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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 08.12.2004
Aktenzeichen: 2 Ta 185/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 174
Das auf einem Empfangsbekenntnis angegebene Datum ist als unrichtig zu bewerten, wenn

a) bei gleichzeitiger Aufgabe zur Post ein Parteivertreter ohne Hinweis auf eine etwaige Postverzögerung und ohne Angaben zum Zeitpunkt des Eingangs der Entscheidung in der Kanzlei ein Datum angibt, das um 3 Wochen + 1 Tag abweicht vom Empfangsdatum des gegnerischen Prozessbevollmächtigten;

b) der Rechtsanwalt sich weiterer Mitwirkung an der Feststellung des Zustellungsdatums entzieht und nicht einmal die Fragen des Rechtsmittelgerichts beantwortet, deren Beantwortung ihm möglich ist.


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

2 Ta 185/04

in dem Rechtsstreit

Die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Werner ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 27.04.2004, Az. 9 Ca 2610/04, wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darum, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 27.04.2004 den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten verneint und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürth verwiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses (Bl. 79 ff. d.A.) wird verwiesen.

Laut Aktenvermerk wurde der Beschluss vom 27.04.2004 an beide Parteivertreter am 10.05.2004 zur Post gegeben zur Zustellung gemäß § 174 ZPO. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat im Empfangsbekenntnis angegeben, den Beschluss vom 27.04.2004 am 13.05.2004 erhalten zu haben. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Empfangsbekenntnis angegeben, den Beschluss vom 27.04.2004 am 04.06.2004 erhalten zu haben.

Mit Telefax vom 17.06.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers sofortige Beschwerde eingelegt. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 03.08.2004 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Auf den Inhalt des Nichtabhilfebeschlusses wird Bezug genommen.

Das Landesarbeitsgericht hat mit Schreiben vom 07.10.2004 den Prozessbevollmächtigten des Klägers um Überprüfung des Zustellungsdatums des angefochtenen Beschlusses vom 27.04.2004 gebeten. Es wurde darauf hingewiesen, dass laut Vermerk der Beschluss an beide Prozessbevollmächtigte am 10.05.2004 zur Post gegeben wurde und dem Beklagtenvertreter laut dessen Empfangsbekenntnis der Beschluss am 13.05.2004 zugestellt wurde. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe als Zustellungsdatum den 04.06.2004 angegeben, eine zeitliche Differenz von 3 Wochen und 1 Tag sei erklärungsbedürftig. Mit Telefax vom 19.10.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, eine Erklärung sei dem Sachbearbeiter nicht möglich. Der Vorgang sei dem Sachbearbeiter am 04.06.2004 vorgelegt und von diesem auch am gleichen Tage der Empfang bestätigt worden (Bl. 143 d.A.).

Diese Erklärung wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugeleitet, der mitgeteilt hat, weder er noch die Beklagte habe Einblick in den Postlauf bzw. den Organisationsablauf in der Kanzlei der Klägervertreter. Eine weitergehende Erklärung zur Sache sei daher nicht möglich, das Gericht möge nach Aktenlage entscheiden.

Das Landesarbeitsgericht hat nochmals mit Schreiben vom 16.11.2004 um eine Stellungnahme bis 30.11.2004 gebeten, wann der angefochtene Beschluss in der Kanzlei eingegangen ist. Es wurde um Mitteilung gebeten, ob sich auf dem angefochtenen Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg ein Eingangsstempel der Kanzlei befinde sowie ob in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt wurde, dass sie im Fristenkalender notiert wurde. Es wurde dabei darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, NJW 2003, 453) und des BAG (NJW 2003, 1296) der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Urteils nur unterzeichnen und zurückgeben dürfe, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt sei, dass sie im Fristenkalender notiert worden sei. Entsprechendes könne hinsichtlich der Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO angenommen werden. Es wurde noch um die Überlassung von Kopien gebeten, soweit ein Eingangsstempel angebracht worden sei und entsprechende Vermerke vorhanden seien.

Eine Stellungnahme ist bis 30.11.2004 nicht mehr eingegangen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist unzulässig.

Das Beschwerdegericht hat die Einhaltung der Notfrist des § 569 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen. Es kann dabei nicht offen lassen, wann der angefochtene Beschluss zugestellt wurde und ab wann der Lauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist beginnt.

Im Streitfall kann das Beschwerdegericht nach den gesamten Umständen das vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angegebene Zustellungsdatum 04.06.2004 nicht als den tatsächlichen Zeitpunkt der Zustellung zugrunde legen:

a) Grundsätzlich erbringt das Empfangsbekenntnis den Beweis für die Entgegennahme des bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme (vgl. Zöller-Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 174 Rz. 20 m.w.N.). Zustellungszeitpunkt ist damit nicht zwingend der Tag, an dem die Sendung dem Prozessbevollmächtigten zugeht, sondern die Entgegennahme durch den Zustellungsempfänger mit der Bereitschaft, das Schriftstück als zugestellt zu empfangen (vgl. Hüßtege in Thomas-Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 174 Rz. 5 b).

b) Die Richtigkeit des aus dem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Datums kann aufgrund besonderer Umstände erschüttert sein, so dass dann das Rechtsmittelgericht gehalten ist, Feststellungen zur Zulässigkeit des Rechtsmittels zu treffen, wobei dann der sog. Freibeweis gilt (vgl. BGH vom 07.12.1999, NJW 2814 sowie vom 18.06.2002, NJW 2002, 3027, 3028). Dabei senkt der zugelassene Freibeweis nicht die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung, vielmehr muss die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet sein, jede Möglichkeit der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses somit ausgeschlossen werden (vgl. auch die weiteren Nachweise bei Zöller-Stöber, a.a.O.).

c) Die zeitliche Differenz von 3 Wochen und 1 Tag für das Zustellungsdatum in den beiden Empfangsbekenntnissen, obwohl beide Zustellungen am gleichen Tag von der Geschäftsstelle veranlasst wurden, gab Anlass zur Aufklärung über den Zustellungszeitpunkt hinsichtlich der Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. Dieser hat bei der ersten Anfrage des Beschwerdegerichts lediglich mitgeteilt, dass eine Erklärung dem Sachbearbeiter nicht möglich sei und der Vorgang dem Sachbearbeiter am 04.06.2004 vorgelegt und von diesem auch am gleichen Tag der Empfang bestätigt worden sei. Aus dieser Stellungnahme folgt schon nicht zwingend, ob der Vorgang dem Sachbearbeiter am 04.06.2004 erstmals vorgelegt wurde sowie, ob zwischen Eingang des Beschlusses in der Kanzlei und der Vorlage an den Sachbearbeiter ein längerer Zwischenzeitraum lag. Es war deshalb veranlasst, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nochmals Gelegenheit zu geben, Angaben dazu zu machen, ob etwa auf dem angefochtenen Beschluss des Arbeitsgerichts ein Eingangsstempel angebracht wurde sowie, ob in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt wurde, dass sie im Fristenkalender notiert wurde. In diesem Falle sollten Kopien an das Beschwerdegericht gesandt werden. Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich zu diesen Auflagen nicht erklärte, hat er die erforderliche und gebotene Mitwirkung zu den notwendig zu treffenden Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht nur unterlassen, sondern nicht einmal mehr geantwortet. Es wäre ihm zumindest möglich gewesen, anzugeben, ob sich auf dem Beschluss ein Eingangsstempel der Kanzlei befindet. Wäre ein längerer Zwischenzeitraum zwischen dem Eingang des angefochtenen Beschlusses in der Kanzlei und der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses gelegen, so käme in Betracht, ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers anzunehmen, da sonst eine Verlängerung der Rechtsmittelfristen durch eine unzureichende Kanzleiorganisation erreicht würde, was einer Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO entgegensteht. Entscheidend ist im Streitfall, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz Aufforderung durch das Gericht die notwendige Mitwirkung an der Feststellung des Zustellungsdatums verweigert hat, was einer Beweisvereitelung gleichkommt, da das Beschwerdegericht wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels alle Feststellungen treffen muss, die für die Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO erforderlich sind. Die Weigerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, die im Schreiben vom 16.11.2004 gestellten Fragen wenigstens zu beantworten, führt dazu, dass das Beschwerdegericht aus der Weigerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, wenigstens insoweit an der Aufklärung mitzuwirken, als ihm dies möglich ist, also beispielsweise das Schreiben des Beschwerdegerichts vom 16.11.2004 wenigstens zu beantworten, Schlüsse zu ziehen hat. Diese Schlüsse führen dazu, das angegebene Zustellungsdatum 04.06.2004 nicht als das tatsächliche Zustellungsdatum anzunehmen. Da der Kläger weder Umstände angeführt hat, die auf einen verzögerten Postlauf hindeuten, noch überhaupt bereit war, die Fragen zu beantworten, soweit ihm dies möglich war (z.B. nach dem Anbringen eines Eingangsstempels), ist der Schluss zu ziehen, dass das angegebene Empfangsdatum 04.06.2004 unrichtig ist.

Ende der Entscheidung

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