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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 14.06.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 367/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 91a
BGB § 242
1.

Zwar gibt es keine Regelfrist, innerhalb derer eine Abmahnung nach dem behaupteten Arbeitsvertragsverstoß des Arbeitnehmers oder der Kenntnis des Arbeitgebers hiervon ausgesprochen werden muss.

2.

Kennt der Arbeitgeber den Verstoß, zeigt er diesen gegenüber dem Arbeitnehmer jedoch erstmals nach fast sechs Monaten an - hier: durch Anhörung als Voraussetzung für die Abmahnung -, kann er eine Abmahnung jedenfalls dann nicht mehr darauf stützen, wenn diese nicht auch auf gleichartige neuere Verstöße gegründet ist. Der Arbeitgeber hat nämlich durch sein Zuwarten gezeigt, dass er den behaupteten Vertragsverstoß des Arbeitnehmers nicht als sanktionswürdig ansieht.


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

6 Sa 367/05

in dem Rechtsstreit

wegen: Sonstiges

hier: Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Vetter und die ehrenamtlichen Richter Mrugalla und Roth aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe:

1. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, 91a ZPO. Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Berufungsinstanz übereinstimmend für erledigt erklärt. Dies ist möglich und zulässig (vgl. nur Zöller-Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 91a Rn. 18). Die zur Sachprüfung notwendige Voraussetzung, dass eine zulässige Berufung gegeben ist, liegt ebenfalls vor.

2. Die notwendige summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass ohne das erledigende Ereignis - Entfernung der Abmahnung und der hierauf hindeutenden Schreiben aus der Personalakte sowie Erklärung, die Vorwürfe würden nicht zur Begründung der Kündigung herangezogen - die Berufung für begründet erachtet worden wäre, so dass der Kläger in der Hauptsache obsiegt hätte. Die Beklagte hat mit keinem Wort erklärt, warum sie den Kläger offensichtlich erstmals mit Schreiben vom 19.08.2003 mit einer Beschwerde vom 22.02.2003 konfrontiert und ihn hierzu angehört hat. Zwar gibt es keine Ausschlussfrist, in welchem Zeitraum nach einem dem Arbeitgeber bekannt gewordenen Vorfall die Abmahnung zu erfolgen hat. Wenn ein Arbeitgeber allerdings den Vorfall fast sechs Monate kennt, ohne dem Arbeitnehmer deutlich zu machen, dass er dessen Verhalten für beanstandungswürdig hält, dann kann der Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber den Vorfall nicht mehr für Sanktionen heranzieht. Dies gilt zumindest dann, wenn besondere Umstände für das Zuwarten nicht erkennbar sind. Dann hat der Arbeitgeber durch sein Verhalten gezeigt, dass er den Vorfall nicht für so bedeutsam hält, dass er diesen dem Arbeitnehmer künftig noch zum Vorwurf machen will. Hieran muss er sich zumindest dann, wenn ein vergleichbarer Vorwurf nicht hinzukommt, festhalten lassen. Das vorliegende Schreiben hätte damit in jedem Fall unabhängig vom inzwischen auch maßgeblichen Zeitablauf, den auch die Beklagte akzeptiert, aus der Personalakte entfernt werden müssen.

3. Auch der Rücknahmeantrag des Klägers war bis zum erledigenden Ereignis zulässig und begründet. Nachdem die Wirksamkeit der Kündigung vom 29.03.2004 zwischen den Parteien im Streit steht, ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht deswegen entfallen, weil der Kläger an der Feststellung kein Interesse mehr hätte. Nach seiner vertretbaren Auffassung besteht das Arbeitsverhältnis fort. Der Kläger hat in den Verfahren 6 Sa 582/04 und 6 Sa 583/04 gezeigt, dass er nach einem entsprechenden Hinweis der Kammer einen Feststellungsantrag des Inhalts, dass die im Einzelnen bezeichneten Vorwürfe unberechtigt seien, gestellt hätte. Ein solcher Antrag ist nach Auffassung der Kammer im Gegensatz zum Antrag auf "Rücknahme der Abmahnung" grundsätzlich zulässig. Ein Leistungsantrag auf "Rücknahme" erscheint der Kammer seinem Inhalt nach unklar (so schon LAG Hamm vom 25.05.1993, 4 Sa 11/93; LAG Sachsen-Anhalt vom 19.12.2001, 3 Sa 479/01, jeweils zitiert nach juris). Soweit man ihn als Antrag auf "Widerruf" auslegen kann, bestünde hierfür ein Rechtsschutzbedürfnis nur, wenn die Abmahnung bzw. die Vorwürfe gegenüber Dritten in ehrverletzender Form ausgesprochen worden wären (ArbG Nürnberg vom 26.03.2002, 12 Ca 9620/01, nicht veröffentlicht; weitergehend wohl LAG Hessen vom 15.08.1997, 13 Sa 1365/96, zitiert nach juris) oder wenn der Kläger durch die Behauptung der Beklagten - trotz Rücknahme des Schreibens aus den Personalakten - in seinem beruflichen Fortkommen oder seinem Persönlichkeitsrecht fortdauernd beeinträchtigt wäre (so wohl BAG vom 15.04.1999, 7 AZR 716/97, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 41). Der Kammer erscheint daher - ein Anspruch auf Widerruf nur im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ohne jede Beteiligung Dritter besteht nach Auffassung der Kammer nicht - der Feststellungsantrag als geeignet, um zu verhindern, dass die Vorwürfe vom Arbeitgeber trotz Entfernung aus der Personalakte weiter verwendet werden (ähnlich LAG Hamm vom 02.08.2002, 10 TaBV 121/01, zitiert nach juris).

4. Die Weitergabe oder Aufrechterhaltung der in der Abmahnung enthaltenen Vorwürfe gegenüber Dritten ist vorliegend nicht erkennbar. Der Kläger hat jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass die Gefahr weiterer Verwendung der Vorwürfe durch die Beklagte bestand. Damit wäre der entsprechend auszulegende oder geänderte Antrag unter Zugrundelegung einer summarischen Prüfung wohl zulässig und begründet gewesen. Die Begründetheit ist erst durch die Erklärungen der Beklagten vor der Berufungskammer entfallen. Ohne die entsprechenden Erklärungen - Entfernung aus der Personalakte einerseits, Versprechen, die Vorwürfe nicht für die ausgesprochene und weitere Kündigungen zu verwenden - hätte dem Antrag, soweit er nicht wegen des laufenden Kündigungsverfahrens hätte ausgesetzt werden müssen, stattgegeben werden müssen; der Berufung des Klägers wäre - nach Umstellung des Antrags auf Hinweis der Kammer, der der Kläger gemäß seinem vorhergehenden Verhalten wohl gefolgt wäre - stattzugeben gewesen. Dies rechtfertigt die Kostentragungspflicht der Beklagten.

5. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein sachlich begründeter Anlass (vgl. §§ 67 Abs. 6 ArbGG, 567 Abs. 1, 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 78 S. 1 ArbGG; zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde vgl. Schwab in Schwab/Weth, ArbGG, § 70 Rn. 3).

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