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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 07.09.2009
Aktenzeichen: 9 Sa 1814/08 E
Rechtsgebiete: AVR-K


Vorschriften:

AVR-K, Arbeitsvertragsrichtlinien der Konföderation der Evangelischen Kirchen in Niedersachsen, Eingruppierung Physiotherapeutin
1) Legt eine Entgeltgruppe fest, dass das Merkmal "erweiteter Fachkenntnisse und Fertigkeiten" erfüllt wird, wenn die Tätigkeiten selbständig ausgeführt werden, ist das Heraushebungsmerkmal bei selbständiger Ausübung bereits erfüllt. Das Heraushebungsmerkmal ist dann für eine Höhergruppierung noch nicht "verbraucht".

2) Der "Charakter" einer Tätigkeit kann qualitativ oder quantitativ bestimmt werden.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 1814/08 E

In dem Rechtsstreit

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 7. September 2009 durch

die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Hartwig, den ehrenamtlichen Richter Herr Henschel, die ehrenamtliche Richterin Frau Freiknecht für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 04.06.2008,3 Ca 622/07 E, abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.04.2004 Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 AVR-K nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Eingruppierung der Klägerin von Entgeltgruppe E 7 der Arbeitsvertragsrichtlinien der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen für diakonische Einrichtungen (AVR-K) in Entgeltgruppe E 8 und E 9.

Die am 30.12.1949 geborene Klägerin steht seit 01.04.1990 als Physiotherapeutin in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Gemäß Arbeitsvertrag vom 08.02./14.02.1990 (Bl. 9 d. A.) findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Arbeitsvertragrichtlinie des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland Anwendung. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden erzielt sie ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von ca. 1.650,00 Euro.

Die AVR-K enthalten im Teil B I folgende Regelungen zur Eingruppierung:

"§ 1

Die Arbeitnehmerinnen werden entsprechend den Tätigkeitsmerkmalen des übertragenen Arbeitsplatzes in die Entgeltgruppe eingruppiert. Für die Eingruppierung in eine Entgeltgruppe ist nicht die berufliche Bezeichnung, sondern allein die Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen maßgebend. Die Eingruppierung richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Oberbetreffe; hierzu sind als Erläuterungen die zu den Entgeltgruppen aufgeführten Richtbeispiele heranzuziehen.

§ 2

Übt eine Arbeitnehmerin innerhalb ihres Arbeitsbereiches ständig wiederkehrend mehrere Tätigkeiten aus, auf die verschiedene Entgeltgruppen zutreffen, so ist sie in die Entgeltgruppe einzugruppieren, deren Anforderungen den Charakter ihres Arbeitsbereiches im Wesentlichen bestimmen. Für solche Tätigkeiten, die bezüglich ihrer Anforderungen zu höheren Entgeltgruppen gehören und durch die Eingruppierung gemäß Satz 1 noch nicht abgegolten werden konnten, ist ein angemessenes Entgelt als Ausgleich zu gewähren. Diese kann entweder 25 Prozent oder 50 Prozent der Differenz zur nächsthöheren Entgeltgruppe betragen und wird gemeinsam vom Arbeitgeber und er Mitarbeitervertretung festgelegt."

Die maßgeblichen Entgeltgruppen lauten:

"E 6.1

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit Tätigkeiten, die Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, die in der Regel durch eine abgeschlossene, mindestens dreijährige Berufsausbildung erworben werden.

Richtbeispiele:

Facharbeiterin

Hausmeisterin mit abgeschlossener handwerklicher Ausbildung

Hauswirtschafterin

Köchin

Verwaltungsmitarbeiterinnen mit kaufmännischer Ausbildung

E 6.2

...

E 7.1

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit entsprechenden Tätigkeiten in der Pflege, Betreuung oder Erziehung und ein abgeschlossenen Berufsausbildung als Altenpflegerin, Erzieherin, Heilerziehungspflegerin oder Krankenschwester.

E 7.2

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit Tätigkeiten, die über die Anforderungen nach Entgeltgruppe 6 hinaus erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten voraussetzen. Dieses Merkmal wird erfüllt, wenn diese Tätigkeiten im Wesentlichen nach allgemeinen Anweisungen selbständig ausgeführt werden.

Richtbeispiele:

Facharbeiterinnen

Gruppenleiterin in BFW

Hausmeisterin mit abgeschlossener handwerklicher Ausbildung

Hauswirtschafterin

Köchin

Verwaltungsmitarbeiterinnen mit kaufmännischer Ausbildung

E 8

Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit Tätigkeiten, die über die Anforderungen nach Entgeltgruppe 7 hinaus

- erweiterte Fachkenntnisse sowie Fertigkeiten sowie Verantwortung für Personal oder Betriebsmittel in höherem Ausmaß

oder

- erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten

voraussetzen.

Richtbeispiele:

Altenpflegerin

Erzieherin

Facharbeiterin

Heilerziehungspflegerin

Köchin

Krankenschwester

Meisterin

Technikerin

Verwaltungsmitarbeiterinnen mit kaufmännischer Ausbildung

In der Anmerkung heißt es hierzu: "Die Tätigkeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten sowie auf Arbeitsplätzen in der stationären Behindertenhilfe, die üblicherweise von Heilerziehungspflegerinnen bzw. von Erzieherinnen ausgeübt werden, erfordert in der Regel erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten."

Die Klägerin war vor Inkrafttreten der neuen Vergütungsordnung ab 01.01.2004 in Vergütungsgruppe V b AVR-K eingruppiert, jetzt in Entgeltgruppe 7.2 AVR-K. Die Klägerin ist stattlich geprüfte Physiotherapeutin. Sie verfügt über die Zusatzausbildung nach "Bobath". Darüber hinaus hat sie an einem 130 Stunden umfassenden Basiskurs "Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen", einem Kurs "Psychomotorische Wahrnehmungsbehandlung mit 200 Stunden und an der Weiterbildung "Systemisches Denken und Handeln in Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie" teilgenommen.

Die Klägerin ist im sozial-pädiatrischen Zentrum (SPZ) C-Stadt beschäftigt. Grundlagen und Zielvorgaben für die Arbeit im sozial-pädiatrischen Zentrum sind in einem so genannten "Altöttinger Papier" aus dem Jahre 2002 zusammengefasst, dass die Klägerin zu Bl. 17 bis 22 d. A. gereicht hat. Das "Altöttinger Papier" wurde von der Bundesarbeitsgemeinschaft sozial-pädiatrischer Zentren erarbeitet und stellt ein Positionspapier dar. Unter Ziffer 1.8 des Papieres ist das Anforderungsprofil für die therapeutischen Mitarbeiter im SPZ beschrieben.

Der Tätigkeit der Klägerin liegt die Stellenbeschreibung vom 04.11.2003 zu Grunde. Nach deren Inhalt plant die Klägerin auf Grund der ärztlichen Diagnose und Verordnung ein individuelles physiotherapeutisches Behandlungskonzept und führt dieses eigenverantwortlich durch. Die Einzelaufgaben sind unter Ziffer 14 wie folgt aufgeführt:

"a)

Die Stelleninhaberin führt Erstgespräche und die physiotherapeutische Befundaufnahme durch.

b)

Sie erstellt individuelle Behandlungs- und Übungsprogramme.

c)

Sie führt Beratungs- und Abschlussgespräche mit Eltern, Therapeuten und anderen Bezugspersonen durch.

d)

Sie führt Gruppen- und Einzeltherapie bei Kindern des SPZ durch.

e)

Eltern, andere Bezugspersonen und Therapeuten werden von ihr beraten und angeleitet.

f)

Sie führt die Praktikumsbetreuung von Schwesternschülern/-innen der Klinik durch.

g)

Auf konsiliarische Anforderung werden Diagnostik, Beratung und Einzeltherapie in der Kinderklinik durchgeführt.

h)

Sie führt physiotherapeutische Behandlungen nach neurophysiologischen Erkenntnissen und Erfahrungen durch.

i)

Sie beobachtet und wertet den Verlauf der Therapien aus, um ggf. notwendige Veränderungen in der Konzeption vorzunehmen.

j)

Sie führt Fallbesprechungen im interdisziplinären Team durch.

k)

Sie bereitet Therapiesitzungen vor und nach.

l)

Sie nimmt regelmäßig an internen und externen Fortbildungen nach Genehmigung durch die Leitung teil.

m)

Sie organisiert Fortbildungen für Teammitglieder, extern Therapeuten und Elterngruppen.

n)

Sie führt videogestützte Elternberatung bei verhaltensauffälligen und mental retadierten Kindern durch.

o)

Sie fertigt Kunststoffschienen in Zusammenarbeit mit einem Orthopädietechniker an.

p)

Die Stelleninhaberin hat nach Weisung ihres Vorgesetzten weitere Aufgaben zu erfüllen, die entweder wesensmäßig zu ihrem Tätigkeitsbereich gehören oder sich aus betrieblichen Notwendigkeiten ergeben."

Die Anforderungen an die Inhaberin der Stelle sind unter Ziffer 18 wie folgt formuliert:

" Die Stelleninhaberin muss eine Ausbildung als Physiotherapeutin haben. Sie muss über eine Zusatzausbildung nach Bobath oder Vojta verfügen. Neben fundiertem, vielseitigem und erheblich erweiterten Fachwissen wird Interesse an interdisziplinärer Teamarbeit erwartet, die Eignung für Vorgesetztenverantwortung, die Bereitschaft eigene Erfahrungen zu reflektieren, die Fähigkeit zur partnerschaftlicher Zusammenarbeit und die Bereitschaft zu persönlichem Einsatz für die Aufgabe und anvertrauten Patienten."

Für den gesamten Inhalt der Stellenbeschreibung wird auf Bl. 9 bis 10 d. A. Bezug genommen.

Im SPZ werden Entwicklungsstörungen/-verzögerungen sowie drohende oder bestehende Behinderungen bei Kindern ambulant behandelt. Die Kinder werden teilweise einmalig vorgestellt, zum Teil aber auch über mehrere Jahre betreut. Jährlich werden ca. 2200 Kinder betreut. Das SPZ ist eine Einrichtung im Sinne von § 119 SGB V, das heißt, eine institutionelle Sonderform interdisziplinärer ambulanter Krankenbehandlung. Nach § 119 Abs. 2 SGB V ist die Behandlung durch sozial-pädiatrische Zentren auf diejenigen Kinder auszurichten, die wegen der Art, Schwere oder Dauer ihrer Krankheit oder einer drohenden Krankheit nicht von geeigneten Ärzten oder in geeigneten Frühförderstellen behandelt werden können. Die Kinder gelangen durch Überweisung in das SPZ mit dem Ziel der Geneseabklärung, der umfassenden Diagnostik und entsprechenden Therapieempfehlungen.

In der Physiotherapie des SPZ werden ca. 800 Kinder pro Jahr diagnostiziert und behandelt. Die Klägerin führt wöchentlich mindestens fünf Diagnostiken à 60 bis 90 Minuten durch. Zusätzlich finden acht einstündige physiotherapeutische Behandlungen durch die Klägerin statt sowie Vor- und Nachbereitung der Therapien sowie der Erstellung von Berichten. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin liegt bei der Diagnostik. Die Klägerin hat ihre wöchentliche Arbeitszeit von 25 Stunden wie folgt aufgeteilt:

Diagnostik 9 Stunden pro Woche 36 %

Therapie 4 Stunden pro Woche 13 %

Gruppentherapie 2 Stunden pro Woche 8 %

Elternarbeit/-gespräche 2 Stunden pro Woche 8 %

Vor- und Nachbereitung/Berichte 2 Stunden pro Woche 8 %

IB 1 Stunde pro Woche 4 %

Supervision 0,5 Stunden pro Woche 2 %

MAV-Tätigkeit 4,5 Stunden pro Woche 18 %

Die physiotherapeutische Diagnostik führt die Klägerin zum Teil zusammen mit einem Arzt, zum Teil allein durch. Sie erstellt Therapieempfehlungen und Behandlungspläne für die Behandlung entweder im SPZ oder für die Behandlung durch niedergelassene Physiotherapeuten.

Die Klägerin hat ihrer Überleitung in die Entgeltgruppe 7 mit Schreiben vom 15.01.2004 widersprochen. Nachdem ihr die negative Entscheidung der Schiedsstelle mitgeteilt wurde, legte die Klägerin mit Schreiben vom 11.09.2006 nochmals Widerspruch gegen die Eingruppierung in die E 7 ein und verlangte Eingruppierung in Entgeltgruppe 8.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei mit den in der Entgeltgruppe E 7.1

AVR-K genannten Alterpflegerinnen, Erzieherinnen, Heilerziehungspflegerinnen oder Krankenschwestern vergleichbar und daher in dieser Entgeltgruppe als Eingangsstufe einzugruppieren. Die von ihr erworbenen Zusatzausbildungen und durchgeführten Fortbildungen seien für die Arbeit im SPZ erforderlich. Diese Tätigkeit erfordere grundsätzlich erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten. Allein der Umstand, dass die zu behandelnden Kinder und Jugendliche überwiegend schwere Mehrfachbehinderungen aufwiesen sowie darüber hinaus häufig Verhaltensstörungen zeigten, rechtfertige schon die Heraushebung.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin seit dem 01.04.2004 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe E 8 AVR-K zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Grundeingruppierung der Klägerin richte sich nach der Entgeltgruppe E 6.1. Die Aufzählung der in der Entgeltgruppe E 7.1 genannten Berufe sei abschließend, so dass eine Analogie nicht in Betracht käme. Die erweiterten Fachkenntnisse und Fertigkeiten der Klägerin, über die diese verfüge, seien mit der Höhergruppierung in Entgeltgruppe E 7.2 verbraucht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.06.2008 abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird verwiesen.

Das Urteil wurde dem Klägerinvertreter am 03.11.2008 zugestellt.

Hiergegen hat die Klägerin mit am 26.11.2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 02.02.2009 eingegangen, nachdem die Berufungsbegründungsfrist durch Beschluss vom 19.12.2008 verlängert worden war.

Die Klägerin wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe der Berufungsbegründung und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie verweist aber vor allem darauf, dass die erweiterten Fachkenntnisse und Fertigkeiten bereits dadurch zum Ausdruck kämen, dass sie nach allgemeinen Anweisungen selbständig tätig sei. Allein das rechtfertige eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 7.2, ohne dass es auf ihre Zusatzausbildungen ankäme. Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 13.01.2009, 13 Sa 830/08 E. Dementsprechend seien die weiteren Fachkenntnisse, über die sie über die in der Ausbildung zur Physiotherapeutin erworbenen Fachkenntnisse und Fertigkeiten hinaus verfüge und die auch für die Ausführung ihrer Tätigkeit erforderlich seien, in der Entgeltgruppe E 8 zu berücksichtigen. Ausweislich Ziffer 18 der Stellenbeschreibung sei auch mindestens eine Zusatzausbildung für die Tätigkeit im SPZ erforderlich. Auch dies zeige die gesteigerten Anforderungen an eine Physiotherapeutin im SPZ gegenüber einer niedergelassenen Physiotherapeutin.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 04.06.2008, 3 Ca 622/07 E, abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.04.2004 Vergütung nach Entgeltgruppe E 8 AVR-K nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe der Berufungsbegründung und bleibt mit dem Arbeitsgericht dabei, dass eine Parallele zu der Entgeltgruppe 7.1 AVR-K weder dem Wortlaut nach noch nach der Vergleichbarkeit der Berufe in Betracht komme. Anders als zum Beispiel bei Altenpflegerinnen oder Krankenschwestern stehe bei der Tätigkeit der Klägerin die Diagnostik im Vordergrund. Da Physiotherapeuten immer selbständig tätig seien, sei die Selbständigkeit kein Heraushebungsmerkmal für die Entgeltgruppe E 7.2. Die erweiterten Fachkenntnisse der Klägerin seien wiederum mit der Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 7.2 berücksichtigt. Auch sei für die Klägerin ausweislich des Altöttinger Papiers eine Zusatzausbildung für eine Tätigkeit im SPZ nicht erforderlich. Die von der Klägerin vorgenommenen Fallbeschreibungen entsprächen ihrem Berufsbild.

Die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat mit Urteil vom 13.01.2009, 13 Sa 830/08 E festgestellt, dass eine im SPZ tätige Logopädin mit vergleichbarem Anforderungsprofil in Entgeltgruppe E 8 AVR-K einzugruppieren sei und die Revision zugelassen, welche auch eingelegt wurde.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, form- und fristgerecht eingelegt und statthaft (§§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG). Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat Vergütungsansprüche nach Entgeltgruppe E 8 ab 01.04.2004 aus ihrem Arbeitsvertrag i. V. m. § 2 AVR-K, die sie im Rahmen einer im öffentlichen Dienst zulässigen Eingruppierungsfeststellungsklage verfolgt.

1.

Die Eingruppierungsvorschriften der AVR-K sind nach den gleichen Grundsätzen, die für die Tarifauslegung gelten, auszulegen (BAG vom 14.01.2004, 10 AZR 188/03, AP Nr. 3 zu AVR Caritasverband Anlage 1 = ZTR 2004, 368 - 370 Rn. 43 m. w. N.). Danach ist vom Wortlaut der Arbeitsvertragsrichtlinie auszugehen und dabei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der Richtliniengeber und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmung ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den Vorschriften der AVR ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den systematischen Zusammenhang ist abzustellen, verbleiben noch Zweifel, können die praktische Anwendung der AVR und deren Entstehungsgeschichte berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Auslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt.

2.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Klägerin in Entgeltgruppe 8 AVR-K einzugruppieren.

a)

In Entgeltgruppe 6.1 sind zunächst alle Mitarbeiterinnen einzugruppieren, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung absolviert haben. Das ist bei der Klägerin als geprüfte Physiotherapeutin der Fall. Weitere Anforderungen stellt die Entgeltgruppe E 6.1 nicht. Entsprechend den Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils und auch der Auffassung der Beklagten kommt eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 7.1 AVR-K wegen des dort entgegenstehenden Wortlautes nicht in Betracht. Die Aufzählung der Berufe ist nach dem Wortlaut abschließend, und die Klägerin ist mit den dort genannten Mitarbeiterinnen auch nicht vergleichbar, da sie überwiegend eine diagnostische und keine pflegende oder betreuende Tätigkeit ausübt.

b)

Die Klägerin erfüllt die Anforderungen, die die Entgeltgruppe E 7.2 stellt, schon allein deswegen, weil sie ihre Tätigkeiten im Wesentlichen nach allgemeinen Anweisungen selbständig ausführt (vgl. auch LAG Niedersachsen vom 13.01.2009, 13 Sa 830/08 E). Die Entgeltgruppe 7.2 nennt dem Wortlaut nach als Heraushebungsmerkmal gegenüber der Entgeltgruppe 6 zunächst die erweiterten Fachkenntnisse und Fertigkeiten. Satz 2 dieser Entgeltgruppe erläutert aber sogleich, wann das Merkmal der erweiterten Fachkenntnisse und Fertigkeiten erfüllt ist und nennt als maßgebliches Kriterium hierfür die selbständige Ausführung der Tätigkeit. Sowohl nach dem Wortlaut als auch der Systematik stellt die Entgeltgruppe 7.2 daher nicht maßgeblich auf das Erfordernis zusätzlicher Ausbildungen /Zusatzausbildungen und sonstige Fachkenntnisse und Fertigkeiten, die über das im Rahmen einer Ausbildung einer Physiotherapeutin erlernte hinausgehen, ab. Die Formulierung in der Entgeltgruppe kann nur so verstanden werden, dass hiermit eine gewisse Routine oder Berufserfahrung honoriert wird, die eine Physiotherapeutin, die unmittelbar nach der Ausbildung steht und noch konkretere Anweisungen bedarf, möglicherweise nicht hat. Dass die Klägerin ihre Tätigkeiten selbständig ausführt, ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Für die von den Parteien im SPZ erforderliche beschriebene Tätigkeit einer Physiotherapeutin kommt wegen der auch erforderlichen selbständigen Ausübung der Tätigkeit als Eingruppierungsstufe daher nur die Entgeltgruppe 7.2 in Betracht. Auch die Beklagte geht davon aus, dass über das Absolvieren der dreijährigen Ausbildung hinaus eine mindestens zweijährige Berufserfahrung erforderlich. Auch Ziffer 15 der Stellenbeschreibung bestätigt das, da die Klägerin hiernach selbständig und eigenverantwortlich tätig ist.

c)

Das Heraushebungsmerkmal der erheblich erweiterten Fachkenntnisse und Fertigkeiten nach Entgeltgruppe 8 Alternative zwei ist ebenfalls gegeben. Im Verhältnis zu einer Physiotherapeutin nach Entgeltgruppe E 7.2, die selbständig ihre in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten umsetzt, verlangt die Tätigkeit im SPZ in erheblichen Maße erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten. Im SPZ werden von einer Physiotherapeutin nicht nur physiotherapeutische Standardaufgaben abgewickelt und verlangt. Die Klägerin wird interdisziplinär tätig und hat Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen zu erstellen, die zum Teil komplexe und mehrfache Behinderungen mit weiteren Auffälligkeiten haben. Kinder und Jugendliche, die im SPZ behandelt werden, sind meist so vorbelastet, dass sie von einem niedergelassenen Physiotherapeuten nicht behandelt werden können, sondern es gerade der umfassenden Tätigkeit einer Physiotherapeutin im SPZ bedarf. Das zeigen auch die Fallbeschreibungen, die die Klägerin in der Berufungsbegründung abgegeben hat. Auch wenn es nach Auffassung der Beklagten sich um das normale Berufsbild einer Physiotherapeutin handeln mag, gehen diese Beschreibungen doch weit über das hinaus, was in der Regel im Rahmen einer einfachen und auch zeitlich begrenzten Therapie zu leisten ist. Diagnostik und Therapie stellen überdurchschnittliche Anforderungen. Das korrespondiert auch mit den Angaben zu Ziffer 18 der Stellenbeschreibung, in der eine Zusatzausbildung verlangt wird und neben fundiertem vielseitigem auch erheblich erweitertes Fachwissen genannt wird. Die Beklagte selbst verwendet in der Stellenbeschreibung den Begriff des erheblich erweiterten Fachwissens, so dass nicht einleuchtet, warum nach ihrer Auffassung die Tätigkeit weder eine Zusatzausbildung erfordert noch lediglich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten im Sinne von der Entgeltgruppe E 7.2 ausreichen sollen. Nach der gesetzlichen Definition in § 119 Abs. 2 SGB V eines sozial-pädiatrischen Zentrums liegt dessen Daseinsberechtigung gerade darin, dass wegen der Art, Schwere oder Dauer der Krankheit die Kinder oder Jugendlichen nicht an anderen Stellen behandelt werden können. Schon allein diese Daseinsberechtigung eines SPZ zeigt, dass hier keine Standardaufgaben zu erbringen sind. Das bestätigt auch die Anmerkung 2 zu Entgeltgruppe 8 der Verhandlungspartner. Diese bezieht sich nach dem Wortlaut zwar auf Erziehungsschwierigkeiten und den Beruf von Heilerziehungspflegerinnen bzw. von Erzieherinnen. Die Anmerkung geht aber davon aus, dass die Tätigkeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in diesem Bereich in der Regel erheblich erweiterte Fachkenntnisse und Fertigkeiten erfordern. Nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung passt das auch auf die von der Klägerin beschriebene Tätigkeit einer Physiotherapeutin im SPZ. Anders als im Wortlaut der Entgeltgruppe E 7.1 handelt es sich hierbei auch nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern vielmehr um die Nennung eines Beispieles.

d)

Die diagnostische Tätigkeit der Klägerin ist auch charakteristisch für ihre Gesamttätigkeit, auch wenn die von ihr angegebene Wochenstundenzahl nicht mehr als 50 % der Gesamttätigkeit ausmacht. § 2 Satz 1 AVR stellt nicht allein auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität ab. Der Charakter eines Arbeitsbereiches kann auch dadurch bestimmt werden, dass dieser von der Gesamtbedeutung der Tätigkeit als der maßgebliche Teil angesehen werden kann. Es muss nicht nur die zeitliche Komponente wesentlich sein, weil eine überwiegende Tätigkeit vorliegt, sondern es kann auch eine qualitative Komponente zum Tragen kommen. Die Verhandlungspartner der AVR haben bewusst nicht auf einen bestimmten Zeitanteil abgestellt und auch den früheren Begriff der überwiegend auszuübenden Tätigkeit nicht mehr verwandt. Auf Eingruppierungsregelungen des BAT oder älterer Fassungen der AVR kann ebenso wenig zurückgegriffen werden wie auf die Eingruppierungspraxis in anderen diakonischen Einrichtungen.

e)

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 15.01.2004 auch die Ausschlussfrist in § 41 Abs. 1 AVR-K eingehalten. Wegen des anschließend durchzuführenden Schiedsstellenverfahrens und weiterer Geltendmachung durch die Klägerin kommt auch eine Verwirkung nicht in Betracht. Die Verwirkung eines Anspruchs setzt neben dem reinen Zeitablauf auch ein so genanntes Umstandsmoment voraus. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte darauf vertrauen konnte, dass die Klägerin ihre Ansprüche nicht weiterverfolgen würde, liegen nicht vor.

f)

Der Klägerin stehen nach § 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB die geltend gemachten Zinsen zu. Die Kammer war nicht der Auffassung, dass der Beklagte den Verzug nicht im Sinne des § 286 Abs. 4 BGB zu vertreten hatte. Darlegungspflichtig für fehlendes Verschulden ist der Schuldner. Allein das Vorliegen abweichender Schiedstellenentscheidungen begründet noch keinen nicht vermeidbaren Rechtsirrtum. Weitere entlastende Umstände sind nicht vorgetragen.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zuzulassen, da auch gegen das Urteil der 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen Revision eingelegt wurde. Es besteht somit die Gefahr divergierender Entscheidungen, die sich aus unterschiedlicher Auslegung der Eingruppierungsmerkmale ergeben kann.

Ende der Entscheidung

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