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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 12.12.2005
Aktenzeichen: 5 TaBV 16/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 19
BetrVG § 25 Abs. 2
BetrVG § 27 Abs. 1
BetrVG § 38 Abs. 2
BetrVG § 78
Ist die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern bzw. die Bestellung von Ausschussmitgliedern nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erfolgt, hat der Betriebsrat über erneute Freistellung bzw. Besetzung der Ausschüsse Neuwahlen durchzuführen, wenn sich das Verhältnis der Listen durch den Listenwechsel von Betriebsratsmitgliedern ändert. Einer vorherigen Abberufung mit qualifizierter Mehrheit bedarf es in diesem Fall nicht.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

5 TaBV 16/05

In dem Beschlussverfahren

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgericht Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 12. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kiel, den ehrenamtlichen Richter Herrn Engelke und die ehrenamtliche Richterin Frau Pohl

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hameln vom 17.12.2004 - 3 BV 7/04 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit von betriebsratsinternen Abberufungen und Neuwahlen zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern sowie zur Besetzung von Ausschüssen, nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat durch das Ausscheiden von Mitgliedern bzw. durch einen Listenwechsel geändert haben.

Der Antragssteller und Beteiligte zu 1.) ist Mitglied des Beteiligten zu 2.) (im Folgenden: des Betriebsrats) für die Liste ProMitarbeiter/in im DHV. In dieser Funktion war er als Nachrücker für die freigestellten Betriebsratsmitglieder sowie für die Mitglieder des Betriebsausschusses, den Ausschuss für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe sowie für den Ausschuss Aus- und Weiterbildung gewählt .

Der Betriebsrat ist für den Betrieb der Beteiligten zu 3.) und 4.) gebildet. Die im März 2002 durchgeführte Betriebsratswahl ergab folgende Mehrheitsverhältnisse:

Liste ver.di - zusammen mehr bewegen: 824 Stimmen = 10 Sitze.

Liste ProMitarbeiter/in: 613 Stimmen = 7 Sitze

Liste KOMBA: 334 Stimmen = 4 Sitze.

Der Betriebsrat besteht aus 21 Mitgliedern, von denen 5 nach § 38 Abs. 2 BetrVG freizustellen sind; die Betriebsparteien haben sich auf die Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds geeinigt.

Entsprechend der Mehrheitsverhältnisse entfielen nach der Verhältniswahl auf die Liste ver.di und ProMitarbeiter/in jeweils zwei Freistellungen und auf die Liste KOMBA eine Freistellung. Zusätzlich wurde der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats S... freigestellt.

Nach dem Ausscheiden der Betriebsrätin L..., die von der ihr eröffneten Möglichkeit eines Wechsels im Traineeprogramm Gebrauch machte, wurde eine Nachbesetzung erforderlich. Da auf der Pro-Mitarbeiter/in-Liste keine weiblichen Ersatzmitglieder vorhanden waren, rückte das Ersatzmitglied G... von der ver.di-Liste nach, um dem nach § 15 Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vorgeschriebenen Proporz der Geschlechter zu entsprechen.

Am 26.02.2004 fanden gemäß Einladungsschreiben vom 18.02.2004 Neuwahlen der Freigestellten und Ausschussmitglieder für die verschiedenen Ausschüsse statt, nachdem der Betriebsratsvorsitzende Sc... und das Betriebsratsmitglied Ha... in der Sitzung von ihren Freistellungen zurückgetreten waren. Frau A... und Herr T... hatten ihren Sitz im Ausschuss für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe zurück gegeben, Frau E... hatte den Verzicht auf ihren Sitz im Betriebsausschuss erklärt.

Mit inzwischen rechtskräftigem Beschluss des Arbeitsgerichts vom 27.08.2004 (3 BV 2/04) wurde die Neuwahl der Vertreter für den Ausschuss Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe für unwirksam erklärt, nachdem das ehemalige Ausschussmitglied H... die Neuwahl angefochten hatte. Auf die weitere Anfechtung des nach Neuwahl nicht mehr freigestellten Betriebsratsmitglieds He... erklärte das Arbeitsgericht die Neuwahl der freigestellten Mitglieder mit weiterem Beschluss vom 01.09.2004 (2 BV 1/04) für unwirksam. Dieser Beschluss wurde den Beteiligten am 01.09.2004 zugestellt.

In der Zwischenzeit wechselte die Betriebsrätin M..., die ursprünglich für die Liste ProMitarbeiter/in kandidiert hatte, zur ver.di-Liste. Dadurch verschoben sich die Sitzverhältnisse wie folgt:

Liste ver.di - zusammen mehr bewegen: 12 Sitze

Liste ProMitarbeiter/in: 5 Sitze

Liste KOMBA: 4 Sitze

Am 18.10.2004 lud der Betriebsrat zur außerordentlichen Sitzung für den 25.10.2004 ein. Die Tagesordnung sah unter anderem folgende Punkte vor:

" 4. Abwahl aller nach § 38 des BetrVG gewählten freigestellten Betriebsratsmitglieder sowie ihre Vertreter (geheime Wahl)

5. Abwahl aller Mitglieder des Betriebsausschusses sowie ihrer Vertreter (geheime Wahl)

6. Abwahl aller Mitglieder des Ausschusses für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe sowie ihrer Vertreter (geheime Wahl)

7. Abwahl aller Mitglieder des Ausschusses des Aus- und Weiterbildung sowie ihrer Vertreter (geheime Wahl)

8. Einreichung der Wahlvorschläge für freizustellende Betriebsratsmitglieder und ihrer Vertreter

9. Einreichung der Wahlvorschläge für Mitglieder des Betriebsausschusses und ihrer Vertreter

10. Einreichung der Wahlvorschläge für Mitglieder des Ausschusses für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe und ihrer Vertreter

11. Einreichung der Wahlvorschläge für Mitglieder des Ausschusses für Aus- und Weiterbildung und ihrer Vertreter

...

12. gemeinsame Beratung mit dem Arbeitgeber bezüglich der Wahlvorschläge für freizustellende Betriebsratsmitglieder

...

13. Neuwahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder und ihrer Vertreter (geheime Wahl)

14. Beschlussfassung über die Neuwahl aller Mitglieder des Betriebsausschusses und ihrer Vertreter (geheime Wahl)

15. Beschlussfassung über die Neuwahl aller Mitglieder des Ausschusses für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe und ihrer Vertreter (geheime Wahl)

16. Neuwahl aller Mitglieder des Ausschusses für Aus- und Weiterbildung und ihrer Vertreter (geheime Wahl)

..."

Gemäß dieser Tagesordnung beriefen die Betriebsratsmitglieder ihre Kollegen in der Sitzung vom 25.10.2004 sowohl von den Freistellungen als auch aus den Ausschüssen ab. Die Abstimmungen wurden geheim und en bloc vorgenommen. Namen waren auf den Stimmzetteln nicht aufgeführt. Sämtliche Mitglieder der Listen ver.di (12 Stimmen) und KOMBA (4 Stimmen) hatten für die Abwahl der Freigestellten und Ausschussmitglieder, einschließlich der Ersatzmitglieder, gestimmt. Die der ProMitarbeiter/in-Liste zuzurechnenden Betriebsratsmitglieder nahmen an diesen Abstimmungen nicht teil. Anschließend wurde eine Neuwahl der Freigestellten sowie der Ausschussmitglieder durchgeführt. Wegen des Verlaufs der Sitzung sowie der Ergebnisse im einzelnen wird auf das mit Schriftsatz des Antragstellers vom 08.11.2004 zur Akte gereichte Protokoll Bezug genommen. Gewählt wurden jeweils 3 Betriebsratsmitglieder der ver.di-Liste sowie jeweils ein Mitglied der Liste ProMitarbeiter/in.

Mit seinem am 05.11.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Antragsteller die Unwirksamkeiten der Wahlvorgänger geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Wahlvorgänge vom 25.10.2004 seien insgesamt fehlerhaft und unwirksam mit der Konsequenz, dass es bei den ursprünglichen Besetzungen der Ausschüsse sowie der Freistellungen geblieben sei. Insbesondere werde die im Block-Verfahren durchgeführte Abwahl den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht. Erforderlich seien Einzelbeschlüsse hinsichtlich jedes abzurufenden Betriebsratsmitglieds mit der qualifizierten 3/4-Mehrheit, die in geheimer Wahl gefasst werden müssen. Erst wenn die Vorschlagslisten insgesamt erschöpft seien, könne neu gewählt werden. Durch die Block-Abberufung und Neuwahl habe die ver.di-Liste in rechtsmissbräuchlicher Weise die veränderten Stimmenverhältnisse im Betriebsrat ausgenutzt, um unter Missachtung des Wählervotums die Auswahl der Freigestellten und die Zusammensetzung in den Ausschüssen zu ihren Gunsten zu verändern.

Der Antragsteller hat beantragt:

1. Die Abwahl aller nach § 38 des BetrVG gewählten freigestellten Betriebsratsmitglieder sowie ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

2. Die Abwahl aller Mitglieder des Betriebsausschusses sowie ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

3. Die Abwahl aller Mitglieder des Ausschusses für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe sowie ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

4. Die Abwahl aller Mitglieder des Ausschusses für Aus- und Weiterbildung sowie ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

5. Die Neuwahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder und ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

6. Die Beschlussfassung über die Neuwahl aller Mitglieder des Betriebsausschusses und ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

7. Die Beschlussfassung über die Neuwahl aller Mitglieder des Ausschusses für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe und ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

8. Die Neuwahl aller Mitglieder des Ausschusses für Aus- und Weiterbildung und ihrer Vertreter in der Betriebsratssitzung am 25.10.2004 wird für unwirksam erklärt.

Der Betriebsrat und die Beteiligten zu 3.) und 4.) haben beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Der Betriebsrat hat die rechtlichen Bedenken des Antragstellers mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass eine Neuwahl unumgänglich gewesen sei, nachdem "alle" Freigestellten und Ausschussmitglieder einschließlich der Nachrücker abgewählt worden seien.

Die Beteiligten zu 3.) und 4.) haben sich dem Standpunkt angeschlossen und den Standpunkt eingenommen, dass die Abberufung aller Mitglieder gesetzlich nicht ausgeschlossen sei.

Durch Beschluss vom 17.12.2004, auf den ergänzend Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Anträge im Wesentlichen aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

Die auf die Abwahl der Freigestellten sowie der Ausschussmitglieder bezogenen Anträge zu 1.) bis 4.) hätten keinen gesetzwidrigen Inhalt und seien deshalb nicht nichtig. Vielmehr sei die Möglichkeit der Abberufung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern durch Beschluss mit 3/4-Mehrheit in geheimer Abstimmung in § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG ausdrücklich vorgesehen. Die Vorschrift sei auf die Abberufung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder sowie der Mitglieder der Ausschüsse anzuwenden. Eine Abberufung der nach § 38 Abs. 2 BetrVG gewählten Mitglieder stelle sich nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Betriebsratsbeschlüsse unterlägen keiner Zweckmäßigkeitskontrolle. Es bestehe für die Listen auch kein Veränderungsschutz gegenüber dem im Zeitpunkt des Beginns der Amtszeit bestehenden Status quo. Die Abberufungsbeschlüsse seinen in der Sitzung vom 25.10.2004, zu der ordnungsgemäß geladen worden sei, rechtsfehlerfrei zu Stande gekommen. Die Wahl sei geheim durchgeführt worden und habe zu der erforderlichen 3/4 -Mehrheit geführt. Entbehrlich bei einer Block-Abstimmung sei ein Stimmzettel mit Einzelnamen. Es bleibe dem Betriebsrat überlassen, in welcher Weise die Abberufungsbeschlüsse ergingen. Das Gesetz sehe hierzu kein Verfahren vor.

Unbegründet seien weiterhin die Anträge zu 5.) bis 8.). Die Neuwahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder und ihrer Vertreter, die der Kläger entsprechend der Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten habe, sei nicht deshalb unwirksam, weil zunächst Ersatzmitglieder nachrücken müssten. Der BAG-Entscheidung vom 25.04.2001 (7 ABR 26/00), wonach für eine Nachwahl kein Raum bestehe, wenn in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bis zur Ausschöpfung der Liste Betriebsratsmitglieder nachzurücken hätten, läge wegen der Abwahl sämtlicher Freigestellten eine andere Fallkonstellation zu Grunde. Da im Betriebsverfassungsrecht das Mehrheitsprinzip gelte, sei eine willkürliche Ausnutzung der veränderten Stimmenanteile bei einer Neuwahl des gesamten Kreises freizustellender, Betriebsratsmitglieder ausgeschlossen. Bei der Neuwahl der Ausschüsse, die am 25.10.2004 nach Maßgabe des § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG in geheimer Abstimmung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführt worden sei, hätten bei einer BlockAbberufung ebenfalls nicht zuerst einzelne Ersatzmitglieder nachrücken müssen.

Der Beschluss ist dem Antragsteller am 19.01.2005 zugestellt worden. Mit der am 21.02.2005 eingelegten und zugleich begründeten Beschwerde verfolgt er die erstinstanzlich zurückgewiesenen Anträge weiter. Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag nach Maßgabe der Beschwerdeschrift, auf die ergänzend Bezug genommen wird.

Der Kläger meint insbesondere, die Block-Abwahl verstoße gegen das Prinzip des Minderheitenschutzes, das in der Verhältniswahl abgesichert sei. Die Verhältniswahl sei im Zuge der Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes für Freistellungen und zur Besetzung der Betriebsausschüsse eingeführt worden, um den Anteil an Sitzen in der Personalvertretung in möglichst genaue Übereinstimmung mit dem Stimmen-Anteil der verschiedenen berufsständischen und gewerkschaftlichen Organisationen sowie der von ihnen vertretenen berufs- und personalpolitischen Auffassungen zu bringen. Dieses Prinzip gelte nicht nur für die Wahl selbst, sondern entsprechend für die Abberufung. Deshalb müssten die Listen zwingend ausgeschöpft werden, ehe eine Neuwahl möglich sei.

In den Abberufungen und Neuwahlen sieht der Antragsteller zudem einen Verstoß gegen das Behinderungsverbot des § 78 BetrVG. Mit dieser Vorschrift, die nicht nur im Verhältnis zum Arbeitgeber, sondern bestimme die Gremienarbeit selbst gelte, sei eine sachlich nicht gebotene willkürliche Abberufung und Neuwahl von Freigestellten sowie Ausschussmitgliedern nicht vereinbar. Die Beschlüsse in der Sitzung vom 25.10.2004 dürften dabei nicht isoliert, sondern müssten als Teil der Strategie der Mehrheitskräfte im Betriebsrat betrachtet werden, welche darin bestehe, die nach der letzten Wahl überraschend starke Liste Pro-Mitarbeiter/in entgegen dem Wählervotum zu verdrängen und von der Betriebsratsarbeit auszugrenzen. Dieses rechtswidrige Vorgehen werde bereits deutlich durch die Rücktritte in der Betriebsratssitzung vom 26.02.2004, die alleine dem Zwecke gedient hätten, Neuwahlen durchführen zu können, in denen die zurückgetretenen Betriebsratsmitglieder wiedergewählt worden seien. Auf eben diese Weise hätten die Mitglieder der ver.di- und KOMBA-Listen ihre Interessen im Betriebsrat mit der nunmehr bestehenden 3/4-Mehrheit durchgesetzt, allein aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse und ohne dass hierfür ein Grund bestanden habe. Die abgewählten Mitglieder seien später wiedergewählt worden, mit Ausnahme der Betriebsratsmitglieder der Liste ProMitarbeiter/in. Dass diese Liste in unzulässiger Weise aus der Betriebsratsarbeit ausgegrenzt werden solle, komme in weiteren Streitigkeiten über den Zugang zu Betriebsratsunterlagen, über den Zugriff auf das Betriebsrats-Laufwerk sowie in dem Streit über die gemeinsame Nutzung eines Betriebsrats-Büros und das in diesem Zusammenhang verfasste anonyme Gedicht zum Ausdruck.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Hameln (3 BV 7/04) vom 17.12.2004, zugegangen am 19.01.2005, aufzuheben und nach den in erster Instanz gestellten Anträgen zu entscheiden.

Der Betriebsrat und die Beteiligten zu 3.) und 4.) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen

und verteidigen den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe der Schriftsätze vom 22.03.2005 (Betriebsrat) und vom 11.04.2005 (Beteiligte zu 3.) und 4.)), auf die wegen der Einzelheiten des Vortrags ergänzend verwiesen wird.

Nach Auffassung des Betriebsrats könne von einer Behinderung der Liste Pro-Mitarbeiter/in angesichts geänderter Mehrheitsverhältnisse keine Rede sein. § 78 BetrVG stelle keine Schranke der Möglichkeit einer Abberufung der gewählten Mitglieder dar. Die Beteiligten zu 3.) und 4.) sind ebenfalls der Meinung, die Vorschrift schütze nicht vor Abstimmungsniederlagen.

Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Betriebsrat die Freistellungen und Besetzung der Ausschüsse neu festlege, nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse geändert hätten. Die Listen unterlägen keinem Veränderungsschutz bei einem Listenwechsel gewählter Betriebsratsmitglieder. Nach der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz könne sich der Wähler bei Betriebsratswahlen zwar nur für eine Liste und nicht für einzelne auf der Liste stehende Bewerber entscheiden. Mit der Wahl ende die rechtliche Existenz der Vorschlagsliste aber. Jedes Mitglied des Betriebsrats habe seine Aufgabe als Repräsentant der Belegschaft wahrzunehmen.

Eine Verkürzung der Minderheitsrechte durch die Abberufung "en bloc" sei schon deshalb ausgeschlossen, weil dasselbe Ergebnis erzielt werde, wenn mit den veränderten Mehrheitsverhältnissen der Reihe nach über die Abberufung jedes einzelnen freigestellten Betriebsratsmitglieds, des jeweiligen Nachrückers bzw. der in die Ausschüsse entsandten Betriebsratsmitglieder und ihrer Vertreter entschieden werde. Beide Wahlmodi liefen auf dasselbe Ergebnis hinaus.

B

Die frist- und formgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Beschwerde ist unbegründet. Weder die am 25.10.2005 durchgeführten Neuwahlen der freizustellenden Betriebsratsmitglieder, noch die zur Neubesetzung der Ausschüsse führenden Wahlen sind unwirksam.

I.

Der Antrag ist zulässig.

1.

Die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder sowie die betriebsratsinterne Wahl zur Besetzung der Ausschüsse kann in entsprechender Anwendung von § 19 BetrVG innerhalb von 2 Wochen nach Abschluss der Wahl durch ein einzelnes oder mehrere Betriebsratsmitglieder angefochten werden. Zur Anfechtung betriebsratsinterner Wahlen ist jedes einzelne Betriebsratsmitglied berechtigt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das anfechtende Betriebsratsmitglied durch den Ausgang der Wahl persönlich betroffen ist. Ein besonderes Rechtsschutzinteresse ist nicht erforderlich (zur ständigen Rechtsprechung zuletzt mit zahlreichen weiteren Nachweisen BAG 20.04.2005 - 7 B 47/04 - AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 29 = NZA 2005, 1013: zur erneuten Freistellungswahl nach Erhöhung der Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder; grundlegend bereits BAG 28.10.1992 - 7 ABR 2/92 - AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 16 = EZA BetrVG 1972 § 38 Nr. 14).

2.

Die Anträge zielen darauf ab, dass die jeweiligen Ab- bzw. Neuwahlen für unwirksam erklärt werden und sind damit als Anfechtung der betriebsratsinternen Wahlen vom 25.10.2004 auszulegen. Die Anfechtung ist rechtzeitig erfolgt. Die Anträge des Antragstellers gingen am 05.11.2004, also binnen 2 Wochen nach den Wahlen vom 25.10.2004 beim Arbeitsgericht ein.

II.

Die Anträge sind jedoch unbegründet.

1.

Die Neuwahl der freizustellenden Mitglieder in der Sitzung vom 25.10.2005 ist wirksam.

a)

Ausweislich des Tagesordnungspunktes 13.) im Protokoll vom 25.10.2004 sind die freizustellenden Betriebsratsmitglieder und ihre Vertreter in geheimer Wahl mit 21 gültigen Stimmen neu gewählt worden. Dabei entfielen auf die Liste ver.di 12 Stimmen, auf die Liste ProMitarbeiter/in 5 und auf die Liste KOMBA 4 Stimmen. Die freizustellenden Betriebsratsmitglieder sind aufgrund der Wahlvorschläge nach dem Grundsatz der Verhältniswahl festgelegt worden.

Ob die Freigestellten zuvor wirksam abberufen worden sind, kann bei einer Neuwahl jedenfalls dann dahinstehen, wenn der Kreis der freizustellenden Betriebsratsmitglieder ursprünglich im Wege der Verhältniswahl festgelegt wurde.

Das BAG hat mit Beschluss vom 20.04.2005 (a.a.O.) für den Fall der Erhöhung der Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder während der laufenden Amtszeit des Betriebsrats eine Neuwahl aller freizustellenden Mitglieder nicht nur als zulässig, sondern als erforderlich erachtet, sofern die ursprüngliche Freistellungswahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erfolgt ist. Einer vorherigen Abberufung bedürfe es nicht. Die zu diesem Fall aufgestellten Rechtsgrundsätze lassen sich ihrem wesentlichen Rechtsgedanken nach auch auf die Sachverhaltskonstellation übertragen, in der sich die Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat aufgrund eines Listenwechsels nachträglich ändern. Im Gegensatz zu dem vom BAG entschiedenen Fall könnte der Antragsteller zwar im Gegensatz zu dem ursprünglich freizustellenden Betriebsratsmitglied in analoger Anwendung von § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in die Freistellung nachrücken (somit anders als in dem Beschluss vom 20.04.2005 unter B II a) der Gründe: hier ist das zusätzlich freizustellende Betriebsratsmitglied bislang noch gar nicht gewählt worden und kann folglich nicht in analog § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ersetzt werden). Doch verlangt in beiden Fällen der Minderheitenschutz, für den nicht etwa das ursprüngliche Wahlergebnis, sondern die Sitzverhältnisse im Betriebsrat maßgebend ist, eine Neuwahl der gesamten Freistellungen, die ursprünglich im Wege der Verhältniswahl festgelegt wurden. Die Zusammensetzung der Wahlvorschlagsliste kann sowohl von der Anzahl der zu Wählenden als auch von der Zugehörigkeit zu bestimmten Listen abhängen. Dies wird besonders deutlich bei einem Wechsel des ursprünglich auf einer Minderheitenliste gewählten und anschließend freigestellten Mitglieds des Betriebsrats, der später zur Mehrheitsliste wechselt. Könnte dieses Betriebsratsmitglied seine Freistellung "mitnehmen", ohne dass Neuwahlen erforderlich würden, erhielte die Mehrheitsliste eine zusätzliche und gleichsam unberechtigte Freistellung, wenn nach den Grundsätzen der Verhältniswahl weiterhin einem (anderen) Mitglied des Betriebsrats der Minderheitenliste die Freistellung zustände.

Diese Auffassung steht mit der - weitergehenden und umstrittenen - Rechtsprechung des BAG im Beschluss vom 29.04.1992 (7 ABR 74/91 AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 15 = EZA BetrVG 1972 § 38 Nr. 13, ebenso LAG Düsseldorf 05.08.2004 - 15 TaBV 34/04 - LAGE BetrVG 2001 § 38 Nr. 1) in Einklang. Danach kann der Betriebsrat jederzeit beschließen, die Freizustellenden insgesamt neu zu wählen, ohne dass die bisherigen Mitglieder zuvor nach § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG mit qualifizierter 3/4-Mehrheit abberufen werden müssten. Neue äußere Gegebenheiten, betriebliche Bedürfnisse oder selbst zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse können dazu führen, dass eine andere Quotelung der freizustellenden Mitglieder zu erwägen ist. Dem kann im demokratischen Prozess durch eine Gesamtneuwahl jederzeit Rechnung getragen werden, will man nicht nur einen Anpassungsprozess durch Abrufung und Neubesetzung einzelner Freistellungen vornehmen. Die Mitglieder des Betriebsrats können also, bildlich gesprochen, jederzeit die "Reset-Taste" drücken und über die Besetzung der Gremien insgesamt neu entscheiden (a.A. BAG 13.11.1991 - 7 ABR 18/91 - AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 3 = EZA BetrVG 1972 BetrVG 1972 § 27 Nr. 7; GK-BetrVG/Weber 8. Aufl. § 38 RdNr. 68; offen gelassen BAG 20.04.2005 a.a.O. unter B Il 1. a).

In der Neuwahl aller freigestellten Mitglieder kann deshalb auch kein Verstoß gegen die Schutzbestimmung des § 78 BetrVG liegen. § 78 BetrVG schützt die einzelnen Organträger vor Störung und Behinderung, stellt aber keine Schranke des Demokratieprinzips dar. Vielmehr greift insoweit allein der gesetzliche Minderheitenschutz, der bei einer Veränderung der Listen eine Neuwahl der Freistellungen nicht nur rechtfertigt, sondern erfordert. Dass die den verschiedenen Listen zugehörigen Mitglieder des Betriebsrats Interessengegensätze in einer den Schutzbereich des § 78 BetrVG betreffenden Weise betriebsöffentlich austragen, bedarf deshalb in diesem Zusammenhang keiner Auseinandersetzung.

b)

War danach in der Sitzung vom 25.10.2004 die vorherige Abberufung der bis dahin freigestellten Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG nicht erforderlich, bedarf es zu der aufgeworfenen Rechtsfrage der Zulässigkeit einer Block-Abberufung ansich keiner Entscheidung. Wäre man allerdings im Ausgangspunkt unter oben a) entgegengesetzter Auffassung, änderte sich das Ergebnis gleichwohl nicht. Denn der Betriebsrat hatte die aufgrund der ursprünglichen Mehrheitsverhältnisse freigestellten Betriebsratsmitglieder und ihre Vertreter im Wege geheimer Wahl mit dem erforderlichen Quorum wirksam abgewählt. Der Beschluss ist einstimmig gefasst worden, und zwar in zulässiger Weise durch Block-Abstimmung mit.

Die "Abwahl" war weder fehlerhaft, noch nichtig und hatte somit nicht zur Konsequenz, dass die anschließend neu Gewählten ihre formalige Rechtsstellung beibehalten haben. Bei veränderten Mehrheitsverhältnissen erfordert der Minderheitenschutz nicht die Abwahl jedes einzelnen Mitglieds. Kommt die erforderliche 3/4-Mehrheit bei einer Block-Abstimmung nicht zu Stande, müssen Einzelabberufungen durchgeführt werden mit entsprechenden namentlichen Stimmzetteln. Dieses Verfahren stets zu verlangen, würde für den Fall des Bestehens einer entsprechenden Mehrheit jedoch einen reinen Formalismus darstellen. Denn bei bestehender Mehrheit würde letztlich das gleiche Ergebnis erzielt. Es würde solange abgewählt, bis kein Nachrücker mehr zur Verfügung stünde und insgesamt eine Neuwahl durchgeführt werden müsste. Eine Abberufung einzelner Mitglieder des Betriebsrats mit jeweiligem Nachrücken verlangt das Gesetz nur dann, wenn einzelne Mitglieder abberufen werden sollen, nicht wenn die Wahl insgesamt revidiert werden soll. Hier kann mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit en bloc abgestimmt werden.

2.

Die entsprechenden Grundsätze gelten für die in die Ausschüsse neu gewählten Betriebsratsmitglieder. Auch hier sind die in der Sitzung vom 25.10.2005 unter den Tagesordnungspunkten 14.) bis 16.) durchgeführten Wahlen wirksam, ohne dass es darauf ankommt, ob zuvor eine Abwahl stattgefunden hat. Bei den jeweiligen Wahlvorgängen sind jeweils 21 gültige Stimmen abgegeben worden, die Besetzung der Ausschüsse ist aufgrund der Vorschlagslisten ebenfalls nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erfolgt.

Würde man hingegen vor Neuwahlen Abberufungen für erforderlich erachten, wären diese wirksam erfolgt. Ausweislich des Protokolls vom 25.10.2004 sind - in 3 Blockabstimmungen nacheinander - alle Mitglieder des Betriebsausschusses, des Ausschusses für Sicherheit und Wirtschaftsbetriebe sowie des Ausschusses für Aus- und Weiterbildung jeweils einschließlich der Vertreter mit der erforderlichen 3/4-Mehrheit in geheimer Wahl abberufen worden. Damit war der Weg für Neuwahlen jedenfalls frei.

C.

Die Rechtsbeschwerde war gegen grundsätzliche Bedeutung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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