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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 857/05
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 9 Abs. 1 S. 2
Entfernt ein Filialleiter - entgegen einer Anweisung - abgeschriebene Waren vom Ladengrundstück in der Absicht, sie einige Stunden später bei Arbeitsantritt zu bezahlen und zahlt er den regulären Kaufpreis vor Aufdeckung der Entfernung, rechtfertigt dieses Verhalten regelmäßig weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung noch eine Auflösung.
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 Sa 857/05 Verkündet am 15. August 2006

in dem Rechtsstreit

wegen: Kündigung

Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof.Dr.Dr. Holzer-Thieser und die ehrenamtlichen Richter Erhardt und Adacker aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. August 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 07.06.2005 - Az. 2 Ca 1591/04 - abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 22.11.2004 weder fristlos zum 22.11.2004 noch ordentlich zum 31.05.2005 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Vertragsbedingungen als Filialleiter bis zur Rechtskraft dieses Urteils weiterzubeschäftigen.

4. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird abgewiesen.

5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) zu tragen.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten mit Schreiben vom 22.11.2004 ausgesprochenen außerordentlichen, vorsorglich ordentlichen Kündigung zum 31.05.2005, einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers und in der Berufungsinstanz zusätzlich auch über ein Auflösungsbegehren der Beklagten. Der Kläger ist Leiter eines von dem beklagten Filialunternehmen betriebenen Verkaufsmarktes mit 12 unterstellten Mitarbeitern. Kündigungsgrund ist die am Morgen des 22.11.2004 erfolgte Mitnahme des Klägers von abgeschriebenen und bereits aus den Verkaufsräumen verbrachten Waren (zwei Dosen Thunfisch, ein Netz Orangen, ein Granatapfel); der Kläger zahlte am 22.11.2004 bei Beginn seines Dienstes um 14.00 Uhr die mitgenommenen Waren. Die Beklagte stützt die Kündigung auf Diebstahl, hilfsweise Diebstahlsverdacht sowie die Verletzung des Verbots, Waren ohne sofortige Bezahlung mitzunehmen.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens und der Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils vom 07.06.2005 (Bl. 39-41 d.A.) Bezug genommen. Gegen das dem Kläger am 05.10.2005 zugestellte klageabweisende Urteil hat er mit Schriftsatz vom Montag, den 07.11.2005, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 10.11.2005, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen, begründet.

In der Berufungsinstanz beantragt der Kläger:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 07.06.2005, AZ: 2 Ca 1591/04, wird in den Nummern 1 und 2 abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.11.2004 weder fristlos zum 22.11.2004 noch ordentlich zum 31.05.2005 aufgelöst worden ist.

3. Für den Fall des Obsiegens hinsichtlich Ziffer 1 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten Vertragsbedingungen als Filialleiter weiterzubeschäftigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2005 aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

den Auflösungsantrag abzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 10.11.2005 (Bl. 61-71 d.A.), 09.02.2006 (Bl. 83-87 d.A.) und vom 10.08.2006 (Bl. 92-94 d.A.) sowie den Schriftsatz der Beklagten vom 20.12.2005 (Bl. 79-82 d.A.) und das Sitzungsprotokoll vom 15.08.2006 (Bl. 96-99 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist abzuweisen.

A. Die außerordentliche Kündigung vom 22.11.2004 hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.

I. Die Beklagte stützt die außerordentliche Kündigung auf einen Diebstahl, hilfsweise den dringenden Tatverdacht, der Kläger habe Waren in der Absicht einer rechtswidrigen Zueignung an sich genommen, sowie auf die Verletzung des Verbots, Waren ohne sofortige Zahlung mitzunehmen. Diese Gründe rechtfertigen die außerordentliche Kündigung nicht.

II. Die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung beurteilt sich nach § 626 BGB.

1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ist dann gemäß § 626 Abs. 1 BGB rechtmäßig, wenn wirksam in den Prozess eingeführte Tatsachen vorliegen, die an sich, also unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles, einen Kündigungsgrund darstellen, und eine Abwägung der für und gegen eine Kündigung sprechenden Interessen der Parteien des Arbeitsvertrages unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles stattfindet und zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses "bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann".

2. Die Prüfung des wichtigen Grundes erfolgt dabei in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten, nämlich einmal, "ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben", zum anderen, "ob bei der Berücksichtigung dieser Umstände und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist" (BAG, DB 84, 2702; vgl. auch BAG vom 12.08.1999 - 2 AZR 923/98 -). Diese Abgrenzung dient der Rechtssicherheit, weil sie die Anwendung des Rechtsbegriffs des wichtigen Grundes überschaubarer macht (ständige Rechtsprechung des BAG, z.B. NZA 04, 486).

3. Einem Fehlverhalten kommt dabei die Qualität eines Kündigungsgrundes an sich nur zu, wenn es - jedenfalls in der Regel - rechtswidrig und schuldhaft ist und von ihm konkrete Störungen im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit der Mitarbeiter, im Vertrauensbereich der Parteien oder im Unternehmensbereich ausgehen (ständige Rechtsprechung des BAG, z.B. DB 85, 656). Der Vertrauensbereich betrifft nicht das Vertrauen des Arbeitgebers in die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder in dessen Vermögen oder Willen zur korrekten Arbeitsausführung, sondern den Glauben an die Gutwilligkeit, Loyalität und Redlichkeit des Arbeitnehmers (LAG Köln MDR 95, 394). Das Vertrauen kann nicht nur wegen einer erwiesenen Tat gestört werden, sondern auch wegen des Verdachts einer Pflichtverletzung (ständige Rechtsprechung des BAG, z.B. Urteil vom 05.04.2001 - NZA 01, 837). Voraussetzung einer so genannten Verdachtskündigung ist, dass der Verdacht objektiv durch bestimmte, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegende Indiztatsachen begründet ist (BAG Urteil vom 14.09.2004 - EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Die subjektive Wertung des Arbeitgebers ist unmaßgeblich (KR-Fischermeier, 6. Aufl. Rdnr. 212 zu § 626 BGB). Der Verdacht muss schwerwiegend sein und es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Pflichtverletzung begangen hat (KR-Fischermeier, a.a.O.).

Die Störungen sind Teil des Kündigungsgrundes an sich und nicht erst ausschließlich bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (BAG, BB 85, 1918).

Bei der Prüfung des Kündigungsgrundes ist von großer Bedeutung, dass nach heute überwiegender Ansicht der Kündigungsgrund (auch der Grund für eine außerordentliche Kündigung) seiner Natur nach zukunftsbezogen ist (z.B. BAG, DB 91, 1226; BB 92, 1481; DB 92, 2447; BB 95, 1090; NZA 97, 487; BAG DB 97, 2387; LAG Hamm, NZA 97, 1056; LAG Berlin, MDR 98, 786; LAG Köln , ZTR 99, 274; Herschel, in: Festschrift für G. Müller, Seite 202 f.; Münchner Kommentar zum BGB, Anm. 217 ff. vor § 620; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, Diss. Köln 1987, Seite 327; Preis, DB 88, 1388; Weiß, Anm. zu EzA Nr. 10 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; Preis-Stoffels, RdA 96, 210; Adam, NZA 98, 284). Nicht was war, entscheidet für sich betrachtet, vielmehr kommt es auf die Auswirkungen für die Zukunft an (Herschel, a.a.O.) Insoweit unterscheidet sich eine Kündigung grundlegend von dem durch ein Strafurteil beabsichtigten Zweck. Nicht das Fehlverhalten als solches, sondern nur dessen Auswirkungen können für eine Kündigung den Ausschlag geben (Weiß, a.a.O.). Die Kündigung ist keine Sanktion auf vergangenes Verhalten, sondern ein "Instrument der Regulierung der Zukunft" (Herschel, a.a.O.). Vergangenes kann bei der Bewertung des Kündigungsgrundes nur in zweierlei Weise effektiv werden: Zum einen kann ein zurückliegendes Ereignis eine Dauerwirkung erzeugen, zum anderen kann bezüglich eines früheren Ereignisses Wiederholungsgefahr bestehen (Herschel, a.a.O. und Anm. zu AP Nr. 78 zu § 626 BGB; BAG, BB 95, 1090; DB 97, 2387). Zur Begründung der Negativprognose "bedarf es einer zweistufigen Prüfung: Zunächst ist das in der Vergangenheit liegende vertragswidrige Verhalten festzustellen und zu würdigen, weil dies die notwendige Basis für die Zukunftsprognose ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob durch die Vertragsverletzung das Vertragsverhältnis auch künftig beeinträchtigt ist bzw. ob das Risiko weiterer Vertragsverletzungen droht" (Preis, a.a.O., Seite 328 f.).

4. Die in der zweiten Prüfungsstufe vorzunehmende Interessenabwägung betrachtet die Faktoren, die in ihrer Gesamtheit das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bzw. das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung begründen. Das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist als vorgehend zu bewerten, wenn dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, den Arbeitnehmer bis zum Ende der Kündigungsfrist zu beschäftigen.

Eine solche Unzumutbarkeit scheidet allerdings aus, wenn dem Arbeitgeber ein milderes Mittel als die Kündigung zur Verfügung steht, um die zukünftig befürchteten Störungen zu vermeiden (sog. Ultima-Ratio-Prinzip). Hierzu zählt auch eine Abmahnung, mit der dem Arbeitnehmer für den Fall der Wiederholung des beanstandeten Verhaltens die Kündigung angedroht wird. Eine Abmahnung muss aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers im Wege eines Prognoseurteils geeignet sein, die zukünftig für den Fall des Nichtausspruchs einer Kündigung befürchteten Störungen zu vermeiden. Eine solche Eignung besteht auch bei Störungen im Vertrauensbereich, wenn ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt und wenn eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG DB 97, 2386; DB 99, 1324). Eine Wiederherstellung des Vertrauens ist regelmäßig dann als wahrscheinlich zu erwarten, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten werde nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (BAG NZA 02, 1030; NZA 04, 488). Dies ist anhand der Gesamtumstände des Einzelfalles zu beurteilen (BAG NZA 04, 488).

5. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Kündigungsgründe trifft den Arbeitgeber.

III. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall kommt die Kammer zum Ergebnis, dass für die außerordentliche Kündigung ein ausreichender Grund nicht vorliegt.

1. Die Beklagte hat das Vorliegen eines Diebstahls oder einer Unterschlagung (rechtswidrige Zueignung) nicht dargelegt. Der Kläger hat ca. 3 1/2 Stunden nach der Wegnahme der Waren bei Beginn seiner Tätigkeit die Waren ohne Aufforderung oder Hinweis durch einen Dritten bezahlt. Bei dieser Sachlage kann nicht als wahr im Sinn des § 286 Abs. 1 ZPO angenommen werden, der Kläger habe bei der Wegnahme der Waren die Absicht der rechtswidrigen Zueignung gehabt.

Damit fehlt es bereits am Grund an sich.

2. Auch soweit die Beklagte die Kündigung auf den Verdacht stützt, der Kläger habe im Zeitpunkt der Wegnahme der Waren die Absicht der rechtswidrigen Zueignung gehabt, fehlt es bereits am Grund an sich.

Die Beklagte hat nicht ausreichend Umstände vorgetragen, aus denen abgeleitet werden kann, der Kläger habe mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Wegnahme eine rechtswidrige Zueignungsabsicht gehabt.

Der Kläger hat dargelegt, aufgrund welcher Umstände er von einer sofortigen Zahlung abgesehen und erst um 14.00 Uhr bezahlt hat (geplante Aufnahme seines Dienstes um 14.00 Uhr, Wartezeit von 15 bis 20 Minuten an der Kasse wegen einer Werbeaktion). Dieser Vortrag des Klägers ist für die Entscheidung zu berücksichtigen. Die Beklagte hat die Behauptung des Klägers bezüglich der Wartezeit zwar bestritten, doch ist dies unbeachtlich, da die Beklagte für das Vorliegen der Kündigungsgründe die Beweislast trifft. Die Beweislast erstreckt sich auch auf das Nichtvorliegen der vom Kläger zu seiner Entlastung vorgetragenen Umstände. Die vom Kläger für sein nicht sofortiges Zahlen vorgetragenen Argumente sind nachvollziehbar und durchaus plausibel. Jedenfalls kann aufgrund des Vortrags des Klägers nicht angenommen werden, eine große Wahrscheinlichkeit spreche für eine rechtswidrige Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Wegnahme der Waren (§ 286 Abs. 1 ZPO).

Ist aber vom Fehlen einer rechtswidrigen Zueignungsabsicht auszugehen, besteht kein an sich geeigneter Kündigungsgrund.

Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage nicht, wie bei einer anderen Fallvariante, nämlich bei Vorliegen einer ursprünglich rechtswidrigen Zueignungsabsicht, der Umstand hätte bewertet werden müssen, dass der Kläger um 14.00 Uhr die Waren bezahlt hat.

3. Soweit die Beklagte die Kündigung auch darauf stützt, der Kläger habe die Pflicht zur sofortigen Zahlung verletzt, führt dies zur Bejahung eines Grundes an sich, da jede Pflichtverletzung einen Verstoß im Leistungsbereich darstellt und zu befürchten ist, dass der Kläger den Verstoß zukünftig wiederholen wird. Diese Pflichtverletzung ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die außerordentliche Kündigung aus diesem Grund ist aber unverhältnismäßig. Der Beklagten stand ein milderes Mittel zur Verfügung, um die befürchtete Wiederholung und damit eine zukünftige weitere Störung im Leistungsbereich zu vermeiden. Die Beklagte hätte den Kläger abmahnen und ihm damit klar vor Augen führen können, dass im Wiederholungsfall der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. Es sind keine Anhaltspunke gegeben, dass eine Abmahnung vom Kläger nicht beachtet werden würde, zumal der Kläger ja bereits beim Gespräch mit dem Verkaufsleiter C... ein Fehlverhalten eingeräumt hat.

Im Übrigen würde sich bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls eine außerordentliche Kündigung lediglich wegen der verspäteten Zahlung angesichts des Lebensalters des Klägers (51 Jahre) und der Betriebszugehörigkeitsdauer des Klägers (12 Jahre) und der nicht erheblichen Störung auf Seiten der Beklagten als überzogene Maßnahme darstellen. Dies gilt auch bei Einbeziehung des Vortrags der Beklagten in der Berufungsinstanz, der Kläger habe bereits in der Vergangenheit abgeschriebene Waren auf die Rampe geschafft und zu einem Fantasiepreis an Dritte verkauft. Dieser Vortrag ist unsubstantiiert. Es lässt sich nicht erkennen, ob und welche Schäden der Beklagten entstanden sind und ob der Kläger - wie am 22.11.2004 - nur Verfahrensregelungen missachtet hat. Auch ist nicht ausgeführt, welche Verfahrensregelungen im Zeitpunkt der pauschal behaupteten Verstöße des Klägers überhaupt gegolten haben.

Der Beklagten ist zuzumuten, den Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

4. Damit liegt eine wirksame außerordentliche Kündigung nicht vor.

B. Die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 22.11.2004 zum 31.05.2005 ist ebenfalls unwirksam.

I. Auch eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung setzt gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG einen an sich geeigneten Kündigungsgrund und eine umfassende Interessenabwägung voraus.

Eine ordentliche Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber zukünftige Störungen befürchtet, die er nicht durch ein milderes Mittel abwenden kann. Die Voraussetzungen einer wirksamen verhaltensbedingten Kündigung entsprechen denen der außerordentlichen Kündigung und unterscheiden sich im Wesentlichen nur dadurch, dass die Weiterbeschäftigung nicht nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, sondern auf Dauer unzumutbar sein muss.

II. Gründe für eine ordentliche Kündigung liegen nicht vor.

1. Soweit die Kündigung auf die rechtswidrige Zueignung bzw. den Verdacht einer rechtswidrigen Zueignung gestützt wird, fehlt es wiederum bereits am Grund an sich. Für die Entscheidung kann - wie oben ausgeführt - nicht von einer Absicht der rechtswidrigen Zueignung bzw. einem entsprechenden Verdacht ausgegangen werden.

2. Der weitere Kündigungsgrund (Unterlassen einer sofortigen Zahlung) rechtfertigt ebenfalls nicht die ordentliche Kündigung.

Zwar liegt hier eine schuldhafte Pflichtverletzung und damit ein Grund an sich (wie bei der außerordentlichen Kündigung) vor, doch ist es der Beklagten zumutbar, den Kläger auch über den 31.05.2005 hinaus zu beschäftigen. Nach den oben zur außerordentlichen Kündigung dargestellten Grundsätzen ist eine Abmahnung aller Wahrscheinlichkeit nach geeignet, die von der Beklagten befürchteten Zukunftsstörungen zu vermeiden. Damit entfällt mangels Abmahnung auch die Berechtigung einer ordentlichen Kündigung.

C. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist abzuweisen.

I. Nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG hat das Gericht bei Vorliegen einer sozial ungerechtfertigten ordentlichen Kündigung auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

Als Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen, kommen nur Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitgeber, die Wertung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, seiner Leistungen oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben, etwa als Vorgesetzter, und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen (BAG Urteil vom 14.10.1954, AP Nr. 6 zu § 3 KSchG 1951). Als Auflösungstatsachen können auch solche Umstände geeignet sein, die der Arbeitgeber zur Stützung der Kündigung vorgetragen hat, die die Kündigung aber selbst nicht rechtfertigen (BAG Urteil vom 16.05.1984 - EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 16 m.w.N.). Der darlegungsbelastete Arbeitgeber muss in einem solchen Fall darlegen, welche der zur Kündigung vorgetragenen Tatsachen auch für den Auflösungsantrag herangezogen werden sollen (KR-Spilger, a.a.O., Rdnr. 58 zu § 9 KSchG). Der Vortrag muss konkret sein. Schlagwortartige Formulierungen genügen nicht (BAG Urteil vom 16.05.1984 - a.a.O.).

II. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall kommt die Kammer zum Ergebnis, dass die Beklagte ausreichende Auflösungsgründe nicht vorgetragen hat.

1. Der Hinweis der Beklagten, es handele sich bei der Mitnahme von Waren ohne sofortige Bezahlung um "eine schwere Pflichtverletzung (Todsünde)", stellt eine Wertung und keinen Tatsachenvortrag dar.

2. Das weitere Argument, der Kläger sei nicht mehr geeignet, Anweisungen bei seinem Personal durchzusetzen, rechtfertigt ebenfalls die Auflösung nicht.

Es ist nicht erkennbar, warum dem Kläger zukünftig die Autorität abzusprechen sein soll, bei den Mitarbeitern Anweisungen durchzusetzen. Nach Aktenlage besteht - wie oben ausgeführt - ja kein hinreichender Verdacht einer im Zeitpunkt der Warenentfernung vorliegenden Absicht der rechtswidrigen Zueignung. Der Kläger hat mit der Mitnahme der Waren ohne sofortige Bezahlung zwar eine vertragliche Pflicht verletzt, doch ist nicht nachvollziehbar, warum dieser Fehler, den der Kläger selbst eingesehen hat, seine untergebenen Mitarbeiter dazu verleiten könnte, Anweisungen des Klägers zu missachten. Vorgesetzte verlieren nicht per se ihre Autorität dadurch, dass sie selbst einmal eine Pflichtverletzung begangen haben, die den Arbeitgeber in keiner Weise wirtschaftlich geschädigt hat. Im Übrigen wird die Beklagte bei Rückkehr des Klägers auf seinen Arbeitsplatz durch angemessene Aufklärung über die Rechtsmeinung des erkennenden Gerichts wesentlich zur Akzeptanz des Klägers durch seine Mitarbeiter beitragen können.

3. Damit ist der Auflösungsantrag abzuweisen.

D. Auch der Weiterbeschäftigungsanspruch ist dem Kläger zuzusprechen.

I. Nach allgemeiner Meinung besteht während eines Kündigungsschutzverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss ein Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergeht und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiterzubeschäftigen (z.B. BAG Urteil vom 27.02.1985 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9).

II. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

Aufgrund des Obsiegens mit seinen Feststellungsanträgen, der Abweisung des Auflösungsantrags der Beklagten und dem fehlenden Vortrag der Beklagten zu einem überwiegenden Interesse an einer Nichtbeschäftigung des Klägers ist die Beklagte auf Antrag des Klägers zur Weiterbeschäftigung als Filialleiter zu unveränderten Vertragsbedingungen zu verurteilen.

Die Verurteilung erfolgt zeitlich begrenzt bis zur Rechtskraft des vorliegenden Urteils, dies ist zur Klarstellung im Tenor auszusprechen.

Nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils steht dem Kläger der allgemeine, sich aus Art. 1, Art. 2 GG, §§ 611, 242 BGB ergebende Beschäftigungsanspruch zu, der seine Grundlage in dem dann unstreitig bestehenden Arbeitsvertrag hat.

E. Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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