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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 09.12.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 328/04
Rechtsgebiete: TVG, BetrVG


Vorschriften:

TVG § 8
BetrVG § 77 Abs. 2 S. 3
Die in § 8 TVG sowie in § 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG statuierte Verpflichtung des Arbeitgebers, den Tarifvertrag bzw. die Betriebsvereinbarung auszulegen, bedeutet, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Anforderung das entsprechende Regelwerk zugänglich machen muss.
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 328/04 in dem Rechtsstreit

wegen Sonstiges

Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Malkmus und die ehrenamtlichen Richter Bachmann und Arnold aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 11.03.2004, Aktenzeichen: 17 Ca 8780/03, in Ziffern 1. und 2. abgeändert.

2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Einsicht in die zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat der Firma C... i.L. sowie der Gewerkschaft geschlossene Vereinbarung vom 02.09.2002 über die Regelung von Altansprüchen der Arbeitnehmer aus der Zeit vor dem 01.05.2002 zu gewähren.

3. Der Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um ein Einsichtsrecht des Klägers in eine zwischen dem Beklagten, dem Betriebsrat und der IG-Metall abgeschlossene Vereinbarung vom 02.09.2002.

Der Beklagte wurde durch Beschluss des Amtsgerichts D... - Insolvenzgericht - vom 01.05.2002 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma C... bestellt. In dieser Eigenschaft kündigte er das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.05.2002 zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Im Rahmen des noch anhängigen Kündigungsschutzverfahrens verhandelten die Parteien über eine vergleichsweise Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Beklagte legte einen entsprechenden Vergleichsvorschlag vor, durch den auch Altansprüche des Klägers, welche ihm möglicherweise noch aus vor Insolvenzantragstellung abgeschlossenen Haustarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zustehen, abschließend geregelt werden sollten. Während der Vergleichsverhandlungen wurde dem Kläger seitens des Beklagten mehrfach bestätigt, dass die vergleichsweise vorgeschlagene Regelung hinsichtlich etwaiger Altansprüche des Klägers einer zwischenzeitlich zwischen dem Insolvenzverwalter, dem Betriebsrat und der IG-Metall abgeschlossenen Vereinbarung entspreche, soweit diese Regelungen hinsichtlich etwaiger Altansprüche aus der Zeit vor dem 01.05.2002 beinhalte und insoweit alle Arbeitnehmer gleich behandelt werden. Der Kläger verlangte seitdem mehrmals vom Beklagten, dass ihm entweder eine Kopie dieser Vereinbarung zur Verfügung gestellt oder ihm Einsicht gewährt werde, damit er die Richtigkeit der Angaben überprüfen könne. Dies wurde seitens des Beklagten abgelehnt, da die Vereinbarung über die Regelung der ihn betreffenden Punkte hinaus noch weitere enthalte.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Anspruch auf Einsicht in die mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft abgeschlossene Vereinbarung ergebe sich weder aus § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG noch aus einer allgemein zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage. Bei der Bestimmung des § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG handele es sich nur um eine Ordnungsvorschrift. Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens im Einzelnen, Bezug genommen.

Zur Begründung seiner dagegen gerichteten Berufung lässt der Kläger vortragen, ein Recht auf Einsicht in die Vereinbarung vom 02.09.2002 ergebe sich bereits aus der Natur der Sache. Der Charakter des § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG als Ordnungsvorschrift stehe dem nicht entgegen. Im Übrigen ergebe sich das Einsichtsrecht auch aus § 810 BGB.

Der Kläger beantragt:

1. Unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 11.03.2004 (Aktenzeichen 17 Ca 8780/03) wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger Einsicht in die zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat der Firma C... i.L. sowie der Gewerkschaft geschlossene Vereinbarung vom 02.09.2002 über die Regelung von Altansprüchen der Arbeitnehmer aus der Zeit vor dem 01.05.2002 zu gewähren.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig abzuweisen.

Der Beklagte lässt ausführen, § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG als reine Ordnungsvorschrift gebe dem Kläger keinen Anspruch auf klageweise Durchsetzung des Einsichtsrechts. § 810 BGB finde keine Anwendung.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Vereinbarung vom 02.09.2002, die zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat der Firma C... i.L. sowie der IG-Metall zustande gekommen ist um eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag handelt. Im ersten Fall folgt die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger die Vereinbarung vom 02.09.2002 zugänglich zu machen, aus § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG und im zweiten Fall aus § 8 TVG. Die in diesen Vorschriften statuierte Verpflichtung des Arbeitgebers, die Betriebsvereinbarung bzw. den Tarifvertrag "auszulegen" bedeutet in beiden Fällen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Anforderung das entsprechende Regelwerk zugänglich machen muss (vgl. zu dem mit § 8 TVG inhalts- und wortgleichen § 7 TVG a.F. BAG vom 05.11.1963, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag). Die Verpflichtung, die für den jeweiligen Betrieb maßgebenden normativen Regelwerke an geeigneten Stellen im Betrieb auszulegen, bezweckt, den beteiligten Arbeitnehmern die jederzeitige Kenntnisnahme der Bestimmungen zu ermöglichen (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Auflage, 2. Band, S. 354 zu § 7 TVG a.F.).

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Gegen diese Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel; die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben; auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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