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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 11.12.2007
Aktenzeichen: 5 Sa 914/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 9 Abs. 3
Einfache Differenzierungsklauseln in einem Tarifvertrag, verstoßen nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit des Art. 9 III GG. Sie sind zulässig (gegen BAG, GS 1/67 - Beschluss vom 29.11.1967).
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 914/07

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2007 durch

den Richter am Arbeitsgericht Kubicki, den ehrenamtlichen Richter Herrn Kallenberg, den ehrenamtlichen Richter Herrn Neumann für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 24.05.2007 - Az.: 4 Ca 9/07 wird abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Sonderzahlung in Höhe von 535,00 € brutto.

Die Klägerin ist seit dem 01.06.1999 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Pflegekraft auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 18.06.1999 beschäftigt. Die Arbeitsvergütung richtet sich nach dem einschlägigen Tarifvertrag für die Arbeiterwohlfahrt BMT - AW II Gruppe 4, Fallgruppe 5. Weiter heißt es in § VII des Arbeitsvertrages: "Im Übrigen gelten die Bestimmungen des anzuwendenden Tarifvertrages in seiner jeweils gültigen Fassung. Ein Exemplar dieses Tarifvertrages liegt in der Einrichtung zur Einsichtnahme aus."

Ursprünglich sah der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag eine Sonderleistung vor. Nach Änderung dieses Tarifvertrages entfiel die Sonderleistung. Stattdessen vereinbarten unter dem 11.09.2006 die Beklagte und die Gewerkschaft ver.di einen Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unternehmensgruppe des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems. § 3 Abs. 1 dieses Tarifvertrages (im Folgenden: TV AstD) lautet wie folgt: "Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlung gemäß § 19 des Haustarifvertrages der AWO-Gruppe erhalten die ver.di-Mitglieder der AWO-Gruppe in jedem Geschäftsjahr zum 31. Juli eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535,00 € brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit."

Die Klägerin ist nicht Mitglied der Gewerkschaft ver.di und erhielt im Jahr 2006 eine entsprechende Zahlung nicht.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin - soweit hiervon Interesse - die Sonderzahlung in Höhe von 535,00 € brutto für das Jahr 2006 begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Differenzierungsklausel in dem Tarifvertrag sei unwirksam.

Sie hat - soweit hier von Interesse - beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die infrage stehende tarifliche Regelung sei unbedenklich.

Mit Urteil vom 24.05.2007 hat das Arbeitsgericht Oldenburg - soweit es um die hier problematische Ausgleichszahlung geht - der Klage stattgegeben und auch die Berufung zugelassen. Wegen der genauen Einzelheiten wird auf eben dieses Urteil, Bl. 41 - 44 der Gerichtsakte, verwiesen.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 30.05.2007 zugestellt worden. Hiergegen hat sie mit einem am 19.06.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 30.08.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 30.07.2007 die Berufungsbegründungsfrist dementsprechend verlängert hatte.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte das erstinstanzliche Ziel der Klageabweisung weiter. Sie wiederholt und vertieft ihre erstinstanzlich vertretene Rechtsauffassung der Unbedenklichkeit der tarifvertraglichen Differenzierungsklausel.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 24.05.2007 - 4 Ca 9/07 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 28.08.2007 und die Berufungserwiderung vom 04.10.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung.

A

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG, 511, 519, 520 ZPO). Insbesondere hat das Arbeitsgericht Oldenburg die Berufung zugelassen. Hieran ist das Landesarbeitsgericht gemäß § 64 Abs. 4 ArbGG gebunden.

B

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht die geltend gemachte Sonderzahlung in Höhe von 535,00 € nicht zu. Ein Anspruch gemäß § 611 ff. BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien und § 3 Abs. 1 des TV AstD besteht nicht.

I.

Der Anspruch der Klägerin ist nicht schon aufgrund der konkreten streitgegenständlichen arbeitsvertraglichen Inbezugnahme der einschlägigen Tarifverträge begründet. Nach § VII des Arbeitsvertrages finden grundsätzlich alle tarifvertraglichen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Unter Anwendung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei dieser Verweisungsklausel um eine typische Gleichstellungsabrede (BAG, Urteil vom 14.12.2005, Az.: 10 AZR 296/05 - juris). Mit einer solchen Klausel soll die Gleichstellung der nichttarifgebundenen und der tarifgebundenen Arbeitnehmer herbeigeführt und eine Differenzierung zwischen diesen beiden Gruppen durch den - seinerseits tarifgebundenen - Arbeitgeber überflüssig gemacht werden (BAG, Urteil vom 19.03.2003, Az.: 4 AZR 331/02 - BAGE 105, 284, 287 ff.; BAG, Urteil vom 26.09.2001, Az.: 4 AZR 544/00 - BAGE 99, 120).

Durch die arbeitsvertragliche Einbeziehung eines Tarifvertrages wird aber nur dessen Geltung als Teil des Arbeitsvertrages begründet, nicht aber vertraglich eine umfassende Behandlung als Gewerkschaftsmitglied festgelegt, mit der Folge, dass die auf das Fehlen gewerkschaftlicher Mitgliedschaft abstellende Differenzierungsklausel für die zusätzliche Leistung in § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages im Falle der Klägerin nicht erfüllt wäre. Denn Sinn und Zweck einer typischen Gleichstellungsabrede ist es, die fehlende Tarifbindung eines Nichtgewerkschaftsmitgliedes, die sich aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG ergibt, zu kompensieren. Eine weitergehende Rechtswirkung wird einer Gleichstellungsabrede nicht beigemessen (BAG, Urteil vom 09.05.2007, Az.: 4 AZR 275/06 - juris).

II.

Der Klägerin kann die streitgegenständliche Leistung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit der Differenzierungsklausel zustehen, etwa, weil sie wegen der Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit dieser Klausel einem Gewerkschaftsmitglied gleichgestellt werden muss. Aus Sicht des Berufungsgerichtes ist die in § 3 Abs. 1 enthaltene Klausel, die ausdrücklich als Anspruchsvoraussetzung die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ver.di bestimmt, nicht rechtswidrig.

Über die Zulässigkeit derartiger Differenzierungsklauseln besteht seit jeher Streit. Das angefochtene Urteil folgt im Wesentlichen der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts (grundlegender Beschluss vom 29.11.1967, GS 1/67 - BAGE 20, 175 - 229). Dort hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass in Tarifverträgen zwischen den bei der vertragschließenden Gewerkschaft organisierten und anders oder nicht organisierten Arbeitnehmern nicht differenziert werden dürfe.

1. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich von folgenden wesentlichen Erwägungen leiten lassen, wobei dieses Urteil keinen Anspruch erheben kann, sie vollständig wiederzugeben: Sämtliche Differenzierungsklauseln hätten den völlig unverhohlenen und nirgendwo verborgenen oder geheimgehaltenen und ausdrücklich ausgesprochenen Zweck, mit Hilfe des Arbeitgebers die Außenseiter zum gewerkschaftlichen Beitritt und damit zur Stärkung der gewerkschaftlichen Macht zu veranlassen. Allein dieser Zweck müsse dazu führen, dass sämtliche Arten der Differenzierungsklauseln juristisch in gleicher Art und Weise bewertet werden müssten. Es komme nicht darauf an, zu ergründen, ob sich derartige Differenzierungen und ihre Sicherungen juristisch konstruieren ließen, sondern es müsse untersucht werden, ob das Verlangen der Gewerkschaft nach Differenzierungen in der Rechtsordnung eine tragfähige Stütze finde. Der Sache nach seien sämtliche Differenzierungen eine Art Leistung, eine Art Beitrag, eine Art Gebühr oder eine Art Abgabe, die die Gewerkschaft für die Inanspruchnahme ihrer Tätigkeit verlange. Dieses Motiv sei verwerflich. Es gäbe nämlich kein allgemeines Rechtsprinzip, dass die Anlehnung an die Früchte fremder Arbeit ohne Weiteres ausgleichspflichtig mache. Ohne eine gewisse Freiheit auch in der Ausnutzung der Arbeit anderer sei ein Fortschritt nicht denkbar. Deshalb verletzten sämtliche Differenzierungsklauseln das Gerechtigkeitsempfinden nachhaltig. Sie seien sozial inadäquat, wobei es nicht auf die Intensität, den Grad des Druckes ankomme, sondern allein auf das gröblich das Gerechtigkeitsempfinden verletzende Motiv. Einen sozial inadäquaten Druck brauche jedoch niemand hinzunehmen.

Deshalb verstießen diese Differenzierungsklauseln gegen das in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Recht auf sogenannte negative Koalitionsfreiheit. Die negative Koalitionsfreiheit, also das Grundrecht, einer Koalition fernzubleiben, werde durch Art. 9 Abs. 3 GG in gleicher Weise wie die positive Koalitionsfreiheit uneingeschränkt garantiert. Der inadäquate Druck, der durch solche Differenzierungsklauseln ausgehe, verletze den Außenseiter in seinen Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG. Deshalb und wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Tarifmacht seien Differenzierungsklauseln jedweder Art unabhängig von ihrer Ausgestaltung im Einzelnen allein wegen des Motives, welches das Gerechtigkeitsempfinden gröblich verletze, unwirksam.

2.

Diesem umfassenden Verdikt vermag das Berufungsgericht nicht zu folgen. Dies gilt jedenfalls, soweit es um eine schlichte Differenzierungsklausel geht, die dem Arbeitgeber weder verbietet, an einen Außenstehenden eine bestimmte Leistung zu erbringen, noch dieses erschwert, indem eine gewisse Differenz, eine Spanne zwischen der Vergütung des Gewerkschaftsmitglieds und dem Außenseiter sichergestellt werden soll. Das Berufungsgericht lässt sich hierbei von folgenden Erwägungen leiten:

a)

Es entspricht den Grundlagen unserer Rechtsordnung, von der Rechtswirksamkeit einer tatsächlich getroffenen Vereinbarung auszugehen. Die Unwirksamkeit einer getroffenen Vereinbarung ist in unserer Rechtsordnung die Ausnahme, die positiv begründet werden muss. Es entspricht gängiger Beweislastverteilung in einem Zivilprozess, zu dem auch ein Arbeitsgerichtsprozess gehört, wenn die Partei, die sich auf eine günstige Absprache beruft, die Existenz dieser Absprache beweisen muss, hingegen die Gegenpartei ihre Unwirksamkeit. Darauf basiert insbesondere der allgemeine Teil des BGB, wie er sich beispielsweise in den §§ 105, 125, 134 oder 138 widerspiegelt. Soweit das Bundesarbeitsgericht in seiner bekannten Entscheidung vom 29.11.1967 wortwörtlich die Frage stellt: "Gibt es tragfähige rechtliche Anknüpfungspunkte, die das Verlangen der Gewerkschaften nach Differenzierung und in ihrer Sicherstellung gerechtfertigt erscheinen lassen?" (I. 3. der bereits zitierten Entscheidung), wird hierdurch die allgemeine Darlegungs- und Beweislast verkannt.

b)

Nicht gefolgt werden kann dem Bundesarbeitsgericht auch in der Annahme, allein das gemeinsame Motiv sämtlicher Differenzierungsklauseln müsse zu einer einheitlichen und umfassenden Beurteilung führen.

Auch dieses lässt sich aus unserer Rechtsordnung nicht ableiten. Nur in seltenen Fällen wird unmittelbar an das Motiv allein die Rechtsfolge der Unwirksamkeit geknüpft (beispielsweise § 226 oder auch § 612 a BGB). Regelmäßig kommt es auf das subjektive Motiv dessen, der eine bestimmte vertragliche Gestaltung wählt oder durchsetzt, nicht an, wie beispielsweise den §§ 305 ff. BGB zu entnehmen ist. Für die Wirksamkeit einer Klausel kommt es auf den gesetzlich festgelegten Maßstab an. Unerheblich ist, ob der Verwender einer Klausel aus Eigennutz, aus Gedankenlosigkeit oder aus Bequemlichkeit einen bestimmten vorformulierten Vertragstext verwendet.

Im Übrigen ist die Differenzierung einzelner Klauseln im Arbeitsrecht etwas Typisches. Keineswegs besteht ein praktisches Bedürfnis, sämtliche Differenzierungsklauseln mit einem umfassenden Verdikt zu belegen. Die umfangreiche Rechtsprechung der Arbeits-, Landesarbeits- und Bundesarbeitsgerichte zur sogenannten AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB belegt dies.

c)

Das Berufungsgericht kann noch nicht einmal die vom Bundesarbeitsgericht getroffene Wertung nachvollziehen, der mit den Differenzierungsklauseln verfolgte Zweck sei völlig inakzeptabel und verstoße gröblich gegen das Gerechtigkeitsempfinden. Es kann nicht nachvollzogen werden, dass aufgrund dessen ohne Intensität und Ausgestaltung der Klausel im Einzelnen allein wegen dieses Motives bzw. der groben Ungerechtigkeit eine Inadäquanz bejaht wird, die diese Klausel als Verstoß gegen den Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG erscheinen lässt.

aa)

Soweit das Bundesarbeitsgericht ausführt, es gäbe kein allgemeines Rechtsprinzip, das die Anlehnung an die Früchte fremder Arbeit ohne Weiteres ausgleichspflichtig mache, mag dem durchaus noch gefolgt werden. Andererseits kann diese Prämisse nicht dazu führen, dass - gewissermaßen wegen fehlender Rechtfertigung - das Motiv der Gewerkschaften von vornherein dem Gerechtigkeitsgefühl widerspricht. Denn es ist zumindest gut nachvollziehbar bzw. moralisch vertretbar, die Anlehnung an die Früchte fremder Arbeit ausgleichspflichtig zu machen. Selbst wenn es kein allgemeines Rechtsprinzip gibt, dass dies so sei, erscheint eine vertragliche Vereinbarung, die dies zum Ziel hat, nicht als verwerflich. Hierbei lässt sich das Berufungsgericht von der Annahme leiten, dass es keineswegs darum gehen kann, das Motiv der Gewerkschaften zu rechtfertigen, vielmehr es darum gehen muss, gewissermaßen bei einer umgekehrten Darlegungs- und Beweislast Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit und Verwerflichkeit eines solchen Motives herzuleiten.

bb)

Im Übrigen ist die negative Koalitionsfreiheit noch nicht dadurch verletzt, wenn organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer ungleich behandelt werden, wenn auch dadurch ein deutlicher Anreiz zum Beitritt entstehen kann. Voraussetzung für eine Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit ist vielmehr, dass ein Zwang oder ein Druck auf die Nichtorganisierten ausgeübt wird, einer Organisation beizutreten. Die rechtliche Freiheit, sich einer Organisation anzuschließen oder nicht anzuschließen, wird durch gewisse Anreize, die im Regelfall immer vorhanden sind, nicht beeinträchtigt (BVerfG, Beschluss vom 20.07.1991, Az.: 1 BvR 13/69 - AP Nr. 34 zu § 11 ArbGG 1953). Es gilt ferner der Grundsatz, dass eine negative ebenso wie die positive Koalitionsfreiheit nur in ihrem Kernbereich geschützt wird. Einem legitimen und sozialadäquaten Druck dürfen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgesetzt werden (LAG Hamm, Urteil vom 11.01.1994, Az.: 11 Sa 979/93 - LAGE § 4 TVG Nr. 4).

cc)

Das umfassende Verdikt des Bundesarbeitsgerichts verkennt, dass Differenzierungsklauseln letztendlich rechtliche Gegebenheiten aufgreifen, die ohnehin schon in §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG normiert sind. Grundsätzlich gelten Tarifverträge nur für die Tarifgebundenen und nicht für Außenseiter. Dies ist eine offenkundige Rechtstatsache, an die eine einfache Differenzierungsklausel, die lediglich die Gewerkschaftszugehörigkeit als Anspruchsvoraussetzung für eine bestimmte Leistung normiert und nicht dem Arbeitgeber eine Leistung an einen Außenstehenden verbietet oder erschwert, anknüpft. Praktische Bedeutung hat eine solche einfache Differenzierungsklausel lediglich bei einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme eines Tarifvertrages oder aber bei einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung.

3. a)

Bei einer abschließenden Gesamtschau hält das Berufungsgericht die streitgegenständliche Differenzierungsklausel für wirksam. Es handelt sich bei ihr um eine sogenannte einfache Differenzierungsklausel, welche dem Arbeitgeber eine Leistung an einen Tarifaußenseiter weder verbietet noch erschwert. Das Rechtsverhältnis eines Außenseiters wird durch diese Norm nicht geregelt, sodass ein Verstoß gegen das Tarifvertragsgesetz durch Überschreitung der sogenannten Tarifmacht nicht ersichtlich ist.

Auch ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht erkennbar. Das Motiv der Gewerkschaften, Mitglieder zu gewinnen, ist ein legitimes nachvollziehbares und führt nicht dazu, eine derartige Differenzierungsklausel von vornherein als inadäquat und damit als rechtswidrig anzusehen. Umfang und Ausmaß der Differenzierung üben keinen besonderen Druck aus, der den Kernbereich der negativen Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG verletzt. Es handelt sich bei dieser streitgegenständlichen Klausel um eine Vorschrift, die einem Außenseiter lediglich (je nach Verdienst) maximal den doppelten Jahresgewerkschaftsbeitrag vorenthält. Auch wird nur demjenigen Außenseiter der Vorteil vorenthalten, auf dessen Arbeitsverhältnis kraft einzelvertraglicher Verweisung (sogenannter Gleichstellungsabrede) der Tarifvertrag im Übrigen Anwendung findet. Andere Außenseiter haben ohnedies aufgrund der klaren Regelung des Tarifvertragsgesetzes (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG) keinen Anspruch auf die Leistungen dieses Tarifvertrages. Schließlich verhindert dieser Tarifvertrag in keiner Weise, dass Außenseiter und Arbeitgeber individuell dasselbe aushandeln, was Inhalt der streitbefangenen Differenzierungsklausel ist.

b)

Ferner gibt es einzelfallbezogen keine besonderen Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit dieser Differenzierungsklausel. Wenn Differenzierungsklauseln vom Grundsatz her zulässig sind, kann es nicht darauf ankommen, ob zeitlich vor Abschluss eines Restrukturierungsvertrages alle Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung aufgrund allgemeiner Tarifanwendung hatten. Es handelt sich bei der streitgegenständlichen Differenzierung um eine solche für die Zukunft. Es ist auch keineswegs so, dass der einen Gruppe von Arbeitnehmern etwas zu Gunsten einer anderen Gruppe von Arbeitnehmern genommen wird. Vielmehr entfällt für sämtliche Arbeitnehmer grundsätzlich der Anspruch auf die zu zahlende Sonderleistung. Lediglich für eine bestimmte Arbeitnehmergruppe wird ein gewisser Ausgleich geschaffen. Dies führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung als zuvor offengelegt.

c)

Soweit das Bundesarbeitsgericht in zwei späteren Entscheidungen (BAG, Urteil vom 21.01.1987, Az.: 4 AZR 486/86 - AP Nr. 46 zu Art. 9 GG; BAG, Urteil vom 03.06.1987, Az.: 4 AZR 573/86 - juris) dem umfassenden Verdikt des Großen Senates gefolgt ist, lässt sich aus diesen Entscheidungen - einzelfallbezogen - kein Argument für die rigorose und unterschiedslose Einschätzung der Differenzierungsklausel als rechtsunwirksam herleiten. Denn diese Entscheidungen verhalten sich zu dem Sonderfall tarifvertraglicher Vorruhestandsregelungen, welche - anders als die Differenzierungsklausel im streitgegenständlichen Fall - wesentlich gewichtiger und intensiver die Belange eines Arbeitnehmers berühren. Der Vorruhestand bedeutet für den Arbeitnehmer einen wichtigen Einschnitt in seinem Leben, da er einerseits aus dem Erwerbsleben ausscheidet und gleichzeitig bereits vorzeitig vom Arbeitgeber eine der Altersversorgung gleichwertige Rentenleistung (Vorruhestandsgeld) erhält. Wenn Arbeitnehmer einen solchen Vorruhestand als Vorteil für sich ansehen, bedeutet der Ausschluss oder die erhebliche Erschwerung des Vorruhestandes für sie einen schwerwiegenden Nachteil. Erfolgt der Ausschluss oder die Erschwerung des Vorruhestandes nur deshalb, weil sie nicht bei der vertragsschließenden Gewerkschaft organisiert sind, ist ihre negative Koalitionsfreiheit im Kernbereich berührt (BAG, Urteil vom 03.06.1987, a.a.O., RdNr. 36).

C

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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