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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 26.07.2005
Aktenzeichen: 6 TaBV 45/04
Rechtsgebiete: BetrVG, TV für die Chemische Industrie


Vorschriften:

BetrVG § 80 Abs. 1 Nr. 1
TV für die Chemische Industrie § 2 Abs. 1 Ziff. 1
TV für die Chemische Industrie § 2 Abs. 1 Ziff. 3
1. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung, wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmer mit einzelvertraglich gegenüber der tariflichen Wochenarbeitszeit längeren Arbeitszeit beschäftigt.

2. Ein solcher Anspruch folgt auch nicht aus § 2 I Ziff. 3 des TV Chemische Industrie, der regelt, dass durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für Arbeitnehmergruppen eine um 21/2 Stunden längere oder kürzere Arbeitszeit vereinbart werden kann.


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

6 TaBV 45/04

in dem Beschlussverfahren

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Vetter als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Kerschbaum und Eberwein aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 04.11.2004, Az. 15 BV 100/04, wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Betriebsrats darauf, dass die Arbeitgeberin die Ableistung einer vertraglich vereinbarten, die tarifliche Arbeitszeit überschreitenden Arbeitszeitmenge zu unterlassen hat.

Die ursprüngliche Antragstellerin betreibt drei betriebsratsfähige betriebliche Einheiten, und zwar in B..., in C... und in D.... In B... war und ist ein Betriebsrat nicht gewählt. Der ursprüngliche Antragsgegner ist der für den Standort C... gewählte Betriebsrat. Im Frühjahr 2004 beschloss die Antragstellerin, den Standort B... mit den Bereichen Vertrieb und Innendienst mit dem Betrieb C... zusammenzulegen und den Standort B... als eigenständige betriebliche Einheit weitgehend aufzulösen. Sie schloss mit dem Gesamtbetriebsrat sowie dem für den Betrieb C... gebildeten Betriebsrat, dem Antragsgegner, einen Interessenausgleich und Sozialplan. Des genauen Wortlautes dieser Vereinbarung wegen wird auf die als Anlage AS 1 zur Antragsschrift vorgelegte Ablichtung Bezug genommen (Bl. 34 ff. d.A.). Die in bestimmten, im Einzelnen bezeichneten Bereichen des Standort B... beschäftigten Arbeitnehmer sollten hiernach in den Betrieb in C... übernommen werden.

Die Antragstellerin "nahm zum 01.07.2004 einen Tarifwechsel von den Tarifverträgen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie zu den Tarifverträgen der Chemischen Industrie vor". Weitere Einzelheiten hierzu sind von den Beteiligten nicht vorgetragen.

Die Antragstellerin hatte im Betrieb in B... mit mehreren Arbeitnehmern, unter anderem mit der Arbeitnehmerin E..., eine Arbeitsleistung mit 40-Stunden-Woche vereinbart. Sie legte diesen Arbeitnehmern, auch der Arbeitnehmerin E..., eine vorgefertigte "Vereinbarung über die Arbeitszeit" vor (Anlage AS 8, ebenda, Bl. 46 d.A.). In diesem Schreiben heißt es wie folgt:

"Von dem mir eingeräumten Wahlrecht zur Arbeitszeit mache ich wie folgt Gebrauch (Zutreffendes bitte ankreuzen):

Auch nach dem 01.07.2004 möchte ich meine wöchentliche Arbeitszeit wie bisher beibehalten. Im Gegenzug wird meine Vergütung entsprechend gekürzt.

Ich möchte auch nach dem 01.07.2004 mein bisheriges Bruttomonatsentgelt (ohne Zuschläge) sichern. Daher wähle ich eine anteilige Erhöhung meiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ab dem 01.07.2004.

Gleichzeitig erkenne ich mit meiner Unterschrift unter diesem Schreiben an, dass bei einer späteren Erhöhung oder Verringerung der mit dieser Vereinbarung vereinbarten Arbeitszeit die Vergütung entsprechend angepasst wird."

Die Arbeitnehmerin E... unterzeichnete diese Vereinbarung unter dem 10.05.2004, nachdem sie die zweite Alternative - anteilige Erhöhung der Arbeitszeit - angekreuzt hatte.

Der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie vom 24.06.1992 (TR 11 - 100 ab 101) enthält, soweit vorliegend von Interesse, bezüglich der Arbeitszeit folgende Bestimmungen:

"§ 2 I. Dauer und Verteilung der Arbeitszeit

1. Die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit an Werktagen beträgt ausschließlich der Pausen 37,5 Stunden. ...

2. Die regelmäßige tarifliche oder abweichend festgelegte wöchentliche Arbeitszeit kann auch im Durchschnitt eines Verteilzeitraums von bis zu 12 Monaten erreicht werden³. ..."

"Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat ist bei projektbezogenen Tätigkeiten mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien eine Verlängerung des Verteilzeitraumes bis zu 36 Monate zulässig. ..."

Im Änderungstarifvertrag vom 26.01.1994 (TR 11 - 100 ab 109) ist folgendes festgehalten:

"§ 2 I Ziffer 3 wird wie folgt neu gefasst:

Für einzelne Arbeitnehmergruppen oder mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien für größere Betriebsteile oder ganze Betriebe kann im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit eine bis zu zweieinhalb Stunden längere oder kürzere regelmäßige Arbeitszeit festgelegt werden. Die Arbeitnehmer haben Anspruch auf eine der vereinbarten Arbeitszeit entsprechende Bezahlung. ..."

Diese Regelung löste die bereits im Manteltarifvertrag vom 24.06.1992 enthaltene Bestimmung, die lediglich Abweichungen von bis zu zwei Stunden gestattete, ab.

Die Antragstellerin beantragte unter dem 26.06.2004 beim Antragsgegner die Zustimmung zur Einstellung der Arbeitnehmerin E... in den vom Antragsgegner repräsentierten Betriebsteil C... (Anlage AS 2, ebenda, Bl. 37 d.A.), und zwar mit Wirkung zum 01.08.2004 und dem Zusatz "evtl. früher". Als Vergütung ist angegeben "E 12K/6 = 4.140,- €". Bei der Arbeitszeit ist aufgeführt: "42,50 Std.Woche (Mo.-Fr. 8.00 - 17.00 Uhr; Pause: 12.00 - 12.30 Uhr)". Weiter ist vermerkt, dass die Arbeitnehmerin mit der Verlagerung des Arbeitsplatzes nach C... einverstanden sei. Der Antragsgegner verweigerte die Zustimmung mit am 01.07.2004 auf dieses Schreiben gesetzter Unterschrift und dem Verweis "siehe Mail 142/04". Dieses unter dem 01.07.2004 an die Geschäftsleitung übersandte Mail beinhaltet bezüglich der Arbeitnehmerin E... folgende Begründung "IRWAZ>40h/Woche- für tarifliche Mitarbeiter nach MTV Chemie § 2 I 3." Die Antragstellerin teilte dem Antragsgegner daraufhin unter dem 20.07.2004 die beabsichtigte vorläufige Einstellung mehrerer betroffener Arbeitnehmer, unter anderem der Arbeitnehmerin E..., mit, unter Wiederholung des Einstellungsantrages mit Schreiben vom 21.07.2004 (Anlage 5, ebenda, Bl. 43). Der Betriebsrat lehnte mit Mail vom 22.07. auch diese Einstellung ab mit der Begründung, er habe auch die Einhaltung tariflicher Bestimmungen zu überprüfen, die 42,5-Stunden-Woche sei nicht tarifkonform. Soweit Einstellungsmeldungen mit wöchentlichen Arbeitszeiten von 40 Stunden vorgelegt würden, könne zugestimmt werden (Anlage AS 6, ebenda, Bl. 44 d.A.). Mit Mail vom selben Tag widersprach der Betriebsrat der vorläufigen Durchführung der Maßnahme.

Mit Antrag vom 26.07.2004, beim Arbeitsgericht Nürnberg per Telefax eingegangen am selben Tag, beantragte die Antragstellerin:

1. Die vom Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Einstellung der Arbeitnehmerin E... wird ersetzt.

2. Es wird festgestellt, dass die vorläufige Einstellung der Mitarbeiterin E... aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens im Abweisungsantrag hat der Antragsgegner beantragt:

Der Antragstellerin wird untersagt, den/die Arbeiter/in E... im Betrieb C... der Antragstellerin regelmäßig länger als 37,5 Wochenstunden arbeiten zu lassen, solange zwischen den Beteiligten kein Einvernehmen darüber hergestellt wurde, dass der/die Arbeitnehmer/in E... zu einer betrieblichen Arbeitnehmergruppe gehört, für die eine über 37,5 Wochenstunden hinausgehende regelmäßige Arbeitszeit gilt.

Die Antragstellerin hat beantragt,

den Widerantrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, die Einstellung sei zu Recht verweigert worden, weil die Antragstellerin die Arbeitnehmerin E... tarifwidrig mit 42,5 Wochenstunden beschäftigen wolle. Nach seiner Kenntnis handele es sich bei der Arbeitnehmerin E... um ein Mitglied der Tarifvertragspartei IG BCE. Soweit die Zustimmung zur Einstellung ersetzt werde, müsse wenigstens untersagt werden, die Arbeitnehmerin E... tarifwidrig mit mehr als 37,5 Stunden zu beschäftigen. Die Regelung des Tarifvertrages, die eine 37,5 Stunden übersteigende Arbeitszeit ermögliche, stelle eine betriebsverfassungsrechtliche Norm dar. Es handele sich um eine Öffnungsklausel, die gleichzeitig festlege, dass von ihr nur mit Zustimmung des Betriebsrats Gebrauch gemacht werden dürfe. Unter "Einvernehmen" in diesem Sinne sei zu verstehen, dass wie in § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats für die jede Erhöhung der Arbeitszeit über 37,5 Stunden hinaus erforderlich sei. Da das Einvernehmen nicht erzielt sei, stehe ihm, dem Antragsgegner, ein entsprechender Unterlassungsanspruch zu.

Die Antragstellerin hat bezüglich des Widerantrages die Auffassung vertreten, es liege kein Verstoß gegen die Regelung des § 2 I.3. des Tarifvertrages vor. Diese Vorschrift enthalte eine Sonderregelung zur kollektivrechtlichen Verlängerung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit für einzelne Arbeitnehmergruppen ohne deren Zustimmung. Sie schließe nicht die Möglichkeit aus, mit einzelnen Arbeitnehmern ohne Tarifgebundenheit abweichende Regelungen zu treffen. Die Vorschrift sei auch deswegen nicht verletzt, weil sie nur Gruppen von Arbeitnehmern, nicht einzelne Arbeitnehmer betreffe. Schließlich bedeute der Begriff "Einvernehmen" im Sinne des Tarifvertrages nicht, dass der Betriebsrat zustimmen müsse. Der Tarifvertrag verwende diesen Begriff an anderen Stellen wie etwa hinsichtlich der Kurzarbeit nicht. Das Betriebsverfassungsgesetz verweise immer dann, wenn es eine erzwingbare Mitbestimmung festlege, auf die Einigungsstelle. Selbst wenn man ein Mitbestimmungsrecht unterstelle, habe der Betriebsrat keinen Anspruch auf Unterlassung. Im Übrigen liefe ansonsten die gesetzliche Regelung der §§ 99 ff. BetrVG leer; es würde § 101 BetrVG verdrängt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 04.11.2004 in vollem Umfang stattgegeben, den Hilfswiderantrag des Antragsgegners abgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen damit begründet, die Zustimmung zur Einstellung sei zu ersetzen, weil allenfalls einzelne Arbeitsbedingungen tarifwidrig sein könnten, weil die personelle Maßnahme "Einstellung" als solches aber weder gegen Gesetz noch gegen Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung verstoße. Auch der Feststellungsantrag bezüglich der Dringlichkeit sei begründet, weil offensichtlich fehlende Dringlichkeit nicht ersichtlich sei. Dem Betriebsrat stehe der Unterlassungsanspruch nicht zu, weil die Bestimmung in § 2 I.3. MTV dem Betriebsrat kein zwingendes Mitbestimmungsrecht einräume. Auch gelte die Vorschrift nur für Arbeitnehmergruppen, nicht für einzelne Arbeitnehmer. Der Begriff "Einvernehmen" sei einer Verweisung auf die Mitbestimmung nach § 87 BetrVG nicht gleichzustellen. Er gehe nicht von erzwingbarer Mitbestimmung, schon gar nicht von einem Initiativrecht des Betriebsrats aus.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts wurde den Vertretern des Antragsgegners ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 24.11.2004 zugestellt.

Mit seiner am 20.12.2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 24.03.2005 - am 22.03.2005, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag, begründeten Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Abweisung des Widerantrages. Er meint, nach der Formulierung handele es sich bei der Bestimmung in § 2 I Ziff. 3 MTV unzweifelhaft um eine betriebsverfassungsrechtliche Norm, die unabhängig davon gelte, ob der betreffende Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied sei. Es sei zulässig, dass die Tarifparteien die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats festlegten. Es könne nicht darauf abgestellt werden, dass es sich um eine Einzelfallregelung handele, da Arbeitnehmer immer Teil einer Arbeitnehmergruppe seien. Im Übrigen handele es sich vorliegend um eine Gruppe von neun Arbeitnehmern. Das Arbeitsgericht habe den Begriff "Einvernehmen" verkannt; dieser bedeute nichts anderes, als dass der Betriebsrat einverstanden sein müsse. Der Unterlassungsanspruch ergebe sich aus § 2 BetrVG; der Arbeitgeber habe mit der Regelung die Mitbestimmungsrechte ausgehebelt. Hilfsweise müsse die Antragstellerin zumindest die Beschäftigung über 40 Stunden hinaus, die nach dem Tarifvertrag ohne Einschränkungen untersagt sei, unterlassen.

Der Antragsgegner stellt in der Beschwerdeinstanz daher folgende Anträge:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 04.11.2004 wird abgeändert.

2. Der Antragstellerin wird untersagt, den/die Arbeitnehmer/in E... im Betrieb in C... regelmäßig länger als 37,5 Wochenstunden arbeiten zu lassen, solange zwischen den Beteiligten kein Einvernehmen darüber hergestellt wurde, dass der/die Arbeitnehmer/in E... zu einer betrieblichen Arbeitnehmergruppe gehört, für die eine über 37,5 Wochenstunden hinausgehende regelmäßige Arbeitszeit gilt bzw. das Einvernehmen der Beteiligten durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde.

3. Hilfsweise:

Der Antragstellerin wird untersagt, den/die Arbeitnehmer/in E... im Betrieb in C... regelmäßig länger als 40 Wochenstunden arbeiten zu lassen.

Die Antragstellerin beantragt als Beschwerdegegnerin,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den arbeitsgerichtlichen Beschluss für zutreffend. Ein zwingendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe nicht, weil die tarifliche Regelung keine zwangsweise Durchsetzung für den Fall der Nichteinigung enthalte. Es sei zweifelhaft, ob eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte, wie sie der Antragsgegner annehme, überhaupt zulässig sei, weil sie das Grundrecht des Arbeitgebers unzulässig beschränke. Unabhängig davon gehe es vorliegend nur um die abweichende Vereinbarung von Wochenarbeitszeiten mit einzelnen Arbeitnehmern, also nicht um Arbeitnehmergruppen. Schließlich enthalte § 2 I Ziff. 3 MTV nur eine zusätzliche Option zur Veränderung der Arbeitszeit, die mit einzelvertraglichen Lösungen nichts zu tun habe.

Nach Abschluss der Anhörung hat die Antragstellerin eine schriftliche Bestätigung der Arbeitnehmerin E... eingereicht mit dem Inhalt, dass diese nicht Mitglied einer Gewerkschaft sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses des Erstgerichts vom 04.11.2004 (Bl. 79 ff. d.A.), die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 28.06.2005 (Bl. 153 ff. d.A.) und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 87 ff. ArbGG). Sie ist insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2, 66, 89 ArbGG).

2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Widerantrag des Betriebsrats zu Recht abgewiesen. Die Beschwerdekammer folgt zunächst den sorgfältigen Ausführungen des Erstgerichts, denen sie sich weitestgehend anschließt, so dass insoweit auf eine nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann. Nur ergänzend ist im Hinblick auf die Ausführungen im Beschwerdeverfahren auf folgendes hinzuweisen:

a. Es fehlt schon an der Antragsbefugnis des Betriebsrats. Eine solche Antragsbefugnis ist als Voraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren von Amts wegen zu prüfen. Die Antragsbefugnis des Betriebsrats ist nur dann gegeben, wenn dieser materiell in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung beeinträchtigt ist. Erforderlich ist, dass er entweder ein eigenes Recht geltend machen kann oder dass er kraft Gesetzes zur Durchsetzung fremder Rechte befugt ist (Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. 2004, § 81 Rn. 53 und Rn. 56 ff.; Weth in Schwab/Weth, ArbGG, § 81 Rn. 49 ff.). Zwar beruft sich der Betriebsrat vorliegend auf eigene Rechte, nämlich auf den Verstoß gegen das ihm in § 2 I Ziff. 3 MTV eingeräumte Mitbestimmungsrecht. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit der eigenen Rechtsbetroffenheit gegeben und der Antrag nicht unzulässig. Das geltend gemachte Recht des Betriebsrats besteht jedoch - unabhängig davon, ob man dies als Antragsbefugnis bezeichnet - tatsächlich materiell nicht.

b. Zunächst eröffnet ein eventueller Verstoß gegen den Tarifvertrag nicht die Befugnis des Betriebsrats, vom Arbeitgeber im Gerichtswege Unterlassung verlangen zu können. Zwar ist dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die Aufgabe eingeräumt, auch die Einhaltung der Tarifverträge zu überwachen. Diese Aufgabenzuweisung beinhaltet jedoch kein eigenes Antragsrecht dahingehend, dass der Arbeitgeber die Tarifverträge auch einhalte. Die Aufgabenzuweisung hat nach ständiger Rechtsprechung nicht auch die Einräumung entsprechender Mitbestimmungsrechte zum Inhalt. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Auffassung in der Literatur (BAG vom 25.05.1982, 1 ABR 19/80, EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 7; BAG vom 16.07.1983, 1 ABR 9/83, EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 9; BAG vom 10.06.1986, 1 ABR 59/84, EzA § 80 BetrVG 1972 Nr. 26; BAG vom 24.02.1987, 1 ABR 73/84, EzA § 80 BetrVG 1972 Nr. 29; BAG vom 24.01.1996, 1 ABR 35/95, zitiert nach juris; BAG vom 28.05.2002, 1 ABR 40/01, EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 65 unter III. der Gründe; BAG vom 09.12.2003, 1 ABR 44/02, zitiert nach juris, unter I.3.b. der Gründe; Kraft in GK-BetrVG, 7. Aufl. 2002, § 80 Rn. 28 f.; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 80 Rn. 14; Buschmann in Däubler/Kittner, BetrVG, 9. Aufl. 2004, § 80 Rn. 17). Dies entspricht auch der Auffassung der Beschwerdekammer.

c. Ein eigenes Recht des Betriebsrats auf Unterlassung der Beschäftigung der Arbeitnehmerin E... mit einer bestimmten Stundenzahl lässt sich auch nicht aus den zitierten Bestimmungen des Tarifvertrages der Chemischen Industrie ableiten.

(a) Dies gilt zum einen dann, wenn man mit dem Arbeitsgericht annimmt, die Tarifbestimmung räume dem Betriebsrat kein zwingendes Mitbestimmungsrecht ein, ermächtige nur zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen, gehe nicht von einem Initiativrecht des Betriebsrats aus. Hierfür spricht auch nach Auffassung der Beschwerdekammer vieles. Letztlich kann dies aber dahinstehen.

(b) Ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats besteht zum anderen in der vorliegenden Konstellation auch dann nicht, wenn die tarifliche Bestimmung dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht einräumen würde. Der Arbeitgeber hätte nämlich vorliegend nicht tarif- oder mitbestimmungswidrig für eine Arbeitnehmergruppe eine abweichende Arbeitszeitbestimmung im Sinne dieser Tarifvorschrift getroffen.

(c) Dies gilt zunächst, wenn die Arbeitnehmerin E... nicht Mitglied der Gewerkschaft IG BCE, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat, ist, wie die Antragstellerin anführt. Dann wird sie von den Bestimmungen des Tarifvertrages über die regelmäßige Arbeitszeit - § 2 I. Ziff. 1 und 2 - nicht erfasst. Bei diesen Bestimmungen handelt es sich nämlich um Inhaltsnormen im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG, die ein Arbeitsverhältnis nur erfassen, wenn beiderseitige Tarifgebundenheit vorliegt (Löwisch/Rieble, TVG, 2. Aufl. 2004, § 1 Rn. 113; Wiedemann, TVG, 6. Aufl. 1999, § 1 Rn. 581; Schaub in Erfurter Kommentar, 5. Aufl. 2005, § 1 TVG Rn. 92 ff.; Henssler in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 1 TVG Rn. 45 ff.). Anderes würde nur dann gelten, wenn die Tarifbestimmung hinsichtlich der Menge der Arbeitszeit einen Bezug zur Gesamtbelegschaft herstellen würde, weil nur dann eine betriebseinheitliche Regelung durch die Festsetzung des Verhältnisses zur Gesamtbelegschaft erforderlich wäre (BAG vom 17.06.1997, 1 ABR 3/97, EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 4). Einen solchen Bezug stellt der Tarifvertrag in den Bestimmungen des § 2 I Ziff. 1 und 3 aber nicht her. Handelt es sich aber um eine Inhalts- und nicht um eine Betriebsnorm im Sinne der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 TVG, dann sind abweichende Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und einem nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer zulässig, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um günstigere oder ungünstigere Regelungen handelt. Eine solche abweichende Vereinbarung haben die Antragstellerin und die Arbeitnehmerin E... aber unzweifelhaft getroffen.

(d) Entgegen der Ansicht des Antragsgegners führt auch die Bestimmung der Ziffer 3 in § 2 I des Tarifvertrages nicht dazu, dass eine notwendig einheitliche Regelung im Sinne einer Betriebsnorm entstünde. Es handelt sich auch insoweit nicht um eine Regelung, die nur einheitlich gelten kann und bei der eine individualrechtliche Regelung "wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit" ausscheiden würde (dies verlangt BAG vom 17.06.1999, a.a.O., unter B.1.a. der Gründe). Insbesondere haben die Tarifparteien auch durch diese Bestimmung keine Regelung über die Gesamtarbeitszeit des Betriebs getroffen, haben keine Quote für abweichende Arbeitszeiten festgelegt. Damit erfasst auch diese Bestimmung das Einzelarbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin E... nicht in dem Sinne, dass sie individuelle abweichende Arbeitszeitvereinbarungen verbieten würde, wenn die Arbeitnehmerin E... nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist.

(e) Zwar handelt es sich bei der Bestimmung insoweit um eine betriebsverfassungsrechtliche Norm im Sinne der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 TVG, als hierdurch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für abweichende Arbeitszeitregelungen festgelegt wird, das über § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG hinausgeht. Dieses Mitbestimmungsrecht betrifft allerdings nicht Individualregelungen der Arbeitnehmer ohne kollektiven Bezug. Dies lässt sich sowohl am Wortlaut als auch an der systematischen Auslegung erkennen. Die Tarifbestimmung erlaubt nämlich nicht nur die Festlegung längerer Arbeitszeiten im Verhältnis zur regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit, sondern in gleicher Weise die Festlegung von bis zu zweieinhalb Stunden kürzerer Arbeitszeit. Beide Begriffe - längere oder kürzere regelmäßige Arbeitszeit - stehen ohne Differenzierung nebeneinander. Es spricht aber nichts dafür, dass die Tarifparteien in dieser Bestimmung die einzelvertragliche Festlegung kürzerer Arbeitszeiten auf Wunsch des Arbeitnehmers, also die Vereinbarung von Teilzeit, hätten untersagen oder der Mitbestimmung des Betriebsrats unterwerfen wollen. Wenn sie dies bei Arbeitsverkürzung aber nicht wollten, spricht nichts dafür, dass für die einzelvertragliche Vereinbarung längerer Arbeitszeiten anderes gelten sollte.

(f) Vorliegend ist ein "kollektiver Bezug" für die Arbeitszeitregelung der Arbeitnehmerin E... nicht erkennbar. Sie wurde ausdrücklich vor die Wahl gestellt, ob sie im Zusammenhang mit dem Wechsel des Tarifwerkes eine höhere oder eine niedrigere Arbeitszeit wünsche. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie keine Wahlfreiheit hierbei gehabt hätte. Die Beibehaltung einer Arbeitszeit, die die tarifliche um fünf Stunden übertrifft, entsprach ihrer eigenen Wahl. Damit wäre selbst bei Geltung des § 87 Abs. 1 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gegeben. Dies gilt erst recht für § 2 I Ziff. 3 des Tarifvertrages, der zudem mit der Verwendung des Begriffs "Arbeitnehmergruppen" auf kollektive Tatbestände hindeutet.

(g) Damit scheidet eine Verletzung tariflicher Bestimmungen mangels ihrer Anwendbarkeit auf die Arbeitnehmerin E... in jedem Fall aus, wenn diese - was zwischen den Beteiligten umstritten ist - nicht Mitglied der Gewerkschaft IG BCE ist.

(h) Der Anspruch des Betriebsrats ist jedoch auch dann nicht gegeben, wenn eine solche Mitgliedschaft besteht. Wäre dies der Fall, dann würde die einzelvertragliche Absprache zwar möglicherweise gegen die Bestimmungen des Tarifvertrages verstoßen, soweit die Bestimmung des § 2 I Ziff. 1 als Regelung einer Höchstarbeitszeit anzusehen ist, von der Abweichungen nur über die Ausnahmevorschrift des § 2 I Ziffer 3 zulässig sind. Auch dann wäre der Anspruch des Betriebsrats aber nicht begründet. Mit Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass sich die Arbeitgeberin mit der einzelvertraglichen Vereinbarung gerade nicht auf die Bestimmung des § 2 I Ziffer 3 bezogen hat. Sie hat nicht für einzelne Arbeitnehmergruppen abweichende Arbeitszeiten festgelegt, was sie nur gemeinsam mit dem Betriebsrat dürfte. Sie hat zunächst die - ursprünglich wegen der Anwendbarkeit eines anderen Tarifwerkes zulässige - abweichende Arbeitszeit von 40 Stunden nur übernommen und fortgeführt. Sie hat zwar darüber hinaus eine neue Regelung mit noch weiterer Erhöhung der Arbeitszeit mit der Arbeitnehmerin vereinbart. Diese Neuregelung kann sich aber schon deswegen nicht auf § 2 I Ziff. 3 beziehen, weil diese Bestimmung eine über 40 Stunden hinausgehende Wochenarbeitszeit überhaupt nicht gestattet. Die Vereinbarung hat keinen Bezug zur Vorschrift des § 2 I Ziff. 3 des Tarifvertrages, sondern kann - bei hypothetisch unterstellter Mitgliedschaft in der Gewerkschaft - allenfalls § 2 I Ziff. 1 des Tarifvertrages verletzen. Diese Norm hat aber eindeutig keinen betriebsverfassungsrechtlichen Charakter. Sie begründet kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, sondern stellt - wie oben dargelegt - eine übliche Inhaltsnorm des Tarifvertrages dar. Ist eine solche Inhaltsnorm verletzt, kann der Betriebsrat dies nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG rügen; er hat wie dargestellt aber insoweit keinen gerichtlich einklagbaren Anspruch auf Unterlassung gegenüber dem Arbeitgeber.

d. Soweit der Antragsgegner im Hauptantrag Unterlassung einer 37,5 Stunden übersteigenden Arbeitszeit verlangt, spricht noch ein weiterer Gesichtspunkt gegen das Bestehen eines Unterlassungsanspruches des Betriebsrates. Arbeitgeber und Arbeitnehmerin hatten zulässigerweise eine solche Arbeitszeit mit entsprechendem Entgelt schon längere Zeit vor dem Wechsel des Tarifvertrages und der Einstellung in den vom Antragsgegner repräsentierten Betrieb vereinbart. Insoweit hätte der Arbeitgeber beim Eintritt in den neuen Betrieb eine Änderung der Arbeitszeitmenge bezogen auf die Arbeitnehmerin E... gar nicht vorgenommen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestand bei Abschluss der Vereinbarung - im ehemaligen Betrieb - nicht. Wäre der Antrag des Betriebsrates nunmehr begründet, würde dies darauf hinauslaufen, dass dem Arbeitgeber die Durchführung zulässig vereinbarter arbeitsvertraglicher Regelungen im Nachhinein verboten würde. Ein solch weit reichender Unterlassungsanspruch wird jedoch auch unter Berücksichtigung der "Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung" beim Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates nicht einmal im Bereich des § 87 Abs. 1 BetrVG anerkannt. Auch dort muss der Betriebsrat vorgefundene Konstellationen zunächst hinnehmen; er muss, soweit er ein Mitbestimmungsrecht besitzt, in Ausübung dieses Mitbestimmungsrechtes versuchen, eine Änderung herbeizuführen. Er kann nicht verlangen, dass eine zunächst zulässige Handhabung nunmehr untersagt wird. Die Mitbestimmung setzt immer dann ein, wenn der Arbeitgeber eine Änderung im mitbestimmungspflichtigen Bereich vornimmt; sie entfällt, wenn er eine bestimmte Praxis nicht ändert und weiterhin ausübt. Im Übrigen ist der Hauptantrag - Unterlassung der Beschäftigung über 37,5 Stunden - schon deswegen nicht recht verständlich, weil der Betriebsrat selbst in seinen Stellungnahmen nach § 99 BetrVG eine Beschäftigung mit 40 Wochenstunden als zustimmungsfähig bezeichnet hat.

e. Der zuletzt zusätzlich gestellte Hilfsantrag ist ebenfalls nicht begründet. Auch diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmerin E... bereits mit einem gültigen Vertrag über 42,5 Wochenstunden in den vom Antragsgegner repräsentierten Betrieb gewechselt ist. Der Vertragsabschluss stammt aus einem Zeitpunkt, als der Betriebsrat noch nicht für die Arbeitnehmerin E... zuständig war. Damit würde eine Verletzung eines möglichen Mitbestimmungsrechtes selbst dann nicht vorliegen, wenn die Arbeitnehmerin Mitglied der Gewerkschaft wäre. Es verbliebe beim Verstoß gegen den Tarifvertrag. Diesbezüglich Unterlassung einzuklagen ist der Betriebsrat wie dargestellt nicht befugt.

3. Nach alldem hat das Arbeitsgericht zutreffend entschieden. Der Widerantrag ist weder im Hauptsache- noch im Hilfsbegehren begründet und daher abzuweisen, so dass die Beschwerde zurückzuweisen ist. Einer Kostenentscheidung bedarf es im Hinblick auf § 12 Abs. 5 ArbGG nicht.

4. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein gesetzlich begründeter Anlass.

Ende der Entscheidung

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