Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 16.06.2009
Aktenzeichen: 3 Sa 1956/06 B
Rechtsgebiete: BetrAVG


Vorschriften:

BetrAVG § 2 Abs. 5 Satz 1
Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG bleiben bei der Berechnung des Teilanspruchs nach § 2 Abs. 1 BetrAVG Veränderungen der Versorgungsregelungen und der Bemessungsgrundlagen für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers eintreten, außer Betracht. Damit sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens anhand der Versorgungszusage so zu ermitteln, wie sie für einen zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Versorgungsfall gegolten hätten. Wird die Versorgungsleistung nach dem vor Eintritt des Versorgungsfalls bezogenen Bruttoverdienst bemessen, dann ist dieser Verdienst die beizubehaltende Bemessungsgrundlage. Es ist damit zu unterstellen, dass der Arbeitnehmer bei seinem tatsächlichen späteren Versorgungsfall das Gleiche verdient hätte wie bei seinem tatsächlichen Ausscheiden. Es ist nicht etwa ein hypothetischer Verdienst bei Erreichen der Regelaltersgrenze oder der in der Versorgungsregelung vorgesehenen Altersgrenze zugrunde zu legen.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 1956/06 B

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2009 durch

den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang, den ehrenamtlichen Richter Herr Broska, die ehrenamtliche Richterin Frau de Weert für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 04.07.2006 - 5 Ca 714/05 B - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.346,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf monatlich 53,33 € seit dem 01.06.2002 bis zum 01.01.2006 zu zahlen sowie an den Kläger ab dem 01.01.2006 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 382,63 € zu zahlen; im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten tragen der Kläger zu 58 % und die Beklagte zu 42 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 68 % und die Beklagte zu 32 %.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der an den Kläger ab dem 01.05.2002 zu zahlenden Betriebsrente. Der am 00.00.1941 geborene Kläger war seit dem 11.11.1959 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Firma W. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand die Pensionsordnung der Firma W. vom 01.07.1976 Anwendung, wegen deren genauen Inhalts auf die mit der Klageschrift überreichte Kopie (Bl. 7 bis 11 d. A.) Bezug genommen wird. Auf Grund einer Vereinbarung vom 11.11.1999 endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.11.1999. Seit dem 01.05.2002 gewährt die Beklagte dem Kläger eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 329,30 €, wegen deren Berechnung auf die mit der Klageschrift überreichte Kopie einer Auskunft über die unverfallbare Anwartschaft vom 02.02.2000 (Bl. 12 d. A.) sowie auf ein Schreiben der Beklagten vom 19.02.2003 (Bl. 17 d. A.) verwiesen wird. Dabei nahm die Beklagte sowohl eine Kürzung wegen des vorzeitigen Ausscheidens des Klägers als auch wegen des vorzeitigen Rentenbezugs vor.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, unter Berücksichtigung des "Barber-Urteils" des Europäischen Gerichtshofs ergebe sich für die Zeit bis zum 17.05.1990 ein Teilanspruch in Höhe von 343,95 und für den Zeitraum danach in Höhe von 119,90 €, so dass sein Gesamtbetriebsrentenanspruch 454,85 € monatlich betrage. Die von der Beklagten vorgenommene zweite Kürzung der Rente wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente sei unzulässig. Die Regelung in § 4 der Versorgungsordnung sei nicht einschlägig, weil er nicht von der flexiblen Altersgrenze in der Rentenversicherung Gebrauch gemacht habe. Eine zeitratierliche Kürzung wegen des vorzeitigen Rentenbezuges komme nur bei Inanspruchnehmen einer Invaliditätsrente in Betracht.

Der Kläger hat beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5398,65 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf Teilbeträge in Höhe von jeweils 194,55 seit dem 01.06.2002, 01.07.2002, 01.08.2002, 01.09.2002, 01.10.2002, 01.11.2002, 01.12.2002, 01.01.2003, 01.02.2003, 01.03.2003, 01.04.2003, 01.05.2003, 01.06.2003, 01.07.2003, 01.08.2003, 01.09.2003, 01.10.2003, 01.11.2003, 01.12.2003, 01.01.2004, 01.02.2004, 01.03.2004, 01.04.2004, 01.05.2004, 01.06.2004, 01.07.2004, 01.08.2004, 01.09.2004, 01.10.2004, 01.11.2004, 01.12.2004, 01.01.2005, 01.02.2005, 01.03.2005, 01.04.2005, 01.05.2005, 01.06.2005, 01.07.2005, 01.08.2005, 01.09.2005, 01.10.2005, 01.11.2005, 01.12.2005, 01.01.2006 zu zahlen;

2.

die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.01.2006 Monat für Monat 454,85 € betriebliche Altersrente zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, aus § 4 der Pensionsordnung folge wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente eine Reduzierung des Rentenbetrages in Höhe von 23,5 % (0,5 % x 47 Monate).

Durch Urteil vom 04.07.2006 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 802,38 € nebst Zinsen sowie beginnend mit dem 01.01.2006 monatlich 347,96 € Betriebsrente zu zahlen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 56 bis 58 d. A.) Bezug genommen. Das Urteil ist dem Kläger am 01.12.2006 zugestellt worden. Hiergegen hat der Kläger am 21.12.2006 Berufung eingelegt und diese am 01.02.2007 begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, aus der Pensionsordnung ergebe sich, dass die begünstigten Arbeitnehmer bei einer Dienstzeit von 25 Jahren die Höchstrentenleistung erhalten sollten. Maßgebend für das Erreichen der Höchstrente sei damit nicht das 65. Lebensjahr, sondern eine Betriebstreue von 25 Dienstjahren. Für die Ermittlung der Rentenhöhe sei auf den hypothetischen Bruttomonatsverdienst im 4. Monat vor Ausscheiden auf Grund des 65. Lebensjahres (Dezember 2005) abzustellen.

Der Kläger beantragt,

1.

auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 04.07.2006, Aktenzeichen 5 Ca 714/05 B, abgeändert, soweit es die Klage abgewiesen hat.

2.

die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.398,65 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf Teilbeträge in Höhe von jeweils 194,55 € seit dem 01.06.2002, 01.07.2002, 01.08.2002, 01.09.2002, 01.10.2002, 01.11.2002, 01.12.2002, 01.01.2003, 01.02.2003, 01.03.2003, 01.04.2003, 01.05.2003, 01.06.2003, 01.07.2003, 01.08.2003, 01.09.2003, 01.10.2003, 01.11.2003, 01.12.2003, 01.01.2004, 01.02.2004, 01.03.2004, 01.04.2004, 01.05.2004, 01.06.2004, 01.07.2004, 01.08.2004, 01.09.2004, 01.10.2004, 01.11.2004, 01.12.2004, 01.01.2005, 01.02.2005, 01.03.2005, 01.04.2005, 01.05.2005, 01.06.2005, 01.07.2005, 01.08.2005, 01.09.2005, 01.10.2005, 01.11.2005, 01.12.2005, 01.01.2006 zu zahlen.

3.

die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger, beginnend ab dem Monat 01.01.2006 Monat für Monat 454,85 € betriebliche Altersrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 05.03.2007 (Bl. 134 bis 144 d. A.) sowie vom 06.03.2009 (Bl. 200/201 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 66, 64 ArbGG, 519 520 ZPO).

Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet.

Die Beklagte ist gemäß der Pensionsordnung für die Firma W. GmbH aus dem Jahr 1976 (im Folgenden PO 76) verpflichtet, an den Kläger beginnend mit dem 01.05.2002 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 382,63 € zu zahlen. Für den Zeitraum vom 01.05.2002 bis zum 31.12.2005, also für insgesamt 44 (nicht: 43) Monate errechnet sich ein Nachzahlungsbetrag von 2.346,52 €.

Dem Grunde nach ist der Rentenanspruch zwischen den Parteien unstreitig. Im Hinblick auf die Berechnung der Rente gilt Folgendes:

Zur Berechnung der Betriebsrente sind zwei Rentenstämme zu bilden. Die PO 76 sieht nämlich für Männer und Frauen unterschiedliche Altersgrenzen vor (65 bzw. 60 Jahre). Für die Beschäftigungszeiten des Klägers bis zur Verkündung der EUGH-Entscheidung in Sachen "Barber" am 17.05.1990 bleibt es bei der innerstaatlichen, deutschen Rechtslage, wonach unterschiedliche Altersgrenzen für Männer und Frauen nicht gegen Artikel 3 Abs. 3 GG verstießen. Für die Zeit nach dem 17.05.1990 verstoßen derartige unterschiedlichen Altersgrenzen jedoch gegen das in Artikel 141 EG (vormals Artikel 119 EG-Vertrag) enthaltene europarechtliche Gebot der Entgeltgleichheit für die Geschlechter. Daher ist für die Zeiten bis zum Stichtag am 17.05.1990 auf die nach der Versorgungsordnung für Männer geltende feste Altersgrenze (65 Jahre) und für die Zeiten danach von der für Frauen geltenden Altersgrenze (60 Jahre) auszugehen.

Ausgangspunkt der Berechnung ist die für den Kläger geltende fiktive Vollrente, die nach Rentenstämmen zeitanteilig zu kürzen ist. Berechnungsgrundlage hierfür ist gemäß § 3 Ziffer 1. Satz 2 PO 76 das Grundgehalt des vierten Monats vor Rentenbeginn. Aus der Regelung in § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ergibt sich jedoch, dass bei der Berechnung des Teilanspruchs nach § 2 Abs. 1 BetrAVG Veränderungen der Versorgungsregelungen und der Bemessungsgrundlagen für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers eintreten, außer Betracht bleiben. Damit sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens anhand der Versorgungszusage so zu ermitteln, wie sie für einen zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Versorgungsfall gegolten hätten. Wird die Versorgungsleistung an dem vor Eintritt des Versorgungsfalls bezogenen Bruttoverdienst bemessen, dann ist er die beizubehaltende Bemessungsgrundlage. Es ist daher zu unterstellen, dass der Arbeitnehmer bei seinem tatsächlichen späteren Versorgungsfall das Gleiche verdient hätte wie bei seinem tatsächlichen Ausscheiden (Höfer, § 2 BetrAVG Rn. 3341). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 12.03.1991 - 3 AZR 63/90 - AP 68 zu § 7 BetrAVG = NZA 92, 132). Nichts anderes ergibt sich entgegen der Rechtsansicht des Klägers aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.09.2008 (3 AZR 1061/06 - DB 2009, 296 (LS)). Hierin heißt es zwar, dass die Bemessungsgrundlagen auf den Zeitpunkt des in der Versorgungsordnung vorgesehenen Versorgungsfalles hochzurechnen sind. Gleichzeitig führt das Bundesarbeitsgericht in der zitierten Entscheidung jedoch weiter aus, dass nicht feststehe, welchen Bruttomonatsverdienst der Kläger im dortigen Verfahren im vierten Monat vor dem Ausscheiden auf Grund des 65. Lebensjahres erhalten hätte. Daher sei der Bruttomonatsverdienst im vierten Monat vor Austritt aus dem Arbeitsverhältnis heranzuziehen. Das erkennende Gericht versteht die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichtes in diesem Punkt so, dass in den Fällen eines vorzeitigen Ausscheidens nicht auf das hypothetische Entgelt bei Vollendung des 65. Lebensjahres abgestellt werden kann, weil dies zum Ausscheidenszeitpunkt nicht feststeht.

Damit ergibt sich als mögliche Vollrente des Klägers ein Betrag von unstreitig 522,66 €. Dieser Betrag ist ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für die beiden Rentenstämme nach folgender Maßgabe zu kürzen: Für die Beschäftigungszeit bis zum 17.05.1990 ergibt sich eine Kürzung unter zwei Gesichtspunkten, und zwar zum einen wegen der fehlenden Betriebtreue und zum anderen wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Betriebsrente. Dem ersten Gedanken ist durch eine zeitratierliche Kürzung gemäß § 2 Abs. 1 Satz BetrAVG Rechnung zu tragen. Der Kläger hat in dem Zeitraum vom 11.11.1959 bis zum 17.05.1990 366 Monate zurückgelegt. Die mögliche Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres hätte 557 Monate betragen. Damit ergibt für die "Vor-Barber-Zeit" ein Betrag in Höhe von 65,71 % der möglichen Betriebsrente von der erreichbaren Betriebsrente von 522,66 €, somit ein Betrag von 343,44 €. Dieser Betrag ist wegen des vorzeitigen Rentenbezugs noch einmal um 23,5 % zu kürzen, so dass sich insoweit ein Teilrentenanspruch von 262,73 € ergibt. Diese zweite Kürzung erfolgt gemäß der Wertung in § 4 PO 76 in Form eines versicherungsmathematischen Abschlages von 0,5 % pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente. Insoweit schließt sich die Kammer den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu der vorliegenden Pensionsordnung (vgl. BAG, Urteil vom 17.09.2008 - 3 AZR 1061/06 DB 2009, 296) an und macht sie sich ausdrücklich zu Eigen.

Für den "Nach-Barber-Zeitraum" vom 18.05.1990 bis zum 30.11.1999 ergibt sich eine tatsächliche Betriebszugehörigkeitszeit von 114 Monaten, die einer möglichen Dienstzeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres von 497 Monaten gegenübersteht. Der Kläger hat in diesem Zeitraum also 22,94 % der möglichen Dienstzeit absolviert. Damit ergibt sich insoweit ein Teilbetrag in Höhe von 119,90 €. Dieser Betrag ist nicht nochmals gemäß § 4 PO 76 um 0,5 % pro Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente zu kürzen. Bezogen auf einen Rentenbeginn mit Vollendung des 60. Lebensjahres hat der Kläger die Betriebsrente nämlich nicht vorzeitig in Anspruch genommen.

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück