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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 16.03.2004
Aktenzeichen: 9 Sa 517/03
Rechtsgebiete: MSchG


Vorschriften:

MSchG § 11
Liegt während des ärztlich angeordneten Beschäftigungsverbots eine Arbeitsunfähigkeit vor, wie sie nur eine Schwangere treffen kann, so ist die Arbeitsunfähigkeit subsidiär, weil andernfalls § 11 MSchG weitgehend leer liefe (wie BAG v. 13.02.02 - 5 AZR 588/00).
Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 517/03

Verkündet am: 16. März 2004

In dem Rechtsstreit

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dierking und die ehrenamtlichen Richter Niederheide und Ritter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Stade vom 18.02.03 - 2 Ca 608/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Mutterschutzlohn während der Zeit eines ärztlich ausgesprochenen Beschäftigungsverbotes.

Die 1971 geborene Klägerin ist seit dem 15. November 2000 als Bürokauffrau bei der Beklagten beschäftigt. Ihre monatliche Bruttovergütung beträgt 2.053,94 €.

Die seinerzeit schwangere Klägerin war vom 24. Juni 2002 bis zum 25. August 2002 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Mit Bescheinigung vom 22. August 2002 (Bl. 19 d. A.) bescheinigte der behandelnde Gynäkologe, der Zeuge Dr. O...:

"Bei o.g. Patientin ist aus Sorge um die Gesundheit von Mutter + Kind im Anschluß an die AU ein Beschäftigungsverbot bis auf weiteres unumgänglich."

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 (Bl. 25/26 d. A.) bat die Beklagte den Arzt, ihr weitere Einzelheiten zu dem Beschäftigungsverbot mitzuteilen, dessen Berechtigung sie anzweifelte. Der Arzt antwortete mit Schreiben vom 14. Oktober 2002 (Bl. 27 d. A.), selbst eine überwiegend sitzende Bürotätigkeit ohne körperliche Belastung sei für die Patientin nicht zulässig, so dass die Erteilung eines totalen Beschäftigungsverbotes "aus ärztlicher Sicht und Verantwortung zwingend notwendig" sei. Der Arzt formulierte weiter: "Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit braucht dafür nicht vorliegen".

Die Beklagte weigerte sich, das Beschäftigungsverbot anzuerkennen, und zahlte den Mutterschutzlohn nicht. Die Klägerin hat daher mit der am 14. Oktober 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen und mehrmals erweiterten Klage die Zahlung des Mutterschutzlohns für die Zeit von September 2002 bis Dezember 2002, außerdem die tarifliche Sonderzahlung für 2002 in Höhe von 1.232,36 € verlangt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.053,94 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere 2.053,94 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2002 sowie 3.286,63 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2002 sowie 2.053,94 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung

begehrt und behauptet, die Klägerin sei auch über den 25. August 2002 während der gesamten Dauer des Beschäftigungsverbotes arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Deswegen habe die Klägerin nicht allein wegen des Beschäftigungsverbotes mit der Arbeit ausgesetzt.

Durch Urteil vom 18. Februar 2003 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 9.448,12 € festgesetzt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe Anspruch auf den eingeklagten Mutterschutzlohn gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, weil sie wegen eines Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs. 1 MuSchG mit der Arbeit ausgesetzt habe. Der Beweiswert des Beschäftigungsverbotes des Gynäkologen Dr. O... sei von der Beklagten nicht erschüttert worden. Weder aus der Bescheinigung vom 22. August 2002 selbst, noch aus dem Schreiben des Arztes vom 14. Oktober 2002 ergäben sich Zweifel. Der Beweiswert des Beschäftigungsverbotes werde auch nicht aus der Dauer der Arbeitsunfähigkeit erschüttert, schon deshalb nicht, weil das Beschäftigungsverbot nicht unmittelbar im Anschluss an den Entgeltfortzahlungszeitraum ausgesprochen worden sei, sondern die Klägerin noch 3 Wochen Krankengeld erhalten habe.

Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seinem Ergebnis haben gelangen lassen, wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 50 bis 53 d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 24. Februar 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 18. März 2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie innerhalb der bis zum 26. Mai 2003 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet hat.

Mit der Berufung wendet sich die Beklagte nicht mehr gegen die Zuerkennung der Sonderzahlung für 2002, will aber in Bezug auf den Mutterschutzlohn weiterhin die Abweisung der Klage nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 18. Mai 2003 (Bl. 75/76 d. A.) und ihres Schriftsatzes vom 15. Dezember 2003 (Bl. 99 bis 101 d. A.) erreichen; die Kammer nimmt auf den Inhalt dieser Schriftsätze Bezug. Die Beklagte meint insbesondere, das Arbeitsgericht hätte die Zweifel an der Richtigkeit des Beschäftigungsverbotes nicht übergehen dürfen, sondern Beweis durch Vernehmung des Gynäkologen Dr. O... erheben müssen, um herauszufinden, welche Umstände den Übergang von der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit zu dem bescheinigten Beschäftigungsverbot veranlasst hätten.

Die Beklagte beantragt daher,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 18. Februar 2003 - 2 Ca 608/02 - insoweit abzuändern, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1.232,36 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist, und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 3. Juli 2003, auf deren Inhalt die Kammer ebenfalls Bezug nimmt (Bl. 91 bis 94 d. A.).

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Gynäkologen Dr. med. O.... Wegen der Beweisfragen wird auf den Beschluss vom 13. Januar 2004 (Bl. 117 f.) Bezug genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 16. März 2004 (Bl. 126 bis 128 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Allerdings geht die Berufung vom zutreffenden Ausgangspunkt aus, indem sie darauf hinweist, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit den Anspruch aus § 11 MuSchG grundsätzlich ausschließe (BAG, st. Rspr., zuletzt Urt. v. 13.02.2002 - 5 AZR 588/00 -, AP Nr. 22 zu § 11 MuSchG 1968). Insbesondere auf Grund der Bemerkung am Ende des Schreibens vom 14. Oktober 2002 des die Klägerin behandelnden Gynäkologen Dr. O... ("Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit braucht dafür nicht vorliegen.") konnte die Beklagte mutmaßen, dass dem Arzt die Abgrenzung zwischen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und einem Beschäftigungsverbot nicht in allen Einzelheiten geläufig war. Denn im Grundsatz ist, wenn ein krankhafter Zustand, sei es im Zusammenhang mit der Schwangerschaft, sei es unabhängig von dieser, besteht, der zur Arbeitsunfähigkeit der Schwangeren führt, krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. Wird gleichzeitig ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen, so hat es zwar die Wirkungen der §§ 3 Abs. 1, 21, 24 MuSchG, begründet aber eine Vergütungspflicht nach § 11 MuSchG nicht. Liegt dagegen keine Krankheit vor oder führt diese nicht zur Arbeitsunfähigkeit, so bleibt die Vergütungspflicht durch das Beschäftigungsverbot aufrechterhalten. Die Schwangere hat also je nachdem, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder nicht, entweder einen - gesetzlich auf 6 Wochen beschränkten - Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gegen den Arbeitgeber (§ 3 EFZG) und anschließend auf Krankengeld gegen die Krankenkasse (§ 44 SGB V), oder sie hat gegen den Arbeitgeber einen - nicht auf 6 Wochen beschränkten - Anspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG (BAG aaO).

II.

Die durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Klägerin während des bescheinigten Beschäftigungsverbotes arbeitsunfähig gewesen ist. Der Zeuge hat zwar die Frage verneint, ob er die Klägerin für den Fall, dass es die Möglichkeit der Verhängung eines Beschäftigungsverbotes nicht gäbe, die Klägerin nicht krankgeschrieben hätte. Diese Aussage ist jedoch im Lichte der weiteren Bekundungen des Zeugen keineswegs folgerichtig. Der Zeuge hat nämlich, und zwar mit großem Ernst und überzeugend, bekundet, dass er sowohl während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit als auch dann wieder, als er das Beschäftigungsverbot ausgesprochen habe, der Klägerin Bettruhe verordnet. Der Zeuge hat dies nachvollziehbar damit erläutert, dass die Durchblutung der Placenta im Liegen um 20 % besser sei als beim Stehen, Gehen und Sitzen. Im Falle der Klägerin habe er mit Blick auf deren Anamnese von einer Neigung zu Fehlgeburten ("habitueller Abort") ausgehen müssen, zumal die Klägerin ihm über ein Ziehen im Unterleib berichtet habe. Er habe bei jedweder Belastung, also bei den normalen Belastungen des Arbeitsplatzes der Klägerin, angesichts des Erschöpfungszustandes der Klägerin das Risiko einer erneuten Fehlgeburt gesehen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in der oben zitierten Entscheidung (aaO) bei der Auslegung der Normen der §§ 3 Abs. 1, 11 MuSchG eine Einschränkung gemacht: Die Norm verlange eine Prognose, ob die Gefährdung von Leben oder Gesundheit eintrete, wenn die Beschäftigung andauere; nur wenn Arbeitsunfähigkeit vorliege, wie sie jede Arbeitnehmerin treffen kann, gelte allein das Entgeltfortzahlungsrecht. Es komme deshalb dann, wenn die entscheidende Verschlechterung der Gesundheit erst durch die Fortführung der Beschäftigung eintreten würde, darauf an, ob die Ursache hierfür ausschließlich in der Schwangerschaft begründet sei. In diesem Fall sei das sich verwirklichende Risiko der §§ 3 Abs. 1, 11 MuSchG dem Arbeitgeber zuzuweisen, die Arbeitsunfähigkeit dagegen subsidiär, bei einer anderen Auslegung, so das Bundesarbeitsgericht, liefe § 11 MuSchG weitgehend leer.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass genau eine solche Fallkonstellation vorliegt, auf die diese Einschränkung, die die Kammer von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts übernimmt, zutrifft. Aus den Bekundungen des Zeugen ergibt sich, dass die aus der Anamnese der Klägerin geschlossene Konstitution (habitueller Abort) im Zusammenhang mit dem diagnostizierten Erschöpfungszustand der Klägerin zu der angeordneten Bettruhe allein deshalb geführt hat , um eine weitere Fehlgeburt auszuschließen. Das bedeutet, dass im Falle der Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, wie sie gerade nicht jede Arbeitnehmerin, sondern wie sie nur eine Schwangere treffen kann. Die entscheidende Verschlechterung der Gesundheit würde bei der Klägerin durch die Fortführung der Beschäftigung eingetreten sein, und die Ursache hierfür wäre ausschließlich in der Schwangerschaft begründet gewesen.

Die Kammer folgt den Bekundungen des Zeugen. Seine Aussage war medizinisch plausibel und in der Substanz widerspruchsfrei. Dass der Zeuge angab, er hätte die Klägerin, gäbe es das Institut des Beschäftigungsverbotes nicht, nicht arbeitsunfähig krankgeschrieben, ist wohl eher bezogen auf die Unterscheidung zwischen Schwangeren und Nichtschwangeren. Schließlich belegt die Tatsache, dass der Zeuge die Klägerin auf Grund ihrer Neigung zu Fehlgeburten vom 24. Juni bis zum 25. August 2002 krankgeschrieben hat, die Annahme, dass er sie angesichts des erneut zu Tage getretenen Risikos einer Fehlgeburt auch weiterhin krankgeschrieben hätte.

Dieser Widerspruch macht die Aussage des Zeugen indes nicht unglaubwürdig. Gerade weil der Zeuge eingeräumt hat, er habe der Klägerin während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit und (nach einer kurzen Phase, in der er das Risiko einer Fehlgeburt geringer einschätzte) zu Beginn des Beschäftigungsverbotes erneut Bettruhe angeordnet, ist es auszuschließen, dass der Zeuge Sachverhalte konstruiert hat, die zunächst eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und später die Genesung von dieser Krankheit belegt hätten. In Umkehrung zu den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichtes im Urteil vom 13. Februar 2002 (aaO unter I. 5. der Gründe) lässt sich der Aussage des Zeugen entnehmen, dass er, gäbe es die Möglichkeit einer "Krankschreibung" nicht, im Falle der Klägerin auch während der Zeit der von ihm attestierten Arbeitsunfähigkeit ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen hätte.

Nach alledem konnte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben, weil sich das Urteil des Arbeitsgerichts nach Durchführung der Beweisaufnahme als zumindest im Ergebnis zutreffend erweist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Wert der Berufung: 8.215,76 €.

III.

Gesetzliche Gründe, die Revision zuzulassen liegen nicht vor. Diese Entscheidung kann selbstständig nach Maßgabe des § 72 a ArbGG mit der Nichtzulassungsbeschwerde zur Überprüfung gestellt werden.

Ende der Entscheidung

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