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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 30.08.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 273/05
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 315
BGB § 611
InsO § 209
1. Ein Insolvenzverwalter, der den Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit wegen fehlenden Beschäftigungsbedarfs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellt, muss hierbei billiges Ermessen im Sinne des § 315 BGB beachten.

2. Die Anordnung der Freistellung ist unbillig, wenn der Insolvenzverwalter nicht unverzüglich Maßnahmen ergreift, um das Arbeitsverhältnis zum schnellstmöglichen Zeitpunkt zu beenden.

3. Die Anordnung der Freistellung ist auch dann unbillig, wenn der Insolvenzverwalter die Freistellung damit begründet, der Arbeitnehmer - Betriebsratsvorsitzender - habe ohnehin kaum noch Arbeiten für den Betrieb verrichtet. In diesem Fall wäre die Frage der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit zu Lasten des Betriebsratsmitglieds auf die insolvenzrechtliche Freistellung verlagert.

4. Hat der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer freigestellt, scheitert eine einstweilige Verfügung, mit der der Beschäftigungsanspruch eingeklagt wird, im Hinblick auf den Verbrauch des Arbeitslosengeldanspruches in der Regel nicht am Verfügungsgrund.


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

6 Sa 273/05 in dem Rechtsstreit

wegen: einstweiliger Verfügung/Arrest

hier: Kostenbeschluss gem. § 91a ZPO

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Vetter als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Meyer L. und Fieger auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30.08.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Antragsgegner hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe:

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 91a ZPO. Die Kosten waren dem Antragsgegner aufzuerlegen, weil ein erledigendes Ereignis eingetreten ist und nach bisherigem Sach- und Streitstand davon auszugehen ist, dass dem Antrag des Antragstellers stattgegeben worden wäre.

1. Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt, so dass eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO veranlasst ist. Das erledigende Ereignis besteht darin, dass in der Zwischenzeit - im Verfahren 6 Ca 267/05 A vor dem Arbeitsgericht Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg, ein vollstreckbarer Rechtstitel im Hauptsacheverfahren vorhanden ist. Der Antragsteller kann aufgrund dieses Hauptsachetitels die Vollstreckung durchführen. Damit besteht ein Verfügungsgrund, der es rechtfertigen würde, eine Entscheidung im vorläufigen und notwendigerweise den Rechtsschutz verkürzenden Verfahren der einstweiligen Verfügung durchzuführen, nicht mehr.

2. Die Kammer geht nach bisherigem Sach- und Streitstand davon aus, dass ohne das erledigende Ereignis das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 22.02.2005 aufzuheben gewesen wäre. Dem Antrag des Antragstellers auf Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter wäre stattzugeben gewesen.

a. Zwar schließt sich die Berufungskammer der vom Arbeitsgericht zutreffend zitierten überwiegenden Auffassung an, dass dem Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 209 InsO ein insolvenzspezifisches Freistellungsrecht eines Arbeitnehmers, für den der Beschäftigungsbedarf entfallen ist, zusteht (umfassend LAG Hamm vom 27.09.2000, 2 Sa 1178/00, NZA-RR 2001, 654; LAG Hamm vom 06.09.2001, 4 Sa 1276/01, AR-Blattei ES 915 Nr. 13; BAG vom 04.06.2003, 10 AZR 586/02, EzA § 209 InsO Nr. 1 unter II.2.a. der Entscheidungsgründe; BAG vom 31.03.2004, 10 AZR 253/03, EzA § 209 InsO Nr. 2; a.A. LAG Hessen vom 06.06.2002, 11 Sa 505/01, zitiert nach juris). Hierbei handelt es sich um eine Pflicht des Insolvenzverwalters, der im Interesse der Gläubiger gehalten ist, die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten so weit wie möglich zu vermeiden (BAG vom 15.06.2004, 9 AZR 431/03, EzA § 209 InsO Nr. 3 unter II.4.d. der Entscheidungsgründe).

b. Diese Freistellung besteht aber nur dann, wenn und soweit der Insolvenzverwalter gleichzeitig alles tut, um das Arbeitsverhältnis des freigestellten Arbeitnehmers zu beenden, wenn er unverzüglich die Kündigung des Arbeitnehmers zum frühestmöglichen Zeitpunkt betreibt. Dies ergibt schon der Gegenschluss aus § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Die Freistellung ist ermessensfehlerhaft nach § 315 BGB, wenn der Insolvenzverwalter einerseits die Freistellung ohne Entgeltzahlung ausspricht, andererseits aber nicht gleichzeitig die Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführt oder zumindest herbeizuführen versucht; insoweit begründet er ohnehin nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO Neumasseverbindlichkeiten (vgl. BAG vom 31.03.2004, a.a.O.). Würde man die Freistellung zulassen, ohne dass der Insolvenzverwalter die Kündigung zumindest betreibt, könnte dies dazu führen, dass der Arbeitnehmer - womöglich über mehrere Monate oder Jahre hinweg - unter Verbrauch seines Arbeitslosengeldanspruches nur formal im Arbeitsverhältnis verbliebe, ohne die Rechtswirksamkeit einer Kündigung überprüfen zu können. Dies ist vom Zweck der Freistellung nicht gedeckt (ähnlich LAG Hessen vom 06.06.2002, a.a.O.; LAG Düsseldorf vom 04.12.2002, 6 Sa 1411/02, zitiert nach juris).

c. Die Freistellung erscheint aber auch mit der vom Antragsgegner angeführten Begründung als nicht ermessensgerecht. Dieser begründet die Freistellung damit, der Verfügungskläger habe fast ausschließlich Betriebsratstätigkeiten verrichtet; der verbleibende Rest seiner Arbeiten sei anderweitig verteilt worden. Vom ursprünglichen Tätigkeitsbereich sei nur noch so viel vorhanden, dass diese eine Arbeitszeit von einer halben Stunde täglich beanspruche. Der Antragsteller habe "praktisch keine anderen Tätigkeiten als die eines Betriebsrats ausgeführt". Damit geht es dem Antragsgegner - angesichts der gerichtsbekannten Zahl der Streitigkeiten zwar verständlich - aber fast ausschließlich um die Zahlung des Entgelts für Zeiten der Betriebsratstätigkeit. Damit kann die Freistellung jedoch nicht begründet werden. Ist, worauf der Sachvortrag des Antragsgegners hindeutet, die Betriebsratstätigkeit des Antragstellers nicht erforderlich, ist der Antragsgegner ohnehin zur Zahlung des Entgelts nicht verpflichtet (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Ist aber die Tätigkeit des Betriebsrats erforderlich, kommt dies einer Entgegennahme der Arbeitsleistung gleich - eine Freistellung von der Betriebsratstätigkeit ist vom Gesetz auch in der Insolvenz nicht vorgesehen. Die Freistellung von einer halbstündigen Arbeitsleistung pro Arbeitstag erscheint - wenn die Freistellung überhaupt teilbar sein sollte - als nicht zulässig, weil der Arbeitnehmer für diesen Zeitraum auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen kann (vgl. § 150 Abs. 2 Nr. 5 SGB III, der Teilarbeitslosengeld bei anderweitiger Arbeitszeit von mehr als fünf Stunden ausschließt). Dies müsste er aber, weil er - als Äquivalent für die Freistellung - Arbeitslosengeld beziehen soll (§ 143 Abs. 3 S. 1 SGB III).

d. Auch ein Verfügungsgrund war bis zum erledigenden Ereignis gegeben. Die vom Arbeitsgericht zutreffend zitierten Entscheidungen gelten vor allem dann, wenn dem Arbeitnehmer durch die Freistellung kein Nachteil bei seiner Vergütung entsteht. Dann entspricht es auch der Auffassung der Berufungskammer, dass es - eine finanzielle Absicherung besteht - eines besonderen Verfügungsgrundes bedarf. In der vorliegenden Konstellation liegt der durch die Freistellung entstehende Nachteil des Antragstellers auf der Hand: Er verliert mit der Freistellung seinen Vergütungsanspruch, hat das Risiko, mit der Gehaltsforderung - immerhin befindet sich der Arbeitgeber in der Insolvenz und hat Masseunzulänglichkeit erklärt - vollständig auszufallen oder diese weit später und auf ein Minimum reduziert zu erhalten. Durch die Gleichwohl-Gewährung von Arbeitslosengeld ist er nicht einem unter Fortzahlung der Vergütung freigestellten Arbeitnehmer vergleichbar abgesichert, weil sein Anspruch für die Zeit nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, die aufgrund der mit endgültigem Arbeitswegfall begründeten Freistellung ebenfalls nicht fern liegt, Monat für Monat aufgebraucht wird. Insoweit erscheint eine vorläufige Regelung der Freistellung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen veranlasst. Es besteht ein Verfügungsgrund.

3. Nach alldem ist davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seinem Antrag in der Berufungsinstanz obsiegt hätte. Dies rechtfertigt die Kostentragungspflicht des Antragsgegners (§ 91 Abs. 1 ZPO).

4. Die Entscheidung war, weil in mündlicher Verhandlung ergangen, durch die Kammer zu erlassen (Einzelheiten vgl. bei Berscheid in Schwab/Weth, ArbGG, § 54 Rn. 33 ff.; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. 2004, § 64 Rn. 90 ff.).

Ende der Entscheidung

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