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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: 4 Sa 709/06
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV § 15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 Sa 709/06

Entscheidung vom 23.11.2006

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19.07.2006 - 1 Ca 2064/05 - unter Aufrechterhaltung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.732,95 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.02.2006 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die weitere Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger 73/100, der Beklagten 27/100 auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf eine tarifliche Jahresleistung und auf tarifliches Urlaubsgeld für die Kalenderjahre 2003, 2004 und 2005 geltend.

Er ist gemäß schriftlichen Arbeitsvertrag vom 06.10.1990 bei der Beklagten beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wird bezüglich der Vergütung und des Urlaubsanspruchs auf die tariflichen Bestimmungen verwiesen. Zwischen den Parteien ist weiter unstreitig, dass die Geltung der Tarifverträge für die Druckindustrie vereinbart ist. Entsprechende Leistungen sind an sämtliche Mitarbeiter gewährt worden. Die Beklagte fühlte sich an die Tarifverträge jedenfalls bis zum Ende ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband gebunden. Diese kündigte sie mit Schreiben vom 07.06.2004 zum 31.12.2004. Letztmals im Kalenderjahr 2003 erbrachte die Beklagte eine anteilige Zahlung auf die tarifliche Jahresleistung und zwar im Falle des Klägers in Höhe eines Betrages von 888,29 €. In den Jahren 2002, 2003 und 2004 führte die Beklagte Betriebsversammlungen durch, in deren Rahmen sie die Belegschaft darüber informierte, aufgrund der bestehenden Geschäftslage und der wirtschaftlichen Situation werde bis auf weiteres die Zahlung von Urlaubsgeld und Jahresleistung allenfalls in Form anteiliger Zahlung möglich und dies auch nur dann, falls die wirtschaftliche Situation des Betriebs eine anteilige Zahlung überhaupt hergebe.

Nach den tariflichen Bestimmungen ergeben sich bezüglich des Klägers für 2005 eine Jahresleistung von 2.161,25 € und Urlaubsgeld in Höhe von 1.571,70 €.

Der Kläger hat vorgetragen, bei den Betriebsversammlungen hätten er und die Kollegen nicht widerspruchslos die angekündigte Reduzierung der Zahlungen hingenommen. Die Beklagte habe versucht, die Mitarbeiter hinzuhalten. Sie habe alles offen gelassen, sich nunmehr auf Ausschlussfristen zu berufen sei, treuwidrig.

Der Kläger hat neben den vorbezeichneten Leistungen auch die restliche Jahresleistung für 2003, die Jahresleistung für 2004 sowie Urlaubsgeld von 2003 und 2004 mit einer Gesamtsumme von 10.282,58 € eingeklagt.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.282,58 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.02.2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die wirtschaftliche Situation lasse eine vollständige Erfüllung der Ansprüche der Arbeitnehmer nicht zu. Deshalb habe der Geschäftsführer M im Rahmen der Betriebsversammlung im Juli 2004 erneut erklärt, dass die Beklagte bis auf weiteres nicht in der Lage sei, ihren Beschäftigten Urlaubsgeld und Jahresleistung zu zahlen. In den Betriebsversammlungen habe sie eine Einigung mit ihren Beschäftigten über die Kürzung von Urlaubsgeld erzielt. Schon allein deshalb seien die Ansprüche des Klägers unbegründet. Im Übrigen seien sie teilweise verfallen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 19.07.2006 verwiesen.

In diesem Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage voll entsprochen und im Wesentlichen ausgeführt, eine Einigung über einen Verzicht auf die Ansprüche habe die Beklagte nicht vorgetragen. Die Beklagte habe keine Änderungsvereinbarung dahin vorgeschlagen, dass künftig die tariflichen Leistungen entfielen. Da ein entsprechendes Angebot nicht gemacht worden sei, konnten die Beschäftigten ein solches Angebot auch nicht annehmen. Die Ausschlussfrist des § 15 des Manteltarifvertrags greife nicht. Zwar wären die vom Kläger geltend gemachten tariflichen Ansprüche für die Jahre 2003 und 2004 verfallen. Die Beklagte könne sich unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben allerdings nicht auf die Ausschlussfrist berufen. Sie habe während des Laufs der Ausschlussfrist den Eindruck erweckt, eine gerichtliche Klärung des Anspruchs sei entbehrlich, könne sich daher nach Ablauf der Frist nicht auf die Vertragsklausel berufen. Die Beklagte habe die Zahlung von Urlaubsgeld und Jahresleistung in Form von anteiligen Zahlungen für den Fall für möglich hingestellt, dass die wirtschaftliche Situation sich bessere und eine anteilige Zahlung hergebe. Damit habe sie den Eindruck erweckt, sie werde künftig zumindest anteilige tarifliche Zahlungen vornehmen. Hierauf habe der Kläger vertrauen dürfen. Die Beklagte handele widersprüchlich, wenn sie dem Kläger, der jahrelang "stillgehalten" habe, nunmehr die tarifliche Ausschlussfrist entgegenhalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die vorbezeichnete Entscheidung verwiesen.

Das Urteil wurde der Beklagten am 08.08.2006 zugestellt. Die Beklagte hat am 05.09.2006 Berufung eingelegt und diese Berufung am 02.10.2006 begründet.

Die Beklagte greift die Auffassung des Arbeitsgerichts an, sie habe in den Betriebsversammlungen kein Änderungsangebot unterbreitet, welches von den Arbeitnehmern angenommen worden sei. Entgegen dieser Auffassung sei in den Betriebsversammlungen klargemacht worden, dass eine Zahlung unterbleibe und allenfalls bei entsprechender Verbesserung der wirtschaftlichen Lage später Zahlungen erfolgen könnten. Die Mitarbeiter seien mit diesen Vertragsänderungen einverstanden gewesen. Insbesondere hätten sie nicht widersprochen. Das Schweigen stehe einer Annahme gleich, wenn der Antragsempfänger nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, seinen abweichenden Willen zu äußern. Die widerspruchslose Fortsetzung der Arbeit durch die Beschäftigten lasse an den Abschluss eines Erlassvertrages denken.

Im Übrigen sei die Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts fehlerhaft, soweit sie die Behandlung der Ausschlussfristen betreffe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19.07.2006 - 1 Ca 2064/05 - wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen;

der Kläger und Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Eine von den tariflichen Regelungen abweichende einzelvertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien liege nicht vor. Es fehle bereits an einem rechtsverbindlichen Angebot der Beklagten, die Erklärungen der Beklagten zielten allein darauf ab, die Arbeitnehmer und damit auch den Kläger hinzuhalten, d. h. von der Geltendmachung der Ansprüche zumindest teilweise abzuhalten. Im Übrigen sei eine Annahme des Angebotes durch den Kläger nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen im Sitzungsprotokoll vom 23.11.2006.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO).

Das Rechtsmittel der Berufung hat auch zum Teil Erfolg.

Der Kläger kann von der Beklagten lediglich die Leistungen aus dem Jahre 2005 in Höhe von 1.571,70 € Urlaubsgeld und Jahresleistung von 2.161,25 €, macht insgesamt 3.732,95 € verlangen. Diese Ansprüche sind entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht verfallen.

II.

Dem Kläger stehen die Ansprüche dem Grunde nach zu. Unabhängig davon, ob die Auffassung des Arbeitsgerichts zutreffend ist, wonach die Beklagte dem Kläger kein rechtsverbindliches Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages der ursprünglich vereinbarten arbeitsvertraglichen Leistungen angeboten hat, fehlt es jedenfalls an einer Annahme dieses Angebotes durch den Kläger.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann sie sich nicht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.05.1976 - 2 AZR 202/75 - berufen. Ein Arbeitnehmer, der sich nach dem Angebot einer verschlechternden Vertragsänderung durch den Arbeitgeber nicht äußert, sondern widerspruchslos die Arbeit fortsetzt, kann durch schlüssiges Verhalten eine Vertragsänderung annehmen. Voraussetzung ist aber, wenn der von der Durchführung der nachteiligen Vertragsgestaltung unmittelbar und zugleich betroffen wird (vgl. BAG AP-Nr. 101 zu § 242 BGB "Ruhegehalt").

Eine derartige unmittelbare und gleichzeitige Betroffenheit kann nicht festgestellt werden. Sie ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn der Monatsverdienst, also die aktuell bezogene Vergütung sich nachteilig verändert oder sich aber die Arbeitszeit nachteilig zu Lasten des Arbeitnehmers heraufgesetzt wird. Eine Kürzung von laufenden Sonderzuwendungen bzw. von Urlaubsgeld stellt nicht eine gleichzeitige unmittelbare Betroffenheit dar, die es erforderlich machen würden, dass sich der Arbeitnehmer äußern muss, um durch schlüssiges Verhalten der bloßen stillschweigenden Weiterarbeit den Rechtsschein einer Annahme zu vermeiden. Somit kann, selbst wenn ein eindeutiges Angebot der Beklagten vorgelegen haben sollte, in der bloßen widerspruchslosen Weiterarbeit des Klägers nicht ein stillschweigendes Einverständnis angenommen werden, mit den Kürzungen solle es sein Bewenden haben.

III.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist jedoch nicht zutreffend, insoweit das Arbeitsgericht es der Beklagten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt hat, sich auf die tariflich geltenden und arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen zu berufen.

Dem Grundsatz nach ist zwar dem Arbeitsgericht zuzugeben, dass die Berufung auf die Ausschlussfrist dann gegen Treu und Glauben verstoßen kann, wenn der Anspruchsverpflichtete den Eindruck erweckt hat, er werde auch ohne eine fristgerechte Geltendmachung den Anspruch erfüllen.

Die Schlussfolgerung, die das Arbeitsgericht aus den Erklärungen der Beklagten zieht, können von der Berufungskammer jedoch nicht geteilt werden.

Die Beklagte hat ausweislich des Vortrags des Klägers nicht etwa erklärt, sie werde die laufenden Leistungen irgendwann nachzahlen und dadurch den Kläger von der Geltendmachung von Ansprüchen abgehalten, sie hat vielmehr nach dem unstreitigen Sachverhalt ausdrücklich erklärt, sie werde u. U. später bei Änderung der wirtschaftlichen Situation möglicherweise anteilig die Leistungen erbringen. Diese Erklärung ist nur dahin zu verstehen, dass in künftigen Zeiträumen über eine Gewährung der Leistung erneut entschieden wird. Damit hat die Beklagte aber gerade nicht erklärt, dass sie die im Jahre 2003 und 2004 anstehenden Leistungen unabhängig davon erfüllen werde, ob der Kläger seine Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht hat.

Ausschlussfristen haben den Sinn, den Vertragsparteien alsbald Klarheit zu verschaffen, welche Ansprüche der Gegenseite noch erhoben werden. Gerade die vorstehende Konstellation zeigt es, dass die Ausschlussfrist im Falle des Klägers für die Beklagte die Wirkung hatte, dass sie nach Ablauf der Ausschlussfrist nach Fälligkeit davon ausgehen konnte, der Kläger werde die Ansprüche nicht mehr geltend machen. Die Beklagte hat nicht durch Zusicherungen, die Ansprüche würden irgendwann erfüllt, den Kläger von einer Geltendmachung abgehalten, sie hat vielmehr ausdrücklich erklärt, dass sie sich nicht in der Lage sieht, die Ansprüche auszuzahlen, ohne dass ein Insolvenzrisiko besteht.

Der Kläger hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, er war jedenfalls nicht durch Verhalten der Klägerin gehindert, die ihm zustehenden Ansprüche gegenüber der Beklagten in der vorgesehenen Form geltend zu machen. Dies ist für die Jahre 2003 und 2004 nicht erfolgt, so dass insoweit die Ansprüche durch Eingreifen der Ausschlussfrist erloschen sind.

IV.

Demgemäß war wie geschehen die Entscheidung des Arbeitsgerichts teilweise abzuändern und dem Kläger nur die zugesprochenen Beträge von 3.732,95 € nebst Zinsen (die Nebenforderung folgt §§ 288,291 BGB) zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der Kriterien des § 72 ArbGG nicht.

Ende der Entscheidung

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