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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 22.09.2003
Aktenzeichen: 8 Sa 1024/02
Rechtsgebiete: ZPO, LugÜ


Vorschriften:

ZPO § 23
LugÜ Art. 5 Nr. 1
LugÜ Art. 17
Art. 17 LugÜ ist Spezialnorm ggü § 38 Abs. 2 ZPO.

Die in Art. 17 LugÜ vorgesehene Gerichtsstandvereinbarung ist bei individuellen Arbeitsverträgen nur wirksam, wenn sie nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wurde.

Dies gilt auch für vor Inkrafttreten des LugÜ abgeschlossene Arbeitsverträge.

Die Regelung verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (Art. 20 Abs. 3 GG).


Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 1024/02

Verkündet am: 22. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 22.09.2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stöcke-Muhlack, den ehrenamtlichen Richter Kanopka und die ehrenamtliche Richterin Runge

für Recht erkannt:

Tenor:

1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 04.06.2002 - 1 Ca 137/02 und 1 Ca 754/01 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten (über die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit und materiellrechtlich) über die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung sowie um Gratifikationszahlungen.

Der 1939 geborene Kläger war seit dem 01.04.1976 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Firma I. AG "mit Sitz in der Schweiz", beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der Dienstvertrag vom 12.02./22.02.1976, auf den Bezug genommen wird (Bl. 6 bis 8 d. A., 8 Sa 1025/02). Ziffer 7. dieses Vertrages lautet:

Soweit vorstehend nichts anderes vereinbart ist, gelten für das Dienstverhältnis die Vorschriften des für I. geltenden Tarifvertrages in seiner jeweiligen Fassung, hilfsweise die gesetzlichen Vorschriften.

Ergänzungen oder Änderungen dieses Vertrages haben nur Bestand, wenn sie schriftlich vereinbart sind.

Ansprüche aus dem Dienstvertrag sind beiderseits binnen einer Ausschlußfrist von 3 Monaten nach Entstehung des Anspruches schriftlich geltend zu machen.

Gerichtsstand für alle Klagen aus diesem Dienstvertrag ist das Arbeitsgericht Hameln.

Das monatliche Jahresgehalt des Klägers betrug zuletzt 324.000,00 Schweizer Franken jährlich. Der Betrag setzt sich zusammen aus einem Monatsgrundgehalt von 23.500,00 Schweizer Franken, einer jährlichen Gratifikation von 23.500,00 Schweizer Franken, einer Prämie von jährlich 8.000,00 Schweizer Franken und monatlichen pauschalen Reisespesen in Höhe von 900,00 Schweizer Franken. Die Prämien und Gratifikationszahlungen erfolgten auf freiwilliger Basis.

Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit ca. 55 Arbeitnehmern. Sie stellt Limonaden- und Mineralgetränke her und vertreibt diese.

Der Kläger arbeitete bis zum 13.11.1978 für die I. AG in R. in einem Büro von seinem Wohnsitz aus. Gegen Ende dieser Tätigkeitsphas beauftragte Herr R. H. sen. (Aktionär der I. AG), den Kläger, einen Mineralwasserbetrieb in der Schweiz zur Übernahme zu suchen. Die (M. AG -) Beklagte (dieses Rechtsstreits -) war das hierfür in Betracht kommende Unternehmen. Ab ca. November 1978 war der Kläger Geschäftsleiter der M. AG. Ab 01.01.1979 übernahm die I. AG die Aktienmehrheit, und am 07.02.1979 erfolgte ein Eintrag im Handelsregister des Kantons A., wonach der Kläger Delegierter des Verwaltungsrates der M. mit Einzelzeichnungsberechtigung sei. Am 30.03.1982 wurde im Handelsregister eingetragen, dass der Kläger nicht mehr Delegierter des Verwaltungsrates, sondern Direktor der M. AG sei.

Auf Wunsch von Herrn H. sen. zog der Kläger von R. um in die Schweiz. Er sollte zukünftig in Zurzach Z. (Schweiz), dem Sitz beider Unternehmen, seine Aufgaben erfüllen. Seinem Begehren, im grenznahen Bereich wohnen zu dürfen, kam Herr H. nicht nach. Ein neuer Vertrag wurde nicht geschlossen. Von 1985 bis 1987 war der Kläger zusätzlich zu seinen Aufgaben in der Schweiz als geschäftsführender Gesellschafter der Firma In. GmbH & Co. KG in Österreich tätig. Über das Vermögen dieser Firma ist zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Am 25.10.1993 wurden die M. AG und die Firma I. AG auf die jetzige Beklagte verschmolzen. Am 24.08.1995 wurde der Kläger zum Delegierten des Verwaltungsrates bestellt. Am 08.11.2001 schrieb ihm der Präsident des Verwaltungsrates, es solle, wie am Vortag mit ihm besprochen, sein Anstellungsverhältnis gelöst werden. Dazu werde ihm eine Abfindung in Höhe eines Jahresgehaltes angeboten. Weiter heißt es wörtlich:

"Bitte lassen Sie mich innerhalb der nächsten zwei Wochen wissen, ob Sie mit unserem Vorschlag einverstanden sind. Sollte sich keine gemeinsame Lösung finden, kündige ich gemäß Beschluss des Verwaltungsrates der M. AG vom 07.11.2001 den mit Ihnen bestehenden Anstellungsvertrag als Direktor der M. AG fristgemäß."

Mit Schreiben vom 17.12.2001, welches dem Kläger am 21.12.2001 zugegangen ist, kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis des Klägers erneut fristgerecht zum 31.03.2002. Auf den genauen Inhalt des Schreibens wird Bezug genommen (Bl. 56 d. A., 8 Sa 1024/02).

Mit zwei am 3. Dezember 2001 beim Arbeitsgericht Hameln eingegangenen Klagen und einer am 03.01.2002 eingegangenen Klagerweiterung wehrt sich der Kläger gegen die von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen und begehrt Zahlung von Gratifikation. Er hält die Kündigungen für unwirksam und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für gegeben. Er beruft sich insoweit auf eine in seinem schriftlichen Anstellungsvertrag vom 12./22.02.1976 festgelegte Gerichtsstandsvereinbarung. Sie lautet:

Gerichtsstand für alle Klagen aus diesem Dienstvertrag ist das Arbeitsgericht Hameln.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 08.11.2001 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 17.12.2001 aufgelöst worden ist und über den 28.02.2002 und den 31.03.2002 hinaus ungekündigt fortbesteht;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 31.500,00 CHF nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie hat die Unzuständigkeit des Arbeitsgerichts Hameln gerügt.

Durch zwei Urteile vom 04.06.2002 hat das Arbeitsgericht Hameln die Klagen als unzulässig abgewiesen, mit der Begründung die deutsche Gerichtsbarkeit sei nicht gegeben. Die Beklagte, eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, habe ihren Sitz in der Schweiz und unterliege deshalb grundsätzlich nicht der deutschen Gerichtsbarkeit. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung für deutsches Recht bestehe nicht, weil entweder der Anstellungsvertrag selbst nicht mehr gültig, jedenfalls aber unwirksam sei. In dem Lugano-Übereinkommen sei festgelegt, dass die Zuständigkeit der Gerichtsbarkeit eines der Vertragsstaaten vereinbart werden dürfe (Artikel 17 Abs. 1), bei individuellen Arbeitsverträgen Gerichtsstandsvereinbarungen jedoch nur dann rechtliche Wirkung hätten, wenn sie nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen würden (Artikel 17 Abs. 5). Für eine erweiternde Auslegung des Artikel 17 Abs. 5 LugÜ fehlten die Voraussetzungen. Für einen Vertrauensschutz bestehe kein Anlass, weil der schutzverdienende Justizgewährungsanspruch durch die Regelung im LugÜ nicht eingeschränkt oder verletzt, sondern lediglich verändert worden sei.

Gegen diese ihm am 20.06.2002 zugestellten Urteile hat der Kläger am 15.07.2002 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 15.10.2002 an diesem Tag begründet.

Hierzu führt er aus:

Der Dienstvertrag vom 12.02./22.02.1976 habe das Rechtsverhältnis vom ersten Tage seiner Invollzugsetzung an kontinuierlich ausgestaltet. Dieser Vertrag sei nie außer Kraft gesetzt oder durch andere Verträge ersetzt worden. Dies ergebe sich aus zahlreichen Indizien: Der Kläger habe in R. und der Schweiz nahezu die gleichen Aufgaben erfüllt. Der Wechsel von R. zur Schweiz sei (bei einer valoristischen Betrachtungsweise) mit keiner Gehaltsveränderung verbunden gewesen. Während seiner Tätigkeit in R. sei er ebenso wie während seiner Tätigkeit in der Schweiz in vollem Umfange den Weisungen der Eigentümerfamilie H. unterworfen gewesen. Herr H. sen. habe gerade ein Interesse daran gehabt, dass der Dienstvertrag vom 12.02./22.02.1976 weiterhin gültig gewesen sei, weil er die Geltung schweizerischen Kündigungsrechts gerade habe vermeiden wollen. Zwischen den Parteien habe Einigkeit bestanden, dass die Tätigkeit des Klägers bei der In. GmbH & Co. KG in Österreich der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses nicht entgegenstehe, so dass konsequenterweise nichts anderes für den Wechsel des Klägers von R. nach Z.(Schweiz) gelten könne. 1982 habe die Beklagte eine Kopie des Dienstvertrages vom 12.02. /22.02.1976 beim Kläger angefordert und hiermit klar gemacht, dass auch sie von der Weitergeltung des in Frage stehenden Dienstvertrages ausgehe. Noch am 23.07.2003 habe Herr H. sen. als Vertreter der Beklagten dem Kläger einen neuen Vertrag angekündigt. Hieraus folge, dass dieser selbst von der unveränderten Weitergeltung des Dienstvertrages vom 12.02./22.02.1976 ausgegangen sei. Auf der Weihnachtsfeier im Jahre 1996 sei der Kläger für seine über 20jährige Betriebszugehörigkeit geehrt worden. Im März 2001 hätten Herr H. jun. ebenso wie der Personalleiter der r.-Unternehmensgruppe dem Kläger zu dessen 25jähriger Betriebszugehörigkeit gratuliert. Mit Schreiben vom 26.07.1995 habe der Kläger gegenüber der Beklagten unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass seine Rechtsposition aufgrund des Dienstvertrages vom 12.02./22.02.1976 auch bei einem Eintritt in den Verwaltungsrat nicht tangiert werde. Der Kläger sei bereits von Januar 1979 bis 1982 Mitglied des Verwaltungsrates gewesen. Die Berufung zum Delegierten des Verwaltungsrates sei ein rein formaler, äußerlicher und tatsächlich unbedeutender Akt gewesen. Der Kläger sei von Herrn H. sen. "an der kurzen Leine" geführt worden. Eigene Entscheidungsfreiheit habe er nicht besessen. Hinzu komme, dass der Dienstvertrag vom 12.02./ 22.02.1976 niemals schriftlich aufgehoben worden sei. Unter Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten wäre es unerträglich, von einer konkludenten Aufhebung des Vertrages auszugehen.

Der Kläger beantragt,

1. Die Urteile des Arbeitsgerichts Hameln vom 04.06.2002 (AZ.: 1 Ca 754/01 und 1 Ca 137/02) werden abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 08.11.2001 (dem Kläger zugegangen am 12.11.2001) noch durch die Kündigung der Beklagten vom 17.12.2001 (dem Kläger zugegangen am 21.12.2001) aufgelöst worden ist, sondern über den 28.02.2002 und den 31.03.2002 hinaus ungekündigt fortbesteht.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger CHF 31.500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2001 zu zahlen.

5. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 10.01.2003 (Bl. 164 - 167 d. A., 8 Sa 1025/02) und vom 10.01.2003 (Bl. 234 - 237 d. A., 8 Sa 1024/02), auf die Bezug genommen wird.

Durch Beschluss vom 22.09.2003 hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsstreite verbunden.

Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig; insbessondere ist sie in der gesetzlichen Form und Frist eingereicht und begründet worden (§§ 64, 66 Abs. 1 ArbGG, 511, 517, 519, 520 ZPO).

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel des Klägers jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klage unzulässig ist, weil die internationale Zuständigkeit nicht gegeben und damit die deutsche Gerichtsbarkeit nicht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits berufen ist.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich weder aus § 23 ZPO noch aus Art. 5 Nr. 1, 17 des Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (im Folgenden LugÜ) noch aus § 38 ZPO.

1.

Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich nicht aus § 23 ZPO, denn hierbei handelt es sich um eine Auffangvorschrift, die nur anwendbar ist, wenn vorrangige internationale Vereinbarungen über die Gerichtsbarkeit nicht eingreifen (vgl. hierzu Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2001, § 23 Rdnr. 912; Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 23. Aufl. 2002, § 23 Rdnr. 1, 4, 5).. Vorliegend findet als internationale Vereinbarung über die Gerichtsbarkeit das LugÜ Anwendung.

2.

Das LugÜ ist von den Gerichten der EU-Staaten anzuwenden, wenn die in dem Übereinkommen enthaltenen Bezugspunkte über den Kreis der EU-Staaten hinaus führen und auf einen EFTA-Staat verweisen, in dem das LugÜ in Kraft ist. Diese Grundregel führt Artikel 54 b Abs. 2 für die drei Bereiche Zuständigkeit, Rechtshängigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung näher aus. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich gemäß Artikel 54 b Abs. 2 a nach dem LugÜ, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem EFTA-Vertragsstaat hat. Wird also eine in der Schweiz wohnhafte Person vor einem deutschen Gericht verklagt, so ist das deutsche Gericht nach Inkrafttreten des LugÜ nur in den nach diesem Übereinkommen vorgesehenen Fällen zuständig.

a)

Die internationale Zuständigkeit der Gerichte ergibt sich aus Art. 2 des LugÜ. Danach ist nicht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen, sondern die Zuständigkeit der schweizer Gerichte gegeben.

Gem. Art. 2 des LugÜ sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen - vorbehaltlich der Vorschriften des Übereinkommens. Die Beklagte hat ihren Sitz in Z.(der Schweiz), denn als juristische Person hat sie ihren Wohnsitz am Sitz ihrer Hauptverwaltung (Art. 60 LugÜ). Dort kann sie verklagt werden.

b)

Es liegt kein Sondertatbestand vor, der eine internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit begründen könnte. Weder greift die Sonderregelung aus Art. 5 Nr. 1 noch aus Art. 17 LugÜ.

aa)

Nach Artikel 5 LugÜ kann die Beklagte in Deutschland verklagt werden, wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem solchen den Gegenstand des Verfahrens bilden und der Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, in Deutschland liegt. Zwar arbeitete der Kläger in der Zeit von 1976 bis 1979 in dem Büro seines Wohnhauses in R. (Deutschland), so dass dies der Erfüllungsort für seine Arbeitsleistung war. Seit dem Umzug nach Z. (Schweiz) im Jahre 1979 ist das jedoch nicht mehr der Fall. So trägt der Kläger selbst vor, Herr H. sen. habe ihm im Jahre 1978 die Erlaubnis verweigert, sich im deutschen Grenzraum anzusiedeln.

Durch den von Seiten der Gesellschafter der I. AG vorgegebenen Wohnortwechsel in die Schweiz hat der Kläger seit dem Jahre 1978 seine Tätigkeit bei der Beklagten in der Schweiz erbracht. Daraus folgt, dass zumindest ab diesem Zeitpunkt die Arbeitsleistung und die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten in der Schweiz erfüllt werden sollten. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, inwieweit alle Fragen der Technik in R. entschieden wurden und die Bereiche Einkauf, Personal und Prodution mit R. abgestimmt werden mussten. Diese Umstände wirken sich nämlich nicht auf den Erfüllungsort aus.

bb)

Auch aus Art. 17 des LugÜ ergibt sich keine internationale Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit für das vorliegende Verfahren.

Art. 17 LugÜ bestimmt:

(1)

Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind,

oder

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.

Wenn eine solche Vereinbarung von Parteien geschlossen wurde, die beide ihren Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, so können die Gerichte der anderen Vertragsstaaten nicht entscheiden, es sei denn, das vereinbarte Gericht oder die vereinbarten Gerichte haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt.

(2) ...

(3) ...

(4) ...

(5)

Bei individuellen Arbeitsverträgen haben Gerichtsstandsvereinbarungen nur dann rechtliche Wirkung, wenn sie nach Entstehung der Streitigkeit getroffen werden.

Art. 17 LugÜ sieht zwar die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung vor. Diese gilt aber bei individuellen Arbeitsverträgen nur dann, wenn sie nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wurde. Das ist im vorliegenden Verfahren nicht der Fall. Die Gerichtsstandsvereinbarung wurde bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages im Jahre 1976 abgeschlossen. Sie entfaltet also keine rechtliche Wirkung.

cc)

Der Kläger kann sich nicht auf die Bestimmung des § 38 Abs. 2 ZPO, die eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung für den vorliegenden Rechtsstreit zulassen würde, berufen. § 38 Abs. 2 ZPO ist nicht anwendbar.

Im Falle der Prorogation bestimmt sich die internationale Zuständigkeit des Forumstaates durch Artikel 17 LugÜ, nicht nach nationalem Recht (vgl. Geimer, NJW 1986, 2990, 2993, III Ziffer 4). Art. 17 LugÜ ist Spezialnorm gegenüber § 38 Abs. 2 ZPO und deshalb nicht anzuwenden. § 38 ZPO kommt nur hinsichtlich der Zuständigkeit zum Zuge, wenn beide Parteien im Gerichtsstaat wohnen (reiner Inlandsfall) oder wenn sie beide außerhalb des geographischen Anwendungsbereichs des Übereinkommens wohnen oder beide überhaupt keinen Wohnsitz haben (vgl. Geimer-Schütze, Int. Urteilsanerkennung (983 I 50, I 197, 884). Es entspricht auch allgemeiner Auffassung, dass im Geltungsbereich des EuGVÜ die nationalen Bestimmungen (hier § 38 ZPO) nicht zur Anwendung kommen. Das LugÜ entspricht im wesentlichen den Bestimmungen des EuGVÜ. Auch die Kommentierungen verweisen auf diejenigen zum EuGVÜ.

c)

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages das LugÜ noch nicht galt.

Gemäß Art. 54 Abs. 1 sind die Vorschriften des Abkommens auf solche Klagen anzuwenden, die erhoben worden sind, nachdem dieses Übereinkommen im Ursprungsstaat in Kraft getreten ist. So liegt es hier.

Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz ist seit dem 01.03.1995 das Übereinkommen vom 16.09.1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Abkommen) in Kraft (BGBl II Seite 221; vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO, a. a. O., Art. 1 EuGVÜ, Rn. 2 m. w. N.). Die Klage wurde erst nach dem Inkrafttreten des Abkommens der Beklagten zugestellt.

Dementsprechend richtet sich die internationale Zuständigkeit ausschließlich nach diesem Abkommen (vgl. hierzu auch Wieczorek/Schütze-Hausmann, ZPO, 3. Aufl. Einleitung Lugano-Abkommen, Rn. 22; EuGH vom 13.11.1979 - AZ 25/79 - Sanicentral, EuGHE 1979, 3423).

d)

Der Kläger kann sich zur Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte nicht auf die genannte Entscheidung des EuGH berufen, denn diese unterscheidet sich in gerade dem wesentlichen Punkt von dem vorliegend zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt. Während die dem EuGH zur Überprüfung vorliegende Gerichtsstandsvereinbarung zunächst nach den zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften nichtig, im Zeitpunkt der Klagerhebung und danach jedoch wirksam war, verhält es sich vorliegend gerade umgekehrt. Die von den Parteien abgeschlossene Gerichtstandsvereinbarung war (und ist) zwar nach geltendem innerstaatlichen Recht wirksam, nach den Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens (Art. 17 Abs. 5) jedoch nicht. Auf die Wirksamkeit der Gerichtstandsvereinbarung nach nationalem Recht kann der Kläger sich aber nicht berufen, denn § 38 Abs. 2 ZPO ist gegenüber dem internationalen Recht - dem LugÜ - nachrangig (siehe oben).

e)

Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte stützen.

Die Regelung des Art. 17 LugÜ verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (Art. 20 Abs. 3 GG).

Stichtagsregelungen sind trotz der damit verbundenen Härten grundsätzlich zulässig (vgl. u. a. BVerfG 08.04.86 - BvR 1186, 1574). Insoweit besteht ein weiter Gestaltungsspielraum. Die Grenzen sind vorliegend nicht überschritten. Die Regelung des Art. 17 LugÜ knüpft an die Rechtshängigkeit einer Klage an und gilt nicht für Altverfahren.

aa) Durch Art. 5 LugÜ (Erfüllungsort) wird dem Gedanken des Vertrauensschutzes in hinreichendem Maße Rechnung getragen. Mit dem Wohnsitz- bzw. Sitzstaat sind die Parteien regelmäßig eng verwurzelt. Gerade dieser Umstand, der die Prorogationsvereinbarung im Jahre 1976 bei Vertragsabschluss beeinflusst hat, hat sich vorliegend entscheidend verändert. Seit 1978 hat sich der Kläger sowohl beruflich als auch familiär vollständig in die Schweiz orientiert. Eine Nähe zur deutschen Gerichtsbarkeit besteht seitdem weder für den Wohnsitz noch den Arbeits- und Erfüllungsort.

bb)

Für eine Erweiterung der Prorogationsvorschrift darüber hinaus besteht kein Bedürfnis, denn der Kläger wird durch die Regelung des Art. 17 Abs. 5 LugÜ weder schutzlos noch materiell schlechter gestellt. Er kann den Rechtsstreit vor den Gerichten in der Schweiz führen. Diese haben ggfls. deutsches Recht und damit auch die nach deutschem Recht für die Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften anzuwenden.

3.

Nach alledem ist die internationale Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben. Die Klage ist unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO, 46 Abs. 6 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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