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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 30.11.2006
Aktenzeichen: 4 TaBV 48/06
Rechtsgebiete: BetrVG, TVG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 76 Abs. 5 Satz 4
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1
TVG § 4 Abs. 5
ArbGG § 72 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 TaBV 48/06

Entscheidung vom 30.11.2006

Tenor:

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 19.07.2006 - 1 BV 237/06 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines Spruchs einer Einigungsstelle.

Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit unter der Marke C. M. Kinos, darunter auch in T., für den der Beteiligte zu 2) als Betriebsrat gewählt ist.

Die Arbeitgeberin war Mitglied des Arbeitgeberverbandes Dienstleistungsunternehmen e. V., der verschiedene Tarifverträge abgeschlossen hat, u. a. auch einen Manteltarifvertrag Filmtheater vom 01.01.2001. In diesem war zur Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeit geregelt, dass der Mitarbeiter den Arbeitgeber unverzüglich von der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtlichen Dauer zu unterrichten hat und vor Ablauf des 3. Werktages der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung ab dem 1. Tag der Erkrankung vorzulegen hatte.

Die Arbeitgeberin kündigte die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband zum 31.12.2003, der Manteltarifvertrag wurde seitens des Arbeitgeberverbandes zum 31.12.2003 gekündigt.

Nach Auslaufen des Manteltarifvertrags wurde im Betrieb in Trier die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entsprechend der tariflichen Regelung weiter angewendet.

Im Betrieb in T. werden circa 42 Mitarbeiter beschäftigt, davon sind 60 % studentische Teilzeitbeschäftigte, deren durchschnittliche Arbeitszeit bei 17 Stunden pro Woche liegt. In der Regel werden die studentischen Teilzeitbeschäftigten an circa 3 Tagen pro Woche bei Schichtlängen von vier bis sechs Stunden eingesetzt. Der Schwerpunkt des Einsatzes der Arbeitnehmer liegt auf den so genannten kinostarken Tagen, also Freitag bis Sonntag und an den Feiertagen.

Die Krankheitsquote in T. lag im Oktober 2005 bei 2,4 %, im März 2006 bei 3,62 %. Unternehmensweit lag die Krankheitsquote im März 2006 bei 3,56 %.

Nach Ablauf der Tarifbindung strebte der Betriebsrat in T. auf der Basis von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eine betriebliche Regelung an, auf deren Grundlage die Arbeitnehmer des Betriebs T. nur noch entsprechend der gesetzlichen Regelung verpflichtet sein sollen, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Insbesondere wollte der Betriebsrat die Mitarbeiter von der Verpflichtung entbinden, bereits ab dem 1. Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen.

Da zwischen den Betriebspartnern eine Einigung nicht erzielt werden konnte, hat, nachdem ein entsprechender erster Einigungsstellenspruch wegen Verfahrensfehlern durch Gerichtsentscheidung aufgehoben wurde, am 11.05.2006 eine Einigungsstelle unter dem Vorsitz von Herrn Rechtsanwalt D. B. stattgefunden. Gegen die Stimmen der Beisitzer der Arbeitgeberseite und unter Beteiligung des Vorsitzenden wurde folgender Spruch gefasst:

"Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

1. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als zwei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtlich Dauer spätestens an dem darauf folgenden Arbeitstag vorzulegen.

2. Der Arbeitnehmer hat die ärztliche Bescheinigung gemäß Abs. 1 ab dem 1. Tag der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen, wenn er bereits zweimal im Kalenderjahr unter jeweils zwei Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt war, ohne eine entsprechende Bescheinigung gemäß Abs. 1 vorgelegt zu haben."

Zur Begründung des Spruchs hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass zum einen dem Argument des Betriebsrates Rechnung getragen werde, wonach es an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen für Mitarbeiter schwierig sei, einen Arzt zu erreichen. Zum anderen werde der vom Arbeitgeber vorgetragenen Missbrauchsbefürchtung durch die Einschränkung Rechnung getragen, dass der Arbeitnehmer die ärztliche Bescheinigung ab dem 1. Tag der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen hat, wenn er bereits zweimal im Kalenderjahr unter jeweils zwei Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt war, ohne eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt zu haben.

Der Spruch der Einigungsstelle wurde der Arbeitgeberin am 18.05.2006 zugestellt. Sie hat mit am 01.06.2006 eingegangenem Schriftsatz die Anfechtung des Spruchs wegen Ermessensüberschreitung geltend gemacht.

Die Arbeitgeberin hat vorgetragen, ihre Interessen seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Insbesondere sei das Verlangen, von dem Arbeitnehmer ab dem 1. Tag der Erkrankung eine ärztliche Bescheinigung vorlegen zu lassen, weder unsachlich noch dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechend. Die sachliche Rechtfertigung dieses Verlangens folge mehreren Gründen. Die unternehmensweite Handhabung der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ab dem 1. Krankheitstag beruhe auf einer tariflichen Regelung. Dabei sei zu beachten, dass die Tarifvertragsparteien zum einen die Besonderheiten der jeweiligen Branche besser zur Geltung bringen könnten als der eine generelle Regelung treffende Gesetzgeber. Zum anderen bestehe kein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien, so dass Tarifverträgen eine Richtigkeitsvermutung in dem Sinne zukomme, dass die wechselseitigen Interessen richtig ausgeglichen seien. Die Tarifvertragsparteien hätten mit der Regelung im Manteltarifvertrag dem Umstand Rechnung getragen, dass wegen der Beschäftigung der studentischen Teilzeitkräfte an nur wenigen Tagen in der Woche der Arbeitgeber auf der Basis der gesetzlichen Regelung faktisch die Kontrolle über das tatsächliche Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit verlieren würde. Er könne nie nachprüfen, ob nach dem Tag des Einsatzes weitere Krankheitstage folgten, auf deren Grundlage nach der gesetzlichen Regelung erst die ärztliche Bescheinigung vorzulegen sei.

Die Einigungsstelle habe darüber hinaus die geltend gemachte Kostenbelastung der Arbeitnehmer überbewertet. Sie habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Arbeitnehmer im Rahmen eines Lohnsteuerjahresausgleichs maximal nur bis zur Höhe von 2 % ihres Einkommens zur Zahlung der Praxisgebühr herangezogen werden könnten. Verschiedene Krankenkassen hätten auch so genannte Hausarztmodelle angeboten, aufgrund welcher die Arbeitnehmer von der Zahlung der Praxisgebühr befreit seien. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen, wenn von diesem Recht kein Gebrauch gemacht werde. Das Argument des Betriebsrates, am Wochenende und an Feiertagen sei es für Arbeitnehmer schwierig, einen Arzt zu finden, sei ein Scheinargument. Da im Betrieb in T. auch an allen Wochentagen gearbeitet werde, könne es auch auf der Basis des Spruchs der Einigungsstelle zu Situationen kommen, dass Mitarbeiter am Wochenende den Notdienst aufsuchen müssten, wenn sie z. B. länger als zwei Tage arbeitsunfähig krank seien. Die Arbeitgeberin macht weiter geltend, sie gehe bewusst das Risiko ein, dass durch das Aufsuchen der Ärzte eine Krankschreibung möglicherweise nicht nur für einen Tag sondern gleich für mindestens drei Tage oder eine Woche erfolge.

Die von der Einigungsstelle beschlossene Regelung sei ermessensfehlerhaft, da sie im Betrieb praktisch nicht handhabbar sei. Die Arbeitgeberin müsse feststellen, wie oft ein Arbeitnehmer im Kalenderjahr "unter jeweils zwei Kalendertagen" arbeitsunfähig erkrankt sei und ob entsprechend eine Bescheinigung vorgelegen habe. Die Erfassung sei nur mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand darzustellen.

Schließlich sei der Einigungsstellenspruch auch deswegen ermessensfehlerhaft, weil die Einigungsstelle das Angebot der Arbeitgeberin nicht beachtet habe, etwaige Mehrkosten bei Zahlung der Praxisgebühr bei der Inanspruchnahme von Notdiensten am Wochenende oder Feiertags zu erstatten.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11.05.2006 betreffend den Regelungsgegenstand "Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat auf den eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Arbeitsgerichts in einem Verfahren nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG hingewiesen. Zweckmäßigkeitserwägungen der Einigungsstelle unterlägen nicht der gerichtlichen Kontrolle. Das Gericht dürfe sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Einigungsstelle setzen. Der Spruch der Einigungsstelle enthalte nicht eindeutig keine sachgerechte Interessenabwägung bzw. eine vollständige Nichtberücksichtigung der Belange der betroffenen Arbeitnehmer oder des Betriebes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den darstellenden Teil des Beschlusses des Arbeitsgerichts Trier vom 19.07.2006 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, der Spruch der Einigungsstelle halte sich innerhalb der Grenzen des der Einigungsstelle eingeräumten Ermessens. Der Spruch verstoße nicht gegen das Gesetz, nicht gegen eine tarifliche Regelung. Der Besonderheit der Beschäftigungsstruktur und des Beschäftigungsgegenstandes im Kinobetrieb in T. habe die Einigungsstelle Rechnung getragen. Die Regelung sei deutlich "schärfer" als die gesetzliche Regelung und bewege sich in dem Rahmen zwischen der nachwirkenden tariflichen Regelung, Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 1. Tag und der gesetzlichen Regelung, Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst nach Ablauf von drei Krankheitstagen. Innerhalb dieses Rahmens habe die Einigungsstelle berücksichtigt, dass es für den Arbeitnehmer nicht nur kosten- sondern auch zeitaufwendig sein könne, insbesondere am Wochenende, an dem die studentischen Hilfskräfte überwiegend eingesetzt sind, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen zu müssen. Die Missbrauchsregelung in Abs. 2 sei durchaus praktisch handhabbar. In Betrieben von der Größe der Arbeitgeberin sei es üblich, wenn nicht gar erforderlich, die Personaldaten auch z. B. bezüglich der Urlaubsgewährung festzuhalten. Dabei könne ohne großen Verwaltungsaufwand auch festgehalten werden, wann ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank war, wie lange die Arbeitsunfähigkeit gedauert hat und ob eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die ersten zwei Tage vorgelegt worden ist oder nicht. Das Interesse der Arbeitgeberin an einer bundeseinheitlichen Regelung sei zwar verständlich, führe jedoch nicht zu einer entsprechenden Bindung der Einigungsstelle.

Der Beschluss wurde der Arbeitgeberin am 01.08.2006 zugestellt. Am 21.08.2006 hat sie hiergegen Beschwerde eingelegt. Sie hat ihre Beschwerde mit am 28.09.2006 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Arbeitgeberin wiederholt ihren erstinstanzlichen Tatsachen- und Rechtsvortrag. Die Einigungsstelle habe den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt unvollständig und falsch berücksichtigt. Es liege eine Ermessensüberschreitung vor. Die Entscheidung führe zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Antragstellerin. Die durch den Beschluss der Einigungsstelle hervorgerufenen Beeinträchtigungen seien durch die vom Betriebsrat verfolgten Interessen der Arbeitnehmer nicht zu rechtfertigen. Die Antragstellerin habe keine Kenntnis davon, ob am 3. Tag noch eine Arbeitsunfähigkeit mit der Folge der Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeit am Folgetag bestehe oder aber ob der Arbeitnehmer wieder genesen werde. Bei vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern erfahre dies der Arbeitgeber in jedem Falle, er könne dann kontrollieren, ob eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingehe. Dies sei aufgrund der speziellen Beschäftigungssituation des Großteils der im Betrieb T. beschäftigten Arbeitnehmer nicht der Fall. Der Arbeitgeberin sei es daher nicht möglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Vorlage ab einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entsprechend dem Beschluss der Einigungsstelle bestehen oder nicht. Durch den Spruch werde ihr bezüglich eines Großteils ihrer Arbeitnehmer die Kontrolle im Hinblick auf die Einhaltung der Regelungen zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung faktisch unmöglich gemacht. Der Spruch enthalte darüber hinaus eine gravierende Regelungslücke, weil der Arbeitnehmer nur dann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen habe, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als zwei Kalendertage dauere. Diese müsse erst am darauf folgenden, d. h. 3. Kalendertag vorgelegt werden und nicht auf den Zeitpunkt ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit rückwirkend sich beziehen. Daher liege eine deutlich schärfere Regelung als die gesetzliche Regelung, wie vom Arbeitsgericht fälschlicherweise angenommen, nicht vor. Darüber hinaus komme nach Abs. 2 des Einigungsstellenspruchs ein Großteil der Erkrankungen nicht zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, weil gerade die typischen Zeiträume einer angeblichen Arbeitsunfähigkeit, die das gesamte Einsatzwochenende von zwei Arbeitstagen betreffen, immer sanktionslos und ohne jeweils zur Verpflichtung der Vorlage einer Bescheinigung ausliefen. Gerade die Arbeitsunfähigkeit von zwei Tagen sei keine Arbeitsunfähigkeit von unter zwei Kalendertagen. Dies sei nur eine Arbeitsunfähigkeit von einem Tag. Im Übrigen werde Unzumutbares abverlangt, wenn sie ohne das Vorhandensein einer speziellen Software permanent überwachen müsse, ob die Arbeitnehmer des Betriebs im Kalenderjahr bereits zweimal unter jeweils zwei Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt seien. Das Ziel des Betriebsrates, den Arbeitnehmern die angeblichen Schwierigkeiten und zeitlichen sowie finanziellen Belastungen der Aufsuchung eines Arztes am Wochenende zu ersparen, werde nicht erreicht. Diese Folgen träten nach dem Einigungsstellenspruch auch dann ein, wenn das Ende der Frist auf ein Wochenende oder einen Feiertag falle.

Die Arbeitgeberin beantragt:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 19.07.2006, Az.: 1 BV 237/06, bei der Antragstellerin eingegangen am 01.08.2006, wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11.05.2006 betreffend den Regelungsgegenstand "Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" unwirksam ist.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss. Die Auslegung des Einigungsstellenspruchs hinsichtlich Abs. 2, wonach mit einer Arbeitsunfähigkeit unter zwei Kalendertagen nur die Arbeitsunfähigkeit bis zu einem Kalendertag gemeint sei, teilt der Betriebsrat nicht. Es sei im Betrieb auch nach dem Einigungsstellenspruch problemlos dahingehend gehandhabt worden, dass eine wiederholte Erkrankung für zwei Tage die Vorlagepflicht auslöse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sach- und Streitstandes im Beschwerdeverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, die Gegenstand der mündlichen Anhörung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 30.11.2006.

II.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO).

Das Rechtsmittel der Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und in der Begründung vollkommen zutreffend den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Der Antrag ist nicht begründet. Eine Ermessensüberschreitung der Einigungsstelle bezüglich des Spruchs vom 11.05.2006 ist nicht gegeben.

Das Arbeitsgericht darf die Ermessensentscheidung nur dahin überprüfen, ob sie die Grenzen des zustehenden Ermessens überschritten hat. Hält sich der Spruch innerhalb des gesetzlichen Rahmens, hat das Gericht ihn hinzunehmen. Das Arbeitsgericht hat keine allgemeine Zweckmäßigkeitskontrolle auszuüben. Insbesondere darf das Arbeitsgericht nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Einigungsstelle setzen.

Der Überprüfung des Arbeitsgerichts unterliegt allein das Ergebnis der Tätigkeit der Einigungsstelle, d. h. ihr Spruch aufgrund der damals vorhandenen Umstände, nicht die Überlegungen und Erwägungen bei der Entscheidungsfindung. Die Einigungsstelle hat die Verpflichtung, die Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer angemessen zu berücksichtigen. Daher kann nicht der ganze Spielraum zwischen der Grenze zur Verletzung des Wohls der Arbeitnehmer und derjenigen zur Beeinträchtigung der betrieblichen Belange ausgeschöpft werden. Vielmehr ist eine mittlere Lösung zu finden, bei der innerhalb eines Spielraums die Interessen beider Seiten angemessene Berücksichtigung finden. Dieser Spielraum ist nur in Ausnahmefällen auf Null reduziert. Ist eine Abwägung nach konkreten Umständen vorzunehmen, ergibt es sich nicht selten, dass die Interessen der einen Seite hinter denen der anderen auch mehr oder weniger geringfügig oder stärker zurücktreten müssen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält sich der Spruch der Einigungsstelle innerhalb der Grenzen des eingeräumten Ermessens.

Im Beschwerdeverfahren hat die Arbeitgeberin keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die es als richtig erscheinen lassen, dass allein die bisherige tarifliche Regelung als ermessensfehlerfrei angesehen werden kann. Der Einigungsstellenspruch verlangt die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei einer Arbeitsunfähigkeit von länger als zwei Kalendertagen. Damit ist die Regelung schärfer als die gesetzliche Regelung, die eine Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann verlangt, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert. Dann ist die ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauf folgenden Arbeitstag vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG).

Die im Beschwerdeverfahren von der Arbeitgeberin dargelegte Auffassung, bei einer längeren Erkrankung müsse die Arbeitsunfähigkeit erst ab dem Tag nach Ablauf der Wartefrist dokumentiert werden, entspricht weder den gesetzlichen Regelungen noch ist sie dem Inhalt des Einigungsstellenspruchs zu entnehmen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als die vorgeschriebene Zeit, ist die Arbeitsunfähigkeit ab dem 1. Tag der Arbeitsunfähigkeit zu belegen.

Durch die Regelung der Einigungsstelle wird gegenüber der gesetzlichen Regelung eine Verschärfung dergestalt bewirkt, dass der Arbeitnehmer bereits früher verpflichtet ist, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Damit verstößt der Spruch der Einigungsstelle nicht gegen das Gesetz, er kann auch nicht gegen den nachwirkenden Tarifvertrag verstoßen, weil diese Regelung gemäß § 4 Abs. 5 TVG nur solange weiter galt, als sie durch eine andere Abmachung, dies ist im vorliegenden Fall eine Vertriebsvereinbarung, ersetzt wurde.

Den Besonderheiten der Beschäftigungsstrukturen des Beschäftigungsgegenstandes im Kinobetrieb hat die Einigungsstelle Rechnung getragen.

Dabei spielt es wie dargestellt keine Rolle, dass die Einigungsstelle den Interessen des Arbeitgebers nicht in vollem Umfang Rechnung getragen hat, sondern eine modifizierte Form der Verpflichtung zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Regelungsgegenstand aufgestellt hat.

Das von der Einigungsstelle und vom Arbeitsgericht herangezogene Argument, dass es für die Arbeitnehmer nicht nur kostenaufwendig sondern auch zeitaufwendig sein kann, insbesondere am Wochenende, an dem die studentischen Hilfskräfte überwiegend eingesetzt sind, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, ist ein ausreichender Grund dafür, eine Regelung auch noch als angemessen zu halten, die einen Mittelweg zwischen der früher geltenden tariflichen Regelung und der gesetzlichen Regelung beinhaltet.

Die in Abs. 2 des Einigungsstellenspruchs getroffene Missbrauchsregelung ist darüber hinaus durchaus entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin praktisch handhabbar. Die Erfassung von Personaldaten bezüglich Fehlzeiten muss im Betrieb ohnehin vorgenommen werden, dann ist eine Erfassung, ob für eine Fehlzeit eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen hat, ein minimaler Mehraufwand, der es unschwer ermöglicht Fälle zu erfassen, in denen nunmehr nach dem Spruch der Einigungsstelle eine weitere Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erforderlich ist. Das Interesse an einer bundeseinheitlichen Regelung ist wie vom Arbeitsgericht zutreffend dargestellt ohnehin nicht entscheidungserheblich, weil die Einigungsstelle die Belange des Betriebes und nicht des Unternehmens angemessen zu berücksichtigen hat.

Schließlich führt auch der von der Arbeitgeberin im Beschwerdeverfahren erstmals erhobene Einwand, die Einigungsstelle habe einen wesentlichen Teil der Arbeitsunfähigkeitsfälle nicht geregelt, nicht zur Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs.

In der Tat wäre es der Arbeitgeberin zuzugeben, dass dann, wenn Fehlzeiten von zwei Tagen auch nicht im zweiten Wiederholungsfalle im Kalenderjahr zu einer Vorlageverpflichtung führen würden, die Regelung dann unpraktikabel und damit ermessensfehlerhaft wäre. Die Auslegung des Einigungsstellenspruchs ergibt aber, dass eine krankheitsbedingte Fehlzeit von zwei Arbeitstagen ohne Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im zweiten Wiederholungsfalle im Kalenderjahr zur Vorlagepflicht nach Abs. 2 des Einigungsstellenspruchs führt. Der Einigungsstellenspruch hat die Wirkungen einer Betriebsvereinbarung. Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung als privatrechtlicher Normenvertrag folgt den für die Auslegung von Tarifverträgen geltenden Grundsätzen. Für die Auslegung gilt, dass der wirkliche Wille der Betriebsparteien bei Abschluss der Betriebsvereinbarung dahin zu ermitteln ist, sofern dieser im Wortlaut der Regelungen der Betriebsvereinbarung seinen Ausdruck gefunden hat. Zur Auslegung können grundsätzlich der Wortlaut, die Systematik, Sinn und Zweck und die Entstehungsgeschichte herangezogen werden (vgl. dazu GK Kreutz, § 77 RN 66 m.w.N.). Bei dieser Auslegung ist die entscheidende Passage in Abs. 2 der Betriebsvereinbarung dahin auszulegen, dass mit dem Begriff unter jeweils zwei Kalendertagen Arbeitsunfähigkeitszeiten von einem und zwei Kalendertagen gemeint sind.

Der Spruch der Einigungsstelle und die Verhandlung der Betriebspartner gingen eindeutig dahin zu regeln, ab welchem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen sind. Die deutliche Zäsur ist eine Arbeitsunfähigkeit, die länger als zwei Kalendertage dauert, wie sich aus Abs. 1 des Einigungsstellenspruchs ergibt. Die länger als zwei Kalendertage dauernde Arbeitsunfähigkeit löst ohne weiteres eine Verpflichtung zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Da in dem Verfahren zur Erzielung eines Ergebnisses im Einigungsstellenspruch die von der Arbeitgeberin zitierte Problematik des Missbrauchstatbestandes eine wesentliche Rolle gespielt hat, hat die Einigungsstelle mehrheitlich beschlossen, dass für alle sonstigen Fälle, die nicht ohne Weiteres eine sofortige Vorlagepflicht der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausweisen, also Arbeitsunfähigkeitszeiten von bis zu zwei Kalendertagen, die Vorlagepflicht dann eintritt, wenn der Arbeitnehmer unterhalb der Erheblichkeitsschwelle arbeitsunfähig erkrankt war ohne eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen und dies im zweiten Wiederholungsfall im Kalenderjahr auftritt.

Damit ist auch eine praktisch brauchbare Handhabung betroffen. Die von der Arbeitgeberin angeführte Befürchtung, sie könne nie nachvollziehen, ob eine Pflicht zur Vorlage besteht, erschließt sich der Beschwerdekammer nicht. Die Arbeitgeberin kann bei mehrfachen Kurzerkrankungen im Sinne von Erkrankungen von weniger als zwei Kalendertagen feststellen, ob und wie oft dies im Kalenderjahr schon der Fall war und dann die Verpflichtung zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch darstellen. Auch im Falle der studentischen Hilfskräfte an Wochenenden kann dies unschwer erfolgen.

Der Arbeitgeberin kann nicht darin gefolgt werden, dass die Auslegung des Spruchs der Einigungsstelle den Regelungsgehalt ergibt, dass eine Arbeitsunfähigkeit von zwei Kalendertagen und nicht nur von einem praktisch unbeschränkt im Kalenderjahr sich wiederholen kann, ohne dass eine Verpflichtung zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht. Der Begriff von unter 2 Kalendertagen kann auch nach allgemeinem Sprachgebrauch unschwer dahin verstanden werden, dass dies einen Zeitraum mit umfasst, der zwei Kalendertage nicht übersteigt.

Schließlich und endlich sei die Arbeitgeberin darauf hingewiesen, dass mit der Regelung des Einigungsstellenspruchs Missbrauchstatbestände nicht erleichtert oder ihnen Vorschub geleistet wird. Die Arbeitgeberin hat es auch in Fällen, in denen keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegen hat, jederzeit in der Hand, bei begründetem Verdacht von Leistungserschleichung durch Nichtauszahlung der Arbeitsvergütung die Arbeitnehmer zu disziplinieren. Der Spruch der Einigungsstelle beinhaltet nämlich keine Regelung, dass den Arbeitnehmern in den Fällen der Arbeitsunfähigkeit Entgelt auszuzahlen ist, sie haben dann, wenn keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, es bei Kurzerkrankungen materiell und prozessual schwerer, berechtigte Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durchzusetzen. Die Einigungsstelle regelt gerade nicht, unter welchen Voraussetzungen Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall zu leisten ist. Sie regelt lediglich die sich aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz ergebende Nebenpflicht der Arbeitnehmer, gegenüber dem Arbeitgeber das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliches Attest zu dokumentieren.

III.

Kann nach allem nicht festgestellt werden, dass der Spruch der Einigungsstelle ermessensfehlerhaft war, war die gegen die abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts gerichtete Beschwerde des Betriebsrates erfolglos.

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen angesichts der Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.

Ende der Entscheidung

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