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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 09.12.2004
Aktenzeichen: 4 Sa 728/04
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
ArbGG § 72 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 Sa 728/04

Verkündet am: 09.12.2004

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 03.08.2004 - 3 Ca 349/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren um die Frage, ob das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch außerordentliche Arbeitgeberkündigung vom 12.02.2004 mit sofortiger Wirkung geendet hat oder ob es bis zum 31.03.2004 fortbestanden hat.

Der Kläger war seit 01.11.2003 bei der Beklagten als Transportfahrer zu einem Monatslohn von 1.600 € brutto beschäftigt. In der Zeit vom 04.02.2004 bis 05.03.2004 war er arbeitsunfähig krank geschrieben. Entsprechende Bescheinigungen legte er der Beklagten vor. Diese kündigte mit Schreiben vom 12.02.2004 das Arbeitsverhältnis fristlos u. a. mit der Begründung, der Kläger habe sie einer Gaststätte diffamiert und versucht einen Gast zu verprügeln. Außerdem habe er unter Zuhilfenahme des Betriebsfahrzeuges einen groß angelegten Zigarettenschmuggel von Luxemburg nach Frankreich betrieben.

Der Kläger hatte am 07.02.2004 sich in der Gaststätte "N" in A-Stadt aufgehalten und dort ein Gespräch mit dem Inhaber auch über den Ehemann der Beklagten geführt.

Anlässlich eines Streites mit einem Gast zog der Kläger die Halskrause, die er bei Betreten der Gaststätte noch getragen hatte, aus. Eine Schlägerei wurde durch Hinzutreten des Inhabers der Gaststätte verhindert. Der Kläger hat vorgetragen, Gründe für eine außerordentliche Kündigung lägen nicht vor.

Er hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.02.2004 nicht aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31.03.2004 fortbestanden hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe vor mehreren Gästen in der Gaststätte N gegenüber dem Inhaber der Gaststätte behauptet, dieser sei schon einmal von ihrem Bruder weggeprügelt worden. Dies habe ihm der Ehemann der Beklagten und die Beklagte so erzählt. Er habe vor vielen Gästen Betriebsinterna ausgeplaudert wie Arbeitszeit, Lohn, Überstunden und Spesen. Die zum Zwecke der Genesung zwingend erforderliche Halskrause habe er abgelegt, um einen Gast zu verprügeln. Er habe auf seinen Fahrten zum Y-Werk nach L täglich mehrere Stangen Zigaretten geschmuggelt und auf Bestellung der dortigen Lagerarbeiter gegen Entgelt abgeliefert.

Der Kläger erwidert, er habe nicht verbotener Weise Betriebsinterna ausgeplaudert. Er habe auch die Gaststätte mit einer Halskrause betreten, diese sei ihm jedoch nicht ärztlich verordnet worden. Auf seinen Touren von Deutschland über Luxemburg nach L habe er täglich 1 - 2 Stangen Zigaretten mitgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 03.08.2004 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, bei behaupteten Äußerungen des Klägers über den offensichtlich schon längere Zeit verstorbenen Bruder der Beklagten sei ein Bezug zu dem Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht erkennbar. Der Kläger habe auch keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, in dem er Betriebsinterna ausgeplaudert habe. Dass der Kläger hinsichtlich dieser Gegenstände zur Verschwiegenheit verpflichtet sei, sei weder vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich. Er habe sich auch nicht dadurch vertragswidrig verhalten, dass er während seines Gaststättenbesuches einen anderen Gast aus privaten Gründen Schläge angedroht und die selbst verordnete Halskrause ausgezogen habe. Die Auffassung des Beklagten, dieses Verhalten zeige, dass der Kläger überhaupt nicht arbeitsunfähig gewesen sei, werde von der Kammer nicht geteilt. Unstreitig habe der Kläger an einem Schleudertrauma aufgrund eines Unfalls gelitten. Allerdings könne der Kläger gegen seine Pflicht zu Gesundheit förderlichem Verhalten verstoßen haben. Ein Fehlverhalten hätte allerdings lediglich dazu berechtigt, den Kläger zunächst abzumahnen. Entsprechendes gelte für den Vorwurf des Zigarettenschmuggels, dabei hat das Arbeitsgericht im Ergebnis offen gelassen, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger mit diesem Verhalten gegen zollrechtliche Bestimmungen verstoßen habe, selbst wenn man davon ausgehe, dass dies so sei, wäre eine Kündigung erst nach erfolgloser Abmahnung gerechtfertigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die vorbezeichnete Entscheidung verwiesen.

Gegen das der Beklagten am 26.08.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.08.2004 eingelegte Berufung, welche die Beklagte am 21.10.2004 begründet hat.

Die Beklagte wiederholt ihre Auffassung, der Kläger habe sie über das Vorhandensein einer angeblichen Arbeitsunfähigkeit getäuscht. Bei einem angeblichen Arbeitsunfall, der zu einer angeblichen Arbeitsunfähigkeit von einem ganzen Monat führen soll, sei aus medizinischen Gründen zwingend das Tragen einer Halskrause vorausgesetzt. Dadurch, dass der Kläger diese Halskrause ausgezogen habe, folge, dass der aus einem behaupteten Arbeitsunfall resultierende Verletzungsumfang tatsächlich niemals gegeben sei.

Das Gespräch über persönliche Beziehungen des Klägers des Zeugen G und die Familie der Beklagte habe sehr wohl arbeitsvertraglichen Bezug. Auch der Ehemann der Beklagten fahre regelmäßig die Gaststätte des Zeugen G als Taxifahrer an. Wenn der Kläger absolut unwahre Äußerungen über die Beklagte bzw. deren Ehemann abgebe, geschehe dies in der ausschließlichen Absicht, das sehr gute und völlig ungestörte Verhältnis zwischen dem Zeugen G und der Familie der Beklagten zu zerstören.

Völlig falsch bewertet habe das Arbeitsgericht den vom Kläger eingeräumten Zigarettenschmuggel. Unabhängig davon, dass sich der tatsächliche Umfang wesentlich höher darstelle als täglich 1 - 2 Stangen, stelle dies einen Zollverstoß dar, weil nicht zu privaten Zwecken eingeführt wird. Wenn es zur Entdeckung des Zigarettenschmuggels durch die französischen Ermittlungsbehörden gekommen wäre, wäre das Fahrzeug der Beklagten mit sofortiger Wirkung stillgelegt worden und nur durch eine Zahlung einer fünfstelligen Kaution wieder frei gekommen. Dieses Fehlverhalten sei derart gravierend, dass auch ohne vorherige vergebliche Abmahnung eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt war.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 03.08.2004 wird die Klage des Klägers und Berufungsbeklagten abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Er habe zu keinem Zeitpunkt über seine Arbeitsunfähigkeit getäuscht Äußerungen in der Gaststätte N seien dem privaten Bereich zuzuordnen. Die Beklagte sei ihrer Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich der Zerstörung der persönlichen und geschäftlichen Verbindungen der Familie C. zu Herrn G nicht nachgekommen. Der Kläger habe sich auch keines Zollvergehens oder vorsätzlicher Steuerhinterziehung strafbar gemacht. Die Beklagte stellt darüber hinaus Mutmaßungen und Prognosen auf, die die von ihr ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht begründen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 09.12.2004.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat unter vollkommen zutreffender Würdigung des von der Beklagten unterbreiteten Sachverhaltes unter Berücksichtigung des unstreitigen Vorbringens die außerordentliche Kündigung für unwirksam erklärt. Im Berufungsverfahren sind keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgetreten, die eine Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen würden. Die Berufungskammer nimmt daher gem. § 69 Abs. 2 ArbGG voll umfänglich Bezug auf den begründenden Teil des angefochtenen Urteils.

Lediglich wegen der Angriffe im Berufungsverfahren sei in der gebotenen Kürze auf Folgendes hinzuweisen:

Die Kammer kann eine Täuschung über die Arbeitsunfähigkeit nicht feststellen. Unstreitig liegen über die Krankheit des Klägers ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Diese begründen nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen die tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit, sofern der Arbeitgeber nicht Umstände vorträgt und beweist, aus denen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Feststellungen begründet sind.

Der Umstand, dass der Kläger während der Arbeitsunfähigkeit aufgrund Schleudertraumas der Halswirbelsäule eine Gaststätte aufsucht, eine von ihm getragene Halskrause auszieht und die Absicht hatte, einen Gast zu verprügeln, belegt nicht, dass er tatsächlich nicht an der Erkrankung gelitten hat. Die Vermutung, dem Kläger sei eine Halskrause ärztlicherseits verordnet worden, ist reine Spekulation. Allenfalls kann dem Kläger wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgestellt ein genesungswidriges Verhalten vorgeworfen werden. Ohne vorherige vergebliche Abmahnung löst dies aber nicht das Recht der Beklagten zur außerordentlichen Kündigung aus.

Das Gespräch über den Bruder der Beklagten, den Ehemann und die Beklagte selbst in der Gaststätte des ersichtlich angetrunkenen Klägers begründet ebenfalls nicht die außerordentliche Kündigung. Es handelt sich um private Meinungsäußerungen, die möglicherweise die Beklagte betreffen, die aber einen Bezug zum Arbeitsverhältnis nicht erkennen lassen. Die Vermutung der Beklagten, die Äußerungen seien gefallen, um die Beklagte in ihren Geschäftsbeziehungen zu Herrn G zu schädigen, sind durch nichts belegt. Sie haben sich auch nicht bestätigt, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat. Die Prognose beruhte daher auf völlig unbegründeten Mutmaßungen.

Schließlich hat das Arbeitsgericht zu Recht dem von der Beklagten behaupteten Zigarettenschmuggel auch in dem von der Beklagten dargestellten Umfang als nicht ausreichend gesehen, das Arbeitsverhältnis ohne vorherige vergebliche Abmahnung zu beenden.

Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- und Verhaltensbereich sind regelmäßig ohne vorherige vergebliche Abmahnung nicht Anlass einer fristlosen Kündigung (vgl. BAG AP Nr. 57 zu § 626 BGB). Lediglich in Ausnahmefällen können Umstände vorliegen, die bei einer Pflichtwidrigkeit im Leistungs- und Verhaltensbereich eine Abmahnung entbehrlich machen. Dies ist dann der Fall, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht in der Lage und nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten, also eine Abmahnung unter Kündigungsandrohung ihn nicht dazu bewegen wird, sein beanstandendes Verhalten einzustellen oder wenn besonders schwere Verstöße vorliegen, bei denen der Arbeitnehmer von vorneherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er bewusst seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt (vgl. BAG AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972).

Hier ist zwar nicht zu verkennen, dass abstrakt die Gefahr bestanden hat, dass bei Aufklärung des Fehlverhaltens des Klägers in steuer- und zollrechtlicher Hinsicht möglicherweise eine Beschlagnahme des Fahrzeugs in Betracht kam. Diese Gefahr hat sich aber im Falle des Klägers nicht konkretisiert. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dass etwa vergleichbare Fälle in ihrem Betrieb vorgekommen sind. In der mündlichen Verhandlung hat sie darüber hinaus auch erklärt, an sich müsste jedem Kraftfahrer bewusst sein, dass Zigarettenschmuggeln nicht erlaubt ist, obwohl es gerichtsbekannt Gang und Gäbe ist, dass die günstigen Einkaufsmöglichkeiten von Zigarettenstangen in Luxemburg von Personen, die die Möglichkeit haben, in Luxemburg einzukaufen, auch dazu benutzt werden, diese Erzeugnisse weiter zu veräußern.

Auf die vom Kläger aufgestellte Behauptung, auch der Ehemann der Beklagten habe Zigaretten "bestellt" kam es entscheidungserheblich nicht an. Jedenfalls wäre das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Betriebes ausreichend dadurch gewährleistet, dass im Falle einer Beschlagnahme eines Fahrzeuges und der Stilllegung der betreffende Arbeitnehmer zu Schadenersatzleistungen herangezogen werden kann. Ein Umstand, der es ausnahmsweise rechtfertigt, bei derartigen Verstößen von einer vorherigen vergeblichen Abmahnung Abstand zu nehmen, liegt jedenfalls nicht vor.

Erweist sich demgemäß die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend, musste die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten insgesamt erfolglos bleiben.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.

Daher ist für keine der Parteien gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel gegeben.

Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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