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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 12.10.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 467/05
Rechtsgebiete: BAT, ArbGG, ZPO, TVG


Vorschriften:

BAT § 15
BAT § 15 Abs. 1
ArbGG § 9 Abs. 5 Satz 3
ArbGG § 64 Abs. 2 b
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
ZPO § 189
ZPO § 317 Abs. 1
ZPO § 329 Abs. 2
TVG § 4 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 467/05

Entscheidung vom 12.10.2005

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 16.03.2005, AZ: 11 Ca 2477/04, wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers über den 31.10.2004 hinaus 38,5 Stunden beträgt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Anzahl der vom Kläger wöchentlich zu erbringenden Arbeitsstunden.

Der Kläger ist seit dem 01.09.2002 bei der Beklagten als Diplom - Sozialarbeiter beschäftigt. Aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des BAT Anwendung.

Die Einstellung des Klägers erfolgte zunächst befristet bis zum 31.08.2004. Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 09.08.2002 (Bl. 5 und 6 d. A.) enthält u. a. folgende Bestimmung:

§ 2

Es gilt der Tarifvertrag (in der jeweils gültigen Fassung), an den der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Beihilfe wird nicht gezahlt.

Unter dem 27.02.2004 trafen die Parteien folgende schriftliche Vereinbarung:

§ 1

Sie werden ab dem 01. September 2004 als vollbeschäftigter Diplom - Sozialarbeiter in der Klinik N. - G. für Forensische Psychiatrie an der R. - M. - Fachklinik A-Stadt unbefristet weiterbeschäftigt.

Darüber hinaus behält der Arbeitsvertrag vom 09.08.2002 mit allen anschließenden Änderungen weiterhin seine Gültigkeit.

Am 26.03.2004 kündigte die Tarifgemeinschaft Deutscher Länder (TdL) gegenüber den Tarifpartnern die Arbeitszeitvorschriften des BAT zum 30.04.2004. Eine tarifliche (Nachfolge-) Vereinbarung ist diesbezüglich bislang noch nicht zustande gekommen. Die TdL hat daraufhin für ihre Mitglieder Richtlinien erlassen, wonach die gekündigten Arbeitszeitvorschriften für Arbeitsverhältnisse, die ab dem 01.05.2004 geschlossen werden, längstens bis zum 31.10.2004 weiter gelten sollten. Nach dem 31.10.2004 sollten sodann, falls bis dahin keine Einigung der Tarifpartner erzielt werden könne, die für vergleichbare Beamte maßgebenden Arbeitszeitvorschriften Anwendung finden.

Mit Rundschreiben vom 18.10.2004 an alle Beschäftigten und einem Schreiben vom 21.10.2004 an den Kläger teilte die Beklagte diesem unter Bezugnahme auf die Richtlinien der TdL mit, dass für ihn ab dem 01.11.2004 eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden gelte.

Mit seiner am 09.11.2004 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass sich seine wöchentliche Arbeitszeit weiterhin auf 38,5 Stunden belaufe.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass seine Arbeitszeit ab 01.11.2004 weiterhin 38,5 Wochenstunden beträgt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16.03.2005 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 7 dieses Urteils (= Bl. 50 bis 52 d. A.) verwiesen.

Das dem Kläger am 18.04.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts war mit einer Rechtsmittelbelehrung (Seite 8 des Urteils = Bl. 53 d. A.) versehen, nach deren Inhalt für die Beklagte das Rechtsmittel der Berufung, für den Kläger hingegen kein Rechtsmittel gegeben sei. Auf Antrag des Klägers vom 27.04.2005 berichtigte das Arbeitsgericht die Rechtsmittelbelehrung mit Beschluss vom 09.05.2005 dahingehend, dass gegen das Urteil vom Kläger Berufung eingelegt werden könne und für die Beklagte kein Rechtsmittel gegeben sei. Die berichtigte Urteilsausfertigung ist dem Kläger am 20.05.2005 formlos zugestellt worden.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Feststellungsbegehren unverändert weiter fort und macht im Wesentlichen geltend, die Auffassung des Arbeitsgerichts, wonach die am 27.02.2004 getroffene Vereinbarung über ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erst ab dem 01.09.2004 gelte und daher im Ergebnis so zu behandeln sei, als sei sie erst im Nachwirkungszeitraum der Arbeitszeitvorschriften des BAT zustande gekommen, sei rechtsfehlerhaft. Die Vorschriften des § 15 BAT fänden vielmehr kraft Nachwirkung unverändert auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, da eine hiervon abweichende Vereinbarung nicht getroffen worden sei.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 16.03.2005, AZ: 11 Ca 2477/04, wird festgestellt, dass die Arbeitszeit des Klägers ab dem 01.11.2004 weiterhin 38,5 Wochenstunden beträgt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und macht im Wesentlichen geltend, die am 27.02.2004 getroffene Vereinbarung über die unbefristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses habe lediglich den Charakter eines "Vorvertrages" und habe dem Kläger lediglich einen Anspruch eingeräumt auf Abschluss eines neuen unbefristeten Arbeitsvertrages im Anschluss an die Beendigung des vorherigen befristeten Arbeitsverhältnisses. Ein neues, unbefristetes Vertragsverhältnis sei daher erst nach Ablauf des befristeten Vertrages vom 09.08.2002 und somit erst im Nachwirkungszeitraum der tariflichen Arbeitszeitvorschriften begründet worden. Der Kläger könne nicht anders behandelt werden als ein Arbeitnehmer, der während der Nachwirkung eingestellt worden sei. Mit all diesen, neu eingestellten Arbeitnehmern sei eine Arbeitszeitvereinbarung auf Grundlage der Richtlinien der TdL vereinbart worden.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 48 und 49 d. A.), auf die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 13.07.2005 (Bl. 70 bis 78 d. A.), auf den weiteren Schriftsatz des Klägers vom 26.08.2005 (Bl. 115 d. A.), auf die Berufungsbeantwortungsschrift der Beklagten vom 17.08.2005 (Bl. 109 bis 114 d. A.) sowie auf den weiteren Schriftsatz der Beklagten vom 16.09.2005 (Bl. 117 und 118 d. A.).

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthafte Berufung ist zulässig.

Zwar hat der Kläger gegen das ihm am 20.05.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts erst am 09.06.2005 Berufung eingelegt und damit - ausgehend vom vorgenannten Zustelldatum - die einmonatige Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG für die Einlegung der Berufung nicht gewahrt. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Berufung unzulässig ist, denn mit der am 18.04.2005 bewirkten Zustellung ist mangels einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung die einmonatige Berufungsfrist nach § 66 Abs. 1 ArbGG nicht in Lauf gesetzt worden (§ 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG). Vielmehr begann die Rechtsmittelfrist für den Kläger erst in dem Zeitpunkt, in dem seinem Prozessbevollmächtigten die mit berichtigter Rechtsmittelbelehrung versehene Ausfertigung des Urteils vom 16.03.2005 zuging, somit am 20.05.2005. Zwar ist die mit dem Berichtigungsbeschluss verbundene Urteilsausfertigung dem Prozessbevollmächtigten des Klägers entgegen §§ 317 Abs. 1, 329 Abs. 2 ZPO nicht förmlich zugestellt worden. Dieser Mangel ist jedoch vorliegend nach § 189 ZPO geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Schriftstück bei Fehlen einer formgerechten Zustellung in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Hiervon ausgehend ist die vom Kläger am 09.06.2005 eingelegte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, welches seinem Prozessbevollmächtigten mit zutreffender und ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung erst am 20.05.2005 zugegangen ist, rechtzeitig.

Der Kläger hat das Rechtsmittel auch binnen der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG am 14.07.2005 fristgerecht begründet. Die Berufungsbegründungsfrist war nämlich jedenfalls solange, wie die Frist für die Einlegung der Berufung infolge der unrichtig erteilten Rechtsmittelbelehrung nicht in Lauf gesetzt war, gehemmt. Dies folgt aus Sinn und Zweck der Regelung des § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG. Der unrichtig belehrten Partei darf im Hinblick auf ihre Rechtsmittelmöglichkeiten durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen. Eine andere Betrachtung würde zu dem sachwidrigen Ergebnis führen, dass die Rechtsmittelbegründungsfrist u. U. bereits abgelaufen wäre, bevor das Rechtsmittel überhaupt einzulegen war (BAG, Beschluss vom 13.04.2005, 5 AZB 76/04).

II.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Die zulässige Rechtsstellungsklage ist begründet. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beläuft sich auch über den 31.10.2004 hinaus auf 38,5 Stunden.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Vorschriften des BAT Anwendung. Nach § 15 Abs. 1 BAT beträgt die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38,5 Stunden.

Zwar hat die TdL die Arbeitszeitvorschriften des BAT zum 30.04.2004 gekündigt. Die betreffenden Normen wirken jedoch gemäß § 4 Abs. 5 TVG zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits weiter, da sie nicht durch eine andere Abmachung ersetzt wurden.

Die Nachwirkung des § 4 Abs. 5 TVG betrifft alle Tarifvertragsnormen, die unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis eingewirkt haben. Nach Ablauf des Tarifvertrages gelten die Tarifnormen zwar unmittelbar, aber nicht mehr zwingend weiter. Sie können daher im Nachwirkungszeitraum durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Andere Abmachungen nach § 4 Abs. 5 TVG können sowohl Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen als auch Individualabreden sein. Die nachwirkenden Tarifvertragsnormen gelten für alle Arbeitsverhältnisse, die im Nachwirkungszeitraum bestehen. Ein Arbeitsverhältnis, das erst im Nachwirkungszeitraum begründet wird, unterfällt jedoch nicht dem nachwirkenden Tarifvertrag.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde in einem Zeitpunkt begründet, in welchem die Arbeitszeitvorschriften des BAT nach § 4 Abs. 1 TVG noch unmittelbar und zwingend zwischen den Tarifgebundenen galten. Dies gilt auch hinsichtlich des mit Vertrag vom 27.02.2004 vereinbarten unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Entgegen der Ansicht der Beklagten wurde nämlich dieses nicht erst zum 01.09.2004 und somit im Nachwirkungszeitraum begründet. Entscheidend ist diesbezüglich der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Für die Auffassung der Beklagten, die Vereinbarung vom 27.02.2004 beinhalte lediglich einen "Vorvertrag", der dem Kläger nur den Anspruch auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages für die Zeit ab dem 01.09.2004 einräume, gibt es keine rechtliche Grundlage.

Eine andere Vereinbarung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG über die Arbeitszeit des Klägers haben die Parteien nicht getroffen. Eine diesbezügliche Abrede ist nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Arbeitsgerichts enthält der Arbeitsvertrag der Parteien für die Zeit nach Ablauf des Tarifvertrages auch keine Lücke, die von den Arbeitsgerichten im Wege einer ergänzenden Auslegung auszufüllen wäre. Die in § 2 des Arbeitsvertrages vom 09.08.2002 enthaltene Regelung, wonach derjenige Tarifvertrag (in der jeweils gültigen Fassung) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden soll, an den der Arbeitgeber tarifgebunden ist, stellt lediglich eine sog. Gleichstellungsabrede dar, der jedoch im Hinblick auf die ohnehin bestehende beiderseitige Tarifgebundenheit der Parteien keine besondere rechtliche Bedeutung mehr zukommt. Keinesfalls war die Beklagte nach Ablauf der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Vorschriften des § 15 BAT zu einer einseitigen Bestimmung bzw. Festlegung der Anzahl der vom Kläger zu erbringenden Arbeitsstunden berechtigt.

III.

Nach alledem war der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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