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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 28.04.2005
Aktenzeichen: 5 TaBV 24/04
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 95 Abs. 3 Satz 1
BetrVG § 99
Von der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs i.S.d. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und damit von einer Versetzung i.S.d. BetrVG kann nicht ausgegangen werden, wenn sich die Beziehung des konkreten Arbeitsplatzes zum betrieblichen Umfeld nicht ändert, weil der Betrieb oder ein Betriebsteil selbst räumlich verlegt wird.
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

5 TaBV 24/04

Verkündet am 28. April 2005

in dem Beschlussverfahren

wegen sonstiges

Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Malkmus und der ehrenamtlichen Richter Döring und Beer aufgrund der mündlichen Anhörung vom 07. April 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg/Kammer Coburg vom 18.02.2004, Aktenzeichen: 3 BV 13/03 C, wird zurückgewiesen.

2.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob der Antragsgegner Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Antragstellers nach § 99 Abs. 1 BetrVG verletzt hat, indem er 174 in der B...-Straße Beschäftigte mit ihren Arbeitsplätzen in das drei Kilometer hiervon entfernte Betriebsgebäude in der C...-Straße verlegt hat und ob diese Maßnahmen rückgängig zu machen sind.

Der Antragsgegner beschäftigt in D... insgesamt 3.600 Mitarbeiter; er unterhält in D... mehrere Betriebsgebäude, unter anderem in der B...-Straße und in der C...-Straße. Im Rahmen einer Betriebsänderung, die die Zusammenfassung verschiedener Tätigkeiten zu "Kundenbetreuungszentren" vorsieht, sind Umbaumaßnahmen in der B...-Straße und - hiermit verbunden - die vollständige Räumung des Gebäudes notwendig geworden. Deshalb hat der Antragsgegner das dort beschäftigte Personal im Juli 2003 in die C...-Straße verlegt. Diese Auslagerung sollte zunächst für einen Zeitraum von neun Monaten erfolgen. Die Arbeitsinhalte der Beschäftigten, die nach wie vor für die gleichen Vorgänge in der Kfz-Haftpflichtversicherung zuständig sind, haben sich hierdurch nicht geändert. Die Gruppen haben ihre bisherige Struktur beibehalten, die Vorgesetzten der Mitarbeiter sind dieselben geblieben. Insgesamt sollen im Bundesgebiet sieben "Kundenbetreuungscenter" des Antragsgegners entstehen. Am 13.11.2003 ist deswegen ein Interessenausgleich zwischen dem Antragsgegner und dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommen.

Der Antragsteller sieht in der Verlegung von 174 Mitarbeitern in die C...-Straße mitbestimmungspflichtige Versetzungen, die rückgängig zu machen seien. Zudem sei diese Maßnahme auch eine Betriebsänderung, die ohne zureichende Beteiligung des Antragstellers durchgeführt worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die auf Unterlassung von Versetzungen und Arbeitsplatzverlegungen sowie hilfsweise auf Feststellung der Verletzung des sich aus § 99 Abs. 1 BetrVG ergebenden Mitbestimmungsrechts gerichteten Anträge zurückgewiesen, da weder Versetzungen noch eine Betriebsänderung vorlägen. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liege nicht vor. Eine hierunter fallende rechtlich relevante Veränderung des Arbeitsortes sei mit der vorübergehenden Büroverlagerung in die drei Kilometer entfernte C...-Straße nicht gegeben. Für die Annahme einer Änderung der Arbeitsumstände, die für jeden einzelnen Arbeitnehmer gesondert zu prüfen sei, gebe es keine ausreichenden Hinweise. Eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG liege ebenfalls nicht vor. Hierfür stelle zum einen ein Ortswechsel von knapp drei Kilometern keine relevante Verlagerung dar. Zum anderen handele es sich nicht um einen wesentlichen Betriebsteil, da weniger als fünf Prozent der Gesamtbelegschaft von der Maßnahme betroffen sei. Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Beschlusses wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen Beteiligtenvorbringens im Einzelnen, Bezug genommen.

Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde die erstinstanzlich gestellten Anträge weiter. Zur Begründung seiner Beschwerde lässt er vortragen, jeglicher Ortswechsel führe automatisch zu einer Versetzung; das Arbeitsgericht habe dabei eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.02.1986 (1 ABR 27/84) nicht gewürdigt. Eine relevante Veränderung der Arbeitsumstände liege vor. Diese sei bereits dadurch indiziert, dass für die Pendler eine längere Wegezeit gegeben sei. Von einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG sei auszugehen, da der Betrieb über eine Entfernung von drei Kilometern verlegt und somit die Schwelle der Geringfügigkeit überschritten worden sei.

Wegen des Beteiligtenvorbringens im Beschwerdeverfahren im Einzelnen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die gestellten Anträge sind insgesamt unbegründet.

Etwaige Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechte des Antragstellers, deren Missachtung die begehrten Rechtsfolgen auslösen könnten, sind seitens des Antragsgegners nicht verletzt worden. Die Begründetheit der gestellten Anträge würde - ungeachtet der Prüfung weiterer Erfordernisse - das Vorliegen von Versetzungen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes voraussetzen. Um solche handelt es sich bei der vom Antragsteller beschriebenen Maßnahme nicht.

Nach § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne vor, bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Für beide Fälle der Versetzung ist zunächst Voraussetzung, dass ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG vom 21.09.1999, AP Nr. 21 zu § 99 BetrVG 1972 Versetzung) ist von der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird, so dass der Gegenstand der geschuldeten Arbeitsleistung, der Inhalt der Arbeitsaufgabe, ein anderer wird und sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert. Der Arbeitsbereich ist durch die Aufgaben und die Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes umschrieben. Unter Arbeitsbereich ist der konkrete Arbeitsplatz und seine Beziehungen zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht zu verstehen.

Zwar kann die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer zu einem anderen Arbeitsort entsandt wird, ohne dass sich seine Arbeitsaufgabe ändert oder er in eine andere organisatorische Einheit eingegliedert wird (BAG, a.a.O.; BAG vom 18.02.1986, AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972). Von der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann aber dann nicht ausgegangen werden, wenn sich - wie vorliegend - die Beziehung des konkreten Arbeitsplatzes zur betrieblichen Umgebung nicht ändert, weil der Betrieb oder ein Betriebsteil selbst räumlich verlegt wird. In diesen Fällen bleiben die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer in ihrer Beziehung zum betrieblichen Umfeld völlig unverändert (LAG Berlin vom 22.11.1991, 6 TaBV 3/91). Der betriebsverfassungsrechtliche Schutz der Arbeitnehmer wird in diesen Fällen nicht durch das Mitbestimmungsrecht bei personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 Abs. 1 BetrVG herbeigeführt, sondern durch die Bestimmungen der §§ 111 ff. BetrVG.

Vorliegend kommen die §§ 111 ff. BetrVG aber schon deshalb nicht zur Anwendung, weil die Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG nicht vorliegen. Von der Maßnahme des Antragsgegners ist kein wesentlicher Betriebsteil im Sinne des § 111 betroffen, weil die von der Verlagerung erfassten 174 Arbeitnehmer nicht den für die Annahme eines wesentlichen Betriebsteils erforderlichen Anteil von fünf Prozent an der Gesamtbelegschaft von 3.600 Arbeitnehmern ausmachen (vgl. zu diesem Erfordernis: BAG vom 07.08.1990, AP Nr. 30 zu § 111 BetrVG 1972). Darauf, ob sich aus einer etwaigen Verletzung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats, die sich aus §§ 111 ff. BetrVG ergeben, Unterlassungsansprüche ableiten lassen und ob der Antragsteller mit seinen Anträgen überhaupt auf solche abzielt, kommt es deshalb nicht an.

Gegen diesen Beschluss kann der Antragsteller gemäß nachfolgender Rechtsmittelbelehrung Rechtsbeschwerde einlegen.

Ende der Entscheidung

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