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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 15.04.2003
Aktenzeichen: 6 Ta 134/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 118 Abs. 1 S. 1
ZPO § 118 Abs. 1 S. 4
ZPO § 115
ZPO § 571 Abs. 2 S. 1
1. Das Arbeitsgericht hat über Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung alsbald zu entscheiden; eine Entscheidung in der alsbald nach Klageeingang stattfindenden Güteverhandlung ist als rechtzeitig anzusehen.

2. Dem Antrag ist zu entsprechen, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Entscheidung einkommens- und vermögenslos ist. Ist noch kein Bescheid über Arbeitslosengeld ergangen, darf das Arbeitsgericht eine Frist zur Vorlage eines solchen Bescheides dann setzen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein solcher Bescheid alsbald ergehen und Arbeitslosengeld rückwirkend bewilligt werden wird. Ist die Frist zu Recht gesetzt, kommt es für die Bewilligung auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Nachreichung der Unterlagen an.

3. Hat der Antragsteller die gesetzte Frist versäumt, ist der Antrag abzuweisen (§ 118 Abs. 2 S. 4 ZPO). Die nach Fristablauf erfolgte Einreichung der geforderten Angaben und Belege ändert hieran zumindest dann nichts, wenn der Prozess zum Zeitpunkt der Einreichung bereits abgeschlossen war.

4. Die Einreichung kann trotz der grundsätzlich eröffneten Möglichkeit, mit der Beschwerde neue Tatsachen vorzubringen (§ 571 Abs. 2 S. 1 ZPO), auch im Beschwerdeverfahren in diesem Fall nicht mehr berücksichtigt werden, weil § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO der Vorschrift des § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO als speziellere Vorschrift vorgeht.


6 Ta 134/02

IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Vetter ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 17.07.2002 - Az.: 6 Ca 2357/02 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger hat unter dem 08.03.2002 durch seine anwaltlichen Vertreter Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Nürnberg erhoben mit dem Antrag, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 18.02.2002 nicht aufgelöst sei, sondern bis 15.03.2002 fortbestanden habe, und gleichzeitig Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner anwaltlichen Vertreter begehrt. Er hat laut dem Eingangsstempel des Arbeitsgerichts am 11.03.2002 eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht, in der angegeben ist, dass er derzeit einkommenslos sei. Als Erwerbstätigkeit hat er "arbeitslos" angeführt. Durch Schriftsatz vom 16.04.2002 hat er die Klage auf Zahlung von Euro 466,26 brutto abzüglich eines schon gezahlten Betrages erweitert und für diesen Antrag ebenfalls Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung begehrt. Er hat hierbei ausgeführt, er sei nach wie vor ohne Einkommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2002 hat das Arbeitsgericht dem Kläger durch Beschluss nachgelassen, bis spätestens 17.05.2002 den Arbeitslosengeldbescheid in Kopie vorzulegen. In dieser Verhandlung wurde ein rechtskräftiger Vergleich mit dem Inhalt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 07.03.2002 und Nachzahlung von 306,78 Euro geschlossen.

Am 17.05.2002 wurde von den Klägervertretern mitgeteilt, dass noch kein Arbeitslosengeldbescheid vorliege, weil offenbar eine Sperrfrist verhängt worden sei. Es solle angeblich aber ein neuer Bescheid mit Arbeitslosengeldbewilligung erstellt werden. Es werde um Verlängerung der Vorlagefrist bis 07.06.2002 gebeten. Das Arbeitsgericht verlängerte die Frist durch Beschluss vom 17.05.2002 antragsgemäß bis 07.06.2002.

Unter dem 14.06.2002 teilte der Kläger mit, dass nach wie vor kein Bescheid des Arbeitsamtes vorliege, weil hierfür Unterlagen benötigt würden, die von der Ex-Freundin nicht herausgegeben würden. Er erklärte, er wäre dankbar, wenn die Vorlagefrist für den Bescheid nochmals um einen Monat verlängert werden würde. Das Arbeitsgericht kam dem nach und verlängerte die Vorlagefrist durch Beschluss vom 17.06.2002 bis 15.07.2002.

Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt kein Eingang mehr zu verzeichnen war, lehnte das Arbeitsgericht die beantragte Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung durch Beschluss vom 17.07.2002 mit der Begründung ab, der Kläger habe die gerichtlich angeforderten Nachweise nicht rechtzeitig vorgelegt, so dass die Bedürftigkeit nicht nachgewiesen sei. Der mit Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss wurde den Klägervertretern ausweislich deren Empfangsbekenntnisses am 22.07.2002 zugestellt.

In seiner am 14.08.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde hat der Kläger Aufhebung des Beschlusses vom 17.07.2002 und Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Gleichzeitig hat er den Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes vom 12.07.2002 in Ablichtung vorgelegt mit der Erklärung, er habe nur für den Zeitraum 13.06. bis 23.06.2002 Arbeitslosengeld bezogen, stehe aber seit 03.07.2002 wieder in einem Beschäftigungsverhältnis mit einem Bruttostundenlohn von 7,- Euro. Bei einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden sei er weiterhin "arm" im Sinne des Gesetzes.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 19.08.2002 unter Bezugnahme auf die Gründe des Beschlusses vom 17.07.2002 nicht abgeholfen und die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht vorgelegt. Eine Äußerung der Beschwerdeführer erfolgte nicht mehr.

II.

Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 11a Abs. 3 ArbGG, 127 Abs. 2 ZPO fristgerecht eingereichte Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung der Klägervertreter zu Recht abgelehnt. Der Antrag war und ist nämlich nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat ordnungsgemäß gehandelt, als es über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und über die Beiordnung der Klägervertreter nicht schon vor der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2002 entschieden hat. Zwar ist das Verfahren zügig zu führen und alsbald abzuschließen (allgemeine Auffassung, vgl. etwa Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Aufl. 2003, Rn. 183; Zöller-Philippi, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 118 Rn. 13, jeweils mit umfangreichen Nachweisen). Diesem Gebot ist jedoch vorliegend entsprochen. Das Arbeitsgericht hat nach § 118 Abs. 1 S. 2 ZPO dem Prozessgegner rechtliches Gehör zum Antrag zu gewähren. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Arbeitsgericht zur Vermeidung weiterer Formalien diesem Gebot dadurch nachkommt, dass es dem Prozessgegner die Gelegenheit hierzu in der wenige Wochen nach Klageeingang stattfindenden mündlichen Verhandlung gibt und demzufolge erst in dieser Verhandlung über den Antrag entscheidet. In der Regel kann dann auch die Erfolgsaussicht der Klage mit gewisser Zuverlässigkeit eingeschätzt werden.

In der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2002 war der Antrag grundsätzlich reif für die Entscheidung über die Bewilligung. Das Arbeitsgericht hat hier allerdings zu Recht die Vorlage weiterer Unterlagen verlangt. Diese Möglichkeit ist in § 118 Abs. 2 S. 1 ZPO ausdrücklich vorgesehen. Diese Aufklärungsanordnung entsprach ordnungsgemäßer Prozessführung durch das Arbeitsgericht, obwohl es für die Frage der Bedürftigkeit auf den Zeitpunkt der Entscheidung ankommt. Der Kläger hatte in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegeben, arbeitslos zu sein. Es lag aus diesem Grund nahe, dass er auch Anspruch auf Arbeitslosengeld haben könnte, obwohl er in der Erklärung angegeben hatte, derzeit kein Einkommen zu haben.

Der Bezug von Arbeitslosengeld ist als Einkommen im Sinne des § 115 ZPO anzusehen (einhellige Auffassung, vgl. etwa Zöller-Philippi, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 115 Rn. 12; Kalthoener u.a., a.a.O., Rn. 218; Fischer in Musielak, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 115 Rn. 2). Es kann vorliegend offen bleiben, ob und inwieweit auch Forderungen zum Einkommen gehören. Es spricht viel dafür, dies zu bejahen, wenn die Forderung ohne weiteres realisierbar ist (so etwa MK-ZPO-Wax, Band 1, 2. Aufl. 2000, § 115 Rn. 80; Musielak-Fischer, a.a.O., § 115 Rn. 54). Verhängt das Arbeitsamt nach einer außerordentlichen Kündigung allerdings eine Sperrfrist, so hat der Antragsteller im Zeitpunkt der Entscheidung kein einsetzbares Einkommen und kein aus Ansprüchen auf Arbeitslosengeld resultierendes Vermögen, so dass Prozesskostenhilfe - vorbehaltlich etwaiger Bejahung eines Verschuldens an der Vermögenslosigkeit - grundsätzlich zu bewilligen wäre. Vorliegend war die Sachlage im Zeitpunkt des Vorliegens der Entscheidungsvoraussetzung am 22.04.2002 jedoch unklar. Einerseits kam in Betracht, dass das Arbeitsamt angesichts des Vorliegens einer fristlosen Arbeitgeberkündigung eine Sperrfrist verhängt haben könnte. Andererseits bestand das Arbeitsverhältnis nur wenige Wochen, so dass Kündigungsschutz nicht bestand; außerdem hatte der Arbeitnehmer in der Klageschrift plausibel erklärt, dass er an der fristlosen Kündigung schuldlos war. In diesem Fall lag es nahe, dass das Arbeitsamt auf eine Sperrfrist verzichten oder nur eine sehr kurze Sperrfrist verhängen würde. Die Kündigung war zum 18.02.2002 ausgesprochen. Die Angaben des Klägers im Antrag auf Bewilligung stammten ausweislich des Datums der Unterzeichnung vom 05.03.2002. Die Verhandlung, in der über die Prozesskostenhilfe entschieden wurde, fand am 22.04.2002 statt. Es lag also nahe, dass sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit geändert haben könnten, dass in der Zwischenzeit Arbeitslosengeld bewilligt und gezahlt sein könnte oder dass eine Nachzahlung durch das Arbeitsamt alsbald erfolgen würde. Nachdem dies in der mündlichen Verhandlung offensichtlich nicht geklärt werden konnte, hat das Arbeitsgericht zu Recht den Kläger zur Vorlage des Arbeitslosengeldbescheides aufgefordert und entsprechende Frist hierfür gesetzt.

Diese Frist zur Vorlage des Bescheides hat der Kläger nicht eingehalten. Er hat zwar zunächst rechtzeitig Verlängerung der Frist beantragt und erhalten. Unter normalen Umständen hätte das Arbeitsgericht die Bewilligungsvoraussetzungen angesichts dessen, dass der Kläger nunmehr immer noch ohne Einkommen war, als gegeben ansehen müssen. Hier liegt jedoch ein Sonderfall vor. Der Kläger selbst hatte angegeben, dass nach zunächst verhängter Sperrfrist der Erlass eines neuen Bescheides nunmehr in Aussicht stand. Das Arbeitsgericht konnte und musste daher davon ausgehen, dass eine rückwirkende Bewilligung von Arbeitslosengeld unmittelbar bevorstand. Es war daher ordnungsgemäß, die Frist nochmals zu verlängern. Diese antragsgemäß erteilte Verlängerung lief jedoch am 07.06.2002 ab, ohne dass der Kläger Angaben nachgeholt, den Bescheid eingereicht, um erneute Fristverlängerung gebeten oder wenigstens die Hinderungsgründe mitgeteilt hätte. Das Arbeitsgericht wäre schon aufgrund dieses Fristablaufes gehalten gewesen, den Antrag nach der ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift des § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO abzulehnen. Es kann dahinstehen, ob es zulässig war, auf den verspäteten Antrag vom 12.06.2002, beim Arbeitsgericht eingegangen am 14.06.2002, eine nochmalige Frist zu setzen. Auch diese hat der Kläger nämlich nicht eingehalten. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts erwies sich nach alldem als richtig.

Die Tatsache, dass der Kläger den Bescheid nunmehr eingereicht hat, ändert nichts an der Richtigkeit der Abweisung des Antrags. Der Kläger hat die ihm vom Gesetz in § 118 Abs. 2 ZPO auferlegten Mitwirkungspflichten nämlich verletzt. Er hat den Bescheid nicht rechtzeitig während des Laufes des Verfahrens oder innerhalb noch offener Fristen vorgelegt, hat - alternativ hierzu - nicht rechtzeitig erklärt, dass er weder Einkommen noch realisierbaren Anspruch darauf habe. Diese Verletzung der Mitwirkungspflichten führt zum Verlust des Anspruches auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung (Zöller-Philippi, a.a.O., § 118 Rn. 17).

Die Tatsache, dass mit der Beschwerde grundsätzlich neue Tatsachen vorgetragen werden können (§ 571 Abs. 2 S. 1 ZPO), steht dem nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat in § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO nämlich eine ausdrückliche Ausschlussfrist bei ordnungsgemäßer Fristsetzung durch das Ausgangsgericht gesetzt. Diese Regelung ist als spezielle Regelung anzusehen und geht innerhalb ihrer Reichweite der allgemeinen Regelung des § 571 ZPO vor. Dies erfordert auch Sinn und Zweck der Regelung. Es wäre sinnwidrig, dem Ausgangsgericht ohne Wenn und Aber die Ablehnung des Antrags zwingend vorzuschreiben, wie dies der Gesetzgeber in § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO getan hat - selbst wenn die Unterlagen im Zeitpunkt der Entscheidung, aber nach Fristablauf noch beim Gericht eingegangen sein sollten -, dem Beschwerdegericht aber die Berücksichtigung solcher Unterlagen zu gestatten oder gar aufzugeben. Dann würde der Gesetzgeber das Ausgangsgericht sehenden Auges zu einer dann aufzuhebenden Entscheidung zwingen. Es spricht nichts dafür, dass diese Widersprüchlichkeit in der Absicht des Gesetzgebers gelegen hätte. Etwas anderes würde dann gelten, wenn das Hauptsacheverfahren im Zeitpunkt der Nachreichung der Belege noch nicht abgeschlossen wäre; dann dürfte die Nachreichung als neuer Antrag - dies hätte dann allenfalls Auswirkungen auf den Zeitpunkt, für den die Bewilligung rückwirkend erfolgen kann - anzusehen sein (so im Ergebnis auch Kalthoener u.a., a.a.O., Rn. 509; anders möglicherweise Rn. 897; wie hier auch LAG Nürnberg vom 11.05.1988, 3 Ta 55/88, LAGE § 117 ZPO Nr. 6; LAG Düsseldorf vom 22.06.1989, 14 Ta 210/89, LAGE § 118 ZPO Nr. 6; LAG Hamm vom 08.06.1993, 7 Ta 206/93, LAGE § 118 ZPO Nr. 7; LAG Köln vom 19.05.1998, 11 Ta 70/98, LAGE § 117 ZPO Nr. 8; LAG Hamm vom 31.01.2001, 4 Ta 127/00, LAGE § 117 ZPO Nr. 9; LAG Hamm vom 30.03.2001, 4 Ta 617/00, LAGE § 117 ZPO Nr. 10 unter II.3. der Gründe; ähnlich Zöller-Philippi, a.a.O., § 127 Rn. 48 ff.).

Vorliegend war das Verfahren durch den am 22.04.2002 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich beendet. Die nach Fristablauf eingegangenen Angaben und Belege waren daher nicht mehr zu berücksichtigen. Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Klägervertreter kommt nicht mehr in Betracht.

Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand kein gesetzlich begründeter Anlass.

Ende der Entscheidung

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