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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 06.06.2006
Aktenzeichen: 11 Ta 42/06
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 112 Abs. 1
ZPO § 114
ZPO § 117
KSchG § 1 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 11 Ta 42/06

Entscheidung vom 06.06.2006

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 22.12.2005 (Az.: 9 Ca 2045/05) wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 22.12.2005, mit dem das Gericht ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Anwaltes zurückgewiesen hat.

Die Klägerin war auf Grund des gleichtägig abgeschlossenen Arbeitsvertrages seit dem 12.12.1997 bei dem beklagten Verein, der ca. 39 Arbeitnehmer, davon 10 Mitarbeiter im ambulanten Pflegedienst beschäftigt, als Krankenschwester im häuslichen Pflegedienst tätig.

Am 19.07.2005 schloss der Beklagte mit dem bei ihm bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung "Stillegung ambulanter Pflegedienst", wonach der ambulante Pflegedienst zum 30.11.2005 stillgelegt und allen dort beschäftigten Arbeitnehmern ordentlich gekündigt werden sollte. Nach ihrem Eingangssatz gilt die Betriebsvereinbarung auch als Interessenausgleich gemäß § 112 Abs. 1 BetrVG. Zudem sind in deren § 2 die zehn Mitarbeiter - u.a. die Klägerin -, denen gekündigt werden soll, namentlich benannt. Es handelt sich dabei um diejenigen Mitarbeiter, die der Beklagte im Bereich der häuslichen Pflege beschäftigt hat.

Der Beklagte hat vor diesem Hintergrund das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 21.07.2005 ordentlich zum 32.12.2005 gekündigt. Hiergegen richtete sich die am 15.08.2005 beim Arbeitsgericht eingegangene Kündigungsschutzklage der Klägerin.

Sie hat im Wesentlichen geltend gemacht, die betriebsbedingte Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt, weil die Stilllegungsabsicht des Beklagten nicht endgültiger Natur sei; vielmehr behalte sich der Beklagte eine Weiterführung des Pflegedienstes, vorzugsweise mit ungelernten Arbeitskräften, ggf. auch in einer anderen Rechtsform, vor. Es bestehe auch keine Veranlassung für die Betriebsstilllegung, insbesondere sei kein Arbeitsrückgang im Bereich der ambulanten Pflegestation zu verzeichnen.

Der Beklagte hat vorgetragen, er habe sich im Juli 2005 entschlossen, den ambulanten Pflegedienst mit Wirkung zum 30.11.2005 zu schließen. Dies vor dem Hintergrund, dass u.a. wegen des vermehrten Einsatzes ausländischer Pflege- und Hilfskräfte der Bedarf an pflegerischen Dienstleistungen im häuslichen Bereich erheblich zurückgegangen sei. Die Fortführung des ambulanten Pflegedienstes hätte letztlich zu seiner Insolvenz und damit voraussichtlich auch zum Verlust der weiteren Arbeitsplätze geführt. Er habe daher, die durch die Kündigung aller Arbeitnehmer im Bereich des ambulanten Pflegedienstes manifestierte Unternehmerentscheidung getroffen, diesen Geschäftsbereich ab dem 01.12.2005 stillzulegen.

Die Behauptung der Klägerin, der in Rede stehende Geschäftsbereich solle ggf. mit "ungelernten" Arbeitskräften fortgeführt werden, sei nicht nur unsubstantiiert, sondern auch deswegen unzutreffend, weil ein ambulanter Pflegedienst, anders als etwa eine hauswirtschaftliche Betreuung, eine qualifizierte Grund- und Behandlungspflege gewährleisten müsse, die mit ungelernten Arbeitnehmer gar nicht möglich sei.

Bereits in der Klageschrift hat die Klägerin beantragt, ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigte zu bewilligen und mit einem am 09.09.2005 beim Arbeitsgericht eingegangen Schriftsatz die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst diversen Anlagen zu den Akten gereicht.

Im Gütetermin am vom 14.09.2005 haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen mit Ablauf des 31.12.2005 sein Ende gefunden hat und der Beklagte der Klägerin eine Abfindung i.H.v. 4.000 € zahlt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22.12.2005, der der Klägerin am 31.12.2005 zugestellt worden ist, lehnte das Arbeitsgericht den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Wesentlichen mit der Begründung ab, Prozesskostenhilfe könne nur für einen noch durchzuführenden Rechtsstreit bewilligt werden. Es liege auch kein Fall eines sog. "steckengebliebenen" Antrags - d.h. einer nicht erfolgten alsbaldigen Entscheidung über ein entscheidungsreifes Prozesskostenhilfegesuch - vor. Schließlich habe es die klagende Partei in der Hand, dass das Gericht vor dem Vergleichsschluss über den Prozesskostenhilfeantrag entscheide. Zudem habe es der Klage an einer hinreichenden Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO gefehlt.

Der Beschluss ist der Klägerin zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten am 31.12.2005 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich deren am 30.01.2006 beim Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 15.02.2006 nicht abgeholfen hat.

Die Klägerin macht, nachdem sie auf die entsprechende Nachfrage des Landesarbeitsgericht zunächst klargestellt hat, dass die sofortige Beschwerde im eigenen Namen eingelegt wurde, im Wesentlichen geltend, sie habe die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch vor dem Abschluss des Vergleichs und damit vor Beendigung des Verfahrens eingereicht, so dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Bewilligungsvoraussetzungen für die Prozesskostenhilfe vorgelegen hätten. Soweit das Arbeitsgericht anführe, die klagende Partei habe es in der Hand, dass das Gericht noch vor einem Vergleichsabschluss über den Antrag entscheide, sei das vom Gericht verlangte Prozedere gerade im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit unpraktikabel und stehe einer schnellen Erledigung des Rechtsstreits entgegen. Es bestehe nämlich die Gefahr, dass eine Prozesskostenhilfe begehrende Partei, die sich eigentlich im Gütetermin vergleichen wolle, den Vergleich nur deswegen nicht abschließe, weil das Arbeitsgericht über den zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden vollständigen Prozesskostenhilfeantrag noch nicht entschieden habe. Dies wiederum hätte (letztlich auch zu Lasten der Staatskasse) die Folge, dass stattdessen der Gütetermin scheitere und ein Kammertermin angesetzt werden müsse, damit die die Prozesskostenhilfe begehrende Partei nicht Gefahr laufe, dass ihr Antrag zurückgewiesen werde. Dies sei vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt.

Das Arbeitsgericht habe unter Berücksichtigung der Entscheidungskriterien in § 114 ZPO zudem zu Unrecht auch die hinreichende Aussicht der Klage verneint.

Dies folge daraus, dass sich der Beklagte vorbehalten habe, die "Pflegestation" in einer anderen Rechtsform bzw. mit anderen Kräften fortzuführen. Tatsächlich sei im Wormser Wochenblatt am 22.10.2005 eine gemeinsame Annonce von Y, W und der Beklagten erschienen, wonach unter der bisherigen Adresse der Beklagten in der "Gemeinsamen Sozialstation A-Stadt" ambulante Pflege angeboten werde. Im Übrigen liege wegen der fehlenden sozialen Abfederung kein wirksamer Interessenausgleich vor, so dass auch die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG nicht eingetreten seien.

Der Beklagte trägt vor, es sei zwar zutreffend, dass sich die Sozialstation in A-Stadt in gemeinsamer Trägerschaft befinde. Er biete im Rahmen dieser Sozialstation allerdings lediglich hauswirtschaftliche Dienstleistungen an.

II.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist form- und fristgerecht (§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 127 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 ZPO i.V.m. § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) erhoben worden. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, was sich aus folgenden Erwägungen ergibt:

Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Dabei geht das Arbeitsgericht zunächst zutreffend davon aus, dass Prozesskostenhilfe nur für einen noch durchzuführenden Rechtsstreit bewilligt werden kann (statt vieler: LAG Hamm Beschluss vom 11.11.2003 - 4 Ta 795/03 - NZA-RR 2004,102). Nach einer bereits eingetretenen Verfahrensbeendigung kommt demgegenüber die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mehr in Betracht.

Im Einzelnen gilt es folgendes zu beachten:

1. Grundsätzlich ist für die Zeit nach Antragstellung und Vorlage der Prozesskostenhilfeerklärung Prozesskostenhilfe rückwirkend für den Zeitpunkt der Bewilligungsreife zu gewähren. Dies ist regelmäßig der Tag, an dem die Partei gemäß § 117 ZPO einen formgerechten Antrag gestellt und die - vollständige - Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat (Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 119 Rn. 39, m.w.N.).

Davon unabhängig stellt sich die andere Frage, auf welchen Zeitpunkt das Gericht für die Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen gemäß § 114 ZPO abzustellen hat.

Regelmäßig ist Grundlage jeder gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz der letzte Erkenntnisstand des Gerichts, also der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung (Zöller, a.a.0., Rn. 44, 46, m.w.N.).

Dies war vorliegend der 22.12.2005. Zu diesem Zeitpunkt war - davon geht das Arbeitsgericht zu Recht aus - das Hauptsacheverfahren bereits beendet.

Im vorliegenden Fall gilt es allerdings zu beachten, dass die Bewilligungsvoraussetzungen i.S.v. § 117 ZPO mit Eingang der vollständigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereits am 09.09.2005 vorlagen und der Rechtsstreit zu diesem Zeitpunkt gerade noch nicht beendet war.

2. Dem Arbeitsgericht ist indes darin zuzustimmen, dass die Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO bot.

a) Hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund seiner Sachverhaltsdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss also auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird.

Da § 114 ZPO nur "hinreichende" Erfolgsaussichten verlangt, dürfen die Anforderungen an die rechtlichen und tatsächlichen Erfolgsaussichten nicht überspannt werden. Oft genügt eine schlüssige Darlegung mit Beweisantritt; jedoch können bei dubiosen Sachen strengere Anforderungen gestellt werden (Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 114 Rz. 19 m.w.N.).

Abgesehen davon, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Beklagte allen Mitarbeitern des ambulanten Pflegedienstes gekündigt hat, was - zumal i.V.m. der Betriebsvereinbarung - ebenfalls für eine (Teil-)Betriebsstilllegung spricht, war vorliegend zu berücksichtigen, dass der Beklagte mit dem bei ihm bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung im Sinne eines Interessenausgleichs mit Namensliste abgeschlossen hat, so dass gemäß § 1 Abs. 5 KSchG vermutet wird, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass mit einem Interessenausgleich (lediglich) die Umstände, unter denen eine Betriebsänderung erfolgt, einvernehmlich geregelt werden sollen. Er dient gerade nicht wie der Sozialplan dem Ausgleich oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, sondern hat deren Vermeidung zum Ziel. Damit ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass wegen der Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG die Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO bot. Sonstige Unwirksamkeitsgründe hat die Klägerin nicht dargetan.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschwerdevorbringen der Klägerin. Abgesehen davon, dass dieses erst nach Beendigung des Verfahrens erfolgte und damit grundsätzlich keine Berücksichtigung mehr finden kann, hat der Beklagte dargetan, dass er im Rahmen der gemeinsamen Sozialstation keine ambulanten Pflegeleistungen erbringe. Damit hat die Klägerin weder ausreichend vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass entgegen § 1 Abs. 5 KSchG dringende betriebliche Gründe nicht vorliegen.

Nachdem die sofortige Beschwerde bereits aus den vorgenannten Gründen zurückzuweisen war, bedurfte es keiner Entscheidung, ob sich das Ergebnis im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.12.2003 (Az.: 2 AZB 23/03) bereits daraus ergibt, dass es sich bei der vereinbarten Abfindung um einsetzbares Vermögen handelt.

Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

Ende der Entscheidung

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