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Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 02.04.2003
Aktenzeichen: 6 TaBV 2/03
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 89 Abs. 4 Satz 2
1. Der Beschluss der Verfahrenseinstellung nach § 89 Abs. 4 S. 2 ArbGG hat jedenfalls im Fall der Rücknahme der Beschwerde durch die Beschwerdeführerin deklaratorische, nicht konstitutive Bedeutung.

2. Die Erklärung der Rücknahme der Beschwerde ist als Prozesshandlung nicht anfechtbar. Eine Auslegung kommt nur in Betracht, wenn für das Gericht in der Erklärung oder im Zusammenhang mit der Erklärung Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Rücknahme in Wirklichkeit nicht gewollt war.


Landesarbeitsgericht Nürnberg

6 TaBV 2/03

Beschluss

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Vetter als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Bürner und Margner aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 02.04.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass das Beschwerdeverfahren durch Rücknahme der Beschwerde mit Schreiben vom 13.11.2002 beendet worden ist.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über Nichtigkeit und Anfechtung einer Betriebsratswahl.

Die Antragstellerin führt einen in B... gelegenen Betrieb mit 142 Arbeitern und 32 Angestellten. In diesem Betrieb fand am 15.04.2002 eine Betriebsratswahl statt, in der der Beteiligte zu 2.) gewählt wurde. Diese Betriebsratswahl hat die Antragstellerin mit beim Arbeitsgericht Bayreuth, Kammer Hof, am 24.05.2002 eingegangenen Schriftsatz vom 22.05.2002 angefochten und gleichzeitig deren Nichtigkeit geltend gemacht, unter anderem mit der Begründung, der als Kandidat angetretene und letztlich gewählte Angestellte C... sei als leitender Angestellter anzusehen und deswegen nicht wählbar. Das Arbeitsgericht Bayreuth, Kammer Hof, hat den unter dem Aktenzeichen 3 BV 9/02 H geführten Antrag mit Beschluss vom 21.08.2002 zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde den Antragstellervertretern am 12.09.2002 zugestellt.

Mit am 25.09.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin durch ihre damaligen Prozessvertreter Beschwerde gegen den abweisenden Beschluss einlegen lassen und diese gleichzeitig begründet. Diese Beschwerde wurde beim Landesarbeitsgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen 6 TaBV 38/02 geführt.

In einem weiteren, ebenfalls gegen den Beteiligten zu 2.) geführten Verfahren hat die Antragstellerin beim Arbeitsgericht Bayreuth, Kammer Hof, die Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung des Angestellten C... beantragt. Auch dieser Antrag, der beim Arbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 3 BV 7/02 H geführt wurde, wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Die von der Antragstellerin hiergegen eingelegte Beschwerde wurde beim Landesarbeitsgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen 8 TaBV 41/02 geführt. Die Antragstellerin einigte sich am 07.11.2002 mit dem Angestellten C... durch vor dem Arbeitsgericht Bayreuth geschlossenen rechtskräftigen Vergleich unter anderem auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Am 18.11.2002 ging beim Landesarbeitsgericht Nürnberg ein Schriftsatz der jetzigen Prozessvertreter der Antragstellerin ein mit folgendem Wortlaut:

"Unser Zeichen: 06378U02 U/ e

Betreff: A... Textilwerk GmbH ./. Betriebsrat der Fa. A... Textilwerk GmbH

Sachbearbeiter: RA D...

Aktenzeichen: 3 BV 9/02 H

Bayreuth, den 13.11.2002

In vorbezeichnetem Rechtsstreit nehmen wir namens und in Vollmacht der Beschwerdeführerin, die Beschwerde zurück."

Das Schreiben (Bl. 106 d.A.) ist mit erkennbarem Namenszug und der Bezeichnung "Rechtsanwalt" unterzeichnet.

Die Urkundsbeamtin fragte daraufhin telefonisch in der im bisherigen Verfahren nicht für die Antragstellerin und Beschwerdeführerin aufgetretenen Anwaltskanzlei nach und erhielt von einer Frau E... die Auskunft, dass die Beschwerdeführerin von der nunmehr aufgetretenen Anwaltssozietät vertreten werde. Sie fertigte einen entsprechenden Aktenvermerk (Bl. 108 d.A.). Daraufhin wurde der Schriftsatz vom 13.11.2002 der Bevollmächtigten des Beteiligten zu 2.) gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Diese bestätigte den Erhalt unter dem 20.11.2002; das Empfangsbekenntnis ging beim Landesarbeitsgericht ausweislich des Eingangsstempels am 22.11.2002 ein. Darüber hinaus stellte das Landesarbeitsgericht das Verfahren durch vom Vorsitzenden erlassenen Beschluss vom 18.11.2002 gemäß § 89 Abs. 4 ArbGG förmlich ein (Bl. 109 d.A.).

Mit Telefax vom 25.11.2002, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tag, teilten die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin dem Landesarbeitsgericht unter den Aktenzeichen 8 TaBV 41/02 und 6 TaBV 38/02 mit, dass im Schreiben vom 13.11.2002 aufgrund eines Kanzleiversehens das Aktenzeichen 3 BV 9/02 H angegeben worden sei. Tatsächlich hätte das Aktenzeichen 3 BV 7/02 H lauten müssen. Die Rücknahme der Beschwerde habe das Zustimmungsersetzungsverfahren zur Kündigung des Angestellten C... betroffen, das beim Arbeitsgericht Bayreuth, Kammer Hof, unter dem Aktenzeichen 3 BV 7/02 H geführt worden sei, beim Landesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 8 TaBV 41/02. Zur Beschwerderücknahme sei es gekommen, nachdem am 07.11.2002 mit dem Angestellten C... ein rechtskräftiger Vergleich geschlossen worden sei, wodurch sich das Zustimmungsersetzungsverfahren erledigt habe. Die Aktenzeichen seien auf Grund eines Sekretariatsversehens vertauscht worden. Die Erklärung über die Beschwerderücknahme werde daher wegen Erklärungsirrtums angefochten. Es werde klargestellt, dass das Wahlanfechtungsverfahren weitergeführt werden solle.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, das Beschwerdeverfahren sei nicht beendet und müsse fortgeführt werden. Die Beschwerderücknahme habe sich auf das Zustimmungsersetzungsverfahren bezogen, nicht auf das Wahlanfechtungsverfahren. Dies ergebe sich ohne weiteres aus den Umständen. Im zwischen den Prozessbevollmächtigten des Angestellten C... und den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin besprochenen Vergleich sei immer wieder klargestellt worden, dass im Anschluss an die Vergleichsprotokollierung das Zustimmungsersetzungsverfahren durch Rücknahme der dieses Verfahren betreffenden Beschwerde beendet werden solle. Genau dies habe der bearbeitende Rechtsanwalt D... dann am 12.11.2002 diktiert. Bei der Fertigung des Schriftsatzes seien dann aufgrund eines Sekretariatsversehens die zum Verwechseln ähnlichen Aktenzeichen des Zustimmungsersetzungs- und des Wahlanfechtungsverfahrens vertauscht worden. Der den Schriftsatz unterzeichnende Rechtsanwalt habe dieses Versehen nicht erkannt, zumal der sachbearbeitende Rechtsanwalt D... an der Unterschriftsleistung verhindert gewesen sei. Es habe sich um einen offenbaren Irrtum in der Sekretariatssphäre gehandelt.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, in derartigen Ausnahmefällen sei die Anfechtung der Beschwerderücknahme zulässig. Dies werde auch in Teilen der Literatur so vertreten. Gerade in der vorliegenden Konstellation sei die Anfechtung sachgerecht, da sich die anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin bei Abgabe der Erklärung vom 13.11.2002 in einem offensichtlichen Erklärungsirrtum befunden hätten. Sie hätten bei Angabe des gerichtlichen Aktenzeichens lediglich einen Schreibfehler vorgenommen. Dies gelte um so mehr, als im vorliegenden Beschwerdeverfahren der Wahlanfechtung neu bekannt gewordene Tatsachen eingeführt worden seien, die eine wesentliche Änderung zum erstinstanzlichen Sachvortrag bedeuteten. Der vom Beteiligten zu 2.) veranlasste Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht sei unwahr gewesen. Die Beschwerdeführerin habe in keiner Weise ein irgendwie geartetes Interesse, das Beschwerdeverfahren zu beenden. Das Interesse, das Anfechtungsverfahren durchzuführen, sei nach wie vor vorhanden. Dies sei dem Beschwerdegegner auch erkennbar gewesen. Es habe für diesen klar sein müssen, dass es sich bei der Rücknahme um ein Missverständnis gehandelt habe, zumal klar gewesen sei, dass die Beschwerde im Zustimmungsersetzungsverfahren erledigt gewesen sei und deshalb habe zurückgenommen werden müssen. Der Schreibfehler führe zu offensichtlicher Anfechtbarkeit, weil ein Erklärungsirrtum nach § 119 BGB vorgelegen habe.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Erklärung sei als Prozesshandlung auch auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Bei einem offensichtlichen Irrtum wie vorliegend sei auch eine berichtigende Auslegung möglich. Um einen solchen offensichtlichen Irrtum handele es sich hier. Die Unrichtigkeit der Rücknahme sei dem Empfänger aufgrund des Vergleiches über das Ausscheiden des Angestellten C... auch erkennbar gewesen. Dadurch sei das Zustimmungsersetzungsverfahren prozessual sinnlos geworden, nicht aber das Wahlanfechtungsverfahren. Dies werde dadurch untermauert, dass vor dem Arbeitsgericht Bayreuth, Kammer Hof, ein Verfahren zur Auflösung des Betriebsrats eingeleitet worden sei. Auch dadurch werde deutlich, dass die Beschwerdeführerin die Betriebsratswahl nicht habe akzeptieren wollen. Aus diesem Grund habe auch das LAG Köln eine versehentliche Rechtsmittelrücknahme berichtigend ausgelegt (EzA-SD 2001, Nr. 5 S. 21).

In der Anhörung vom 02.04.2003, in dem der Beschwerdegegner nicht erschienen war, stellt die Beschwerdeführerin daher folgenden Antrag:

Das nach § 89 Abs. 4 ArbGG eingestellte Verfahren wird auf der Grundlage der Anfechtungserklärung vom 25.11.02 wieder aufgenommen und fortgeführt.

Der Beschwerdegegner erklärt, die Rücknahme der Beschwerde sei zulässig gewesen und wirksam erfolgt. Die Anfechtung gehe ins Leere, da es sich bei der Rücknahme um eine der Anfechtung nicht zugängliche Prozesshandlung gehandelt habe. Ein offensichtlicher Irrtum liege nicht vor. Das Wahlanfechtungsverfahren sei in erster Linie mit der Begründung betrieben worden, der Angestellte C... habe nicht in den Betriebsrat gewählt werden können, weil er leitender Angestellter sei. Dieses Argument habe sich mit dessen Ausscheiden aus dem Betrieb und dem Betriebsrat erledigt. Die Beendigung des Wahlanfechtungsverfahrens habe daher durchaus Sinn gemacht. Seitens des Beschwerdegegners sei man davon ausgegangen, dass nunmehr eine vertrauensvolle und unbelastete Zusammenarbeit stattfinden solle. Höchst vorsorglich werde das Vorliegen eines Büroversehens bestritten. Das Rücknahmeschreiben vom 13.11.2002 trage selbst das richtige interne Aktenzeichen der Kanzlei der Beschwerdeführerin. Im übrigen sei das Anfertigen des Diktats ohne Beiziehung der entsprechenden Akte als grob fahrlässig anzusehen. Ein Amtsenthebungsverfahren sei dem Beschwerdegegner erst am 22.11.2002, also nach Rücknahme der Beschwerde, zugegangen. Ein solches durch die Belegschaft betriebenes Verfahren lasse zudem keine Rückschlüsse auf Willen und Handlungen der Beschwerdeführerin - der Arbeitgeberin - zu. Eine Auslegung im von der Beschwerdeführerin gewünschten Sinn verbiete sich, weil - anders als im zitierten Fall des LAG Köln - gerade für das Gericht keine Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit vorhanden gewesen seien. In der Sache müsse die Fehlerhaftigkeit der Betriebsratswahl weiter bestritten werden.

Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, dass die Prozessvertreter mit der Fortführung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens beauftragt worden seien. Sie seien in keiner Weise zur Rücknahme der Beschwerde bevollmächtigt gewesen. Es sei falsch, dass das Wahlanfechtungsverfahren ausschließlich im Zusammenhang mit dem Angestellten C... geführt worden sei; es seien weitere Fehler gerügt worden. Es sei dem Beschwerdegegner immer klar gewesen, dass die weitere Durchführung des Anfechtungsverfahrens für sie - die Beschwerdeführerin - sehr wesentlich gewesen sei. Es sei bis heute unübersehbar, dass eine Zusammenarbeit zwischen Beschwerdeführerin und Beschwerdegegner nicht möglich sei. Erklärungen, dass das Beschwerdeverfahren zurückgenommen werden solle, seien von der Beschwerdeführerin oder ihr zuzurechnenden Personen nie abgegeben worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Beschlusses vom 21.08.2002 (Bl. 65 ff. d.A.), die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 02.04.2003 (Bl. 192 ff. d.A.) und die zwischen den Beteiligten in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Eine Entscheidung über die Beschwerde kommt für das Beschwerdegericht nicht in Betracht. Das Verfahren ist nämlich durch die Rücknahme der Beschwerde mit Schriftsatz vom 13.11.2002 und den hierauf erfolgten Einstellungsbeschluss des Vorsitzenden vom 18.11.2002 erledigt.

1. Bedenken an der Wirksamkeit dieser Beschwerderücknahme bestehen nicht. Die Rücknahme ist durch den im Rücknahmezeitpunkt mit der Bearbeitung der Angelegenheit betrauten Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin erfolgt. Dieser ist als Rechtsanwalt befähigt, Prozesserklärungen für und mit Wirkung für und gegen die Beschwerdeführerin abzugeben. Die Rücknahme der Beschwerde war statthaft und von der Zustimmung der anderen Beteiligten nicht abhängig (§ 89 Abs. 4 ArbGG; vgl. auch Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl. 2002, § 89 Rn. 54 f.). Die Rücknahme hat den Verlust der Beschwerde zur Folge.

2. Das Landesarbeitsgericht hat das Verfahren mit Beschluss vom 18.11.2002 eingestellt. Spätestens mit diesem Einstellungsbeschluss (vgl. hierzu Matthes in Germelmann u.a., a.a.O., § 89 Rn. 57) war das Verfahren beendet. Vertritt man die Auffassung, dass dieser Einstellungsbeschluss die materielle Verfahrensbeendigung herbeiführt, also konstitutive Wirkung besitzt (so Matthes in Germelmann u.a., a.a.O., § 89 Rn. 57; Dörner in GK-ArbGG, § 89 Rn. 59; ErfKomm-Eisemann, 3. Aufl. 2003, § 89 ArbGG Rn. 8; LAG Rheinland-Pfalz vom 25.06.1982, 6 TaBV 10/82, EzA § 92 ArbGG 1979 Nr. 1), hätte die Beschwerdeführerin diesen Einstellungsbeschluss anfechten müssen (vgl. §§ 92 Abs. 1 S. 1, 92a ArbGG). Dies hat die Beschwerdeführerin nicht getan, offensichtlich deswegen, weil das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat (zur Zulassungsmöglichkeit vgl. Matthes in Germelmann u.a., a.a.O., § 89 Rn. 57). Die Anfechtung der Prozesshandlung vom 13.11.2002 wäre - folgt man dieser Ansicht - ohne Bedeutung, würde das Verfahren nicht wieder in Gang setzen. Die Beschwerdeführerin müsste die Aufhebung dieses Einstellungsbeschlusses über das Bundesarbeitsgericht oder das Bundesverfassungsgericht betreiben.

3. Die Kammer hält diesen Einstellungsbeschluss zumindest dann, wenn er nach Antrags- oder Beschwerderücknahme erfolgt, für deklaratorisch (ebenso LAG Hamburg vom 27.08.1990, LAGE § 92 ArbGG 1979 Nr. 2; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl. 1995, § 89 Rn. 15; Weth, Das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren, München 1995, § 16 I.4. mit umfangreichen Nachweisen). Dies ergibt sich schon daraus, dass das Gesetz ausdrücklich normiert, dass dieser Beschluss den Beteiligten "zur Kenntnis" zu geben hat, und auch nur dann, soweit ihnen die Beschwerde zugestellt worden ist (§ 89 Abs. 4 S. 3 ArbGG). Diese gesetzliche Bestimmung wäre nicht verständlich, wenn der Einstellungsbeschluss förmlich mit Rechtsmitteln anfechtbar wäre. Könnte er in Rechtskraft erwachsen, wäre die förmliche Zustellung an die Beteiligten unverzichtbare Voraussetzung (diese Konsequenz zieht demzufolge gegen den Gesetzeswortlaut Eisemann in ErfKomm., a.a.O., § 89 ArbGG Rn. 8). Gerade bei Rücknahme des Antrags oder der Beschwerde wäre eine Entscheidungsbefugnis des Gerichts darüber, ob der Antrag wirklich zurückgenommen worden ist, nicht verständlich. Dies gilt um so mehr, als die Beschwerde nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung ohne Einverständnis der anderen Beteiligten in jeder Lage des Verfahrens, also selbst nach Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in der Sache, noch zurückgenommen werden kann. Ob anderes bei streitiger Erledigterklärung gelten muss, kann dahinstehen.

4. Selbst wenn man eine konstitutive Wirkung des Einstellungsbeschlusses annehmen würde, käme eine Aufhebung oder Abänderung durch das erlassende Gericht in Betracht. Die Kammer folgt insoweit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der nach der zum 01.01.2002 geltenden Reform der Zivilprozessordnung zwar die Möglichkeit der Beseitigung einer Entscheidung durch das Beschwerdegericht im Wege außerordentlicher Beschwerde verneint, die Abänderung einer eigenen Entscheidung durch das Ausgangsgerichts selbst jedoch für zulässig hält (BGH vom 28.02.2002, IX ZB 129/00; BGH vom 07.03.2002, IX ZB 11/02, NJW 2002, 1577; BGH vom 02.10.2002, XII ZB 19/02; BGH vom 17.12.2002, X ZB 36/02). Die "Anfechtung" der Beschwerderücknahme ist in diesem Fall als Gegenvorstellung zum Einstellungsbeschluss anzusehen. Das Landesarbeitsgericht hätte die Aufhebung dieses Beschlusses wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit zu prüfen. Diese wäre gegeben, wenn der Beschluss ergangen wäre, ohne dass eine wirksame Beschwerderücknahme vorgelegen hätte.

5. Eine Aufhebung des Einstellungsbeschlusses und demzufolge die Fortsetzung des Verfahrens wegen Wegfalls der Prozesshandlung der Beschwerderücknahme kommt vorliegend nicht in Betracht. Der Einstellungsbeschluss ist nämlich zu Recht ergangen. Der Vorsitzende des Landesarbeitsgerichts hat das Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu Recht als Beschwerderücknahme im vorliegenden Verfahren verstanden. Das Schreiben vom 13.11.2002 ist eindeutig formuliert. Es enthält das Aktenzeichen des mit der Beschwerde angegriffenen erstinstanzlichen Verfahrens. Für den Vorsitzenden des Landesarbeitsgerichts bestanden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Beschwerderücknahme in Wirklichkeit um die Rücknahme in einem anderen Verfahren gehandelt haben sollte oder dass die Rücknahme aus anderen Gründen offensichtlich nicht gewollt sein sollte. Das Schreiben enthält keinerlei Kennzeichen dafür, dass es sich formal oder inhaltlich auf einen anderen Sachverhalt beziehen könnte. Dem Kammervorsitzenden des Landesarbeitsgerichts war im Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Beschwerderücknahme gar nicht bekannt, dass die Beschwerdeführerin beim Landesarbeitsgericht noch ein anderes Verfahren führte. Auch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin mit dem Angestellten C... einen Vergleich mit dem Inhalt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen hatte, war dem Kammervorsitzenden weder mitgeteilt worden noch aus sonstigen Umständen bekannt. Für ihn bestand keinerlei Anlass, daran zu zweifeln, dass durch die Rücknahme das vorliegende Verfahren beendet werden sollte.

Eine Auslegung des Beschwerdeschreibens dahingehend, dass es sich auf ein anderes Verfahren beziehe, war daher nicht veranlasst und möglich. Zwar sind Prozesshandlungen wie andere Willenserklärungen auszulegen (einhellige Auffassung, vgl. etwa BGH vom 11.11.1983, VII ZB 24/93, NJW-RR 1994, 568; MK-ZPO-Lüke, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, Einl. Rn. 280 f.; Zöller-Greger, 23. Aufl. 2002, vor § 128 Rn. 25, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dies setzt jedoch voraus, dass die Erklärung auslegungsfähig und nicht eindeutig ist. Nicht zulässig ist es, einer eindeutigen Erklärung einen anderen Sinn zu geben. Dabei kommt dem Wortlaut der Erklärung entscheidende Bedeutung zu. Unter Berücksichtigung dieses Wortlautes ist darauf abzustellen, was der Erklärende sinnvollerweise bezweckt und was der recht verstandenen Interessenlage der Prozesspartei am meisten entspricht (BGH vom 22.05.1995, II ZB 2/95, NJW-RR 1995, 1183). So hat der BGH eine berichtigende Auslegung für möglich gehalten, wenn der Berufungsführer statt Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versehentlich Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist beantragt hatte (BGH vom 11.11.1993, VII ZB 24/93, NJW-RR 1994, 625). Er hat die Unterzeichnung eines Schriftsatzes mit "i.V." dahingehend ausgelegt, dass die Unterschrift des unterzeichnenden Rechtsanwaltes von der eigenen Prozessvollmacht des Rechtsanwalts als gedeckt anzusehen ist (BGH vom 24.11.1999, XII ZR 94/98, NJW-RR 2000, 1446). Dennoch ist es nicht möglich, Erklärungen gegen ihren eindeutigen Wortlaut umzudeuten. Demzufolge hat es die Rechtsprechung abgelehnt, einen Antrag als Klage zu behandeln, wenn der Antragsteller auf Regelungen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Bezug genommen hat (BGH vom 22.05.1995, a.a.O.). Sie hat es abgelehnt, eine Gegenvorstellung als Beschwerde zu behandeln, weil beide Rechtsbehelfe sich in ihrer materiellen Wirkung nicht entsprechen (BGH vom 21.06.2000, XII ZB 93/00, NJW-RR 2001, 279).

Soweit das LAG Köln im Beschluss vom 30.06.2000 (Az. 6 Sa 750/99, EzA-SD 2001, Nr. 5, S. 21) die Auslegung eines Berufungsrücknahmeschriftsatzes als offensichtliches Versehen und nicht zum Verfahren gehörig für möglich gehalten hat, hat es entscheidend darauf abgestellt, dass das Versehen für das Gericht offensichtlich war, weil der Berufungsführer kurz zuvor ein obsiegendes Urteil erstritten hatte. Demzufolge hat es der Kammervorsitzende im dortigen Verfahren ausweislich der Gründe des Beschlusses für erforderlich gehalten, sofort bei der berufungsführenden Partei nachzufragen, ob es hierbei seine Richtigkeit habe, weil sich ihm sofort Zweifel an der Unrichtigkeit der Rücknahme-Erklärung aufdrängten. Die Kammer hat erhebliche Bedenken, ob eine derart weitgehende Auslegung zulässig ist. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Im Fall des LAG Köln drängte es sich, wie aus den Gründen ersichtlich, für den dortigen Kammervorsitzenden aufgrund der ihm bekannten Umstände auf, dass die Erklärung falsch sein musste. Dies war beim Vorsitzenden in der vorliegenden Beschwerdesache gerade nicht der Fall. Die Konstellationen sind also nicht vergleichbar. Auch die Entscheidung des LAG Köln bietet keinen Anlass, im vorliegenden Verfahren von den allgemein anerkannten Auslegungsregeln abzuweichen und die Erklärung der Beschwerderücknahme dem anderen Verfahren zuzurechnen.

Sämtliche weiteren aufgeführten Entscheidungen zeigen, dass in der Regel aus dem Schriftsatz selbst im Zusammenhang mit dem Verfahren Unklarheiten erkennbar sein müssen, damit eine Auslegung der Erklärung gegen ihren Wortlaut möglich ist. Gerade dies war wie dargelegt vorliegend nicht der Fall. Eine Auslegung in der Form, wie sie von der Beschwerdeführerin vorliegend gewünscht wird, scheidet daher aus.

6. Unerheblich ist, ob sich - wie die Beschwerdeführerin meint - derartige Zweifel beim Beschwerdegegner oder dessen Prozessbevollmächtigtem aufdrängen mussten. Die Beschwerderücknahme ist als für den Verfahrensfortgang maßgebliche Erklärung gegenüber dem Gericht zu erklären, nicht aber gegenüber dem Prozessgegner (vgl. Stein-Jonas-Leipold, ZPO, 21. Aufl. 1993, vor § 128 Rn. 187). Demzufolge kommt es für die Frage, ob die Erklärung ausgelegt oder umgedeutet werden kann, nach § 133 BGB analog auf den Empfängerhorizont des Gerichts an, nicht auf denjenigen des Prozessgegners (so in diesem Punkt auch LAG Köln, a.a.O.). Das Landesarbeitsgericht konnte derartige Überlegungen, wie von der Beschwerdeführerin angestellt und in bezug auf die Beschwerdegegnerin behauptet, schon mangels Kenntnis der entscheidenden Umstände nicht anstellen.

Gerade der vorliegende Streitgegenstand zeigt im übrigen die Problematik der von der Beschwerdeführerin begehrten rückwirkenden Beseitigung einer verfahrensbeendenden Erklärung der Beschwerderücknahme. Die Rücknahme der Beschwerde hat dazu geführt, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg materiell rechtskräftig geworden ist. Damit stand für alle Beteiligten fest, dass die Betriebsratswahl als gültig zu betrachten war. Nach § 19 BetrVG ist die Anfechtung einer Wahl nur innerhalb einer materiellen Ausschlussfrist möglich. Ist die Anfechtung nicht erfolgt, gilt die Wahl als von Anfang an wirksam. Dasselbe gilt, nachdem das Verfahren der Anfechtung mit abweisendem gerichtlichen Beschluss abgeschlossen ist. Diese aus Gründen der Rechtssicherheit getroffene gesetzliche Wertung würde konterkariert, könnte die Rücknahme beseitigt und damit die für alle Beteiligten - Arbeitgeber, Betriebsräte, Gewerkschaften und Arbeitnehmer - entstandene Bindung an das Wahlergebnis wieder in Frage gestellt werden. Dies rechtfertigt es, gerade auch bei einem solchen Streitgegenstand die Auslegung und Berichtigung der Prozesserklärung nur dann zuzulassen, wenn der wirklich gemeinte Erklärungsinhalt entgegen dem Wortlaut eindeutig zu erkennen ist.

7. Die von der Beschwerdeführerin erklärte Anfechtung der Rücknahme-Erklärung ist nicht geeignet, deren Wirkungen zu beseitigen. Die Rücknahme-Erklärung ist als Prozesserklärung bedingungsfeindlich. Dies ist in der Rechtsprechung völlig unstreitig (vgl. etwa Zöller-Greger, a.a.O., vor § 128 Rn. 21; MK-ZPO-Lüke, a.a.O., Einl. Rn. 282). Die Kammer folgt den von der Beschwerdeführerin zitierten, in einem Teil der Literatur vor allem für Erklärungen mit Doppelnatur wie Prozessvergleichen vertretenen anderweitigen Auffassungen nicht.

8. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist es unerheblich, ob ihre Prozessvertreter den Auftrag oder auch nur die interne Vollmacht zur Rücknahme der Beschwerde im vorliegenden Verfahren hatten. Unstreitig besaßen die anwaltlichen Prozessvertreter im Zeitpunkt der Rücknahme-Erklärung Prozessvollmacht. Die Einräumung einer solchen Prozessvollmacht ermächtigt den Prozessvertreter im Außenverhältnis - also gegenüber Prozessgegner und Gericht - zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen (§ 81 ZPO). Soweit Beschränkungen dieser Vollmacht überhaupt zulässig sind, wirken sie gegenüber dem Prozessgegner nur insoweit, als sie diesem eindeutig mitgeteilt sind (MK-ZPO-v. Mettenheim, a.a.O., § 83 Rn. 5). Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen muss sich die Partei zurechnen lassen (§ 85 ZPO). Ein Nachweis der Vollmacht ist in Anwaltsprozessen nicht erforderlich (§§ 88 Abs. 2, 89 Abs. 2 ZPO).

9. Nach alldem hat die Kammer von der Wirksamkeit der Erklärung der Beschwerderücknahme auszugehen. Die Aufhebung oder Abänderung des Einstellungsbeschlusses war nicht veranlasst. Das Verfahren ist durch die Rücknahme der Beschwerde und den hierauf folgenden Einstellungsbeschluss wirksam beendet worden. Eine Sachentscheidung kam nicht mehr in Betracht. Diese Feststellung konnte die Kammer ohne Antrag des Beteiligten zu 2.) treffen. Zum einen ist eine echte Antragsgegnerschaft im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ohnehin nicht vorgesehen, wie die Vorschrift des § 83 Abs. 3 ArbGG zeigt. Zum anderen war die Feststellung der Beendigung von Amts wegen aufgrund der Tatsache zu treffen, dass die Beschwerdeführerin die Fortführung des Verfahrens und eine Sachentscheidung begehrt hat.

10. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand kein gesetzlich begründeter Anlass.

Ende der Entscheidung

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