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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 18.09.2006
Aktenzeichen: 7 Ta 169/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 148
ZPO § 355
1. Die Entscheidung über einen Aussetzungsantrag gem. § 148 ZPO steht im Ermessen des Gerichts, das vom Beschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden darf, ob die Ermessensgrenzen eingehalten sind.

2. Es bedeutet eine Überschreitung der Ermessensgrenzen, wenn die Ablehnung der Aussetzung der Verhandlung bezüglich einer Klage über Annahmeverzugslohn für den Zeitraum nach dem Kündigungstermin damit begründet wird, im bereits zugunsten des Arbeitnehmers entschiedenen (noch nicht rechtskräftigen) Kündigungsschutzprozess seien Zeugen vernommen worden und damit stehe auch der Annahmeverzug für das Erstgericht fest.

3. Im Beschwerdeverfahren hat eine Kostenentscheidung nicht zu ergehen.


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG BESCHLUSS

7 Ta 169/06 Nürnberg, den 18. September 2006

in dem Rechtsstreit

wegen: Forderung

hier: Aussetzung des Verfahrens

Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Prof. Dr. Dr. Holzer-Thieser ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 20.07.2006 aufgehoben.

2. Die Verhandlung wird bis zur rechtskräftigen Erledigung des beim Landesarbeitsgericht Nürnberg anhängigen Verfahrens 7 Sa 274/06 ausgesetzt.

Gründe:

1. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

a) Gemäß § 148 ZPO darf das Gericht die Verhandlungsaussetzung beschließen, falls die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreites bildet. Der eigentliche Zweck des § 148 ZPO ist es, die doppelte Prüfung derselben Rechtsfragen zu vermeiden. Die Aussetzungsentscheidung steht im Ermessen des Gerichts (h.M., z.B. Zöller u.a., ZPO-Komm., 23. Aufl., Rdnr. 7 zu § 148; LAG Nürnberg Beschluss vom 27.02.2003 - 7 Ta 12/03 - AR-Blattei ES 160.7 Nr. 218). Der Umstand, dass dem Erstgericht auf der Rechtsfolgenseite des § 148 ZPO ein Ermessen eingeräumt ist und es sich hier nicht nur um einen rechtlich gebundenen Beurteilungsspielraum handelt, wie er oft bei Prüfungen auf der Rechtsvoraussetzungsseite der Norm vorliegt, hat Auswirkungen auf die Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts. Das Beschwerdegericht hat den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (MK-ZPO, 2. Aufl., Rdnr. 26 zu § 252). Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Entscheidung über einen Aussetzungsantrag überschritten hat (OLG Düsseldorf, NJW 85, 1967).

b) Das Erstgericht hat sein pflichtgemäßes Ermessen überschritten. Es hat verkannt, dass es für die Entscheidung über die vorliegende Leistungsklage eine erneute Beweisaufnahme zur Frage der Wirksamkeit der vorgreiflichen Kündigungen vom 18. und 24.11.2003 (und eventuell des Auflösungsantrags) durchführen müsste. Die im Verfahren 7 Ca 11200/03 W erstellten Zeugenvernehmungsprotokolle darf das Arbeitsgericht zwar urkundenbeweislich im vorliegenden Verfahren würdigen (Baumbach/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., Rdnr. 64 zu § 286; MünchKommZPO/Musielak, 2. Aufl., Rdnr. 9 zu § 355; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., Rdnr. 9 zu § 373). Es darf aber nicht das im Schriftsatz der Beklagten vom 03.07.2006 enthaltene Beweisangebot für das vorliegende Verfahren auf Zeugenvernehmung bezüglich der die Kündigung bedingenden Tatsachen übergehen (Baumbach/Hartmann, a.a.O., Rdnr. 66 zu § 286; MünchKomm ZPO/Musielak, a.a.O.; Zöller/Greger, a.a.O.). Denn es handelt sich bei dem Beweisantrag nicht um einen Antrag auf wiederholte Zeugenvernehmung, den das Gericht gemäß § 398 Abs. 1 ZPO ablehnen könnte, sondern um einen neuen, vom Gericht zu beachtenden Beweisantritt (BGH NJW 95, 2857; Baumbach/Hartmann, a.a.O., Rdnr. 66 zu § 286).

Andernfalls liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 ZPO) vor. Dieser Grundsatz wird auch dann verletzt, wenn beide Verfahren von derselben Kammer des Arbeitsgerichts entschieden werden, denn maßgeblich kommt es darauf an, ob verschiedene Verfahren vorliegen (Baumbach/Hartmann, a.a.O., Rdnr. 66 zu § 286). Allen Prozessbeteiligten muss in jedem Verfahren die Möglichkeit gegeben werden, dem Zeugen Fragen zu stellen und Vorhalte zu machen (MünchKomm ZPO/Musielak, a.a.O.; Zöller/Greger, a.a.O.). Dies muss insbesondere dann gelten, wenn ein Spruchkörper in unterschiedlicher Besetzung entscheidet, wie dies bei den Gerichten für Arbeitssachen regelmäßig der Fall ist.

Die Notwendigkeit einer erneuten Beweisaufnahme ist im Rahmen der hier anzustellenden Ermessensentscheidung das wesentliche Argument. Mit der Nichtberücksichtigung dieses Arguments hat das Erstgericht die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten.

Damit hat das Beschwerdegericht die Aussetzungsentscheidung zu treffen.

Dem Argument der Vermeidung einer erneuten Beweisaufnahme im vorliegenden Verfahren kommt angesichts des Umfangs der Beweisfragen die entscheidende Bedeutung zu.

Demgegenüber kann der Kläger zur Stützung seiner Meinung, eine Aussetzung müsse unterbleiben, auf keine gewichtigen Argumente verweisen. Bei Unterlassen einer Aussetzung wird eine beschleunigte Erledigung kaum erreicht werden können, denn bei Durchführung einer vollen Beweisaufnahme ist nur schwerlich eine Entscheidung zu erwarten, die wesentlich früher als das Berufungsurteil (7 Sa 274/06) ergeht. Die Trennung des ursprünglich einheitlichen Verfahrens ist kein wesentlicher Gesichtspunkt gegen eine Aussetzung; durch die Trennung ist der Rechtsstreit in zwei in jeder Hinsicht selbständige Verfahren aufgeteilt worden. Schließlich kann in dem Vergleich vom 26.07.2006 kein für die Ermessensentscheidung maßgebliches Argument gesehen werden, denn letztlich läuft dieser Vergleich auf eine Vorleistungspflicht der Beklagten aufgrund eines Urteils hinaus, das das Erstgericht offensichtlich ohne die erforderliche gesonderte Beweisaufnahme zu erlassen beabsichtigt. Dieser (beabsichtigte) Verfahrensfehler wird durch die Aussetzung vermieden.

Damit ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 20.07.2006 aufzuheben und die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits 7 Sa 274/06 auszusprechen.

2. Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen, weil die Ausgangsentscheidung des Arbeitsgerichts als Teil der Hauptsache keine Kostenentscheidung enthalten durfte (MünchKomm ZPO/Lipp, 2. Aufl., Aktualisierungsband, Rdnr. 34 zu § 572; Thomas-Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., Rdnr. 24 zu § 572) und das Beschwerdeverfahren daher nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt (MünchKomm ZPO/Lipp, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 12.12.2005, Az.: II ZB 30/04). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens die in der Sache unterliegende Partei gemäß §§ 91 ff. ZPO zu tragen hat (BGH a.a.O.; Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., Rdnr. 24 zu § 572).

Ende der Entscheidung

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