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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 13.11.2003
Aktenzeichen: 11 Sa 1015/03
Rechtsgebiete: BGB, BBiG


Vorschriften:

BGB § 626
BGB § 626 Abs. 2
BBiG § 15 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 11 Sa 1015/03

Verkündet am: 13.11.2003

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgericht Mainz vom 09.04.2003 - Az.: 4 Ca 3465/02 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger hat bei der Beklagten vom 17.06. bis 01.08.2002 als Praktikant in deren Einrichtung in C-Stadt gearbeitet, worauf sich dann ein Ausbildungsvertrag ab 01.10.2002 bis 30.09.2003 angeschlossen hat, wobei der Kläger in der Einrichtung in X diese Ausbildung durchlaufen soll.

Mit Schreiben vom 06.11.2002 hat die Beklagte dem 1983 geborenen Kläger eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen, welche auf Tätlichkeiten am 26.08. bis 01.09.2002 gegenüber den Frauen W und V begangen worden sein sollen.

Der Kläger hat seine am 11.11.2002 bei Gericht eingegangene Klage im Wesentlichen damit begründet, dass die gemachten Vorwürfe nicht zutreffend seien.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis durch Kündigung vom 06.11.2002 nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien über den 06.11.2002 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat diesen Antrag damit begründet, dass der Kläger zwischen dem 26. und 31.08.2002 zwei Heimbewohnerinnen körperlich misshandelt habe. Die Mitarbeiterin U habe diese Misshandlungen am 31.10.2002 weiter gegeben, worauf die Mitarbeitervertretung unterrichtet und die Kündigung nach deren Zustimmung erklärt worden sei.

Es treffe zwar zu, dass Herr T, der Leiter der Pflegeeinrichtung S, wo der Kläger beschäftigt gewesen sei, seit Ende August 2002 von den Vorfällen unterrichtet gewesen sei, dies jedoch nicht weiter geleitet habe. Herr T sei lediglich Leiter der Pflegeeinrichtung und habe keine arbeitsrechtlichen Kompetenzen, wobei zutreffend sei, dass er habe die Dienstverfehlungen des Klägers aufklären müssen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 09.04.2003 der Klage stattgegeben und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die erklärte Kündigung deshalb unwirksam sei, weil die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt sei. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich einen Grund für die fristlose Kündigung gegeben habe, weil die zwei Wochenfrist zum Zugang der außerordentlichen Kündigung nicht gewahrt sei. Die Vorfälle hätten sich nach Behauptung der Beklagten in der letzten Augustwoche des Jahres 2002 ereignet, sodass in einer Unterrichtung durch eine Mitarbeiterin Ende Oktober 2002 davon ausgegangen werden müsse, dass hier ein Organisationsmangel vorliege. Herr T sei als Leiter der Betriebsstätte verpflichtet gewesen, Dienstverfehlungen von Mitarbeitern aufzuklären und diese weiter zu melden. Dies habe er unterlassen, was zu Lasten der Beklagten ginge, weil die Vorschrift des § 626 Abs. 2 BGB eine Schutzvorschrift zu Gunsten des zu Kündigenden sei. Verzögerung, die von einer Erklärungsperson verursacht würden, müsse sich der Kündigungsberechtigte zu Recht entlassen.

Nach Zustellung des Urteils am 01.08.2003 hat die Beklagte am 05.08.2003 Berufung eingelegt und diese zugleich auch begründet.

Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil im Wesentlichen damit an, dass die Frist zur Erklärung einer außerordentlichen Kündigung deshalb eingehalten sei, weil der zur Kündigungberechtigte, dies sei die Personalabteilung der Beklagten in C-Stadt am 31.10.2002 von den Vorfällen Kenntnis erlangt habe. Herr T, Hausleiter des Hauses S in X, habe keinerlei Personalkompetenz, wobei richtig sei, dass er hätte die Vorfälle, nachdem ihm von der Mitarbeiterin R hiervon berichtet war, aufklären müssen, was er in pflichtwidriger Weise unterlassen habe. Dieses Unterlassen des Herrn T könne dem Beklagten deshalb nicht zugerechnet werden, wenn der Nichtkündigungsberechtigte nach seiner Stellung die Erwartung rechtfertige, er werde den Kündigungsberechtigten von den Kündigungssachverhalt unterrichten und die verspätet erlangte Kenntnis des Kündigungsberechtigten darauf beruhe, dass die Organisation des Betriebes zu einer Verzögerung der Kenntnisnahme und des Fristbeginnes geführt habe, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre, wovon im angefochtenen Urteil nichts zu lesen sei. Es liege aber auch kein Organisationsmangel deshalb vor, weil Herr T als Heimleiter verpflichtet gewesen sei, alle Vorfälle an die Leitung der Einrichtung weiter zu geben und dieser dann die Personalabteilung zu unterrichten habe. Ein Versagen eines derartigen Mitarbeiters stelle keineswegs einen Organisationsmangel dar, da weder der Aufbau des Betriebes selbst die Weiterleitung verhindert, noch für deren Verspätung ursächlich gewesen sei.

Wenn ein Mitarbeiter einen Vorgang in seiner Bedeutung unterschätze oder ihn schlicht vergesse, könne sich der von der Kündigung betroffene Mitarbeiter darauf nicht berufen.

Die Beklagte beantragt:

1. Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils vom 09.04.2003 wird der Kläger mit seiner Klage abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Der Kläger beantragt:

die Berufung kostenpflichtig abzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil im Wesentlichen damit, dass man die Kündigung nicht mehr auf Vorfälle vom 26.08 bis 01.09.2002 stützen könne, weil die Mitarbeiter T, R und U bereits Ende August 2002 von den angeblichen Vorfällen Kenntnis erlangt hätten. Herr T habe die Dienstverfehlung aufklären müssen, was er nicht getan und auch die Pflegedienstleitung und den Vorstand nicht informiert habe. Wenn der Zeuge T zur Aufklärung allerdings verpflichtet gewesen sei, dies nicht getan und auch die Information nicht weiter gegeben habe, so müsse positive Kenntnis der Beklagten angenommen werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze, die im Berufungsverfahren zu den Akten gereicht wurden, nebst deren Anlagen Bezug genommen. Außerdem wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils auf Bl. 34 bis 35 d. A. verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber deshalb nicht erfolgreich, weil das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage des Klägers zu Recht entsprochen hat.

Die Kündigung, welche die Beklagte mit Schreiben vom 06.11.2002 erklärt hat, ist nicht wirksam, weil die Beklagte die Frist zur Erklärung der Kündigung im Sinne der §§ 15 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz, 626 BGB nicht eingehalten hat.

Der Beklagtenführer weist zu Recht darauf hin, dass es grundsätzlich auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Allerdings ist auch anerkannt, dass auch die Kenntnis Dritter vom Kündigungssachverhalt Berücksichtigung finden kann, wenn der Informierte eine Stellung im Betrieb inne hat, die es den Umständen nach erwarten lässt, er werde den Kündigungsberechtigten von dem Kündigungssachverhalt unterrichten. Unbestritten hat der Mitarbeiter T eine derartige innerbetriebliche Position innegehabt, da die Beklagte selbst behauptet, dass er habe den Vorfällen nachgehen müssen, also ermitteln und den wahren Sachverhalt weiter melden. Im vorliegenden Falle ist von einem Organisationsmangel auszugehen, der es rechtfertigt, die zweiwöchige Ausschlussfrist zur Erklärung einer außerordentlichen Kündigung vor tatsächlicher Kenntniserlangung des Direktor Q beginnen zu lassen.

Die Berufungskammer kann nicht erkennen, welche konkreten Anweisungen seitens der Direktion Herrn T in seiner Funktion als Nichtkündigungsberechtigter für Fälle der von ihr behaupteten Art erteilt worden sind. Gerade dann, wenn keine Kündigungsberechtigung vor Ort besteht, ist die Beklagte darauf angewiesen, sicher zu stellen, dass alle Vorfälle und im vorliegenden Falle handelt es sich nach Darstellung der Beklagten um gravierende Vorfälle, zeitnah aufgeklärt und zwecks Überprüfung entsprechender Reaktionen weiter zu leiten sind. Allein die Behauptung, Herr T habe ermitteln und weiter leiten müssen, lässt nicht erkennen, in welchen Fällen Herr T und wenn ja, in welchem Umfang er tätig werden solle. Dies ist aber erforderlich, um feststellen zu können, ob der Betrieb so organisiert ist, dass wichtige Informationen ohne Verzögerung an die richtigen Stellen gelangen. Da es zum Vortrag der Beklagtenseite gehört, die Einhaltung der Ausschlussfrist bzw. die Umstände darzulegen, die das Vorliegen eines Organisationsverschuldens ausschließen, wenn unstreitig die betreffenden Personen bereits Ende August von den Augenzeuginnen informiert worden sind, hätte hier näheres ausgeführt werden müssen. Der die Kündigung Erklärende muss nämlich neben dem Vorlegen eines wichtigen Grundes auch darlegen und im Bestreitensfalle beweisen, dass die Ausschlussfrist eingehalten ist, oder aber erst später zu laufen beginnt.

Nach dem Vorstehenden kann die erklärte Kündigung schon deshalb keine Wirksamkeit entfalten, sodass es auf die Frage letztendlich nicht ankommt, ob die behaupteten Vorfälle nicht tatsächlich sich zugetragen haben oder aber sich in der von der Beklagten geschilderten Form abgespielt haben, weil die Handhabung bzw. das Untätigbleiben des Herrn T hätte bei den Mitarbeiterinnen, die die Vorfälle beobachtet haben wollen, eigentlich Reaktionen auslösen müssen. Die Vorfälle sollen sich im Zeitraum 26.08. bis 01.09.2002 abgespielt haben und danach hat sich bis Anfang November 2002 nichts getan. Die Beklagte hat dem Kläger sogar einen Ausbildungsvertrag im Anschluss an das Praktikantenverhältnis mit Beginn 01.10.2002 angetragen, der per Fax nach X geschickt wurde und von Herrn T dem Kläger unterbreitet worden ist. Welche Schlüsse aus dieser Handhabe zu ziehen sind, braucht die Kammer nicht abschließend zu beantworten, ebenso wie den Umstand, dass die Vorwürfe aus einem mit Ablauf des 30.09.2002 beendeten Praktikantenverhältnis rühren und nicht aus dem Ausbildungsvertragsverhältnis, welches ab 01.10.2002 zwischen den Parteien bestand.

Nach dem Vorstehenden ist die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge der §§ 64 Abs. 6, 97 ZPO zurückzuweisen.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist angesichts der Vorgaben im § 72 Abs. 2 ArbGG nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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