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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 05.01.2004
Aktenzeichen: 9 Ta 162/03
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 130
KSchG § 5
1.

Ein durch Bote nach ortsüblicher, jedoch noch zu allgemein üblicher Postzustellzeit in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers eingeworfenes Kündigungsschreiben geht diesem noch am selben Tag zu.

2.

Erfährt der Arbeitnehmer hiervon erst im Gütertermin, kann ein Antrag zur nachträglichen Klagezulassung nebst Begründung und eventueller Glaubhaftmachung in der mündlichen Verhandlung gestellt werden und ist gem. § 160 Abs. 2 ZPO in das Protokoll aufzunehmen.


9 Ta 162/03

IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

wegen Kündigung

Die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Roth ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.05.2003 - Az.: 6 Ca 6139/02 - aufgehoben.

2.

Die Kündigungsschutzklage vom 09.07.2002 wird nachträglich zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger war bei der Beklagten, in deren Betrieb regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind, seit dem 01.08.1998 als Controller tätig.

Ihm wurde vom 17.06. bis 05.07.2002 Urlaub bewilligt.

Mit Schreiben vom 17.06.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2002. Die Beklagte veranlasste den Einwurf des Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten des Klägers am 17.06.2002 per Boten vormittags um 10.30 Uhr.

Mit Telefax vom 09.07.2002 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Nürnberg Kündigungsschutzklage erhoben und in der Klage ausgeführt, die Kündigung vom 17.06.2002 sei ihm am 18.06.2002 zugegangen.

In der Güteverhandlung vom 01.08.2002 hat die Beklagtenvertreterin den Einwurf des Kündigungsschreibens am 17.06.2002 per Boten vormittags um 10.30 Uhr behauptet. Die Klägervertreterin hat im Hinblick darauf vorsorglich die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beantragt. Weitere Erklärungen der Parteien bzw. ihrer Vertreter sind nicht zu Protokoll genommen worden.

Der Kläger behauptet in dem Beschwerdeverfahren, nach der Berufung auf die Verfristung der Klage seitens der Beklagtenvertreterin im Gütetermin vom 01.08.2002 habe er dargelegt, sich vom 15.06. bis 06.07.2002 mit dem Wohnmobil in Urlaub befunden zu haben und deswegen nicht wissen zu können, wann das Kündigungsschreiben tatsächlich in seinem Hausbriefkasten eingeworfen worden sei. Aufgrund seines Urlaubs sei er nicht in der Lage gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt Klage einzureichen.

Mit Beschluss vom 01.08.2002 ist den Parteien aufgegeben worden, bis 30.10.2002 auf die Klage zu erwidern und bis 29.11.2002 zur Klageerwiderung Stellung zu nehmen.

In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 29.11.2002 hat der Kläger auf die an seinem Wohnsitz seit vier Jahren regelmäßige Postzustellung zwischen 8.00 Uhr und 9.00 Uhr hingewiesen und einen Zugang des Kündigungsschreibens erst zum 18.06.2002 näher begründet. Er hat nochmals vorsorglich die nachträgliche Klagezulassung beantragt und sich auf seine bereits im Gütetermin behauptete Urlaubsabwesenheit berufen. Zur Glaubhaftmachung wird eine diesbezügliche eidesstattliche Versicherung des Klägers sowie ein Mietvertrag über ein Wohnmobil für die Zeit vom 16.06. bis 06.07.2002 vorgelegt.

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat zur Frage des Zeitpunkts des Einwurfs der Kündigung in den Hausbriefkasten des Klägers Beweis erhoben durch Einvernahme zweier Zeugen im schriftlichen Verfahren.

Mit Beschluss vom 23.05.2003 hat das Erstgericht den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage zurückgewiesen und dies damit begründet, der Kläger habe nicht innerhalb der gesetzlichen Frist die Gründe für die beantragte nachträgliche Zulassung dargelegt und die Mittel der Glaubhaftmachung bezeichnet.

Gegen den dem Kläger am 11.06.2003 zustellten Beschluss hat er mit Telefax vom 25.06.2003 sofortige Beschwerde eingelegt. Diese ist vom Erstgericht ohne vorgeschriebene Nichtabhilfeentscheidung dem Landesarbeitsgericht Nürnberg vorgelegt worden. Mit Beschluss des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 16.07.2003 ist die Sache zur Nachholung einer Abhilfeentscheidung unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter an das Arbeitsgericht Nürnberg zurückgegeben worden. Mit Beschluss vom 12.09.2003 hat das Arbeitsgericht Nürnberg der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.

In dem Beschwerdeverfahren ist den Parteien Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben worden.

Bezüglich näherer Einzelheiten wird auf den Inhalt der bei Gericht eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden, §§ 78 Satz 1 ArbGG, 569 ZPO.

2.

Die Beschwerde ist begründet.

Der Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage vom 09.07.2002 ist zulässig und begründet, da die Frist zu Erhebung der Kündigungsschutzklage unverschuldet versäumt worden ist.

a)

Die Kündigung der Beklagten vom 17.06.2002 ist dem Kläger noch am selben Tag zugegangen.

Eine schriftliche Willenserklärung ist nach § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers bzw. eines empfangsbedürftigen Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Da es alleine darauf ankommt, dass für den Empfänger diese Möglichkeit unter gewöhnlichen Verhältnissen besteht, ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände zunächst gehindert war. Dies gilt auch bei urlaubsbedingter Abwesenheit des Arbeitnehmers (so BAG vom 16.03.1988 - 7 AZR 587/87 - EzA Nr. 16 zu § 130 BGB).

Wird eine schriftliche Willenserklärung in dem dafür vorgesehenen Briefkasten des Empfängers eingelegt, dann ist sie spätestens einige Zeit nach dem üblichen Postzustellungszeitpunkt i.S.d. § 130 BGB zugegangen. Arbeitnehmer, die sich vorübergehend zu Hause aufhalten oder zwar arbeiten, jedoch mit Personen zusammen wohnen, die tagsüber nicht dauernd oder für längere Zeit die Wohnung verlassen, überprüfen gewöhnlich alsbald nach der üblichen Postzustellzeit ihren Briefkasten oder lassen ihn durch ihre Mitbewohner überprüfen. Von ihnen ist deshalb nach der Verkehrsanschauung keine Nachschau am späten Nachmittag mehr zu erwarten (vgl. BAG vom 08.12.1983 - 2 AZR 337/82 - AP Nr. 12 zu § 130 BGB).

Wird eine schriftliche Willenserklärung in den Hausbriefkasten des Empfängers erst zu einer Tageszeit eingeworfen, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Adressaten oder einen Mitbewohner nicht mehr erwartet werden kann, so ist die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen. Hierbei kommt es nicht entscheidend darauf an, wann die Post im Zustellbereich des Empfängers üblicherweise ausgeliefert zu werden pflegt. Für die Bestimmung des Zugangszeitpunkts i.S.d. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ist vielmehr die berechtigte Erwartung des Erklärenden entscheidend, wann mit einer Kenntnisnahme des Adressaten vom Erklärungsinhalt gerechnet werden kann. Dies beurteilt sich nach allgemeinen Gepflogenheiten, während es auf eine etwa vorhandene Kenntnis des Erklärenden von konkreten örtlichen oder persönlichen Gegebenheiten des Adressaten nicht ankommt (vgl. LAG Berlin vom 22.01.1999 - 6 Sa 106/98 - n.v.).

Aufgrund der gewöhnlichen Postzustellzeiten in den Vormittagsstunden darf der Erklärende bei der Übermittlung einer Willenserklärung durch Boten berechtigterweise erwarten, dass eine um 10.30 Uhr in den Hausbriefkasten des Adressaten geworfene Willenserklärung von diesem noch am selben Tag zur Kenntnis genommen wird.

b)

Bei Zugang der Kündigung noch im Laufe des 17.06.2002 war die Erhebung der Kündigungsschutzklage am 09.07.2002 nicht mehr fristgerecht, denn die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG war am 08.07.2002 abgelaufen, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Die Frist des § 4 Satz 1 KSchG war einzuhalten, da aufgrund der Dauer der Beschäftigungszeit und der Größe des Betriebes das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG.

c)

Der Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist zulässig. Er konnte zu Protokoll des Arbeitsgerichts erklärt und hilfsweise für den Fall gestellt werden, dass sich der behauptete Einwurfzeitpunkt als richtig erweist. Der Antrag ist innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses, § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG, gestellt worden. Den konkreten Einwurfzeitpunkt hat die Beklagte erst im Gütetermin vom 01.08.2002 mitgeteilt, sodass eine etwaige Versäumung der Klagefrist von dem Kläger erst zu diesem Zeitpunkt erkannt werden konnte. Die Angabe des konkreten Einwurfzeitpunkts auf dem Umschlag des Kündigungsschreibens hat die Beklagte nicht behauptet und kann seitens des Gerichts nicht unterstellt werden.

Entgegen der Ansicht des Erstgerichts hat der Kläger den Antrag i.R.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG ausreichend begründet und Mittel für deren Glaubhaftmachung angegeben. Dies geschah im Gütetermin vom 01.08.2002, ohne dass dies gerichtlich gemäß § 160 Abs. 2, Abs. 3 Ziffer 2 ZPO protokolliert worden ist. In der Beschwerdeschrift vom 25.06.2003 hat der Kläger insoweit vorgetragen, er habe dem Gericht auf Nachfrage sowohl die konkrete regelmäßige Postzustellzeit mitgeteilt als auch die urlaubsbedingte Ortsabwesenheit vom 15.06. bis 06.07.2002 und die daraus resultierende Unkenntnis des tatsächlichen Zugangszeitpunkts der Kündigung. Die Beklagte, der die Beschwerdeschrift am 08.07.2003 zugestellt worden ist, hat diesen Sachvortrag nicht konkret bestritten, weshalb er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Dies wird letztlich auch im letzten Absatz der Nichtabhilfeentscheidung vom 12.09.2003 bestätigt, denn danach hat der Kläger zu den Gründen für die Versäumung der Klagefrist vorgetragen, aber der Vorsitzende keine konkrete Erinnerung mehr, ob die Beklagte den Sachvortrag in tatsächlicher Hinsicht bestritten hat oder nicht.

Kann bereits der Antrag in mündlicher Verhandlung gestellt werden, gilt dies auch für die erforderliche Begründung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Es ist dann Aufgabe des Gerichts, die für die gerichtliche Entscheidung erforderlichen Angaben gemäß § 160 Abs. 2 ZPO ins Protokoll aufzunehmen.

Erklärt sich eine Partei in mündlicher Verhandlung zu den Zulassungsgründen, wird damit mittelbar die Absicht und das Angebot ausgedrückt, im Bestreitensfalle die Richtigkeit der Angaben nötigenfalls eidesstattlich zu versichern (so LAG Hamm vom 18.04.1996 - 5 Ta 285/95 - LAGE Nr. 79 zu § 5 KSchG).Wenn die Beklagte das maßgebliche Tatsachenvorbringen des Klägers - wie im vorliegenden Fall - in keiner Weise bestreitet, kann für die Zulässigkeit des Antrags auf nachträgliche Zulassung die ausdrückliche Angabe von Mitteln der Glaubhaftmachung nicht verlangt werden. Dies wäre eine unnötige Förmelei (so Wenzel, AuR 1976, 325, 327).

d)

Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist begründet.

Gemäß § 5 Abs. 1 KSchG ist eine Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer trotz Aufwendung aller ihm nach Lage der Dinge zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, sie rechtzeitig innerhalb dreier Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben.

Dies ist hier der Fall. Der Kläger ist unverschuldet davon ausgegangen, das in seinen Hausbriefkasten eingeworfene Kündigungsschreiben sei ihm erst am 18.06.2002 zugegangen. Dies deshalb, da der Einwurf des Kündigungsschreibens erst nach der in seinem Zustellbezirk gewöhnlichen Postzustellzeit erfolgte und eine nochmalige Nachschau im Hausbriefkasten üblicherweise nicht mehr stattfand. Da der konkrete Einwurfzeitpunkt auf dem Briefkuvert nicht angegeben war, konnte der Kläger weder bei Anwesenheit am Wohnsitz noch infolge der Urlaubsabwesenheit erkennen, dass das Kündigungsschreiben noch zu allgemein üblicher Postzustellzeit in den Hausbriefkasten eingeworfen worden ist. Durch die Klageeinreichung noch am letzten Tag der von ihm ermittelten Frist hat der Kläger unter Berücksichtigung seiner Urlaubsabwesenheit alles ihm Zumutbare getan, um die Kündigungsschutzklage zeitgerecht einzureichen.

III.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen, § 78 Satz 3 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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