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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 01.08.2003
Aktenzeichen: 6 Ta 98/03
Rechtsgebiete: BRAGO, GKG, ArbGG


Vorschriften:

BRAGO § 9
BRAGO § 10
GKG § 24
ArbGG § 12 Abs. 7 S. 1
ArbGG § 12 Abs. 7 S. 2
1. Auch dann, wenn Gerichtsgebühren entfallen, weil sich die Parteien verglichen haben, oder die Klage zurückgenommen worden ist, ist der Streitwert für ehemals rechtshängige Ansprüche nach § 9 BRAGO i.V.m. § 24 GKG festzusetzen.

2. Ändern sich die Streitgegenstände im Laufe des Verfahrens, ist der Streitwert abschnittsweise festzusetzen.

3. Dem Arbeitsgericht steht bei der Festsetzung ein Ermessenspielraum zu, der nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist. Das Landesarbeitsgericht hat keine eigene, hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen (ständige Rechtsprechung des LAG Nürnberg).

4. Ein neben dem Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine vereinbarte Befristung nicht aufgelöst worden ist, gestellter allgemeiner Fortbestehensantrag ist nach Sinn und Zweck des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG nicht werterhöhend anzusetzen. Insoweit gilt dasselbe wie beim Zusammentreffen von punktuellem Kündigungs- und allgemeinem Fortbestehensantrag (hierzu LAG Nürnberg vom 01.07.2003, 6 Ta 85/03).

5. Stellt der Kläger neben den Feststellungsanträgen Antrag auf künftige Zahlungen monatlichen Gehaltes, so ist der Wert dieses Streitgegenstandes in denjenigen Fällen, in denen über die Höhe des Gehalts nicht gestritten wird und in denen das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruches auf Zahlung der künftigen Gehälter allein vom Ausgang des Feststellungsantrags abhängt, durch den Wertrahmen des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG begrenzt. Im Übrigen liegt wirtschaftliche Identität mit dem Feststellungsantrag vor, so dass der Antrag nicht werterhöhend wirkt.


Landesarbeitsgericht Nürnberg Beschluss

6 Ta 98/03

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Vetter ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 15.04.2003 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 02.07.2003 wird abgeändert.

II. Der Streitwert wird festgesetzt wie folgt:

1. für den Zeitraum Klageeingang bis 29.09.2002 auf € 5.610,-

2. für den Zeitraum 30.09.2002 bis 06.11.2002 auf € 5.754,90

3. für den Zeitraum 07.11.2002 bis 28.11.2002 auf € 7.624,90

4. für den Zeitraum 29.11.2002 bis 06.03.2003 auf € 10.261,84

5. ab 07.03.2003 auf € 7.659,06.

III. Der überschießende Vergleichswert wird festgesetzt auf zusätzlich € 1.870,-

IV. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Der Streitwert war zum Teil höher festzusetzen als im arbeitsgerichtlichen Teilabhilfebeschluss, nicht aber in der von den Beklagtenvertretern beantragten Höhe. Im einzelnen gilt folgendes:

1. Die Festsetzung des Verfahrenswertes richtet sich nach §§ 9 BRAGO, 25, 24 GKG; nur die Festsetzung eines gesonderten Vergleichswertes würde sich nach § 10 BRAGO richten. Da ein solcher vom Arbeitsgericht nicht festgesetzt worden ist, war das Verfahren nach §§ 9 BRAGO, 24, 25 GKG zu beachten.

a. Bis auf die im Vergleichstext enthaltene Verpflichtung, ein Arbeitszeugnis mit bestimmter Formulierung zu erteilen, waren sämtliche Streitgegenstände beim Arbeitsgericht anhängig. Gerichtsgebühren wären angefallen, wenn die Parteien sich nicht letztlich verglichen hätten. Nur wegen des Vergleichsabschlusses sind die Gerichtsgebühren nach Nr. 9113 des Gebührenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 12 ArbGG) "entfallen". Dieses Entfallen beseitigt die Maßgeblichkeit nach § 24 GKG nicht (ausführlich LAG Nürnberg vom 21.07.1988 LAGE § 12 Streitwert Nr. 74; Gift/Baur, Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen, Buchstabe D Rn. 223); dies lässt sich aus der nunmehr geltenden Fassung des § 25 Abs. 2 S. 1 GKG eindeutig ersehen: Die Festsetzung des Gerichts hat von Amts wegen auch dann zu erfolgen, wenn eine Entscheidung aus Sicht des Gerichts an sich nicht veranlasst wäre. Dies kann aber nur der Fall sein, wenn Gerichtsgebühren nicht erhoben werden. Anderes gilt nur hinsichtlich der mitverglichenen, nicht rechtshängigen Streitgegenstände, für die ein Gebührenwert nicht entstanden war und die deswegen grundsätzlich nach § 10 BRAGO festzusetzen sind.

b. Vorliegend haben die Klägerinvertreter Festsetzung ohne nähere Bezeichnung beantragt. Ein solcher Antrag kann sowohl als Antrag nach §§ 8, 10 BRAGO als auch als Antrag nach § 9 BRAGO i.V.m. §§ 24, 25 GKG ausgelegt werden. Die Möglichkeit zur Festsetzung nach § 10 BRAGO ist aber nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut als subsidiär anzusehen (vgl. etwa Madert in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 10 Rn. 1 am Ende; Riedel/Sußbauer-Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl. 2000, § 9 Rn. 3 ff. und § 10 Rn. 3). Das Beschwerdegericht hatte den Antrag daher als solchen nach § 9 BRAGO i.V.m. §§ 24, 25 GKG auszulegen; ansonsten wäre nach § 10 Abs. 2 S. 3 BRAGO die Anhörung der Beteiligten veranlasst gewesen; außerdem hätte der Beschluss förmlich zugestellt werden müssen (§ 329 Abs. 2 S. 2 ZPO). Auch hätte er eine Rechtsmittelbelehrung enthalten müssen. Schließlich würden Kosten für das Beschwerdeverfahren anfallen.

2. Vorliegend haben die Parteien im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Anträge gestellt, haben die Klage teils erweitert, teils reduziert, hat die Beklagte Widerklage erhoben. In einem solchen Fall ist der Verfahrensstreitwert abschnittsweise festzusetzen, damit eindeutig erkennbar wird, welche Gebührentatbestände, bezogen auf welchen Wert, jeweils angefallen sind (Wenzel in GK-ArbGG, § 12 Rn. 201; Schneider-Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 11. Aufl. 1996, Rn. 1613 f., jeweils mit weiteren Nachweisen).

3. Das Arbeitsgericht hat den Wert des Feststellungsantrages, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch Befristung beendet sei, mit drei Bruttomonatsgehältern in der von der Klägerin zuletzt angegebenen Höhe - 1.870,- Euro - angesetzt. Dem sind die Parteien auch nicht entgegengetreten. Im Hinblick auf das knapp einjährige Bestehen des Arbeitsverhältnisses ist diese Wertfestsetzung selbst unter der Annahme, dass § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG einen Wertrahmen darstellt, nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht hat sein bei der Streitwertfestsetzung gegebenes Ermessen insoweit nachvollziehbar ausgeübt und die hierbei gegebenen Grenzen nicht überschritten. Das Beschwerdegericht bleibt bei der vom Landesarbeitsgericht Nürnberg in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass diese Ermessensentscheidung zwar auf Ermessensfehler zu überprüfen ist, dass das Beschwerdegericht aber keine eigene, hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (so schon Beschluss vom 05.05.1986, Az. 1 Ta 3/85, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 53; zuletzt Beschluss vom 01.07.2003, Az. 6 Ta 85/03, zur Veröffentlichung vorgesehen).

4. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Feststellungsantrag neben dem Antrag bezüglich der Befristung nicht gesondert bewertet. Bei beiden Anträgen geht es letztlich nur um Beendigung oder Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses (ganz herrschende Meinung, vgl. etwa Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl. 2003, Rn. 2070; KR-Friedrich, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht, 6. Aufl. 2002, § 4 KSchG Rn. 279; Ennemann in Berscheid u.a., Praxis des Arbeitsrechts, 2. Aufl. 2002, Teil 7 Rn. 577 f.). Der allgemeine Fortbestehensantrag erfasst sämtliche bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ausgesprochenen Kündigungen und sämtliche mit sonstigen Tatsachen belegten Beendigungsgründe. Hierbei - und für die Anwendung des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG - spielt es keine Rolle, ob das Fortbestehen ein- oder mehrfach von den Parteien in Frage gestellt, ob es einen oder mehrere zeitlich zusammenfallende oder getrennte mögliche Beendigungstatbestände gibt. Sämtliche Beendigungsgründe sind im Hinblick auf den Streitwert aus sozialen Erwägungen nach dem Schutzzweck des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG in der Höhe auf insgesamt drei Monatsgehälter beschränkt. Nur wegen der besonderen gesetzlichen Konzeption des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG ist bei Kündigungen, die im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes auf ihre soziale Rechtfertigung hin geprüft werden sollen, ein eigener Antrag erforderlich, ebenso wie für die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Befristungen nach § 17 TzBfG. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, den Arbeitnehmer, der die Unwirksamkeit der Befristung geltend machen will, zu zwingen, dies in angemessener Frist zu tun. Sinn und Zweck ist es nicht, einen zusätzlichen gebührenrechtlich erheblichen Streitgegenstand neben dem Feststellungsantrag auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses zu schaffen. Die Notwendigkeit, einen eigenen Antrag stellen zu müssen, rechtfertigt es nicht, hierfür entgegen Wortlaut und Zweck des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG einen gesonderten Wert festzusetzen (so für Kündigungen auch LAG Nürnberg vom 01.07.2003, a.a.O.). Dies gilt - wie vorliegend - jedenfalls dann, wenn zusätzliche Beendigungstatbestände nicht vorgetragen oder ersichtlich sind, sondern Streit allein über die Wirksamkeit dieser einen vereinbarten Befristung besteht (so für Kündigungsschutz- und Feststellungsantrag auch LAG Köln vom 08.09.1998, Az. 4 Ta 207/98, LAG Hessen vom 21.01.1999, Az. 15/6 Ta 630/98, LAG Bremen vom 29.03.2000, Az. 4 Ta 15/00, LAG Hamm vom 03.03.2003, Az. 9 Ta 520/02, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nrn. 115, 116, 120, 128; weitere Nachweise auch zu abweichenden Ansichten bei Wenzel in GK-ArbGG, § 12 Rn. 158 ff.).

5. Mit Recht hat das Arbeitsgericht auch den bis zu der am 07.03.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen teilweisen Klagerücknahme von der Klägerin gestellten Antrag auf künftige wiederkehrende Leistungen nicht als werterhöhend angesetzt. Zu beachten ist auch hierbei der soziale Schutzzweck des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG. Mit der Begrenzung auf höchstens drei Monatsgehälter wollte der Gesetzgeber den Wert von Bestandsstreitigkeiten gebührenrechtlich begrenzen - eigentlich wäre, da in der Regel weit mehr als drei Monatsgehälter vom Bestehen oder Nichtbestehen des Arbeitsverhältnisses abhängen, sonst ein wesentlich höherer Wert anzusetzen. Diese gesetzliche Wertentscheidung muss beachtet werden. Sie darf nicht dadurch umgangen und außer Kraft gesetzt werden, dass mit dem Antrag auf solche wiederkehrende Leistungen, deren Höhe nicht umstritten ist und deren Zahlungsverpflichtung allein vom Bestehen oder Nichtbestehen des Beschäftigungsverhältnisses abhängt, diese aus sozialen Gründen bestehende Privilegierung im Ergebnis leerläuft. Letztlich stehen solche Anträge in einem so engen inneren Zusammenhang mit der Bestandsstreitigkeit, dass sie nicht zusätzlich in Ansatz gebracht werden können (so ausführlich und überzeugend LAG Hamm vom 30.01.2002, Az. 9 Ta 591/00, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 126 unter II.2.bb.(1) der Gründe; ebenso schon LAG Baden-Württemberg vom 06.11.1985, 1 Ta 197/85 und LAG Nürnberg vom 21.07.1988, 1 Ta 6/88, LAGE § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nrn. 47 und 74; im Ansatz mit der Begrenzung des § 12 Abs. 7 S. 2 ArbGG ähnlich LAG Hessen vom 02.09.1999, Az. 15 Ta 465/99, § 12 ArbGG 1979 Streitwert Nr. 119a; umfangreiche Nachweise auch zu Gegenmeinungen bei Wenzel in GK-ArbGG § 12 Rn. 186 ff.).

6. Das Beschwerdegericht hält es für angemessen, den Wert dieses Antrags neben dem Bestehensantrag nicht gesondert zu berücksichtigen. Insoweit ist wirtschaftliche Identität mit dem Feststellungsantrag auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses gegeben (wie BAG vom 16.01.1968, 2 AZR 156/66, AP Nr. 17 zu § 12 ArbGG 1953; weitere Nachweise bei Wenzel in GK-ArbGG, § 12 Rn. 159).

7. Der Grundsatz der wirtschaftlichen Identität hindert nach der ständigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts auch die Berücksichtigung der für die ersten drei Monate nach der vom Arbeitgeber behaupteten Beendigung beziffert eingeklagten Zahlungsansprüche - hier also Zahlungsansprüche für die Monate Juni, Juli und August 2002.

8. Zu berücksichtigen sind allerdings - und insoweit ist den Beschwerdeführern Recht zu geben - die weiteren beziffert eingeklagten Beträge für den Zeitraum ab 01.09.2002. Insoweit liegt wirtschaftliche Identität nicht vor, weil sie vom Wert der Feststellungsanträge nicht erfasst sind. Festzusetzen war daher ab 07.11.2002 für September der Betrag von 1.870,- Euro. Nicht zu berücksichtigen war aus den unter Ziff. 5 dargelegten Gründen der Wert des Antrags auf künftige Zahlung des 13. Gehaltes. Auch dieser behauptete Anspruch war zwischen den Parteien ersichtlich nicht umstritten und hing allein vom Bestehen oder Nichtbestehen des Arbeitsverhältnisses nach dem 31.05.2002 ab.

Zu berücksichtigen war ab 29.11.2002 der für Oktober eingeklagte Betrag von 1.870,- Euro, zudem der für das 13. Gehalt nunmehr beziffert eingeklagte Betrag von 766,94 Euro.

9. Zu berücksichtigen war ab 07.03.2003 schließlich die teilweise Klageerweiterung - Dezembergehalt - und die durch Berücksichtigung der Abzugsbeträge und der Korrektur der Berechnung des 13. Gehalts veranlasste Teilklagerücknahme. Der sich aufgrund dieser Anträge - zuzüglich der nach wie vor streitigen Widerklageforderung - ergebende Wert war schließlich auch für den Vergleichswert maßgeblich.

10. Zu berücksichtigen war auch ein überschießender Vergleichswert. Es erscheint gerechtfertigt, den Wert eines Bruttomonatsgehaltes für den im Vergleich detailliert geregelten Zeugnisinhalt anzusetzen. Auch insoweit war der Beschluss des Arbeitsgerichtes damit abzuändern. Eine Festsetzung wie von den Beklagtenvertretern beantragt verbietet sich im übrigen, so dass die Beschwerde, soweit ihr nicht abgeholfen wurde, zurückzuweisen war.

Ende der Entscheidung

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