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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 23.09.2004
Aktenzeichen: 4 Sa 462/04
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 72 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 Sa 462/04

Verkündet am: 23.09.2004

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 21.04.2004 - 1 Ca 246/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage ob das Ausbildungsverhältnis der Klägerin durch außerordentliche Kündigung der Beklagten beendet worden ist. Die Klägerin ist am 07.04.1984 geboren. Sie hat zunächst in der Kranken- und Altenpflege bei der Beklagten ein zweijähriges Praktikum absolviert und schloss mit der Beklagten einen Ausbildungsvertrag für die Dauer vom 19.08.2002 bis zur Abschlussprüfung zum Ende des Schuljahres 2005.

Die Beklagte erteilte unter dem 21.01.2004 der Klägerin eine Abmahnung, weil sie am 24.12.2003 um 17.28 Uhr und 17.29 Uhr den privaten Telefonanschluss einer Heimbewohnerin Frau F und um 19.20 Uhr einen privaten Telefonanschluss der Heimbewohnerin Frau R für private Anrufe benutzt hat. In dem Abmahnungsschreiben heißt es, in dem mit der Klägerin geführten Gespräch habe sie sich in Bezug auf ihr Fehlverhalten einsichtig gezeigt und versichert, dass es keine weitere missbräuchliche Benutzung von Telefonanschlüssen gegeben habe. Die Beklagte überprüfte nach Übergabe der Abmahnung die Telefonanschlüsse der Dienstzimmer des Wohnbereiches 4 und 5 im Zeitraum vom 01.11.2003 bis 13.01.2004 und stellte fest, dass die Klägerin während ihres Dienstes private Telefonate geführt hat und zwar am 04.12.2003 für 0,48 €, am 05.12.2003 für 0,30 €, am 09.12.2003 für 0,36 €, am 25.12.2003 für 0,36 € und 0,24 € und am 03.01.2004 für 0,24 €, insgesamt also für 1,74 €.

Die Beklagte kündigte nach Anhörung der Mitarbeitervertretung das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom 09.02.2004 ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aus wichtigem Grund. Die Klägerin reichte hiergegen am 10.02.2004 Klage beim Arbeitsgericht Trier ein.

Sie hat vorgetragen, sie sei zu keiner Zeit nach Telefongesprächen von dem Diensttelefon der Beklagten aus befragt worden. Sie sei bei der Aussprache nie zu Wort gekommen, keiner der Anwesenden habe ihr zuhören wollen und sie sei mundtot gemacht worden.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 09.02.2004 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 09.02.2004 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, nachdem der Sachverhalt bezüglich der Privattelefonate von Telefonanschlüssen der Heimbewohner aufgefallen sei, habe die Klägerin auf Nachfrage ausdrücklich bestätigt, dass dies eine einmalige Sache gewesen sei und weitere Telefonate nicht von ihr geführt worden seien. Sie habe Fragen nach weiteren, von Diensttelefonen geführten Gesprächen ausdrücklich und wiederholt verneint. Nach durchgeführter Überprüfung der Telefonanschlüsse der Dienstzimmer habe sich ergeben, dass die Klägerin entgegen ihren Angaben mehrmals während ihres Dienstes telefoniert habe. In einem gemeinsamen Gespräch mit der Klägerin, der Personalleiterin, der Heimleiterin, der Schulleiterin sowie dem Personalratsvorsitzenden habe sich die Klägerin uneinsichtig gezeigt und sei sich in Rechtfertigungen ergangen. Aufgrund des uneinsichtigen Verhaltens sei der Entschluss gefasst worden, die Klägerin zu kündigen. Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 21.04.2004 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, an das Vorliegen eines wichtigen Grundes seien strenge Anforderungen zu stellen. Es handele sich bei Auszubildenden in der Regel um einen in der geistigen, charakterlichen und körperlichen Entwicklung befindlichen Jugendlichen. Bei Beurteilungen fehlerhaften Verhaltens sei zu berücksichtigen, dass es gerade zu den Pflichten des Ausbildenden gehöre, den Auszubildenden auch charakterlich zu fördern. Pflichtverletzungen und Fehlverhalten könnten da nicht zur fristlosen Kündigung berechtigen, so lange der Ausbildende nicht alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Erziehungsmittel erschöpfend angewandt habe. Erst nach Scheitern aller möglichen pädagogischen Maßnahmen komme eine Kündigung als letztes Mittel in Frage. Die Klägerin habe nach der Abmahnung vom 21.01.2004 keine weiteren Vertragsverletzungen begangen. Die Abmahnung wegen der Privattelefonate von Anschlüssen der Heimbewohner habe die Klägerin akzeptiert und ihr Fehlverhalten eingeräumt. Nach Ausspruch dieser Abmahnung habe sie keine weiteren Privattelefonate getätigt. Die außerordentliche Kündigung sei nicht aus anderen Gründen gerechtfertigt, insbesondere nicht wegen des von der Beklagten behaupteten zerrütteten Vertrauensverhältnisses. Allein die Tatsache, dass die Klägerin Privattelefonate im Wert von 1,74 € geführt habe, rechtfertige die außerordentliche Kündigung nicht. Es handele sich zwar um ein Fehlverhalten, dieses sei jedoch nicht so schwerwiegend, dass es die außerordentliche Beendigung des Ausbildungsverhältnisses im Hinblick auf die fortgeschrittene Ausbildungsdauer rechtfertige. Das Arbeitsgericht hat unterstellt, die Klägerin sei ausdrücklich nach weiteren Telefonaten auch vom Diensttelefon aus befragt worden. Dies rechtfertige allerdings keine andere Beurteilung. Der Vorwurf den die Beklagte der Klägerin mache, im Hinblick auf die Unehrlichkeit sei das Vertrauensverhältnisse derart erheblich erschüttert, dass eine Weiterbeschäftigung nicht möglich sei, seien andere als der Vorwurf der Abmahnung. Zwar sei nachvollziehbar, dass die Beklagte aufgrund der aufgedeckten privaten Telefonate reagieren musste. Demgemäß habe sie völlig zu Recht ein weiteres Gespräch mit der Klägerin gesucht, soweit die Beklagte als Fazit dieses Gesprächs feststelle, die Klägerin habe sich uneinsichtig gezeigt und sich in Rechtfertigungen ergangen, hätte die Beklagte näher darlegen müssen, wie die Klägerin denn auf die Vorwürfe reagiert habe. Ihr habe die Klägerin erklärt, sie sei regelrecht mundtot gemacht worden. Insbesondere angesichts des Alters der Klägerin von erst 19 Jahren, der noch ca. 1 1/4 Jahr andauernden Ausbildung und der Tatsache, dass davon die Hälfte der Ausbildung im schulischen Bereich stattfinde, hätte es nach der Auffassung der Kammer ausgereicht, wenn die Beklagte im Hinblick auf die weiteren privaten Telefonate vom Diensttelefon der Klägerin eine weitere Abmahnung ausgesprochen hätte. Die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung lägen somit - noch - nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die vorbezeichnete Entscheidung verwiesen.

Gegen das der Beklagten am 12.05.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, 14.06.2004 eingelegte Berufung. Die Beklagte hat ihre Berufung mit am 12.07.2004 eingegangenem Schriftsatz begründet. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass der Vorwurf der in der Abmahnung enthalten sei, ein nicht grundsätzlich anderer sei, als der Vorwurf der Unehrlichkeit der Klägerin. Die ausgesprochene Kündigung sei im Zusammenhang mit der vorangegangenen Abmahnung zu sehen. Die Beklagte habe vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass sie ausdrücklich die Klägerin zu weiteren Telefonaten auch vom Diensttelefon befragt habe. Dies habe die Klägerin mehrmals verneint. Erst als nach Überprüfung ihr die Telefonlisten vorgelegt wurden, habe sie weitere Telefonate eingeräumt, dabei mehrfach behauptet, dass sie an diese Telefonate zunächst nicht gedacht habe, dann habe sie sich auf den geringen materiellen Schaden zurückgezogen und insgesamt keinerlei Unrechtsbewusstsein gezeigt. Der Vorwurf, sie sei in dem Gespräch mundtot gemacht worden, sei nicht gerechtfertigt. Das Gespräch mit ca. 1 Stunde Dauer habe in einer freundlichen und fairen Atmosphäre stattgefunden. Sie habe nach übereinstimmender Auffassung sämtlicher Beteiligten keinerlei Unrechtsbewusstsein gezeigt.

Das Arbeitsgericht habe weiter übersehen, dass die Klägerin bereits 19 Jahre alt und damit volljährig sei und nicht mehr über Erziehungsberechtigte verfüge. Sie sei keine Jugendliche mehr und müsse sich daher auch einem strengeren Maßstab als ein Minderjähriger unterwerfen lassen. Die Beklagte habe alle ihr zur Verfügung stehenden pädagogischen Maßnahmen genutzt. Im Gespräch vom 27.01.04 sollte eine neue Vertrauensbasis geschaffen werden, dies habe bei der Klägerin jedoch keine Wirkung gezeigt.

Die Klägerin werde auch aufgrund von nicht durch den Kündigungsschutzprozess bedingte Fehlzeiten in der praktischen Ausbildung diese nicht in der vorgeschriebenen Zeit absolvieren können. Außerdem werde die restliche Ausbildungszeit in der von der Beklagten betriebenen Pflegeschule absolviert. Die Klägerin sei nach ihrem gezeigten Verhalten für den von ihr in Aussicht genommenen Beruf der Altenpflegerin nicht geeignet.

Die Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Trier - 1 Ca 246/04 - vom 21.04.2004 wird abgeändert,

2. die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier - 1 Ca 246/04 - vom 21.04.2004 zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO).

Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Im Ergebnis und in der Begründung vollkommen zutreffend hat das ausführliche arbeitsgerichtliche Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend erkannt und den Feststellungsantrag der Klägerin entsprochen. Im Berufungsverfahren sind keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgetreten, die eine Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen würden. Die Berufungskammer nimmt daher voll umfänglich Bezug auf den begründenden Teil des angefochtenen Urteils und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich wegen der Angriffe im Berufungsverfahren sei die Beklagte kurz auf Folgendes hinzuweisen:

Die Verpflichtung des Auszubildenden, auf den besonderen Rechtscharakter des Ausbildungsverhältnisses Rücksicht zu nehmen und die damit verbundene Erschwernis von außerordentlichen Kündigungen gegenüber den Kündigungen eines normalen Arbeitsverhältnisses hat dann auch Sinn, wenn es sich bei dem Auszubildenden um einen gerade volljährig gewordenen Jugendlichen handelt. Mit 19 Jahren ist ein junger Erwachsener noch nicht vollständig hinsichtlich seiner Entwicklung ausgereift, so dass pädagogische Maßnahmen im Ausbildungsverhältnis keinen Sinn mehr machen müssten. Der Gesetzgeber selbst hat Menschen zwischen 18. und 21. Lebensjahr im Strafrecht als Heranwachsende bezeichnet, als eine Gruppe von Menschen also, die erzieherischer Zuwendung noch bedürfen. Dies gilt auch für das Berufsausbildungsverhältnis. Ob die Kammer anders entschieden hätte, wenn die Klägerin zwischen 25 und 30 Jahre alt gewesen wäre, bedurfte keiner Entscheidung. Sie war im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 19 Jahre alt und befand sich in der Berufsausbildung, die sie im Übrigen an ein zweijähriges Praktikum auch bei der Beklagten im altenpflegerischen Bereich angeschlossen hat. Die Ausführung des Arbeitsgerichts zu der Verpflichtung, zunächst alle zumutbaren pädagogischen Maßnahmen zu versuchen, sind nicht zu beanstanden, sie sind allesamt folgerichtig. Hiermit setzt sich die Berufungsbegründung auch nicht ausreichend auseinander. Die Beklagte wiederholt lediglich ihren erstinstanzlich bereits geäußerten Standpunkt, die Klägerin habe sich uneinsichtig gezeigt. Dies mag zwar sein und wird zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass sie in dem nachfolgenden Gespräch auf einen etwaigen geringen materiellen Schaden hingewiesen hat und auch ein Unrechtsbewusstsein vermissen ließ, daraus lässt sich allerdings nicht der Schluss ziehen, dass die Klägerin durch eine schriftliche Abmahnung sich nicht für eine Änderung ihres Verhaltens hätte verleiten lassen. Anhaltspunkte dafür bestehen, selbst wenn die Klägerin sich uneinsichtig gezeigt hat, nicht. Auf die Frage, wie das Gespräch abgelaufen ist, also in einer offenen freundlichen und fairen Atmosphäre kam es entscheidungserheblich nicht an. Die Kammer hat in der Tat wie das Arbeitsgericht Zweifel, ob diese Atmosphäre auch für die Klägerin, die sich insgesamt vier Respektpersonen gegenüber sah, als offen, fair und freundlich empfunden wurde.

Der von der Klägerin angerichtete materielle Schaden ist gering. Es hätte nach Auffassung der Kammer durchaus ausgereicht, die Klägerin abzumahnen und ihr die durch Privattelefonate entstandenen Kosten bei der nächsten Lohnabrechnung in Ansatz zu bringen. Eine außerordentliche Kündigung mit Begründung der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses wegen grober und nachhaltiger Unehrlichkeit war nicht die ausreichende und angemessene Reaktion der Beklagten, die zu einer Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses führen könnte. Hierbei berücksichtigt die Kammer ausdrücklich, dass die Ausbildung schon längere Zeit fortgeschritten ist, die Klägerin ein zweijähriges Berufspraktikum im Hinblick auf den Berufswunsch Altenpflegerin bei der Beklagten absolviert hat. Der Beklagten ist es nach dem Beurteilungszeitpunkt des Zugangs der Kündigung auch dann zuzumuten, das Ausbildungsverhältnis angesichts eines etwaigen Fehlverhaltens der Klägerin, wie es sich nach dem streitigen Tatsachenvortrag der Beklagten darstellt, dann fortzusetzen, wenn sie das Ausbildungsverhältnis wegen Nichtbestehen der Prüfung um ein weiteres Jahr verlängern sollte. Dies gilt auch unabhängig davon, ob die Beklagte selbst die Pflegeschule betreibt.

Nach allem musste die gegen das arbeitsgerichtliche Urteil gerichtete Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO erfolglos bleiben.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.

Ende der Entscheidung

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