dienststelle in N... vollzeitig beschäftigt ist und dessen Verteilung seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden bzw. seiner regelmäßigen arbeitstäglichen Arbeitszeit von 7,7 Stunden sich nach der Gesamtdienstvereinbarung vom 29.12.1999 (GDV-Gleitzeit, Bl. 34 bis 39 d.A.) richtet, die in Nr. 8 Abs. 2 regelt:

Bei ganz- und mehrtägigen Dienstreisen ist für jeden Reisetag die für den Beschäftigen jeweils geltende Regelarbeitszeit zugrunde zu legen.

Bei Dienstreisen, deren Dauer der Regelarbeitszeit unterschreitet, ist die Dauer der tatsächlichen dienstlichen Abwesenheit zugrunde zu legen.

Ist Dienst am Geschäftsort oder während der Reisezeit vorgeschriebener Dienst über die Regelarbeitszeit hinaus zu verrichten, so ist die tatsächliche Dauer der Dienstverrichtung zugrunde zu legen. Aktenstudium ist hiervon ausgenommen.

Im Jahre 2002 hatte der Kläger mehrfach Aufgaben auswärtig zu erledigen, so dass Dienstreisen erforderlich wurden. Wegen der einzelnen Dienstreisen und der notwendigen Fahrtzeiten wird auf die Anlage 2 zur Klageschrift, insbesondere Bl. 29 f. und Bl. 72 f. der Anlage Bezug genommen.

Die Beklagte schrieb dem Arbeitszeitkonto des Klägers für die Dienstreisen lediglich die Zeiten gemäß Nr. 8 Abs. 2 der GDV-Gleitzeit gut, obwohl der Kläger mit seinen Korrekturbelegen zur Zeiterfassung (Bl. 31 bis 53 und Bl. 74 bis 95 der Anlage 2 zur Klageschrift) und mit Schreiben vom 17.05.2002 (Bl. 113 der Anlage 3 zur Klageschrift) die gesamten Fahrtzeiten als Arbeitszeiten geltend gemacht hatte.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Gutschrift der Differenzen zwischen den gutgeschriebenen Zeiten und den geltend gemachten Zeiten verlangt, die er insgesamt auf 164 Stunden und 42 Minuten berechnet hat. Wegen der Einzelheiten seiner Berechnung wird auf Bl. 29 f. und Bl. 72 f. der Anlage 2 zur Klageschrift Bezug genommen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dienstreisenbedingte Fahrtzeiten Arbeitszeiten seien mit der Folge, dass bei Dienstreisen die Fahrtzeiten und die Dienstzeit am Geschäftsort arbeitstäglich 10 Stunden nicht überschreiten dürfen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1. für das Jahr 2002 weitere Arbeitszeiten anzuerkennen in Höhe von 164 Stunden und 42 Minuten

2. im Rahmen ihres Weisungsrechtes die Arbeitszeit einschließlich der Dienstreisen so einzuteilen, dass eine tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden nicht überschritten wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

da Fahrtzeiten keine Arbeitszeiten seien.

Mit Urteil vom 15.09.2004, auf dessen Tatbestand Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger für Sonntag, den 16.06.2004 9 Stunden und 37 Minuten gutzuschreiben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird gleichfalls Bezug genommen, das dem Kläger am 13.10.2004 zugestellt worden ist und gegen das er am 09.11.2004 Berufung eingelegt hat, die er am 07.01.2005 begründet hat, nachdem auf seinen Antrag mit Beschluss vom 06.12.2004 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.01.2005 verlängert worden war.

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger aus den in seiner Berufungsbegründungsschrift wiedergegebenen Gründen gegen das Urteil, soweit es seine Klage abgewiesen hat. Auf die Berufungsbegründungsschrift vom 07.01.2005 und den ergänzenden Schriftsatz vom 04.07.2005 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, dem Gleitzeitkonto des Klägers für das Jahr 2002 weitere 155 Stunden und 5 Minuten gutzuschreiben,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die dienstlichen Wege- und die auswärtigen Geschäftszeiten so einzuteilen, dass die Arbeitszeit des Klägers einschließlich der dienstlichen Wegezeiten arbeitstäglich nicht 10 Stunden überschreitet, soweit keine außergewöhnlichen Fälle im Sinne des § 14 Arbeitszeitgesetz gegeben sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf ihre Berufungserwiderung vom 07.02.2005 und ihren ergänzenden Schriftsatz vom 14.07.2005 wird gleichfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

1.

Unabhängig von der Frage, ob dienstreisenbedingte Fahrtzeiten arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeiten sind, hat der Kläger keinen Anspruch auf Gutschrift weiterer Zeiten in sein Arbeitszeitkonto.

Der Kläger erhält sein monatliches Tarifgehalt als Gegenleistung für die Erbringung der tariflichen Arbeitszeit. Die tarifliche Arbeitszeit als Gegenleistung für das Gehalt ergibt sich aus den §§ 15 ff. BAT, zum Beispiel § 15 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 BAT. Für Dienstreisen ist in § 17 Abs. 2 BAT geregelt:

Bei Dienstreisen gilt nur die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit. Es wird jedoch für jeden Tag einschließlich der Reisetage mindestens die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit berücksichtigt.

Muss bei eintägigen Dienstreisen von Angestellten, die in der Regel an mindestens zehn Tagen im Monat außerhalb ihres ständigen Dienstortes arbeiten, am auswärtigen Geschäftsort mindestens die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit abgeleistet werden und müssen für die Hin- und Rückreise zum und vom Geschäftsort einschließlich der erforderlichen Wartezeiten mehr als zwei Stunden aufgewendet werden, wird der Arbeitszeit eine Stunde hinzugerechnet.

Einschlägig ist hier § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT. Ihm entspricht die Nr. 8 Abs. 2 der GDV-Gleitzeit. Danach ist die Beklagte bei der Führung des Arbeitszeitkontos des Klägers zu Recht verfahren.

§ 17 Abs. 2 BAT ist vergütungsrechtlich nicht zu beanstanden. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit Reisezeiten grundsätzlich vergütungspflichtig sind (vgl. zum Meinungsstand Küttner/Griese, Personalhandbuch 2005, Dienstreise, Rdnr. 4 - 7), können davon abweichende kollektivrechtliche oder einzelvertragliche Regelungen getroffen werden, wie in § 17 Abs. 2 BAT geschehen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 22.02.1978 - 4 AZR 579/76, AP Nr. 3 zu § 17 BAT).

Da das Arbeitszeitkonto des Klägers im Rahmen der GDV-Gleitzeit dazu dient, im Abrechnungszeitraum die tarifliche Arbeitszeit zu erreichen, die als Gegenleistung für das Tarifgehalt geschuldet ist, würde die Buchung von Reisezeiten über die Grenzen des § 17 Abs. 2 BAT hinaus dazu führen, dass der Kläger die tarifliche Arbeitszeit unterschritte, obwohl er das Tarifgehalt erhalten hat. Darauf hat er jedoch keinen Anspruch.

2.

Der Klageanspruch zu 2) ist gleichfalls unbegründet.

Richtig ist, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, im Rahmen seines Direktionsrechts (vgl. § 106 GewO) die Lage der Arbeitszeit so zu organisieren, dass die arbeitszeitschutzrechlich zulässigen Arbeitszeiten nicht überschritten werden. Da bei dem Kläger keine Bereitschaftszeiten anfallen, darf seine arbeitstägliche Arbeitszeit grundsätzlich nicht 10 Stunden überschreiten (§§ 3, 7 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG). Gleichwohl ist sein Klagebegehren unbegründet, weil nicht die gesamte Fahrtzeit anlässlich einer Dienstreise Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitschutzrechts ist.

Gehört das Reisen zur arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht, wie bei Kraftfahrern oder bei Handlungsreisenden, so zählt die Fahrtzeit arbeitszeitrechtlich zur Arbeitszeit. Zeitaufwand für Dienstreisen, also für Reisen zur Erledigung von Dienstgeschäften außerhalb des Betriebs, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist, zum Beispiel bei Bauarbeitern und Montagearbeitern stellt dagegen arbeitszeitrechtlich keine Arbeitszeit dar, soweit der Arbeitnehmer während der Reise keine hauptleistungspflichtigen Tätigkeiten erbringt (BAG, a.a.O.; Schliemann, § 2 ArbZG, Rdnr. 37).

Zwar entfaltet der Kläger während der Fahrtzeiten auch hauptleistungspflichtige Tätigkeiten, wenn er sich durch Aktenstudium auf das Dienstgeschäft am Geschäftsort vorbereitet. Da seine Fahrtzeit nach seinem eigenen Vortrag damit aber nicht vollständig ausgefüllt ist - er spricht nur davon, dass seine Fahrtzeit überwiegend mit Aktenstudium ausgefüllt ist, ist nicht die gesamte Fahrtzeit arbeitszeitrechtlich Arbeitszeit. Die Beklagte ist also nicht verpflichtet, seine Arbeitszeit so zu organisieren, dass die Geschäftszeit am Ort des Dienstgeschäfts und die gesamte Fahrtzeit arbeitstäglich nicht 10 Stunden überschreitet.

Entgegen der Ansicht des Klägers gebietet Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 93/104 des Rates der Europäischen Gemeinschaft keine andere Auslegung. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie bestimmt, dass Arbeitszeit jede Zeitspanne ist, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Geflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Dabei ist der Regelungszusammenhang zur Ruhezeit (Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie) zu sehen, da beide Begriffe einander ausschließen (EuGH, Urteil vom 03.10.2000, C-303/98, Simap).

Anders als im Falle des Bereitschaftsdienstes im Betrieb (dazu EuGH, a.a.O.) arbeitet der Kläger nicht während der gesamten Fahrtzeit, auch steht er dem Arbeitgeber nicht in der gesamten Fahrtzeit zur Verfügung, um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen. Vielmehr entscheidet er selbst, ob und wann er seine Arbeit des Aktenstudiums aufnimmt und wann er ruht. Die Lage der Arbeitszeit und der Ruhezeit sind nicht arbeitsbedingt vorgegeben. Vielmehr kann der Kläger die Ruhezeit autonom bestimmen.

Die Einbindung in die vom Arbeitgeber gesetzte Arbeitsorganisation ist insoweit noch geringer als bei der Rufbereitschaft, bei der der Arbeitseinsatz durch den situationsbedingten Arbeitsanfall bestimmt wird, also durch keine autonome Entscheidung des Arbeitnehmers. Gleichwohl sind nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) bei der Rufbereitschaft Zeiten der Nichtinanspruchnahme Ruhezeiten und keine Arbeitszeiten.

Der Umstand, dass der Kläger bei Fahrtzeiten anders als der Arbeitnehmer in der Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen kann und von seinem sozialen und familiären Umfeld getrennt ist, gebietet keine andere Bewertung. Unabhängig davon, dass die Situation insoweit nicht anders ist als bei dem Weg vom Wohnort zum Betrieb, ist der Sinn und Zweck der arbeitszeitschutzrechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen, die den Arbeitnehmer vor einer arbeitsmäßigen Überbeanspruchung schützen und ihm eine ausreichende Ruhezeit zur Erholung geben sollen. Wenn der Kläger aber bei dienstreisebedingten Fahrtzeiten auf Grund autonomer Entscheidung Ruhezeiten einlegen kann, braucht er insoweit auch nicht vor einer Überbeanspruchung geschützt zu werden.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO, die Zulassung der Revision auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.



Ende der Entscheidung

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