Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 15.11.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 390/06
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 3
ArbGG § 69 Abs. 2
ZPO § 138 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 390/06

Entscheidung vom 15.11.2006

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.04.2006, AZ: 4 Ca 1957/05, wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 25.07.2005, datiert auf den 25.04.2004, zum 28.02.2006 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Elektriker/Gebäudereiniger weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der 1955 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 15.03.1974 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Elektriker/Reiniger beschäftigt.

Ab dem Jahre 1995 hatte der Kläger folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:

1995: 105 Arbeitstage

1996: 83 Arbeitstage

1997: 54 Arbeitstage

1998: 102 Arbeitstage

1999: 19 Arbeitstage

2000: 45 Arbeitstage

2001: 59 Arbeitstage

2002: 61 Arbeitstage

2003: 30 Arbeitstage

2004: 58 Arbeitstage

2005: (bis zum 30.06.2005) 40 Arbeitstage

Mit Schreiben an den Betriebsrat vom 15.07.2005 leitete die Beklagte das Anhörungsverfahren zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 28.02.2006 ein. Das Anhörungsschreiben, hinsichtlich dessen Inhalts nebst den ihm beigefügten Anlagen auf Bl. 19 - 22 d. A. Bezug genommen wird, enthält folgende Angabe: "Kinder lt. Steuerkarte: 0".

Mit Schreiben vom 25.07.2005, welches fälschlicherweise auf den 25.04.2004 datiert wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 28.02.2006. Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 10.08.2005 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25.04.2004, zugegangen am 26.07.2005, nicht beendet worden ist;

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Elektriker/Gebäudereiniger weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 06.04.2006 abgewiesen. Wegen der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 - 10 dieses Urteils (= Bl. 82 - 87 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 18.04.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.05.2006 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 20.06.2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 03.07.2006 begründet.

Der Kläger macht zur Begründung seiner Berufung u. a. geltend, die Kündigung sei bereits nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte - auch bei Berücksichtigung der subjektiven Determination - falsche Angaben zu seinen Unterhaltsverpflichtungen gemacht habe. Die diesbezüglich im Anhörungsschreiben vom 15.07.2005 enthaltene Angabe ("Kinder lt. Steuerkarte: 0") sei eindeutig falsch, da er - dies ist zwischen den Parteien unstreitig - zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet sei. Dem entsprechend sei auf seinen Lohnsteuerkarten spätestens ab dem Jahr 2000 ein Kinderfreibetrag von 1,5 eingetragen gewesen. Die entsprechende Eintragung befinde sich auch auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2005, die der Beklagten vor Kündigungsausspruch vorgelegen habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 06.04.2006 - 4 Ca 1957/05 - abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25.04.2004, zugegangen am 26.07.2005, nicht aufgelöst worden ist;

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Elektriker/Gebäudereiniger weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt u. a. vor, der Umstand, dass dem Betriebsrat bei der Anhörung mitgeteilt worden sei, der Kläger habe laut Steuerkarte keine unterhaltsberechtigten Kinder, sei unschädlich. Zum einen werde bestritten, dass ihr - der Beklagten - diese Daten überhaupt rechtzeitig bekannt gewesen seien. Diesbezüglich habe der Kläger nicht vorgetragen, wann genau er die Lohnsteuerkarte vorgelegt habe. In den Personalsystemen und Akten seien jedenfalls keine Kinder vermerkt gewesen, so dass Zweifel insoweit nicht begründet gewesen seien. Zum anderen habe die Frage der Unterhaltsverpflichtung bei einer personenbedingten Kündigung keine Relevanz. Bei einer Kündigung, bei der - wie vorliegend - keine Sozialauswahl vorzunehmen sei, beschränke sich die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Personalien des Arbeitnehmers auf Lebensalter und Betriebszugehörigkeit; Unterhaltspflichten und Familienstand müssten hingegen nicht mitgeteilt werden.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die von den Parteien im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Die zulässige Klage ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene ordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden. Die Kündigung erweist sich nämlich jedenfalls nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG als unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat vor Kündigungsausspruch nicht ordnungsgemäß angehört hat.

Es ist allgemein anerkannt, dass nicht nur die unterbliebene, sondern auch die fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG führt. Das betriebsverfassungsrechtliche Anhörungsverfahren ist vor jeder Kündigung durchzuführen. Dies bedeutet mehr als bloße Unterrichtung. Die Anhörung hat nämlich den Sinn, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, eigene Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers anzustellen und diesem mitzuteilen. Insbesondere muss dem Betriebsrat die Gelegenheit gegeben werden, über etwaige Widerspruchsgründe zu beschließen. Deshalb muss der Arbeitgeber den Betriebsrat im Rahmen des betriebsverfassungsrechtlichen Anhörungsverfahrens regelmäßig zweifelsfrei über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers informieren. Zur Bezeichnung der Person des Arbeitnehmers gehören in der Regel die grundlegenden sozialen Daten wie Alter, Beschäftigungsdauer und Unterhaltsverpflichtungen. Diese Informationen sind in jedem Kündigungsfall im Rahmen der Interessenabwägung von Bedeutung.

Bei der Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im vorliegenden Fall, dass der Betriebsrat vor Kündigungsausspruch nicht ordnungsgemäß angehört worden ist. Die Beklagte hat nämlich dem Betriebsrat auf dem Anhörungsbogen mitgeteilt, der Kläger habe laut Steuerkarte keine (unterhaltsberechtigten) Kinder. Diese Angabe war unrichtig. Der Kläger hat in seiner Berufungsschrift vorgetragen, dass auf seinen Lohnsteuerkarten seit dem Jahre 2000 ein Kinderfreibetrag von 1,5 eingetragen gewesen sei. Diesem Vorbringen ist die Beklagte nicht entgegen getreten. Sie hat vielmehr lediglich vorgetragen, dass sie bestreite, dass ihr die betreffenden Daten "überhaupt rechtzeitig bekannt" gewesen seien, sowie gerügt, dass der Kläger nicht vorgetragen habe, "wann genau" ihr - der Beklagten - die Lohnsteuerkarte noch vor Ausspruch der Kündigung vorgelegen haben soll. Darüber hinaus hat die Beklagte geltend gemacht, in den "Personalsystemen und Akten" seien keine Kinder vermerkt gewesen. Dieses Vorbringen enthält kein Bestreiten der vom Kläger hinsichtlich der Eintragungen auf seiner Lohnsteuerkarte vorgetragenen Tatsachen. Diese sind daher nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Darüber hinaus ergibt sich die Richtigkeit des diesbezüglichen Sachvortrages des Klägers bereits aus dem Umstand, dass aus der von der Beklagten erstellten Abrechnungsbescheinigung für den Monat Juni 2005 (Bl. 231 und 231 R der Akte) die Anzahl der Kinderfreibeträge mit 1,5 angegeben ist. Die Beklagte hat auch die Höhe der von der Arbeitsvergütung des Klägers einzubehaltenden Lohnsteuer, die sich aus der betreffenden Abrechnungsbescheinigung ergibt, auf der Basis von 1,5 Kinderfreibeträgen errechnet. Die Anzahl der Kinderfreibeträge konnte die Beklagte - jedenfalls sind diesbezüglich keinerlei anderweitigen Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich - nur der Lohnsteuerkarte des Klägers entnehmen. Ihre gegenüber dem Betriebsrat im Rahmen des Anhörungsverfahrens gemachte Angabe ("Kinder lt. Steuerkarte: 0") ist daher falsch.

Aus dem Umstand, dass die Beklagte die Arbeitsvergütung des Klägers auf der Basis von 1,5 Kinderfreibeträgen abgerechnet hat, ergibt sich zugleich, dass sie sich nicht darauf berufen kann, ihr seien die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers unbekannt gewesen und die Betriebsratsanhörung sei daher nach Maßgabe der Grundsätze zur sog. subjektiven Determination nicht fehlerhaft. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob gerade auch derjenigen Person, die das an den Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben verfasst hat, die Anzahl der Kinder des Klägers bekannt waren, da insoweit auf den Kenntnisstand der Arbeitgeberin insgesamt abzustellen ist (vgl. LAG Hessen v. 29.08.2003 - 17/10 Sa 665/03 -).

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, sie habe sich ohne Berücksichtigung der maßgeblichen Sozialdaten des Klägers von diesem auf alle Fälle trennen wollen. Diesbezüglich kann offen bleiben, wie die Frage der Ordnungsgemäßheit des Anhörungsverfahrens zu beurteilen wäre, wenn die Beklagte in diesem Fall gegenüber dem Betriebsrat keinerlei Angaben zu den Unterhaltsverpflichtungen des Klägers gemacht hätte. Entscheidend ist nämlich im Streitfall, dass die Beklagte den Betriebsrat über einen im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstand (Anzahl der Unterhaltsberechtigten) falsch informiert hat. Dem Betriebsrat wurden somit unrichtige Tatsachen mitgeteilt, die geeignet waren, dessen Entscheidung bzw. Vorgehensweise hinsichtlich der seinerzeit beabsichtigten Kündigung zu beeinflussen.

Da der Kündigungsschutzklage nach alledem stattzugeben ist und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse der Beklagten begründen könnten, den Kläger nicht weiter zu beschäftigen, erweist sich auch dessen auf tatsachliche Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens gerichteter Klageantrag als begründet (vgl. BAG v. 27.02.1985 - GS 1/84 -).

Der Klage war daher insgesamt unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

Zurück