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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 27.03.2002
Aktenzeichen: 2 TaBV 13/02 (1)
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 8 Abs. 2
1.

Der Gegenstandswert eine Antrags in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, der auf Abbruch einer Betriebsratswahl zielt, ist unter Berücksichtigung der "Lage des Falles" gemäß § 8 Abs. 2 Halbsatz 2 BRAGO zu bestimmen.

2.

Eine Wertfestsetzung allein nach der Größe des zu wählenden Betriebsrats ist abzulehnen, weil bei dieser typisierenden Betrachtungsweise nur ein einziger von mehreren heranzuziehenden Umständen erfasst würde, die "Lage des Falles" sich aber mehrschichtig darstellt.


2 TaBV 13/02

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg

- Kammer 2 -

erlässt in dem Beschlussverfahren

wegen einstweiliger Verfügung/Arrest

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Werner ohne mündliche Verhandlung folgenden

Beschluss:

Tenor:

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf EUR 25.000,-- festgesetzt.

Gründe:

1.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts hat gemäß § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 BRAGO zu erfolgen. Streitgegenständlich waren nicht vermögensrechtliche Streitgegenstände, so dass § 8, Abs. 2, Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO heranzuziehen war, wonach bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen der Gegenstandswert auf EUR 4.000,--, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über EUR 500.000,-- anzunehmen ist.

2.

In der Bewertung von Streitigkeiten um die Wirksamkeit von Betriebsratswahlen wird teilweise in einer typisierenden Betrachtung abgestellt auf die Zahl der Mitglieder des Betriebsrats (vgl. die Nachweise bei Meier, Lexikon der Streitwerte, RdZiff. 71 f). Auch bei dieser typisierenden Betrachtungsweise ergeben sich nach der Darstellung bei Meier erhebliche Unterschiede. Meier zitiert das LAG Brandenburg vom 21.09.1995, 2 Ta 155/95, NZA 1996, 112, wonach bei einem elfköpfigen Betriebsrat ein Wert von DM 88.000,-- anzunehmen sei, nach der Entscheidung des LAG Berlin vom 17.12.1991, 1 Ta 50/91, NZA 1992, 237 bei einer Zahl von 23 Betriebsratsmitgliedern ein Wert von DM 42.000,--.

3.

Im Streitfall war zu berücksichtigen, dass ein Eilverfahren eingeleitet worden war, in dem mit dem Hauptantrag der Abbruch der Betriebsratswahl beantragt wurde. Eine Wertfestsetzung allein nach der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder, gleichgültig welchen Wertansatz man für das einzelne Betriebsratsmitglied zugrunde legt, erscheint nicht sachgerecht. Die typisierende Betrachtungsweise hat zwar den Vorteil, dass die entstehenden Anwaltskosten eines Beschlussverfahrens leicht zu berechnen sind, berücksichtigt aber weder die Bedeutung der beantragten Entscheidung für die Beteiligten noch die möglichen Auswirkungen. Im Streitfall wäre bei einem Abbruch der Betriebsratswahl nicht nur ein bereits entstandener Aufwand vergeblich erbracht worden, es wäre auch eine betriebsratslose Zeit für einen nicht ganz unerheblichen Zeitraum entstanden. Die Funktion des Betriebsrats als gesetzlicher Repräsentant der Belegschaft erstreckt sich nicht nur in der Bedeutung, die ihm aus Sicht der Arbeitnehmerseite zukommt. Je nach Größe, Branche und Personalstruktur berührt ein beantragter Abbruch einer Betriebsratswahl wegen der Vielzahl möglicher Mitbestimmungstatbestände auch arbeitgeberseitige Interessen. Es stellt insbesondere in größeren Betrieben für den Arbeitgeber einen erheblichen Vorteil dar, wenn er einer kollektiven Regelung zugängliche Maßnahmen nicht einzeln individualrechtlich regeln muss. In einer betriebsratslosen Zeit, die im Streitfall bei einem Abbruch der Wahl eingetreten wäre, hätte der Arbeitgeber weder über den Abschluss noch über die Abänderung von Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabsprachen verhandeln können noch in der Zeit bis zur Konstituierung eines neuen Betriebsrats etwa begonnene Gespräche fortführen oder künftige der Mitbestimmung unterliegende Maßnahmen gemeinsam beraten können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Betrieb der Beteiligten um einen großen Betrieb mit mehr als 2000 Wahlberechtigten handelt, in dem auch Schichtarbeit geleistet wird, wie sich aus der Bekanntmachung über die Zeiten der möglichen Einsichtnahme in die Wählerliste ergibt (von 6.00 Uhr bis 24.00 Uhr). Ein weiterer Gesichtspunkt ergibt sich aus der Entstehung neuer Kosten für die neu anzusetzende Wahl des Betriebsrats im Fall der beantragten Untersagung der Durchführung der Betriebsratswahl.

4.

Angemessen erscheint es somit, nicht allein auf die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder abzustellen, unabhängig davon, welchen Betrag man für das einzelne Betriebsratsmitglied zugrunde legt. Auch das LAG Brandenburg (a.a.O.) begründet seine Auffassung weiter damit, dass es auf die Bedeutung derartiger Verfahren hinweist, in denen es um die Legitimation des Betriebsrats und letztlich um die Geltung aller jemals von ihm gefassten Beschlüsse und um die Wirksamkeit aller jemals abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen geht. Dem fügt Meier (a.a.O. RdZiff. 72) hinzu, dass es natürlich auch um die Möglichkeiten des erstmals gewählten Betriebsrats gehe, überhaupt erst Beschlüsse zu fassen und Betriebsvereinbarungen zu schließen oder gegebenenfalls über eine Einigungsstelle zu erzwingen. Nach Auffassung des VGH München (Beschluss vom 16.06.1999, Az.: 17 C 99.546 in JurBüro 2000, S. 534) soll die Größe eines Personalrats völlig ausgeblendet werden. Der VGH hat deshalb für die Anfechtung zweier Personalvertretungswahlen jeweils den Hilfswert gemäß § 8 Abs. 2 BRAGO angenommen (unter Hinweis darauf, dass diese Auffassung zwar von der Rechtsprechung des hessischen VGH und der zitierten arbeitsrechtlichen Judikatur abweiche, aber sich in Übereinstimmung befinde mit dem OVG Saarlouis sowie dem Bundesverwaltungsgericht (NJW 1991, 3232). Zutreffend erscheint eine vermittelnde Lösung. Die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder ist schon deshalb nicht unerheblich, da sie in Relation zur Betriebsgröße steht. Andererseits erschöpft sich die Bedeutung des Streitgegenstands nicht allein in der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder, vielmehr sind weitere Gesichtspunkte einzubeziehen, so die im Fall des Abbruchs der Betriebsratswahl entstehende betriebsratslose Zeit mit den daraus resultierenden Folgen des Fehlens eines gesetzlichen Repräsentanten der Belegschaft, was sowohl die arbeitnehmerseitigen Interessen betrifft als auch die des Arbeitgebers. Hinzu tritt der Gesichtspunkt neuer entstehender Kosten im Fall einer neu anzusetzenden Betriebsratswahl. Nach Lage des Falles im Sinn des § 8, Abs. 2, Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO erscheint deshalb unter Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte eine Wertfestsetzung in Höhe von EUR 25.000,-- als angemessen.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 10 Abs. 3, Satz 2 BRAGO).

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