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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: 4 Sa 797/04
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 Sa 797/04

Entscheidung vom 16.12.2004

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 20.10.2004 - 4 Ca 865/04 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten die tatsächliche Beschäftigung als Pflasterer. In diesem Zusammenhang streiten die Parteien darüber, ob das Arbeitsverhältnis im Sommer 2003 einvernehmlich beendet wurde bzw. ob der Kläger sich darauf berufen kann, eine formwirksame Beendigung sei nicht vereinbart. Er erlitt im Oktober 2002 einen Arbeitsunfall. Ende Juni 2003 kam es zu einem Gespräch zwischen den Parteien über das Arbeitsverhältnis, dessen Inhalt streitig ist. Jedenfalls bezog der Kläger ab 06.07.2003 Arbeitslosengeld. Die Steuerberaterin der Beklagten gab gegenüber der Arbeitsverwaltung an, das Beschäftigungsverhältnis sei beendet, das Arbeitsverhältnis bestehe jedoch fort wegen Freistellung während der Kündigung oder Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug.

Der Kläger hatte außergerichtlich die Beklagte am 11.05.2004 aufgefordert, ihm Arbeit zuzuweisen. Mit der vorliegenden Klage verfolgt er die tatsächliche Beschäftigung, ohne dass er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum Streitgegenstand gemacht hätte. Unter dem 29.09.2004 erklärte die Beklagte die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Das Arbeitsgericht hat in dem angefochtenen Urteil die Beklagte verurteilt, den Kläger tatsächlich als Pflasterer weiter zu beschäftigen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, im Rahmen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses stehe dem Arbeitnehmer ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch zu. Dem Kläger sei es auch nicht verwehrt, sich auf den Weiterbeschäftigungsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis zu berufen.

Das Urteil wurde der Beklagten am 30.08.2004 zugestellt. Hiergegen hat sie am 24.09.2004 Berufung eingelegt und diese Berufung am Dienstag, dem 02.11.2004 (der 01.11.2004 war in Rheinland-Pfalz Feiertag) begründet.

Die Beklagte greift das Urteil des Arbeitsgerichts aus Tatsachen- und Rechtsgründen an, insbesondere sei das Verhalten des Klägers treuwidrig.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 23.08.2004 - 4 Ca 865/04 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger vertritt weiter die Auffassung, dass die unter dem 29.09.2004 ausgesprochene außerordentliche Kündigung offensichtlich rechtsunwirksam ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 16.12.2004.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO). Das Rechtsmittel der Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Berufung ist deswegen schon begründet, weil dem Kläger im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung nicht zusteht.

Auf die im Übrigen wohl vom Arbeitsgericht zutreffend entschiedene Frage, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbesteht, und es seitens des Klägers keinen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt, wenn er sich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beruft, kam es entscheidungserheblich nicht an. Die Frage des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ist zwar als Vorfrage jedoch nicht zum Streitgegenstand angesichts der gestellten Klageanträge erhoben.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht zu. Nach den Grundsätzen, die das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung nach der Entscheidung des großen Senates vom 27.02.1985 (GS 1/84), besteht in einem gekündigten Arbeitsverhältnis ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung nur dann, wenn das Ergebnis der Interessenabwägung einen entsprechenden, nicht im Gesetz normierten Anspruch des Arbeitnehmers begründet. Der allgemeine Beschäftigungsanspruch wird aus einer sich aus Treu und Glauben ergebenden Pflicht des Arbeitgebers hergeleitet. Er muss dort zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Nach den Grundsätzen in der vorbezeichneten Entscheidung ist die Interessenlage grundsätzlich so, dass bei Arbeitgeberkündigung und Klage auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses wie im vorliegenden Fall sich die Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf die weitere tatsächliche Beschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers nachhaltig ändert. Während bei unstreitigem Bestand des Arbeitsverhältnisses ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch regelmäßig gegeben ist, verändert die Ungewissheit, ob die ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat, die Interessenlage nachhaltig. Beschäftigt der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses weiter, so geht er das Risiko ein, dass er bei einem von ihm letztlich gewonnen Prozess den Arbeitnehmer ohne Rechtsgrund beschäftigt und dadurch zu seinem Nachteil Fakten geschaffen hat, die nicht oder nicht vollständig wieder rückgängig gemacht werden können. Beschäftigt dem gegenüber der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzrechtsstreites nicht weiter, wird dann durch rechtskräftiges Urteil die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt, so wird für den Arbeitnehmer das nicht wieder rückgängig zu machende Faktum geschaffen, dass er trotz seines Beschäftigungsanspruchs in der Vergangenheit dennoch nicht beschäftigt worden ist und diese Beschäftigung auch nicht mehr nachgeholt werden kann. Der Schutz des Arbeitnehmers ist in derartigen Fällen aber dadurch gewährleistet, dass er aus den Grundsätzen des Annahmeverzugs nachträglich Vergütung für sich reklamieren kann. Nach den in der vorbezeichneten Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen besteht regelmäßig ein Beschäftigungsanspruch bei streitigem Bestand des Arbeitsverhältnisses nach ausgesprochener Kündigung so lange nicht, wie nicht am Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat. Lediglich bei offensichtlich unwirksamer Kündigung besteht in Wahrheit kein ernst zu nehmender Zweifel am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, so dass in einem solchen Fall allein mit der rein subjektiven Ungewissheit des Arbeitgebers über den Prozessausgang kein der Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehendes überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründet werden kann. Die offensichtlich unwirksame Kündigung ist allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn ein Instanzgericht die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt. Sie liegt nur dann vor, wenn sie schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss. Die Unwirksamkeit der Kündigung muss ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage treten.

Dies kann bei der Kündigung vom 29.09.2004 nicht angenommen werden.

Zwar bestehen erhebliche Zweifel daran, ob diese Kündigung als außerordentliche durchgreift. Die Beklagte hat die Kündigung aber auf illoyales Verhalten gestützt, welches sie hindert, den Kläger zu beschäftigen. Sie hat weiter die Kündigung darauf gestützt, dass der Kläger es nicht für nötig befunden hat, seine Arbeitsleistung anzubieten. Mag zwar zweifelhaft sein, ob diese Gründe ausreichend sind, eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung, sofern diese begründet werden muss, zu tragen, reicht dies nicht aus von einer offensichtlichen Unwirksamkeit auszugehen. Auch die Frage der einzuhaltenden Zwei-Wochen-Frist erscheint nicht ganz unproblematisch. Jedenfalls kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Unwirksamkeit der Kündigung sich für jeden Kundigen ohne jeden vernünftigen Zweifel geradezu aufdrängen muss. Immerhin könnte über das Institut eines lang andauernden Kündigungsgrundes auch die Zwei-Wochen-Frist für die Beklagte eingehalten sein. Abschließend war dies jedenfalls nicht zu entscheiden. Da die Kündigung vom 29.09. als außerordentliche Kündigung jedenfalls nicht offensichtlich unwirksam ist, hat der Kläger im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen tatsächlichen Anspruch auf Beschäftigung auch dann nicht, sollte das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch bestehen.

Der Klage des Klägers konnte daher wegen der nachträglichen Veränderung der Umstände keinen Erfolg mehr zukommen. Auf die Berufung der Beklagten war das entsprechende Leistungsurteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

An dieser Stelle ist nochmals darauf hinzuweisen, dass mit dieser Klageabweisung keinesfalls die Feststellung getroffen wird, das Arbeitsverhältnis sei im Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung bereits beendet gewesen oder es sei für den Kläger treuwidrig, wenn er sich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beruft.

Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.

Gegen das Urteil findet daher die Revision nicht statt. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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