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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 28.08.2008
Aktenzeichen: 11 Sa 170/08
Rechtsgebiete: SGB IX, BGB, ArbGG, AT-AVR, MAVO, BetrVG


Vorschriften:

SGB IX § 2 Abs. 3
SGB IX § 85 ff.
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 69 Abs. 2
AT-AVR § 15 Abs. 1
AT-AVR § 16 Abs. 2
MAVO § 35
MAVO § 35 Abs. 1
MAVO § 35 Abs. 2
MAVO § 35 Abs. 3
BetrVG § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.10.2007, Az.: 8 Ca 15/07, wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 12.12.2006 sowie einer weiteren fristlosen Kündigung vom 21.12.2006.

Der am 22.06.1948 geborene Kläger ist seit dem 20.05.1989 bei dem Beklagten beschäftigt. Er ist seit 01.10.2003 Heimleiter des von dem Beklagten betriebenen Wohnheims O. in K., in dem zum Teil schwerstbehinderte Menschen leben. Der Kläger ist Vorgesetzter der dort tätigen Bezugsbetreuer, deren Aufgabe darin besteht, den Bewohnern während ihres Aufenthalts unterstützend zur Seite zu stehen. In dem Wohnheim lebt unter anderem die schwerstbehinderte Frau B., deren Bezugsbetreuerin Frau Sch. war. Frau B. war aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage, in ausreichendem Maße eigenverantwortlich ihre eigene Körperhygiene durchzuführen. In der Vergangenheit erfolgte mündliche oder schriftliche Erläuterungen blieben ohne Erfolg. Frau Sch. unterbreitete dem Kläger im Juli 2005 den Vorschlag, Frau B. mit Hilfe von Bildern gezielter zu fördern. Sie fertigte mit Einverständnis des Klägers Fotos von Frau B., die Gesicht und Zähne, Hals, Bauch, Busen, Beine, Intimbereich und Gesäß der unbekleideten Bewohnerin zeigen (Bl. 124, 125 d. A.). Die Bilder wurden neben dem Waschbecken im Zimmer von Frau B., in dem noch eine andere Bewohnerin lebte, angebracht. Die Parteien streiten darüber, ob die Aufnahmen mit Zustimmung des Klägers aufgehängt wurden (so der Beklagte) oder ob dies ohne sein Wissen geschah (so der Kläger). Nachdem die Bilder einige Zeit an der Wand gehangen hatten wurden sie in eine Mappe aufgenommen, um sie bei Bedarf mit Frau B. zu sichten.

Nachdem mit Bescheid vom 07.04.2005 ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden war, stellte der Kläger am 05.09.2006 bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag auf Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX. Die Bundesagentur forderte den Beklagten mit Schreiben vom 05.10.2006 zur Stellungnahme auf und erinnerte mit Schreiben vom 16.11.2006 an die Abgabe der Stellungnahme. Der Kläger wurde - nach erstinstanzlichem Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens - mit Bescheid vom 29.10.2007 rückwirkend ab Antragstellung einem schwer behinderten Menschen gleichgestellt (Bl. 216 d. A.).

Der Beklagte teilte der Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 06.12.2006 mit, dass er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos zu kündigen. Durch das Aufhängen der Bilder sei in eklatanter Weise gegen die Würde der Bewohnerin sowie ihre Persönlichkeitsrechte verstoßen worden. Auf das Anhörungsschreiben vom 06.12.2006 wird verwiesen (Bl. 42, 43 d. A.). Die Mitarbeitervertretung antwortete mit Schreiben vom 11.12.2006, sie habe in der Sitzung vom 08.12.2006 beschlossen, keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Kündigung zu erheben (Bl. 44 d. A.). Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12.12.2006, dem Kläger am 13.12.2006 zugegangen, außerordentlich fristlos (Bl. 18, 19 d. A.). Das zuständige Integrationsamt wurde vor Ausspruch dieser Kündigung nicht beteiligt.

Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 12.12.2006 beim Integrationsamt Koblenz die Zustimmung zu einer weiteren außerordentlichen Kündigung. Das Integrationsamt teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 19.12.2006, beim Beklagten am 22.12.2006 eingegangen, mit, dass eine Zustimmung nicht erforderlich sei, da der Kläger besonderen Kündigungsschutz nach § 85 ff. SGB IX nicht in Anspruch nehmen könne (Bl. 46 bis 48 d. A.). Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich fristlos mit Schreiben vom 21.12.2006, dem Kläger am 22.12.2006 zugegangen (Bl 20, 21 d. A.).

Mit am 02.01.2007 beim Arbeitsgericht Koblenz erhobener Klage wandte sich der Kläger gegen beide Kündigungen. Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen,

ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB liege nicht vor. Die Bilder seien ohne sein Wissen im Zimmer von Frau B. angebracht worden. Als er die Fotos entdeckt habe, habe er diese sofort abgehängt. Die Kündigung vom 12.12.2006 sei mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. Er bestreite, dass die Mitarbeitervertretung überhaupt bzw. ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigungen angehört worden sei. Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 12.12.2006, dem Kläger zugegangen am 13.12.2006, nicht aufgelöst worden ist. 2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 21.12.2006, dem Kläger zugegangen am 22.12.2006, nicht aufgelöst worden ist. Der Beklagte hat erstinstanzlich

Klageabweisung

beantragt. Er hat erwidert,

das Anfertigen und Aufhängen der Fotos stelle einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung dar. Frau Sch. habe die Fotos in Absprache mit dem Kläger gefertigt, ihm diese gezeigt und sodann mit seiner Zustimmung aufgehängt. Der Kläger habe dadurch in eklatanter Weise gegen die Würde der Bewohnerin sowie ihre Persönlichkeitsrechte verstoßen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts und des streitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG im Übrigen Bezug genommen auf das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.10.2007, Az: 8 Ca 15/07, dort Seite 3 bis 8, Bl. 129 bis 134 d. A..

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 16.10.2007 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 12.12.2006 noch durch die außerordentliche Kündigung vom 21.12.2006 aufgelöst worden ist. Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen und zusammengefasst ausgeführt:

Die außerordentliche Kündigung vom 12.12.2006 sei nicht schon wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 ff. SGB IX unwirksam, da der Kläger - im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 16.10.2007 - nicht einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt gewesen sei. Sie sei jedoch nach §§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 2 AT-AVR in Verbindung mit § 626 Abs. 1 BGB nicht gerechtfertigt. Zwar sei die Zustimmung des Klägers zum Anfertigen und Aufhängen der Fotos von Frau B. - den Vortrag des Beklagten unterstellt - an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Es fehle jedoch an der erforderlichen Abmahnung. Jedenfalls sei dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger noch zumutbar. Auch die Kündigung vom 21.12.2006, der - was unstreitig ist - derselbe Sachverhalt wie der Kündigung vom 12.12.2006 zugrunde liege, habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Dem Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zumutbar. Außerdem dürfte es an der erforderlichen erneuten Anhörung der Mitarbeitervertretung fehlen. Der Beklagte habe durch Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 12.12.2006 seinen Kündigungswillen verwirklicht. Die Anhörung der Mitarbeitervertretung vom 06.12.2005 sei somit "verbraucht".

Gegen das ihm am 27.02.2008 zugestellte Urteil (Bl. 148 d. A.) hat der Beklagte mit am 26.03.2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 153, 154 d. A.) und diese innerhalb verlängerter Berufungsfrist am 08.05.2008 (Bl. 166 ff. d. A.) im Wesentlichen und zusammen gefasst wie folgt begründet, wobei wegen der Einzelheiten auf den genannten Schriftsatz Bezug genommen wird:

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 21.12.2006 beendet worden. Der Beklagte habe am 12.12.2006 einen Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt gestellt. Das Schreiben des Integrationsamtes vom 19.12.2006 beinhalte ein sogenanntes Negativattest. Das Verhalten des Klägers stelle einen erheblichen Verstoß gegen die tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre dar. Der Kläger habe den Vorschlag der Bezugsbetreuerin Sch., Fotos als visuelle Hilfe zu verwenden, strikt ablehnen müssen. Er habe ohne Not und ohne Grund Fotos von Frau B. angefertigt und aufgehängt. Im Wohnheim hielten sich andere Bewohner, Betreuer sowie Besucher und Ärzte auf. Deshalb hätten Intimsphäre sowie persönliche und körperliche Integrität der Bewohnerin geschützt werden müssen.

Vor der Kündigung vom 21.12.2006 sei die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß angehört worden. Sie habe mit Schreiben vom 20.12.2006 (Bl. 187 d. A.), auf das verwiesen werde, keinerlei Einwendungen gegen die weitere beabsichtigte außerordentliche Kündigung erhoben. Eine schriftliche Dokumentation der Anhörung der Mitarbeitervertretung im Hinblick auf die zweite Kündigung fehle. Der Beklagte könne keine näheren Angaben dazu machen, wann die Mitarbeitervertretung vor Ausspruch der Kündigung vom 21.12.2006 angehört worden sei.

Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.10.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und erwidert, es gebe keinen Grund, der den Beklagten zum Ausspruch der Kündigungen berechtige. Die Kündigung vom 21.12.2006 bereits deshalb unwirksam, weil es an der erneuten Anhörung der Mitarbeitervertretung fehle. Er bestreite, dass die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß zu der Kündigung vom 21.12.2006 angehört worden sei und dass sich das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 20.12.2006 tatsächlich auf diese Kündigung beziehe. Die Mitarbeitervertretung habe von der Absicht einer weiteren Kündigung nach der vom 12.12.2006 keine Kenntnis. Das Schreiben vom 20.12.2006 beziehe sich auf das Anhörungsverfahren bezüglich der Kündigung vom 12.12.2006. Ein Nachweis für ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren fehle, insbesondere sei nicht dargelegt worden, wann, wo und wie die Mitarbeitervertretung zu der weiteren Kündigung angehört worden sein solle.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 08.05.2008 (Bl. 166 bis 172 d. A.), auf den am 07.07.2008 eingegangenen Schriftsatz der Beklagten (Bl. 218, 219 d. A.) sowie auf die Berufungsbeantwortung vom 01.07.2008 (Bl. 196 bis 205 d. A.) sowie den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom 10.07.2008, Bl. 222 bis 225 d. A., wird verwiesen. Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Kündigungen vom 12.12.2006 sowie vom 21.12.2006 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet haben.

Der Beklagte wendet sich mit der Berufung ausschließlich gegen die Kündigung vom 21.12.2006, nicht aber gegen die Kündigung vom 12.12.2006. Er führt in der Berufungsbegründung aus, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 21.12.2006 beendet worden. Das Arbeitsverhältnis wurde durch die außerordentliche Kündigung vom 21.12.2006 nicht beendet. Die Unwirksamkeit beruht auf § 35 Abs. 3 der Mitarbeitervertretungsordnung im Bistum T. (MAVO).

1. Gemäß § 35 Abs. 1 MAVO ist der Mitarbeitervertretung vor einer außerordentlichen Kündigung durch den Dienstgeber schriftlich die Absicht der Kündigung mitzuteilen. Will die Mitarbeitervertretung gegen die Kündigung Einwendungen geltend machen, so braucht sie das Einverständnis der oder des Betroffenen. Sie hat ihre Einwendungen unter Angabe der Gründe dem Dienstgeber innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen. Diese Frist kann vom Dienstgeber auf 48 Stunden verkürzt werden. Erhebt die Mitarbeitervertretung innerhalb der Frist keine Einwendungen, so gilt die beabsichtigte Kündigung als nicht beanstandet. Erhebt die Mitarbeitervertretung Einwendungen, so entscheidet der Dienstgeber über den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung (§ 35 Abs. 2 MAVO). Eine ohne Einhaltung des Verfahrens nach den Absätzen 1 und 2 ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (§ 35 Abs. 3 MAVO).

2. Hinsichtlich der im Sinne des § 102 BetrVG ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gilt eine abgestufte Darlegungslast (BAGvom 23.6.2005, 2 AZR 193/04, NZA 2005, 1233). Der Arbeitnehmer muss zunächst die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestreiten, damit die Darlegungslast des Arbeitgebers ausgelöst wird (DLW-Dörner, 7. Auflage, D Rz. 315). Auf entsprechenden Sachvortrag des Arbeitnehmers hin obliegt es dem Arbeitgeber darzulegen, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Der Arbeitgeber erfüllt seine Darlegungspflicht nur dann, wenn er konkrete Tatsachen vorträgt, aus denen das Arbeitsgericht auf eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung schließen kann (DLW-Dörner aaO Rz. 316). Der pauschale Sachvortrag, der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß angehört, ist ungenügend, weil nicht hinreichend bestimmt (DLW-Dörner aaO Rz. 317). Der Arbeitgeber muss in der Regel darlegen, wann genau, durch wen, wem gegenüber und mit welchem Inhalt dem Betriebsrat die Kündigungsabsicht mitgeteilt wurde. Unterlässt der Arbeitgeber ausreichenden Sachvortrag in tatsächlicher Hinsicht, dann ist die Kündigung als unwirksam anzusehen, da eine Wirksamkeitsvoraussetzung nicht dargelegt ist (DLW-Dörner aaO Rz. 318). Nichts anderes gilt bezüglich der Anhörung der Mitarbeitervertretung. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, sind § 35 MAVO einerseits und § 102 BetrVG andererseits in Aufbau und Struktur vergleichbar. Nach beiden Vorschriften muss die jeweilige Arbeitnehmervertretung vor der Kündigung gehört werden (102 Abs.1 S.1 BetrVG, § 35 Abs.1 MAVO). Bedenken (§ 102 Abs.2 BetrVG) bzw. Einwendungen (§ 35 Abs. 2 MAVO) können vorgebracht werden. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats (§ 102 Abs.1 S.3 BetrVG) bzw. ohne Einhaltung des Verfahrens nach § 35 Abs.1 und 2 MAVO ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Es gibt daher keinen Grund, im Bereich des § 35 MAVO von anderen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast auszugehen als bei § 102 BetrVG.

3. Der Kläger bestritt bereits in der Klageschrift (Bl. 15 d. A.), dass die bei dem Beklagten vorhandene Mitarbeitervertretung überhaupt bzw. ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigungen angehört worden sei und keine Einwendungen erhoben habe. Er führte mit Schriftsatz vom 07.05.2007 aus, dass die Mitarbeitervertretung vor der außerordentlichen Kündigung vom 21.12.2006 überhaupt nicht angehört worden sei (Bl. 102 d. A.). Der Beklagte erwiderte hierzu erstmals in der Berufungsbegründung, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Mitarbeitervertretung auch im Hinblick auf die Kündigung vom 21.12.2006 ordnungsgemäß angehört worden (Bl. 181 d. A.); auf das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 20.12.2006 werde verwiesen (Bl. 187 d. A.). Der Beklagte trug zuletzt mit am 07.07.2008 eingegangenem Schriftsatz vor, auch im Hinblick auf die Kündigung vom 21.12.2006 habe eine ordnungsgemäße Anhörung der Mitarbeitervertretung stattgefunden (Bl. 218 d. A.).

Dieser Sachvortrag des Beklagten ist unzureichend. Der Beklagte hätte darlegen müssen, wann das Anhörungsverfahren - in der gehörigen Form - eingeleitet wurde. § 35 Abs.1 MAVO verpflichtet den Dienstgeber, der Mitarbeitervertretung seine Kündigungsabsicht mitzuteilen. Die Mitteilung an den Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung (oder seinen Stellvertreter) bedarf der Schriftform. Die Einhaltung der Schriftform ist zwingende Voraussetzung der Anhörung (Bleistein/Thiel, Kommentar zur Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung, 5. Auflage, § 31 Rz. 9). Die mehrfach wiederholte pauschale Behauptung des Beklagten, im Hinblick auf die Kündigung vom 21.12.2006 habe eine ordnungsgemäße Anhörung der Mitarbeitervertretung stattgefunden, ist unzureichend. Ob die Anhörung "ordnungsgemäß" ist, obliegt der Beurteilung durch das Gericht. Zu einer "ordnungsgemäßen", d.h. den Vorgaben des § 35 Abs.1 MAVO entsprechende Anhörung gehört die Beachtung der Schriftform. Hierzu hätte der Beklagte genau vortragen müssen. Er hätte darlegen müssen, durch welches handschriftlich unterzeichnete (§ 126 BGB), dem Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung (oder seinem Stellvertreter) übermittelte Schreiben das Anhörungsverfahren eingeleitet wurde. Das hat der Beklagte nicht getan. Darüber hinaus hätte er zum Inhalt der Anhörung vortragen müssen. Zwar verpflichtet § 35 MAVO seinem Wortlaut nach den Dienstgeber nicht, der Mitarbeitervertretung die Kündigungsgründe mitzuteilen. Gleichwohl muss der Dienstgeber der Mitarbeitervertretung die Kündigungsgründe mitteilen, um sie dadurch überhaupt erst in die Lage zu versetzen, Einwendungen gegen die Kündigung zu prüfen und gegebenenfalls vorzubringen. Ohne Kenntnis der Kündigungsgründe ist die Mitarbeitervertretung weder im Stande den betroffenen Dienstnehmer zu befragen noch von ihrem Recht, Einwendungen gegen die Kündigung vorzubringen, Gebrauch zu machen. Daher hätte der Beklagte genau darlegen müssen, welche Informationen der Mitarbeitervertretung übermittelt wurden und wann die Mitarbeitervertretung in welcher Weise hierauf wie reagierte. Der Vortrag des Beklagten, wonach eine "ordnungsgemäße Anhörung der Mitarbeitervertretung stattgefunden ..." habe, ist unzureichend. Der Hinweis auf das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 20.12.2006 ist ebenfalls nicht ausreichend, da sich auch hieraus nicht ergibt, wann die Mitarbeitervertretung mit welchem Inhalt vor Ausspruch der Kündigung vom 21.12.2006 angehört wurde. Auf Grund des Wortlauts des Schreibens ist vielmehr davon auszugehen, dass eine neuerliche Anhörung der Mitarbeitervertretung unterblieben ist. Die Mitarbeitervertretung nimmt Bezug auf ein Schreiben vom 11.12.2006 (" ... ergänzend zu unserem Schreiben vom 11.12.06 ..."). Bei dem Schreiben vom 11.12.2006 handelt es sich um die Stellungnahme der Mitarbeitervertretung zu der Anhörung vom 06.12.2006, die der Kündigung vom 12.12.2006 vorausging (Bl.44 d.A.).

4. Die erneute Anhörung der Mitarbeitervertretung war auch nicht im Hinblick auf die vor der Kündigung vom 12.12.2006 erfolgte Anhörung entbehrlich. Wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, kann ein Anhörungsverfahren grundsätzlich nur für die Kündigung Wirksamkeit entfalten, für die es eingeleitet worden ist Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung vorsorglich erneut kündigt (BAG vom 03.04.2008, 2 AZR 965/06; zitiert nach juris). Das durch die ordnungsgemäße Anhörung erworbene Recht zum Ausspruch der Kündigung ist durch den Zugang der Kündigung verbraucht. Die Mitarbeitervertretung hätte erneut angehört werden müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision konnte angesichts der gesetzlichen Kriterien von § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zugelassen werden.

Ende der Entscheidung

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