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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 05.09.2007
Aktenzeichen: 15 TaBV 3/07
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 19
BetrVG § 25 Abs. 2
BetrVG § 27 Abs. 1 Satz 2
BetrVG § 27 Abs. 1 Satz 3
Zur Frage der Bestimmung von Ersatzmitgliedern zum Betriebsausschuss.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

15 TaBV 3/07

In dem Beschlussverfahren

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgericht Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 5. September 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Löber, den ehrenamtlichen Richter Niederheide, den ehrenamtlichen Richter Bathge

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgericht Braunschweig vom 13.12.2006 - 4 BV 39/06 - abgeändert.

Die am 11.05.2006 durchgeführte Wahl der Ersatzmitglieder des Betriebsausschusses wird für unwirksam erklärt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl von zwei Ersatzmitgliedern für den Betriebsausschuss.

In dem Betrieb des zu 6) beteiligten Arbeitgebers ist der zu 3) beteiligte Betriebsrat gebildet, der aus 17 Mitgliedern besteht. Bei der Wahl für die Wahlperiode vom 04.04.2006 bis 03.04.2010 entfielen auf die Liste IG Metall 12 Sitze, auf die Liste Alternative Metaller 3 Sitze und auf die Liste Mehr Öffentlichkeit 2 Sitze (Bl. 37 f. d.A.). Über letztere Listen zogen die zu 1) und zu 2) beteiligten Antragsteller des vorliegenden Verfahrens in dem Betriebsrat ein.

Nach seiner Konstituierung und der Wahl des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden wählte der Betriebsrat am 03.04.2006 die fünf weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses im Wege der Verhältniswahl. Zur Wahl standen auf der Liste IG Metall die Betriebsratsmitglieder A., B., L., U. und K., auf der Liste Mehr Öffentlichkeit das Betriebsratsmitglied I., also der Beteiligte zu 1) und auf der Liste Alternative Metaller das Betriebsratsmitglied S. Es entfielen 12 Stimmen auf die Liste der IG Metall und 5 Stimmen auf die Liste Mehr Öffentlichkeit, so dass nach dem d'hondtschen Höchstzahlverfahren gewählt waren: A. (12 Stimmen), B. (6 Stimmen), der Beteiligte zu 1) (5 Stimmen), L. (4 Stimmen) und U. (3 Stimmen). Das auf der IG Metallliste an fünfter Stelle nicht gewählte Betriebsratsmitglied K. ist am 30.04.2006 aus dem Betriebsrat ausgeschieden.

Am 13.04.2006 gab sich der Betriebsrat eine Geschäftsordnung (Bl. 4 ff. d.A.), in der in Nummer 4 Satz 2 bestimmt ist, dass zur Sicherstellung der Beschlussfähigkeit des Betriebsausschusses zwei Ersatzmitglieder in der Vertreterreihenfolge zu wählen sind. Am 11.05.2006 erfolgte die Wahl der Ersatzmitglieder in Listenwahl, wobei auf die Liste der IG Metall mit den Kandidaten 1. C. (Beteiligter zu 4)), 2. E. (Beteiligter zu 5)) 12 Stimmen und auf die Liste Mehr Öffentlichkeit mit dem Kandidaten K. (Beteiligter zu 2)) vier Stimmen entfielen, so dass nach dem d'hondtschen Höchstzahlverfahren die Beteiligten zu 4) und zu 5), also die Kandidaten der IG Metallliste gewählt waren.

Mit ihrer am 24.05.2006 eingereichten Anfechtungsschrift haben die Beteiligten zu 1) und zu 2) die Unwirksamkeit der Wahl vom 11.05.2006 geltend gemacht.

Die Antragsteller haben in erster Instanz die Ansicht vertreten, dass bei der Wahl der Ersatzmitglieder des Betriebsausschusses der Minderheitenschutz verletzt worden sei. Eine gesonderte Wahl der Ersatzmitglieder sei grundsätzlich unzulässig, sofern die Ausschussmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt worden seien. Vielmehr sei analog § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auf die Liste zur Betriebsratswahl zurückzugreifen, so dass im Verhinderungsfall des Beteiligten zu 1) das in den Betriebsrat nachrückende Ersatzmitglied auch in den Betriebsausschuss nachrücke.

Die Antragsteller haben beantragt,

die in der Betriebsratssitzung vom 11.05.2006 durchgeführte Wahl der Ersatzmitglieder für den Betriebsausschuss für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat und die Beteiligten zu 4) und 5) haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie haben sich auf die Geschäftsordnung vom 13.04.2006 berufen und den Antragstellern entgegen gehalten, dass ein Rückgriff auf die Listen zur Betriebsratswahl nicht möglich sei und die Liste der Antragsteller zur Wahl der weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses erschöpft sei.

Mit Beschluss vom 13.12.2006 hat das Arbeitsgericht die Wahlanfechtung für unbegründet erachtet. Zwar sei gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden, weil wegen der Erschöpfung der Vorschlagslisten zur Wahl der Mitglieder des Betriebsausschusses die Wahl der Ersatzmitglieder für den Fall der Verhinderung des Beteiligten zu 1) nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl hätte erfolgen müssen. Wegen der Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat wäre die Wahl jedoch nicht anders ausgefallen, so dass der Wahlverfahrensverstoß keine Auswirkung gehabt habe.

Gegen den ihnen am 14.12.2006 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 11.01.2007 Beschwerde eingelegt, die sie am 14.03.2007 begründet haben, nachdem auf ihren am 14.02.2007 angebrachten Antrag die Beschwerdebegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.

Die Antragsteller sehen weiterhin den Minderheitenschutz verletzt und meinen nunmehr, die Bestimmung von Ersatzmitgliedern erfordere eine Neuwahl aller weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses. Die Vorschlagslisten seien lediglich für die Wahl der weiteren ordentlichen Mitglieder des Betriebsausschusses aufgestellt worden, nicht jedoch im Hinblick auf die Möglichkeit der Heranziehung von Ersatzmitgliedern. Mithin könne sich der Minderheitenschutz im Hinblick auf die Nachrücker nicht auf die Wahlvorschläge anlässlich der Wahl der weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses begrenzen, da die Wahl von Nachrückern von vornherein nicht vom Zweck der Wahlvorschläge umfasst gewesen sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründungsschrift vom 14.03.2007 Bezug genommen.

Die Antragsteller beantragen,

in Abänderung des angefochtenen Beschlusses nach ihrem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Der Betriebsrat und die Beteiligten zu 4) und 5) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie halten dafür, dass das Arbeitsgericht die Anfechtung der Wahl vom 11.05.2006 im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet hat. Im Übrigen sei der Minderheitenschutz auf die Listen der Wahl der weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses beschränkt. Die geforderte Neuwahl aller weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses bei Ausscheiden oder Verhinderung eines Mitglieds führe zudem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsausschusses. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beschwerdeerwiderung vom 07.04.2007 Bezug genommen.

II.

Die statthafte Beschwerde (§ 87 Abs. 1 ArbGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2 Satz 1, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG i.V.m. § 66 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 5 ArbGG).

Die mithin zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Wahl der Ersatzmitglieder für den Betriebsausschuss vom 11.05.2006 ist unwirksam.

Die Wahlanfechtung ist zulässig. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. 1. bis 3. seines Beschlusses Bezug genommen.

Die Wahlanfechtung ist begründet.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Wahl vom 11.05.2006 gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden ist. Die Beschwerdekammer folgt ihm jedoch nicht dahin, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

Das Betriebsverfassungsgesetz enthält keine Regelungen über die Wahl von Ersatzmitgliedern für Ausschüsse des Betriebsrates. Es steht ihm jedoch frei, ob er in entsprechender Anwendung der §§ 47 Abs. 3, 55 Abs. 2 BetrVG Ersatzmitglieder für seine Ausschüsse wählt. In welcher Weise das zu geschehen hat, ist in Einzelheiten streitig (vgl. Fitting u.a., BetrVG, 23. Auflage, § 27, Rdnr. 28 ff., Richardi/Thüsing, BetrVG, 10. Auflage, § 27, Rdnr. 18 ff.; GK-Raab, BetrVG, 8. Auflage, § 27, Rdnr. 43 ff.). Für den Fall des Ausscheidens eines Mitglieds aus dem Ausschuss und einer erforderlichen Nachbesetzung hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Beschluss vom 16.03.2005 - 6 ABR 43/04, AP Nr. 6 zu § 28 BetrVG 1972 = EzA § 28 BetrVG 2001 Nr. 2), dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthalte, die für den Fall, dass die Ausschussmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt worden seien, durch die entsprechende Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu schließen sei. Gleiches muss nach Auffassung der Beschwerdekammer auch für den Fall gelten, dass der Betriebsrat Ersatzmitglieder für die gewählten, aber zeitweise verhinderten Ausschussmitglieder heranziehen will. Sind die Ausschussmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt worden, so sind die Ersatzmitglieder der Vorschlagsliste zu entnehmen, über die das zeitweilig verhinderte Ausschussmitglied in den Ausschuss gewählt worden ist.

Damit ist jedoch noch nicht die Frage geklärt, wie zu verfahren ist, wenn, wie vorliegend, die Vorschlagslisten erschöpft sind, über die die weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses gewählt worden sind. Zudem ist die Frage offen, wie Ersatzmitglieder für die geborenen Mitglieder des Betriebsausschusses, also für den Vorsitzenden des Betriebsrats und seinen Stellvertreter (§ 27 Abs. 1 Satz 2) zu bestimmen sind. Nach der Erklärung des Vorsitzenden des Betriebsrats in der mündlichen Anhörung vor der Beschwerdekammer ist die Wahl von zwei Ersatzmitgliedern in erster Linie deshalb erfolgt, weil zwischenzeitlich er und sein Stellvertreter in den Gesamtbetriebsrat gewählt worden seien und deshalb mit ihrer häufigeren Abwesenheit zu rechnen gewesen sei.

Für den Fall der Erschöpfung der Vorschlagsliste für die Wahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder (§ 38 BetrVG) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Beschluss vom 14.11.2001 - 7 ABR 31/00, AP Nr. 24 zu § 38 BetrVG 1972 = EzA BetrVG 1972, § 38 Nr. 19), dass im Wege der Mehrheitswahl für Ersatz zu sorgen sei. In seinem Beschluss vom 16.03.2005 (a.a.O.) hat es ausgeführt, im Fall der Erschöpfung einer Vorschlagsliste wäre der von § 38 Abs. 2 Satz 8 und § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG bezweckte Minderheitenschutz bei einer Nachwahl in Mehrheitswahl nicht beeinträchtigt, da dieser Schutz nicht weiter reiche als der ursprünglich eingereichte Wahlvorschlag. Eine Neuwahl hat es nur im Falle der Aufstockung der Mitglieder eines Ausschusses nach § 28 BetrVG für erforderlich gehalten, weil der ursprüngliche Wahlvorschlag auf eine geringere Zahl von Ausschussmitgliedern zugeschnitten gewesen sei. Da die Zusammensetzung der Wahlvorschläge unter Umständen entscheidend von der Zahl der zu Wählenden abhänge, werde bei der späteren Vergrößerung des Ausschusses dem ursprünglichen Wahlvorschlag die Grundlage entzogen.

Vorliegend geht es jedoch nicht um die Erhöhung der Zahl der Mitglieder eines Ausschusses nach § 28 BetrVG, sondern um die Wahl von Ersatzmitgliedern für die ordentlichen weiteren Mitglieder des Personalausschusses, deren Anzahl in § 27 Abs. 1 Satz 2 BetrVG festgelegt ist. In diesem Fall eine Neuwahl für erforderlich zu halten, überspannte den Minderheitenschutz und beeinträchtigte die Arbeitsfähigkeit des Betriebsausschusses, dem gerade die Wahrnehmung der laufenden Geschäfte des Betriebsrats obliegt.

Aus allem folgt, dass vorliegend im Wege der Mehrheitswahl Ersatzmitglieder jeweils für den Fall der Verhinderung des Beteiligten zu 1), der über die erschöpfte Liste Mehr Öffentlichkeit in den Betriebsausschuss gewählt worden ist, und jeweils für den Fall der Verhinderung von Mitgliedern, die über die Liste IG Metall in den Betriebsausschuss gewählt worden sind, zu wählen gewesen wären. Gleiches gilt für die Wahl von Ersatzmitgliedern für den Fall der Verhinderung des Vorsitzenden des Betriebsrates und/oder seines Stellvertreters, falls der Betriebsrat nicht bereits für diesen Fall eine allgemeine Vertretungsregelung getroffen hätte (vgl. GK-Raab, a.a.O., Rdnr. 42; Fitting u.a., a.a.O., Rdnr. 43), wovon aber im Hinblick auf die Erklärung des Vorsitzenden des Betriebsrates zum Anlass der Wahl der Ersatzmitglieder nicht auszugehen ist. Eine einheitliche Wahl von zwei Ersatzmitgliedern für jeden Verhinderungsfall war dagegen nicht angängig, erst recht nicht im Wege der Verhältniswahl, weil dabei die Mitglieder der Minderheitengruppen faktisch nicht zum Zuge kommen konnten (vgl. Fitting u.a., a.a.O., Rdnr. 37 ff.).

Soweit das Arbeitsgericht die Anfechtung der Wahl gleichwohl für unbegründet erachtet hat, weil es auch bei einer Mehrheitswahl bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen zu keinem anderen Wahlergebnis gekommen wäre, vermag die Beschwerdekammer dem nicht zu folgen, insbesondere deshalb nicht, weil die Ersatzmitglieder nicht in einem Wahlgang zu wählen gewesen wären, sondern jeweils in separaten Wahlgängen zur Wahl von Ersatzmitgliedern für den Fall der Verhinderung des Beteiligten zu 1), für den Fall der Verhinderung eines über die IG Metallliste gewählten Mitglieds und für den Fall der Verhinderung des Vorsitzenden des Betriebsrates und/oder seines Stellvertreters. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass bei dem gebotenen separaten Wahlgang zur Wahl des oder der Ersatzmitglieder für den Fall der Verhinderung des Beteiligten zu 1) sich eine Mehrheit dafür gefunden hätte, dass das Ausschussmitglied der Minderheitengruppe im Falle seiner Verhinderung durch einen Vertreter der Minderheitengruppe vertreten wird, zumal dieses demokratischen Geflogenheiten entspräche.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 92 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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