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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 12.10.2006
Aktenzeichen: 4 Sa 587/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 Sa 587/06

Entscheidung vom 12.10.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 23.05.2006 - 3 Ca 382/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung, insbesondere um die Frage, ob der Kläger sich auf den tatsächlichen verspäteten Zugang berufen kann.

Seit 1997 ist der Kläger als Möbelpacker zu einem monatlichen Bruttolohn von 1.900,00 € bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als fünf Mitarbeiter beschäftigt, im Arbeitsverhältnis.

Mit Schreiben vom 30.01.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 28.02.2006.

Mit der am 03.03.2006 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger die Feststellung der Sozialwidrigkeit dieser Kündigung und behauptet, diese Kündigung sei ihm nicht vor dem 15.02.2006 zugegangen. Der Kläger wohnte zunächst in der N-Straße in B-Stadt. Dort zog er Ende Januar 2006 aus.

Er hat vorgetragen, das Kündigungsschreiben nicht vor dem 15.02.2006 erhalten zu haben.

Er hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30.01.2006 nicht zum 28.02.2006 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Kündigungsgründe hat sie nicht vorgetragen. Sie hat vorgetragen, am 30.01.2006 das Kündigungsschreiben für den Kläger gefertigt zu haben, um es ihm vor Dienstschluss persönlich auszuhändigen. Zwar habe er bis 17 Uhr Dienst gehabt, sei aber von Umzugsarbeiten bis 16 Uhr nicht mehr in den Betrieb zurückgekehrt, so dass eine Aushändigung unterbleiben musste. Darauf habe der Geschäftsführer die Mitarbeiterin Frau D. gebeten, das Kündigungsschreiben noch am 30.01.2006 in den Briefkasten des Klägers in der N-Straße in B-Stadt zu werfen. Diese habe jedoch keine Briefkasten mit dem Namen des Klägers im Haus in der Neustraße oder im Haus dahinter finden können.

Da der Kläger am 31.01.2006 nicht gearbeitet habe, habe sie ihm das Schreiben zusätzlich per Einschreiben mit Rückschein noch an diesem Tage übersandt. Der Kläger sei am 01.02.2006 über das Einschreiben durch den Zusteller informiert worden. Am 07.02.2006 habe Frau D. den Kläger im Büro der Beklagten eine Kopie des Kündigungsschreibens geben wollen, der Kläger habe abgelehnt und gesagt, einen Nachsendeantrag gestellt zu haben, Post würde ihm zurückgesandt.

Am 10.02.2006 habe der Kläger eine nochmalige rein vorsorgliche schriftliche Kündigung erhalten, die mit seinen Unterlagen für die V übergegeben worden seien.

Unstreitig hat die Beklagte am 15.02.2006 das mittlerweile von der Post als nicht abgeholte Einschreibsendung zurückgekommene ursprüngliche Kündigungsschreiben übergeben.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe es zu vertreten, dass ihm das Kündigungsschreiben am 30.01.2006 nicht rechtswirksam habe zugehen können. Er müsse sich somit so behandeln lassen, als sei ein Zugang zu diesem Zeitpunkt oder zeitnah erfolgt. Damit sei die Kündigungsschutzklage verspätet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 23.05.2006 verwiesen.

In diesem Urteil hat das Arbeitsgericht der Klageforderung entsprochen und im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei, folge man dem Vorbringen der Beklagten, erstmals am 10.02.2006 zugegangen, nach dem Vorbringen des Klägers erstmals am 15.02.2006. Unter Berücksichtigung beider Daten habe der Kläger mit der am 03.03.2006 bei Gericht eingegangenen Klage die Klagefrist gewahrt. Das Vorbringen der Beklagten, am 07.02.2006 habe Frau D. dem Kläger eine Kopie des Kündigungsschreibens geben wollen, sei unerheblich, weil eine Fotokopie, die durch das Gesetz vorgeschriebene Schriftform nicht wahre.

Der Kläger müsse sich auch nicht nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei ihm das Kündigungsschreiben vor dem 10. bzw. 15.02.2006 zugegangen. Er habe den Zugang nicht arglistig vereitelt. Selbst wenn man davon ausgehe, dass er über den Zugang des Einschreibens am 01.02.2006 benachrichtigt worden sei und weiter unterstelle, dass er trotz dieser Benachrichtigung das Einschreiben nicht abgeholt habe, könne von einer arglistigen Zugangsvereitelung bzw. Zugangsverzögerung nicht ausgegangen werden, weil diese nur anzunehmen wäre, wenn er am 01.02.2006 gewusst hätte, dass ihm die Beklagte ein Kündigungsschreiben zusenden wolle und dass er das Einschreiben aus diesem Grunde nicht abgeholt habe. Vor seinem Umzug sei er im Übrigen nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte über die Wohnungsänderung zu unterrichten.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die vorbezeichnete Entscheidung verwiesen.

Das Urteil wurde der Beklagten am 27.06.2006 zugestellt. Sie hat am 27.07.2006 Berufung eingelegt und ihre Berufung am 25.08.2006 begründet. Die Beklagte verweist auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und wiederholt diesen, dass sie seit längerer Zeit wegen erheblicher Auftragseinbrüche beabsichtigt habe, den Kläger noch im Januar aus betriebsbedingten Gründen zu kündigen. Mitte Januar 2006 habe ein Gespräch mit dem Geschäftsführer stattgefunden und der Kläger erklärt erhalten, dass Aushilfskräfte wegen der erheblichen Auftragsrückgänge wohl nicht mehr benötigt werden. Stattdessen würden Fahrer mit Führerschein Klasse 2 gebraucht. Weiter habe Herr S gesagt, wenn der Kläger nicht den Führerschein Klasse 2 machen würde, müsste ihm in den nächsten zwei Wochen betriebsbedingt gekündigt werden. Der Kläger habe daraufhin erklärt, dann mache ich den Führerschein nicht, man müsse ihm kündigen. Deshalb habe der Kläger gewusst, dass ihm eine Kündigung der Beklagten zugehen werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 23.05.2006 (Az: 3 Ca 382/06) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er bestreitet den neuerlichen Sachvortrag, dem Kläger sei bekannt gewesen, dass demnächst eine Kündigung zukomme. Er habe den Zugang der Kündigung treuwidrig nicht vereitelt. Im Übrigen habe die Beklagte nicht alles Zumutbare getan, um einen rechtzeitigen Zugang sicherzustellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen im Sitzungsprotokoll vom 12.10.2006.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO).

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch keinen Erfolg.

II.

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und in der Begründung vollkommen zutreffend entschieden, dass die ausgesprochene Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist. Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung. Die Beklagte hat keine Gründe für die Begründung der sozialen Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung vorgetragen. Da sie als Arbeitgeber hierfür die Beweislast trägt, konnte sie sich mit Erfolg nicht auf die soziale Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung berufen.

Der Kläger kann die Unwirksamkeit der Kündigung deswegen geltend machen, weil er rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht hat.

Die Annahme des Arbeitsgerichts, dass der Kläger nicht so behandelt werden darf, als sei ihm die Kündigung vor dem 10.02.2006 zugegangen, ist im Ergebnis und in der Begründung zutreffend.

Im Berufungsverfahren sind keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgetreten, die eine Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen würden.

Auch der im Berufungsverfahren erstmals präzise gehaltene Sachvortrag der Beklagten, dem Kläger sei Mitte Januar erklärt worden, er müsse innerhalb der nächsten zwei Wochen mit seiner Kündigung rechnen, falls er nicht den Führerschein Klasse 2 mache, ist für die Entscheidung nicht erheblich, weil eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht eintritt.

Der Empfänger einer Willenserklärung kann sich nach Treu und Glauben nicht auf den verspäteten Zugang der Willenserklärung berufen, wenn er die Zugangsverzögerung selbst zu vertreten hat. Er muss sich dann so behandeln lassen, als habe der Erklärende die entsprechenden Fristen gewahrt (vgl. BAG Urteil vom 25.04.1996, 2 AZR 13/95).

Wer aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen hat, muss geeignete Vorkehrungen treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen. Tut er dies nicht, so wird darin vielfach ein Verstoß gegen die durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder den Abschluss eines Vertrags begründeten Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Partner liegen.

Aber auch bei schweren Sorgfaltsverstößen kann der Adressat nach Treu und Glauben regelmäßig nur dann so behandelt werden, als habe ihn die Willenserklärung erreicht, wenn der Erklärende alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressanten erreichen konnte.

Hierbei kann dahinstehen, ob der Kläger gegen die Sorgfaltspflichten in erheblichem Maße verstoßen hat. Allein der u. U. gemeldete Umzug rechtfertigt dies nicht. Dass der Kläger durch Manipulation an seinem Briefkasten es vereitelt haben sollte, dass ihm Erklärungen zugehen, ist nicht ersichtlich. Für die Kammer bleibt auch unklar, wieso Frau D. einen Briefkasten nicht finden konnte, andererseits der Postzusteller aber in der Lage war, eine Benachrichtigung über eine Einschreibesendung dem Kläger durch Einwurf in den Briefkasten zuzuleiten.

Es kann auch offen bleiben, ob der Kläger verpflichtet war, die Benachrichtigung über die Einschreibesendung dergestalt zu behandeln, dass er diese Einschreibesendung unverzüglich abgeholt hat. Hierbei wird zugunsten der Beklagten unterstellt, dass der Kläger mit einer demnächstigen Kündigung rechnen musste und er es aus diesem Grunde unterlassen hat, die Einschreibesendung abzuholen.

Die Beklagte hat aber jedenfalls nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, um eine rechtzeitige Zustellung sicherzustellen. Dies ist aber Voraussetzung dafür, sich als Erklärender auf Zugangsvereitelung zu berufen (vgl. BAG v. 22.09.2005 - 2 AR 366/04). Der Kläger verfügte, wie sich aus dem Sachvortrag der Beklagten bezüglich der Benachrichtigung über die Einschreibesendung ergibt, über einen postalischen Zugang. Es wäre der Beklagten unschwer möglich gewesen, entweder durch insofern geeignete Mitarbeiter, welche als Boten fungieren, einen dokumentierbaren nachvollziehbaren Einwurf in den Briefkasten des Klägers zu veranlassen oder aber statt der Versendungsart Einschreiben mit Rückschein die Versendungsart Einwurfeinschreiben zu wählen, die seit einigen Jahren allgemein üblich ist und bei der der Zugang von Schriftstücken dadurch bewirkt wird, dass das Schriftstück in den Briefkasten eingeworfen wird und zu den normalen zu erwartenden Leerungszeiten des Briefkastens der Zugang angenommen wird, wohingegen beim Einschreiben mit Rückschein der Zugang gerade dadurch nicht bewirkt wird, dass ein Benachrichtigungszettel in den Briefkasten eingeworfen wird, vielmehr erst dann, wenn das Schriftstück tatsächlich abgeholt wird.

Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte alle zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft hat, dem Kläger das Kündigungsschreiben noch innerhalb angemessener Frist zugehen zu lassen. Somit kann der Kläger nicht so behandelt werden, als sei ein früherer Zugang vor dem 10.02.2006 festzustellen.

III.

Nach allem musste die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO der Zurückweisung unterliegen.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.

Ende der Entscheidung

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